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aus: Kalaschnikow - Waffe der Kritik
Die neue Linke in Rußland
Was ist an ihr neu?

von Wladimir Ostrogorski

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1. Erinnerungen an die Zukunft

Wenn man einem Kenner der russischen Szene Glauben schenkt, steht die Machtübernahme in Rußland durch die "neuen Sozialisten" unmittelbar bevor. Die russische Bevölkerung sei vom Jelzin-Regiment zutiefst enttäuscht, es möchte dem Ausverkauf Rußlands, der Zerrüttung der Staatsmacht, der Talfahrt der russischen Wirtschaft, dem rasanten Abbau der sozialen Absicherung, dem Anstieg der Kriminalität, der Bereicherung weniger und der Verelendung der meisten nicht weiter tatenlos zusehen. Es trachtet danach, Jelzins Mannschaft durch eine andere auszuwechseln. Eben durch die der "neuen Sozialisten", die, Gewehr bei Fuß, am Kremltor stehen, um, wenn das Volk nach ihr ruft, in die Zitadelle der Macht einzuziehen.

Der so hofft, trägt den Namen eines der erfolgreichsten russischen Politiker der Sowjetära. Anatoli Gromyko ist der Sohn von Andrej Gromyko, der als Außenminister den Aufstieg der Sowjetunion zur Supermacht in den drei Nachkriegsjahrzehnten maßgeblich begleitet und gefördert hat. Auch der Sohn ist durch seine weitverzweigten Beziehungen in der Moskauer Elite keine zu negierende Größe. Der gegenwärtige Außenminister Rußlands, Jewgeni Primakow, zählt zu seinen alten Freunden.

Ob die Prognose des Sprosses des standhaften "Mister Njet" in Erfüllung geht, bleibt abzuwarten. Tatsache ist dagegen, daß der russische Büchermarkt von Visionen der "neuen Sozialisten" überschwemmt wird. Vor einigen Jahren war er voll von Werken, die die Sowjetgeschichte radikal umschrieben. Sie gaben davor streng gehütete Geheimnisse des Kremlhofes preis, zerrten die einst glorifizierten sowjetischen Führer von den Sockeln herunter. Dann kam die Bücherwelle, die die solange verdammte westliche, kapitalistische Lebensweise als das einzig wahre Ideal hinstellten. Jetzt findet der nächste Wechsel in den Auslagen der Bücherläden statt. Die "neuen Sozialisten" haben sich publizistisch vorgedrängt.

Vermutlich finden die Bücher einen, wenn auch - nach der Auflagenhöhe zu urteilenden - bescheidenen Anklang. Die importierte Popkultur eliminiert den bücherlesenden Russen noch nicht gründlich genug, um das politische Buch im luftleeren Raum hängen zu lassen. Es wird noch gelesen. Insbesondere in der von der "Perestroika" am meisten enttäuschten russischen Intelligenzija - der Schicht, die sich nie so richtig mit der im Lande herrschenden Macht arrangieren konnte. Außer vielleicht in der kurzen Zeit nach Gorbatschows Machtantritt, als sie von der Hoffnung erfüllt war, jetzt würde sie endlich frei und souverän sein und als geistige Creme der Nation ihren ehrenvollen Platz unter der Sonne erhalten.

Weit gefehlt. Die "freie Marktwirtschaft" a la russe drängte die Intelligenzija ins Abseits. Lehrer und Ärzte warten viele Monate lang auf ihre Gehälter, Wissenschaftler sind glücklich, als Liftboys und Verkäufer zu verdienen. Die Künstler müssen sich, wenn sie satt werden wollen, wieder prostituieren. Wobei die neuen Freier von ihnen Dienstleistungen mit mehr Rafinesse erwarten als die alten.

So erfreuen sich die "neuen Sozialisten", die fast ausnahmsweise aus der alten sowjetischen Nomenklatura kommen, eines wachsenden Klientels.

2. Die Entdeckung der Russen

Ungeachtet der Genesis unterscheidet sich das geistige Gut der "neuen Sozialisten" wesentlich von den Dogmen der Sowjetzeit. Die prägenden Gedanken galten damals als Häresie und wurden hart bestraft.

