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Presseerklaerung der
Chiapas Kaffee-Kampagne


DER BIO-KAFFEE-SKANDAL

TRANSFAIR-Kaffee aus schmutzigem Anbau - Aufstandsbekaempfung mit Biokaffeegenossenschaften in Chiapas
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  • In hiesigen Biolaeden wird Kaffee der Kooperative Otilio Montaño - UDEPOM verkauft, die auf's Engste mit der chiapanekischen Organisation SOCAMA verflochten ist. Letztere wird von mexikanischen Menschenrechtsgruppen und der Presse als "Naehrboden" der Todesschwadron "Paz y Justicia" qualifiziert, die fuer ueber 300 Todesopfer und mehrere tausend vertriebene LandbewohnerInnen verantwortlich gemacht wird. Der Kaffee wird oekologisch durch Naturland zertifiziert und auf den Kaffeetueten wird mit dem TRANSFAIR-Siegel geworben.

Auf immer mehr Lebensmittelverpackungen prangt das TransFair-Siegel. Dieses Siegel steht fuer die Idee, mehr soziale Gerechtigkeit fuer kooperative ProduzentInnen in Entwicklungslaendern zu erreichen.

Ein aktueller Anlass zeigt jedoch deutlich, dass kooperativ produzierter Kaffee nicht automatisch "fair" ist. Der von TRANSFAIR zertifizierte "Mexiko-Kaffee" der Firma Lebensbaum - ein hochwertiger
Bio-Kaffee, der in Deutschland immerhin fuer DM 30,- pro Kilo an gutglaeubige VerbraucherInnen verkauft wird - stammt von dem Genossenschaftsverband Otilio Montaño (UDEPOM), mit Sitz in
Motozintla, Chiapas. Dieser wird wegen seiner zentralen Rolle im Aufstandsbekaempfungskonzept von der mexikanischen Regierung bevorzugt gefoerdert.

Konkret: Diese Genossenschaft ist personell und oekonomisch Teil der regierungstreuen chiapanekischen Verbandes "Solidaridad Campesino Magisterial" (SOCAMA), als deren paramilitaerischer Arm die Organisation "Paz y Justicia" gilt, die seit 1995 tausende
andersdenkende Bauern und Baeuerinnen vertrieben, deren Kaffeepflanzungen zerstoert, deren Ernte geraubt hat und auch vor Vergewaltigungen und Massakern nicht zurueckschreckt.
Menschenrechtsgruppen wie das Centro de Derechos Humanos Fray
Bartolomé de la Casas schaetzen die Zahl der Opfer von "Paz y Justicia" auf ueber 300 Menschen.

Die SOCAMA finanziert sich durch staatliche Unterstuetzungen genauso wie durch Beitraege ihrer Mitgliedsgenossenschaften.

Die Kooperative Otilio Montaño - UDEPOM

Eine dieser Genossenschaften ist der Kaffeeanbau-Verband Unión de Ejidos Profesór Otilio Montaño (UDEPOM), ein Zusammenschluss von baeuerlichen ProduzentInnen im chiapanekischen Landkreis Motozintla. Der Umsatz liegt bei ca. 3,5 Millionen DM fuer geschaetzte 920 t Biokaffee. Davon werden 70% nach Europa exportiert, der Rest in die USA und nach Japan. Seit der provisorischen Aufnahme in das FLO-Register Mitte 1996 traegt der Kaffee das "TRANSFAIR"-Siegel, seine Oeko-Qualitaet wird durch den deutschen Bio-Anbauverband Naturland zertifiziert und von der Finca Irlanda kontrolliert. In Deutschland wird der Kaffee von der Firma Lebensbaum, mit Sitz in Diepholz, vermarktet. Darueber hinaus unterstuetzt die Gesellschaft fuer Technische Zusammenarbeit (GTZ) des deutschen Entwicklungshilfeministeriums die Vermarktung weiterer oekologischer Produkte der UDEPOM ueber ihr GreenTrade-Net.

