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Frankfurter Rundschau, 02.02.1999

Linkes Blatt steht oben auf der Abschußliste
Die türkische Wochenzeitung Kurtulus leidet unter staatlichen Repressalien

Von Peter Nowak

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In der kleinen Druckerei am Stadtrand von Istanbul wächst die Anspannung von Minute zu Minute. Der junge Drucker Aydan rennt von Maschine zu Maschine und prüft die Druckfahnen. Bald liegt die druckfrische Ausgabe der linken türkischen Wochenzeitung Kurtulus auf den Tisch. Eigentlich reine Routine, schließlich ist jeden Sonntag Drucktermin.

Aber die drei Drucker wissen, was gleich passieren wird: Schon den ganzen Tag lassen mehrere Männer mittleren Alters den Eingang des Druckereigebäudes nicht aus den Augen. Von Zeit zu Zeit sprechen sie in ihre Handys. "Es sind immer die selben Zivilpolizisten, und die bleiben nicht so passiv", meint Aydan.

Artikel werden zensiert

Kaum sind die frischgedruckten Kurtulus-Exemplare in einen PKW verstaut, springen die Männer in ihre Autos und versperren den Hofausgang. Andere Polizisten treten an den Kofferraum und verlangen die Herausgabe der Zeitungspakete, die sie nach einem kurzen Disput wegtragen. "Wie jede Woche haben wir zunächst nur 500 Exemplare gedruckt. Im Laufe des Tages teilt uns die Staatsanwaltschaft mit, welche Artikel diesmal zensiert werden", klärt die Kurtulus-Redakteurin Gülay Yücel auf.

Acht Juristen und Journalisten aus Belgien, Deutschland, Großbritannien und Holland haben sich Ende Dezember als "internationale Beobachterdelegation" auf den Weg nach Istanbul gemacht. Der Menschenrechtsverein "Prison Watch International" hat die Reise der Delegation organisiert und hofft, die türkischen Behörden damit zur Respektierung der Pressefreiheit bewegen zu können.

"Schließlich ist die Behinderung einer ordnungsgemäß registrierten Zeitung nach der türkischen Verfassung illegal", meint Rechtsanwalt Behic Asci. Er arbeitet für das "Anwaltsbüro des Volkes", einem linken Anwaltskollektiv. "Bisher haben wir nicht viel erreicht", meint er leicht resigniert.

Mittlerweile ist bei Kurtulus der Brief vom Staatsanwalt eingetroffen. Fünf Artikel sind diesmal verboten worden. Ein Beitrag über das Irak-Bombardement und einer über politische Gefangene in der Türkei sind darunter. Jetzt geht die Arbeit in der kleinen Druckerei erst richtig los. Über 12 000 Exemplare müssen gedruckt werden. Die für die inkriminierten Artikeln vorgesehenen Seiten bleiben schwarz. In Balkenschrift wird der Leser informiert: "Hier sollte eigentlich dieser oder jener Artikel stehen. Doch er wurde zensiert."

In manchen Wochen bleibe ein Drittel der 48seitigen Zeitung schwarz, erzählt die Redakteurin Yücel. Und selbst die staatlich geprüften Kurtulus-Exemplare seien weiter im Visier der Staatsmacht: Häufig würden Kurtulus-Sendungen beschlagnahmt, Verteiler verhaftet und gefoltert. Zur Zeit sitzen nach Auskunft der Istanbuler Sektion des Menschenrechtsvereins (IHD) 37 Kurtulus-Redakteure im Gefängnis. Am 29. Januar 1998 sei der Kurtulus-Vertreter von Adana, Mehmet Topaloglu, von der Polizei erschossen worden. Und am 7. Oktober vorigen Jahres, berichtet Yücel, wurde die Kurtulus-Redaktion von der Polizei gestürmt: Alle 24 anwesenden Personen seien in die berüchtigte Anti-Terror-Abteilung der türkischen Polizei gebracht worden. Die Redaktionsräume wurden von der Polizei verwüstet, erinnert sich Druckereibesitzer Hüseyin Islamoglu. Er sei von der Polizei massiv unter Druck gesetzt worden, den Druckauftrag zu kündigen. Doch er bleibt standhaft: "Ich gehöre keiner Partei an, lasse mir aber nicht vorschreiben, was ich drucken darf."

Kurtulus ist ein Sprachrohr der türkischen Neuen Linken. Bis zum Militärputsch 1980 war diese Strömung sowohl in den Universitäten als auch in den Gewerkschaften und den Armensiedlungen am Rande der türkischen Großstädte aktiv. Nach dem Militärputsch im Jahre 1980 wanderten die Aktivisten zu Tausenden in die Gefängnisse.

Im Visier des Staates

Und auch unter den Zivilregierungen ist häufig der Wille der Generäle maßgeblich - besonders auf dem Gebiet der Staatssicherheit. Auch andere linke, kurdische und gelegentlich sogar islamische Publikationen sind im Visier des Staates. Doch Kurtulus steht bei den Behörden ganz oben auf der Abschußliste. Schließlich berichtet die Zeitung regelmäßig über Proteste an den Universitäten, Streiks in den Betrieben und macht die Menschenrechtsverletzungen in den türkischen Gefängnissen publik.

Jetzt hofft die kleine Zeitung auf Hilfe aus dem Ausland. Für Anfang Februar organisiert "Prison Watch International" die nächste Delegation nach Istanbul. Dazu haben sich neben Gewerkschaftern auch grüne Europaparlamentarier angesagt.

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