Übrigens produzieren sich als kühne Erneuerer der Sozialismus oft die einstigen Wächter des Heiligen Grals. Damals von ihrer Sache überzeugt, sind sie es auch heute. Das ist das Einnehmende an ihnen.

Wohn am spektakulärsten stellt der Verfasser des ersten der zwei hier rezensierten Bücher (s.u.) die Wandlungsfähigkeit eines aufrechten Kommunisten unter Beweis. Boris Kuraschwili war im früheren Leben KGB-Oberst. Brav wehrte er Attacken des inneren und äußeren Feindes auf den alten Sozialismus ab. In der heutigen Inkarnation gibt er sich als glühender Verfechter des "neuen Sozialismus". Mehr noch, als einer seiner bedeutendsten Theoretiker.
Gerade der Dienst in der ehrenwerten Behörde und den ihr angeschlossenen wissenschaftlichen einrichtungen befähigte in zum Vorstoß zu neuen Horizonten. Denn im Mittelpunkt seiner neuen Sozialismustheorie steht die These, daß in jedem Menschen der alte Adam stecke, der schwer auszutreiben ist. Auch wenn man sich sehr darum bemüht.

Eine Erkenntnis, die in dem riesigen KGB-Gebäudekomplex auf dem Lubjanka-Platz in Moskau sehr langsam reifte. Schließlich und endlich trennten sich zwar die "Anthropologen in Zivil" von der Auffassung der Partei, der Mensch wäre leichter als Ton zu formen, wenn sie ein guter Töpfer der Sache annimmt. Aber erst nach vielen Enttäuschungen im Laufe mehrerer Jahrzehnte.

Nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1917 hieß es nämlich, der von der Ausbeutung befreite Prolet würde ohne weiteres die Ärmel hochkrempeln, um das helle Gebäude des Sozialismus selbstlos und aufopfernd aufzubauen. Es käme nur darauf an, das Land von den Parasiten zu säubern, z denen ausnahmslos die Angehörigen der Ausbeuterklasse gerechnet wurden. Angefangen beim Adel und Beamtentum des Zarenreiches bis zum letzten Krämer und Dorfpopen.

Einer meiner nahen Verwandten, der sich an der ursprünglichen Säuberung solange aktiv betätigte, bis er selbst Opfer einer nächsten wurde, pflegte meine Hände zu nehmen und die Fingernägel nachdenklich zu betrachten. Hygienekontrolle, dachte ich in meiner kindlichen Naivität. Erst später wurde ich eines Besseren belehrt. In den ersten Jahren der Revolution reichten manchmal schon gepflegte und schwielenlose Hände, um einen Klassenfeind zu überführen und entsprechend zu behandeln.

Die gründliche Säuberung von Parasiten, die vor 1917 das Land regierten, erwies sich leider in einer sehr wichtigen Hinsicht als Flop. Es gelang der Führung nicht, das Verhaltensmuster der Übriggebliebenen einschneidend zu ändern. Nach wie vor strebten sie danach, mehr zu verdienen und weniger zu schuften, suchten ihr Glück eher in der Familie als in der Arbeitsbrigade und übten ein gerüttelt Maß an Mißtrauen gegenüber der Staatsmacht.

Die Menschenfreunde von der Lubjanka wie auch ihre Auftraggeber aus der Parteiführung machten für das schändliche Verhalten eine neue Ursache aus. Die Überbleibsel der früheren Epochen im Bewußtsein des Sowjetmenschen. Jetzt wurde zur Jagd auf die Träger der verdammten Überbleibsel geblasen und zwar nicht allein im "klassenmäßig fremden" Milieu - dort bereits so gut wie ausgerottet -, sondern auch unter den Arbeitern und Bauern und vor allem im Staats- und Parteiapparat.

Jetzt galt keine Unterscheidung nach leicht feststellbaren Merkmalen wie Schwielen, schmutzigen Fingernägeln und dergleichen mehr, sondern die viel schwierigere Erforschung der Vorgänge im Kopfe, auch wenn diese nicht artikuliert wurde. Kein Wunder, daß mitunter Fehler passierten. Sogar zahlreiche Fehler. Nach Berechnungen von Kuraschwili, der es wissen muß, allein in den Jahren 1937-1938 etwa in zwei Millionen Fällen. Allerdings nur die Hälfte der versehentlich einkassierten endeten mit Genickschuß. Wenn das nicht erfreulich ist ...