Die UDEPOM ist nicht nur irgendeine Kooperative, die zufaelligerweise der SOCAMA angehoert. Das zeigt sich schon daran, dass neben Manuel Hernández Gómez, einem der Fuehrer der SOCAMA und PRI-Abgeordneten im mexikanischen Bundesparlament, die UDEPOM weitere hochrangige SOCAMA-Funktionaere stellt. So z.B. einen ihrer Regionalkoordinatoren, der nach Angaben der mexikanischen Presse im Juli 1998 in dieser Funktion an Verhandlungen mit dem Ministerium SEDESOL teilnahm, bei denen es u.a. um die Mittelvergabe an "Paz y Justicia" und um "die Prioritaet der SOCAMA in Chiapas" ging. Angesichts dieser engen Verflechtungen verwundert es nicht, dass der mexikanische Praesident Zedillo alleine im Jahre 1998 zwei Mal mit Vertretern von Otilio Montaño zusammengetroffen ist. Die SOCAMA geniesst Prioritaet bei der Vergabe staatlicher Finanzmittel - deshalb beklagte der Vorsitzende der mexikanischen Kaffeeproduzentenvereinigung CNOC juengst, dass praktisch nur noch die SOCAMA und insbesondere UDEPOM in den Genuss staatlicher Unterstuetzung kaemen.

SOCAMA - der Naehrboden fuer Paramilitaers Die "Lehrer-Bauern-Solidaritaet" (SOCAMA) wurde 1988 von ehemaligen maoistischen Lehrern gegruendet und zaehlt heute mit 30.000-50.000 Mitgliedsfamilien zu den groesseren Produzentenverbaenden in Chiapas. Sie verfuegt ueber einen enormen oekonomischen und politischen Einfluss und steht in engster Verbindung zur mexikanischen Regierungspartei PRI. Fuer diese stellt sie Abgeordnete im Parlament von Chiapas und im mexikanischen Bundesparlament. So zum Beispiel den bereits erwaehnten Manuel Hernández Gómez, der im mexikanischen Bundesparlament auch Vorsitzender des Ausschusses fuer Waelder und Regenwaelder ist. Sein Bruder Silvano wurde als Stadtkaemmerer von San Juan Chamula beschuldigt, im April 1998 im grossen Stil die Versorgung paramilitaerischer Gruppen mit Waffen organisiert zu haben. Der Gruender und General von "Paz y Justicia", der Schuldirektor Samuel Sánchez Sánchez, ein weiterer SOCAMA-Funktionaer, sass bis zum Ablauf seiner Wahlperiode 1998 fuer die PRI im Parlament des Bundesstaates Chiapas.

Durch diese engen Verflechtungen mit der Regierungspartei, die bis in den Beraterstab des mexikanischen Praesidenten Zedillo reichen, ist es der SOCAMA in den letzten Jahren gelungen, ein beachtliches Wirtschaftsimperium aufzubauen, zu dem u.a. eine eigene Bank gehoert. Millionensummen nationaler und internationaler Entwicklungsgelder werden fuer ihre Projekte kanalisiert.

"Paz y Justicia"

Seit ihrer Gruendung im April 1995 ueberzieht die Todesschwadron "Paz y Justicia" ("Frieden und Gerechtigkeit"!) die Nordregion von Chiapas mit einem Netz des Terrors. Diese Paramilitaers agieren ganz offen als "Staat im Staate". Sie errichten Strassensperren, ihre Mitglieder treten nach Berichten aus Mexiko teilweise in Polizeiuniformen auf und sind an Razzien der staatlichen Unterdrueckungsorgane beteiligt. Der Terror der Gruppe richtet sich in erster Linie gegen alle, die
sie fuer AnhaengerInnen der EZLN-Zapatistas, Mitglieder der Oppositionspartei PRD oder Laienprediger der Dioezese von San Cristobál halten. Finanziert wird die technisch hochgeruestete Gruppe u.a. aus staatlichen Zuwendungen in Hoehe von mehreren hundertausend DM. Sie agiert unter Bedingungen nahezu vollstaendiger Straffreiheit, bis vor kurzem u.a. abgesichert durch den ehemaligen Generalstaatsanwalt von Chiapas, Jorge Henrique Hernández Aguilar, einem Mitbegruender der SOCAMA. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der Beteiligung am Massaker von El Acteal ermittelt. In Acteal waren am 22. Dezember 1997 45 Kinder, Frauen und Maenner unter den Augen des Militaers von Todesschwadronen ermordet worden. Sie waren Mitglieder einer baeuerlichen Gemeinschaft, die im Jahre 1992 die SOCAMA verlassen und diese oeffentlich kritisiert hatte. Seither wurden fast 200 Ermittlungsverfahren u.a. gegen Politiker der Regierungspartei PRI, ehemalige Angehoerige der Streitkraefte und "Sicherheitsorgane" sowie Mitgliedern paramilitaerischer Organisationen eingeleitet; unter ihnen zahlreiche Mitglieder der SOCAMA.

