Editorial
Wertneutral

von Karl Müller
03/06

trend
onlinezeitung

Michael Heinrichs systemtheoretische Marxrinterpretation (vor allem in seiner Promotionsschrift Die Wissenschaft vom Wert und in seiner Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie) ruft immer wieder Kritik hervor. In der letzten Ausgabe veröffentlichten wir zwei Kritiken aus dem politischen Umfeld des Operaismus - aus der Wildcat.

In dem von der Wildcat-Redaktion verantworteten Artikel wird ihm vorgehalten, dass er von der gesellschaftlichen Realität abstrahiert, "gerade so, als ob er den Kapitalismus von allen historischen und lokalen Zufälligkeiten und Verunreinigungen befreit sezieren könnte". in dem anderen, aus Italien stammenden Artikel, richtet sich die Kritik auch gegen die Abwesenheit gesellschaftlicher Realität in Heinrichs Marxinterpretation - konkret jedoch - gegen das Fehlen des Klassenkampfes: "Während bei Marx der Klassenkampf die Kategorien durchzieht und ihren historischen Inhalt ausdrückt, kann bei Heinrich der Klassenkampf da sein oder ausgeblendet werden oder von außen eingeführt werden." Dies führe, so seine operaistischen Kritiker zu einem "romantischen Antikapitalismus".

Beflügelt durch die Diskussion auf dem Veranstaltungswochenende "10 Jahre TREND Kommunismus - was sonst"  hat Robert Schlosser im Februar seine bisherigen Arbeiten zur Kritik an Heinrichs Marxinterpretation zusammen gefasst und auf drei Hauptpunkte zugespitzt: Heinrichs Wertbegriff, seine Kritik am Marxschen Begriff der technischen Zusammensetzung des Kapitals sowie seine Kritik am Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Robert Schlosser will zeigen, dass Heinrich "in allen 3 Punkten irrt". Den Nachweis will Schlosser  "nicht primär durch eine bestimmte Marx-Exegese" erbringen, "sondern durch den Versuch konkreter Ökonomiekritik."

Nahezu gleichzeitig erhielten wir vom Betreiber des Karl-Marx-Forums, Wal Buchenberg, eine weitere Kritik an Heinrich zugesandt. Unter der Frage "Michael Heinrich oder Karl Marx?" versucht Buchenberg mithilfe einer Marxexegese zu zeigen, dass Heinrich fälschlicherweise dem Marx ein bestimmtes Begriffverständnis ( für "realisieren") unterstellt, das schließlich zu den oft an Heinrich kritisierten Fehlinterpretationen führt.

So unterschiedlich diese Kritiken an Michael Heinrich ausfallen und so überzeugend sie erscheinen, nach meiner Meinung treffen sie den zentralen Punkt nicht, da diese Kritiker versuchen - natürlich jeder auf seine Weise auf seine Kritikpunkte fixiert - den Heinrich auf seinem ureigensten Terrain, nämlich dem des akademischen Meinungsstreits entgegen zu treten.

Zum einen spüren sie, - wie die Wildcat-Artikel zeigen - dass es hieße, Eulen nach Athen zu tragen, im akademischen Raum, dort wo Heinrich arbeitet, forscht und publiziert, die Beschäftigung mit dem Klassenkampf als Gegenstand der Theorie einzufordern. Begibt man sich gleich auf dieses akademische Terrain, wie es Buchenberg unternimmt, so kann man zwar ein Aha-Erlebnis produzieren, wird aber im besten Fall, von Heinrich gezeigt bekommen, dass er sich mit den Marxzitaten besser auskennt. Schlosser auf der anderen Seite vermerkt extra, dass er so eine Auseinandersetzung nicht will, sondern die Heinrichsche Marxinterpretation durch die Wirklichkeit zu widerlegen vorhat.

Doch warum fragt keiner, warum es heute möglich ist, mit einem Marxismus ohne Proletariat und Revolution außerhalb der Uni Furore zu machen. Warum kritisieren die Kritiker den Heinrich nicht als Kommunisten, sondern auf seiner Augenhöhe als Quasi-Marxspezialisten?