Später verlor der Hinweis auf die Überbleibsel an Überzeugungskraft. Wenn trotz der unermüdlichen Erziehungstätigkeit nach fünf, sechs Jahrzehnten Sowjetmacht das Faulenzen, die Trunksucht und das Stehlen überhand nahmen, mußte etwas anderes herhalten. Eben der innere Schweinehund im Menschen, sein Naturell. Kein Wunder also, daß in den letzten Jahren vor dem Zusammenbruch die Praxis immer mehr darauf hinauslief, die Menschen mit schlechter biologischer, genauer gesagt anthropologischer Veranlagung, auszumachen. Und auch abzusondern. Vor allem durch Einweisung in geschlossene psychiatrische Anstalten, betreut von der ehemaligen Dienststelle des Herrn Kuraschwili.

Wie dem auch sei, wollte die politische Elite der Sowjetunion, außer dem Gründer Lenin, nie den naheliegenden Gedanken akzeptieren, daß sie die Arbeiter und Bauern deswegen nicht wunschgemäß verhielten, weil sie von der ganzen Chose etwas erhofften, was keineswegs eintraf. Und zwar Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand.

Einiges in Kuraschwilis Buch läßt darauf schließen, daß ihm diese Erkenntnis auch früher dämmerte. Um so trauriger, daß er den "neuen Sozialismus" auf einer anthropologischen Grundlage aufrichten will. Alle seine Landsleute, ungeachtet anderer, insbesondere sozialer Kriterien, teilt er in etwa vier Gruppen. Die zahlreichste schließt die "vernünftigen Egoisten" ein, die sich, richtig angepackt, dazu eignen, den Sozialismus neu aufzubauen. Weniger zahlreich, dennoch sehr gefährlich seien die "unvernünftigen Egoisten". Sie hätten den "alten Sozialismus" zu Fall gebracht und die heutige russische Misere zu verantworten. In der neuen Gesellschaft müßten sie in die Schranken verwiesen werden, die ihrem angeborenen Trieb nach Macht und Reichtum keine Chance lassen. Wer zwischen den Vernünftigen und Unvernünftigen, sprich zwischen den Anpassungsfreudigen und den Anpassungsverweigerern die Trennungsstriche ziehen darf, verrät der Autor nicht. Es läßt sich aber angesichts seines Werdegangs vermuten.

3. Die Entdeckung Rußlands

Von einer anderen Warte her betrachtet die Geschichte der Sowjetunion und die Aufgaben des "neuen Sozialismus" der Verfasser des anderen hier rezensierten Buches (s.u.), Gennadi Sjuganow. Auch er entfernt sich von der für den klassischen Marxismus typischen Betonung des Sozialen, dennoch in eine andere Richtung als Boris Kuraschwili. Wie bereits der Titel seines neuen Buches zeigt, sucht er die wahre Erkenntnis nicht in der Analyse des Wesens des Russen, sondern Rußlands. Er meint, der tiefe Grund für das Fiasko der Sowjetmacht liege in der Mißachtung der Besonderheiten des tausendjährigen Reiches. Besonderheiten, die sich vor allem aus seiner geographischen Lage ergeben. Aus seiner Ausdehnung auf die beiden Erdteile Europa und Asien.

Anstatt wie der russische Doppeladler sowohl den Orient als auch den Okzident im Auge zu behalten, hätten russische Herrscher zu oft nach dem letzteren geschielt. Wie Peter der Erste, zum Beispiel. Das brachte Rußland nur Nachteile. Sein vom Standort her prädestiniertes Schicksal, politisch und wirtschaftlich autochton und autonom zu bleiben, wurde dadurch verzerrt. Es vergeudete seine Kräfte in der Abwehr der Feinde, die durch die selbstverschuldete Öffnung in sein Inneres vordrangen.

Besonders hart rechnet Dr. Sjuganow in dem Zusammenhang mit der internationalistischen Führungsriege der Sowjetmacht der zwanziger Jahre ab. Ihre Ausrichtung auf die Weltrevolution des Proletariats nennt er schlicht und einfach blöd. Anstatt überall Aufstände anzuzetteln, sollte sie sich darauf konzentrieren, dem eigenen Land mehr Glückseligkeit angedeihen zu lassen. Und anstatt gewaltsam ein fremdartiges Gesellschaftsmodell einzuführen, die guten urrusssischen Lebensweisen fördern.