"Der Kampf um den biologischen Kaffee ist blutig entbrannt" Mexikanische Menschenrechtsgruppen bezeichnen die SOCAMA als Schluesselfaktor des Aufstands-bekaempfungskonzeptes der mexikanischen Regierung gegen die Rebellion der indigenen Bevoelkerung in der Folge des zapatistischen Aufstandes seit Anfang 1994. Waehrend die Armee die ZapatistenInnen der EZLN und die aufstaendischen Gemeinden militaerisch eingekreist hat, hat sich in den Landkreisen ausserhalb der Kernzone ein "Krieg niedriger Intensitaet" entwickelt. Eine Doppelstrategie aus
paramilitaerischem Terror einerseits und sozialer Spaltung durch gezielte Kanalisierung von Foerdermitteln ueber regierungsnahe Organisationen andererseits. Regierungsunabhaengige
Produzentenvereinigungen, wie die Kaffee-Kooperative Majomut (ebenfalls TRANSFAIR-Partnerorganisation) werden durch Bedrohung, Verhinderung und Raub der Ernte oekonomisch liquidiert, der geraubte Kaffee dient - so betroffene Bauern - mit zur Finanzierung von
Waffenkaeufen der Paramilitaers: "Der Kampf um den biologischen Kaffee", heisst es in einem mexikanischen Zeitungsbericht, "ist blutig entbrannt".

FLO: Neutral bei der Austandsbekaempfung?

Im Dezember 1998 baten wir TRANSFAIR, Koeln, um eine Stellungnahme zu dem von uns vorgelegten Material. Statt von TRANSFAIR erhielten wir kurz darauf eine Antwort von den Fair Trade Labelling Organizations International (FLO), dem internationalen Dachverband aller Transfair
und Max Havelaar-Handelsorganisationen. Darin wurde zugegeben, dass der FLO "Geruechte um die politischen Verflechtungen rund um die UDEPOM" bekannt seien. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund der "angespannten politischen Situation (...) die Arbeit als Zertifizierer enorm behindert" sei, da "derzeit keine Arbeitserlaubnis fuer die (...) Vor-Ort-Inspektionen in Chiapas" ausgestellt wuerde. Dennoch wolle man im Laufe des Jahres 1999 zu einer Entscheidung ueber den Status von Otilio Montaño kommen. Angesichts der Funktion "gewisser Gruppen", die "von der Regierung als Inseln der Stabilitaet benutzt werden, um uebergeordnete Interessen des Staates in Chiapas durchzusetzen", behalte man sich vor, "eine neutrale Position zu beziehen". Eine in unseren Augen mehr als bedenkliche Neutralitaet, zumal zum gleichen Zeitpunkt Mitglieder
einer anderen FLO-Partnerorganisation in Chiapas von Paramilitaers gewaltsam um ihre Ernte gebracht werden!

Unsere Forderungen

Angesichts der aufgedeckten Verflechtungen stellt sich die Frage, ob nicht diejenigen Firmen, die Erloese aus der Vermarktung des UDEPOM-Kaffees erzielen - wissentlich oder unwissentlich - die
Aufstandsbekaempfung der mexikanischen Regierung und ihre "Inseln der Stabilitaet" mitfinanzieren. Und mit ihnen die arglosen KonsumentInnen.

