Mit lautem Tastenschlag die Ruhe gestört
Wissenschafter erhebt nach Hausverbot Vorwürfe gegen Hamburger Institut für Sozialforschung


von
Peter Nowak
03/06

trend
onlinezeitung

Nach einem Hausverbot im Hamburger Institut für Sozialforschung erhebt ein Forscher Vorwürfe. Es gehe in Wirklichkeit um die Abwehr von kritischen Recherchen.


Das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) mit seinem Leiter Jan Philipp Reemtsma inszeniert gern und häufig für öffentliche Debatten. So sorgte erst vor einigen Wochen das vom Instituts-Mitarbeiter Wolfgang Kraushaar herausgegebene Buch „Die Bombe im Gemeindehaus“ für durchaus kontroverse Diskussionen. Nun kommt das Institut selbst ins Gerede. Mit einem offenen Brief wandte sich der Hamburger Wissenschaftler Dr. Marcus Mohr am Montag gegen sein seit Januar 2006 bestehendes Hausverbot. Zuvor hatte Mohr mehrmals durch Briefe und Gesprächsangebote auf ein klärendes Gespräch mit dem Institutsleiter Reemtsma und den Leiter des Archivs Reinhart Schwarz gedrängt.

Der hatte Mohr in einem Schreiben vom 6.Januar das Betreten des Archivs verboten und gleichzeitig das von Reemtsma ausgesprochene Hausverbot verkündet.  Begründet wurde es mit der Verletzung der Nutzerregeln durch Herrn Mohr. “Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass von dir ohne Absprache mit dem Archiv eine neue Arbeitsgrundlage eingeführt worden ist, die die vorgegebenen Standards nicht mehr anerkennt“, schreibt Schwartz. Die Vorwürfe klingen dann allerdings eher wie Streitereien in einer Wohngemeinschaft: „Ohne jede Rückfrage hast du die Kantine, die dem Personal des HIS vorbehalten ist, in der Mittagszeit benutzt, um einen Kaffee zu nehmen und dich mit dem Kaffee an den Tisch zu setzen“, heißt es da beispielsweise. Außerdem habe Mohr Materialien selber kopiert und nicht dem Personal übergeben und "mit lautem Tastenanschlag begonnen am Benutzer-PC“ die Ruhe im Institut gestört.

Mohr sieht die Gründe denn auch als vorgeschoben. „Ich muss nun vermuten, dass es dem Archiv bzw. seinen Vertretern gar nicht um den Schutz der Bestände und der Arbeit des Archivs geht, sondern um die Abwehr von kritischen Recherchen zu Dr. Kraushaars letztem Buch Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus, die ich zum Zeitpunkt der Erteilung des Hausverbots durchführte“, meint der Wissenschaftler. Der Band hatte in linken Kreisen zu heftiger Kritik geführt, weil darin unter anderem der Eindruck erweckt wird, die Anfänge linker Militanz n der Bundesrepublik der 60er Jahre seien grundweg von antisemitischen Motiven geprägt gewesen.

Schon im Oktober hatte sich Mohr in einem Zeitungsbeitrag kritisch mit der Quellen auseinander, die Kraushaar für sein Buch verwendete. Der Hamburger forscht seit Jahren zu sozialen Bewegungen in der BRD und hatte in den 90er Jahren mit einer dreibändigen Geschichte der autonomen Bewegung Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet. Durch das Haus- und Archivverbot sind mehrere von Mohr geplante Projekte gefährdet. Unter Anderem arbeitete er an einem Buch über die Zeitung der Westberliner undogmatischen Linken „883“. Ein großer Teil der Quellen zu diesem Themenkomplex sind im HIS untergebracht.  Inzwischen hat das Internetportal „Trend“ zur Solidarität mit Mohr aufgerufen. Es bestehe die Gefahr, dass kritische Wissenschafter nicht mehr an die Quellen linker Geschichte herankommen, heißt es dort.  Der Archivleiter des Institut für Sozialforschung (HIS) war für Nachfragen noch nicht zu erreichen. Eine Institutsmitarbeiterin erklärte aber, „wenn jemand bei uns Hausverbot bekommt, hat es schon einen Grund.“
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor am 16.3.2006 zur Verfügung gestellt. Der Artikel war zuvor in der Zeitung Neues Deutschland vom 15.3.06 erschienen.

Siehe dazu auch unsere DOKUMENTATION
Neulich beim Reemtsma sein Institut...