Gott sei Dank hat, so Sjuganow, der weise Genosse Stalin das aus dem Westen eingeschleuste Unkraut auf dem russischen Felde fast komplett weggejätet. Unter seiner Führung stieg die Sowjetunion, also das alte Russiche Reich in neuer Gestalt, zu einer Supermacht auf. Dennoch seien die Nachfolger rückfällig geworden. Sie traten mit dem Westen in einen überflüssigen Rüstungswettlauf. Sie mischten sich in den Lauf der Dinge weit von den sowjetischen Grenzen ein.

Der westliche Imperialismus habe die selbstmörderische Politik heimtückisch provoziert. Als in ihrem Ergebnis das Land ausblutete, nutzte er die Schwäche, um das Sowjetsystem unter Beihilfe der Renegaten aus den Angeln zu heben. Jetzt hätten wir den Salat. Rußland befände sich im eisernen Griff des Westens.

Dennoch sei es noch nicht verloren. Wenn jene Politiker an die Macht kommen, die sich auf die unumstößlichen Forderungen der russischen geopolitischen Lage besinnen, aufersteht es wie der Vogel Phönix aus der Asche. Dann bettelt es im Westen nicht mehr um Almosen, sondern erschließt die eigenen, jetzt brachliegenden Quellen des wirtschaftlichen und kulturellen Reichtums. Und findet aufrichtige Verbündete, die nicht darauf aus sind, Danaer zu spielen. Vor allem im Fernen- und Nahen Osten.

Sjuganow ist ein sehr produktiver Autor. Fast so produktiv wie sein Vorbild Lenin, den er auch in Körperhaltung und Tonfall gern nachahmt. Jährlich erscheint von ihm mindestens ein Buch, das allerding sein weiteres Abdriften vom Leninismus zur Geopolitik, vor allem zu ihrer im Dritten Reich geprägten Abart, vor Augen führt.

4. Braune Flecken auf dem roten Gewand

Die hier apostrophierten Verkünder des "neuen Sozialismus" sind sich spinnefeind. Boris Kuraschwili beschimpft Gennadi Sjuganow als Verräter, weil dieser in der avisierten neuen Gesellschaft die Existenz kapitalistischer Betriebe zulassen will. Kuraschwili meint, das sei nicht nötig. Um eine höhere Effizienz der Wirtschaft als früher sicherzustellen, reicht es vollkommen, die Betriebe in die Hände der Belegschaften zu geben. Damit würde der unerfreulichen Erfahrung mit der zentralisierten und durch den Staat kaputt dirigierten sowjetischen Wirtschaft Genüge getan.

>Dabei erinnert der KGB-Oberst a.D. den Leser an die Vergangenheit Sjuganows als hochkarätiger Funktionär der KPdSU, die er als Hort von Karrieristen und Schwindlern bezeichnet. Es tut wohl, aus seiner Feder die zwar nicht ganz neue, aber zutreffende Einschätzung gewinnen, wonach die KPdSU-Führung, vor allem der letzte Generalsekretär der Partei, Michail Gorbatschow, dessen Name Kuraschwili nie ohne den wenig schmeichelhaften Zusatz "Judas" nennt, die ganze "Perestroika" eingeleitet hätten, um sich am Volksvermögen gesundzustoßen und mit den westlichen Kapitalisten gleichzuziehen.

Sjuganow, hinter dem - im Unterschied zu Boris Kuraschwili - nicht eine eher imaginäre Truppe ausrangierter Intellektueller steht, sondern die zahlenmäßig stärkste Partei Rußlands, die Kommunistische Partei der Russischen Förderation, läßt sich natürlich nicht zur Polemik mit den Vertretern anderer Richtungen des "neuen Sozialismus" herab. In seinem Gedankengebilde gibt es für sie keine Nische. Die neue Ethik, die Kuraschwili und seine Freunde, übrigens angelehnt an die Utopien der Vorgänger von Marx, auf die Fahnen schreiben, die vehement Kritik des Etatismus, den sie für den Verrat der sozialistischen Idee in Rußland verantwortlich machen, sind für den KPRF-Chef nichts anderes als Luftblasen. Er ist Machtmensch. Ein Anhänger des starken Staates. Oder will wenigstens dafür gehalten werden.