Wir fordern deshalb:

  • TRANSFAIR, Naturland und die GTZ auf, sofort alle Beziehungen zu den SOCAMA-Anbauvereinigungen abzubrechen, dem UDEPOM-Kaffee das TRANSFAIR-Siegel zu entziehen und sicherzustellen, dass keine weiteren SOCAMA-Produkte vermarktet werden.
  • eine bessere Kontrolle und eine Ueberarbeitung der Zertifizierungskriterien seitens TRANSFAIR und Naturland, um sicherzustellen, dass in Zukunft keine Produzentenvereinigungen mehr zertifiziert werden, die im Zusammenhang mit
    menschenrechtsverletztenden Strukturen stehen.
  • mehr Transparenz seitens TRANSFAIR und Naturland. Auf der Verpackung jedes zertifizierten TRANSFAIR-Produktes soll seine genaue Herkunft kenntlich gemacht werden. Das TRANSFAIR-Kaffeeregister soll der interessierten Oeffentlichkeit wieder zugaenglich gemacht werden.
  • die Offenlegung saemtlicher Dokumente, die Gegenstand der FLO-Evaluierung ueber Otilio Montaño sind, ebenso wie die des Abschlussberichtes, der im Jahre 1999 verfasst werden soll. Es muss Aufgabe von TRANSFAIR sein, der Oeffentlichkeit die relevanten Informationen bzgl. der Zertifizierung einer Partnerorganisation zur Verfuegung zu stellen und nicht - wie in letzter Zeit von TRANSFAIR geaeussert - die Aufgabe der KonsumentInnen, sich selbst um die Beibringung von Informationen zu kuemmern.

Stoppen wir die Unterstuetzung der Paramilitaers in Chiapas!

Chiapas Kaffee-Kampagne, 25. Januar 1999

Anfragen nach Interviews und weiterem Material richten Sie bitte an: Chiapas Kaffee-Kampagne, c/o Infoladen, Dahlweg 64, 48153 Muenster e-mail: kaffee@list.free.de

Staendig aktualisierte Informationen zum Thema finden Sie ab Mitte Februar 1999 im Internet unter www.fau.org/kaffee

Anmerkung:
Nach dem Massaker von El Acteal ging ein Aufschrei durch die Weltoeffentlichkeit, die Taeter aber sind bis heute straflos geblieben. Heute sammelt die katholische Caritas in Zusammenarbeit mit
Lebensbaum und Naturland fuer den Wiederaufbau der teilweise durch Unwetter zerstoerten UDEPOM. Wir meinen, diese Spendengelder sollten besser zur Unterstuetzung der Opfer von Acteal und zum Wiederaufbau der durch Paramilitaers zerstoerten Kooperativen verwendet werden.

Verwendete Abkuerzungen:

CNOC -  Coordinadora Nacional de Organizaciones Cafetaleras - Nationale Koordination von Kaffeeanbau-Organisationen.

EZLN - Ejército Zapatista de Liberación Nacional - Zapatistische Armee der nationalen Befreiung. Indigene Befreiungssarmee, die sich im Januar 1994 gegen die mexikanische Regierung erhoben hat. Seit Mitte Januar 1994 fuehrt sie den Kampf um bessere Lebensbedingungen, Autonomie und Demokratie nur noch mit nicht-militaerischen Mitteln.

GTZ - Gesellschaft fuer technische Zusammenarbeit. Gehoert zu hundert Prozent dem Bundesentwicklungshilfe-Ministeriums. Unterstuetzt die Vermarktung von biologischen Produkten der UDEPOM ueber ihr GreenTrade-Net.

FLO - Fair Trade Labelling Organizations International. Dachverband der TransFair- und Max Havelaar-Stiftungen fuer fairen Handel.

PRI - Partido Revolucionario Institucional - Institutionalisierte revolutionaere Partei. "Ewige" mexikanische Regierungspartei, seit ueber 70 Jahren - haeufig durch Wahlbetrug - an der Macht.

SEDESOL - Secretaría de Desarrollo Social, Ministerium fuer Soziale Entwicklung der mexikanischen Bundesregierung.

SOCAMA - Solidaridad Campesino Magisterial - Bauern-Lehrer-Solidaritaet. Ende der 80er Jahre durch maoistische Lehrerfunktionaere gegruendeter Produzenten-Verband. Heute oekonomisch
und politisch bedeutende Vereinigung mit grossem politischen Einfluss innerhalb der Regierungspartei PRI.

UDEPOM - Unión de Ejídos Profesór Otilio Montaño - Ejído-Union Otilio Montaño. Zur SOCAMA gehoerende Kaffee-Kooperative. Benannt nach einem Dorfschullehrer, der als Verraeter an der mexikanischen Revolution hingerichtet wurde.

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