Ich denke, wenn man seine Kritik an Heinrich so - d.h. immanent - anlegt, dann trägt man dazu bei, dass diese Lesart von Marxismus nicht nur weiterhin ideologischen Einfluss in den Zusammenhängen behält, die angetreten sind, eine Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse zu erkämpfen, sondern auch noch über Gebühr aufgewertet wird.

Oder ideologiekritisch formuliert: Eine Kritik der politischen Ökonomie ohne Proletariat und Klassenkampf, ohne Revolution und Kommunismus ist nichts anderes als positive, wertneutrale - d.h. bürgerliche Wissenschaft. Daher bin ich entschieden dafür, dass der Michael Heinrich endlich mal auf dem Gebiet der politischen Praxis und der von ihm verbreiteten Ideologie fundamental kritisiert wird.

Heinrich gibt sich als ein strikter Gegner, eines weltanschaulichen, d.h. eines Partei ergreifenden Marxismus. Heinrich zerbricht das dialektische Verhältnis von Theorie und Praxis, durch Absonderung der Praxis im Wege seiner Abrechnung mit der Geschichte der revolutionären ArbeiterInnenbewegung und ihrer TheoretikerInnen. Damit immunisiert er sich gegen eine Kritik, die nach den politisch-praktischen Konsequenzen seiner Kritik der Politischen Ökonomie fragt.

Monetäre Werttheorie in der Heinrichschen Leseart bedeutet nämlich politisch strategisch gewendet höchstens regulierter Kapitalismus und stellt damit selbst eine Weltanschauung dar. Eine, die einer Kampfansage an den Kommunismus gleichkommt. Denklogisch konsequent, bricht Heinrich mit dem dialektischen Materialismus als der Methode, mit der Marx seine Kritik der Politischen Ökonomie herleitete und figurierte. Den historischen Materialismus verwirft er als Erfindung der II. Internationale. Bleibt nur zu hoffen, dass sein Immunsystem alsbald zusammenbricht, indem er umfassend und schlüssig kritisiert wird, nämlich: politisch als Reformist (durch seine klare Absage an den Kommunismus) und ideologisch als (Neo-)Revisionist.

Das Veranstaltungswochenende "10 Jahre TREND Kommunismus - was sonst"  hat gezeigt, dass Theorie für eine sich formierende antikapitalistische Bewegung - also revolutionäre Theorie - dringend notwendig ist. Insofern gilt der alte Brauch: ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis. Wenn der Genosse DetlevK dies in seinen politischen Songs herausstellt (siehe dazu detlev K in concert), dann ist dies nicht nur begrüßenswert, sondern unterstreicht vor allem, dass diese Art von Vermittlung selbst eine Form revolutionärer Politik darstellt.

In welchen Zusammenhängen jenseits der Pfade der traditionellen ArbeiterInnenbewegung revolutionäre Politik möglich und machbar ist, thematisiert der Beitrag "Sozialforen & Kommunismus". Drum herum um diese zentralen brennenden Fragen haben wir wieder eine breite Palette informativer Texte gestellt. Dazu gehören natürlich die Texte von Bernhard Schmid aus/über Frankreich.

Bleibt abschließend noch anzumerken, dass Ende Februar eine Auswertungsrunde des 10 Jahre Trend Wochenendes stattgefunden hat, wo die anwesenden GenossInnen und FreunInnen des TREND beschlossen haben, die NACHTGESPRÄCHE wieder aufleben zu lassen. Des weiteren wurde überlegt Veranstaltungen an anderen Orten der BRD - also außerhalb von Berlin - stattfinden zu lassen.

In die engere Wahl kamen folgende Themen; hier als Arbeitstitel formuliert:

  • Prekarität und Proletariat - Disko zur Klassenfrage
  • Kritik der Heinrichschen Marxrezeption
  • Kraushaars Bombenbuch - die Herrschenden basteln an ihrem Geschichtsbild

Schaun mer mal...