Das Traktat von Kuraschwili wurde geschrieben, als Sjuganow und die anderen KPRF-Politiker Präsident Jelzin als Kapitalisator noch nicht mit ausgestreckter Hand, sondern mit der Rot-Front-Faust begegneten. Kuraschwili sagte dennoch die Liaison zwischen den beiden voraus. Viel Scharfsinn hat es übrigens nicht erfordert. Bereits vor Jahren wurde immer deutlicher, daß die KPRF-Führung versucht, ungeachtet ihrer Philippiken gegen das Regime die in der Bevölkerung wachsende Rebellion mehr zu binden als zu bündeln. Das heißt aber nicht, daß die andere Richtung des "neuen Sozialismus", von Kuraschwili vertreten, Chancen im Lande hat. Kaum anzunehmen, daß viele Russen auf die Predigt reinfallen. Zu bitter sind ihre Erfahrungen mit denjenigen, die Wasser predigen.

Dies ahnend, rücken viele Vertreter der neuen russischen Linke nationalistische und sogar rassistische Parolen zunehmend in den Mittelpunkt ihrer Propaganda. Bei Kuraschwili ist es zum Beispiel die Behauptung, daß ein gewisser Teil der Bevölkerung Rußlands, und zwar nichtslawischer Herkunft, von der Biologie her unfähig sei zu einem Opfergang für das Vaterland, unglücklicherweise aber jetzt das Heft in der Hand habe. Um beim Leser keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wer da gemeint ist, schreibt er immer wieder vom "beschnittenen" Rußland. In einem anderen Zusammenhang erwähnt er "Läuse", die sich an russischem Blut vollsaugen. Goebbels läßt grüßen. Auch Sjuganow schreibt durch die Blume dasselbe, was die Politiker der rechten Szene unverblümt zum besten geben. So verspricht er, nach seinem Machtantritt dafür Sorge zu tragen, daß die ethnischen Russen in Rußland einen höheren Lebensstandard als die anderen Völker der Förderation haben werden. Denn die Russen seien der wertvollste Teil der Bevölkerung. Auch er hilft durch geschickte Wortwahl dem Leser zu erraten, wer zu dem minderwertigsten Teil gehört.

Beide Zweige des "neuen Sozialismus" frönen dem traditionsreichen russischen Messianismus. Kuraschwili läßt sich darüber aus, daß am Wesen des russischen Menschen die verfaulte westliche Welt genese. Sjuganow zitiert in jedem, auch in dem neuen Buch, einen russischen Mönch des Mittelalters, der den moskowitischen Staat nach dem römischen und byzantinischen Reich zum "Dritten Rom" erklärt und hinzugefügt hatte, das "Vierte Rom" würde nie kommen.

Sjuganow gibt zu verstehen, der Mönch kann noch recht behalten, auch wenn die sowjetische Supermacht aus der Welt ist. Die Beweisführung bleibt der KPRF-Chef dem Leser schuldig.

Andererseits aber irrt sich vermutlich auch jener zeitgenössische amerikanische Politologe, der das Ende des realen Sozialismus zum endgültigen Triumph des realen Kapitalismus verklärte und das Ende der Menschheitsgeschichte verkündete.

Jedenfalls scheint die zunehmende Aktivität der "neuen Sozialisten" in Rußland - bei all ihren Verrenkungen, die den Gründervätern des klassischen Sozialismus in ihren Gräbern bestimmt viel Kummer bereiten - auf etwas ganz anderes als das Ende der Geschichte hinzudeuten. Eher schon auf ihre Wiederholung.

Literatur:

Boris Kuraschwili: Nowy Sozialism. K wosroshdeniju posle katastrofy. DER NEUE SOZIALISMUS, Zur Renaissance nach der Katastrophe. Verlag Bylina, Moskau 1977, 316 S.
Gennadi Sjuganow: Geografija probedy. Osnowy rossiskoi geopolitiki. DIE ERDKUNDE DES SIEGES. "Die Grundlagen der russischen Geopolitik", o.V., Moskau 1997, 303 S.

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