Der
Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale hat keine
genauen Bedingungen für die Aufnahme der einzelnen Parteien in
die Kommunistische Internationale aufgestellt. Zur Zeit der
Einberufung des I. Kongresses bestanden in den meisten Ländern
bloß kommunistische Richtungen und Gruppen.
Unter anderen Verhältnissen tritt der II. Kongreß der
Kommunistischen Internationale zusammen. Jetzt bestehen in den
meisten Ländern nicht nur kommunistische Strömungen und
Richtungen, sondern kommunistische Parteien und Organisationen.
An die Kommunistische Internationale wenden sich jetzt immer
öfter Parteien und Gruppen, die noch unlängst zur II.
Internationale gehörten, jetzt in die III. Internationale
eintreten wollen, aber noch keine wirklich kommunistischen
Organisationen geworden sind. Die II. Internationale ist
endgültig zerschlagen. Die Zwischenparteien und Zwischengruppen
des «Zentrums», die die völlig hoffnungslose Lage der II.
Internationale erkennen, versuchen, sich an die immer mehr
erstarkende Kommunistische Internationale anzulehnen, wobei sie
jedoch hoffen, eine «Autonomie» zu behalten, die ihnen die
Möglichkeit geben soll, ihre frühere opportunistische oder
«zentristische» Politik fortzusetzen. Die Kommunistische
Internationale wird gewissermaßen zur Mode.
Das Verlangen einiger führender Gruppen des «Zentrums», in die
Kommunistische Internationale einzutreten, ist eine indirekte
Bestätigung dafür, daß die Kommunistische Internationale die
Sympathien der gewaltigen Mehrheit der klassenbewußten Arbeiter
der ganzen Welt erobert hat und von Tag zu Tag zu einer immer
größeren Macht wird.
Unter gewissen Umständen kann für die Kommunistische
Internationale die Gefahr entstehen, daß sie durch wankelmütige
Gruppen verwässert wird, die eine Politik der Halbheiten treiben
und sich von der Ideologie der II. Internationale noch nicht
frei gemacht haben.
Außerdem besteht in einigen Parteien (Italien, Schweden,
Norwegen, Jugoslawien u.a.), deren Mehrheit auf dem Standpunkt
des Kommunismus steht, immer noch ein bedeutender
reformistischer und sozialpazifistischer
Flügel, der nur auf den Augenblick wartet, um von neuem das
Haupt zu erheben, eine aktive Sabotage der proletarischen
Revolution zu beginnen und dadurch der Bourgeoisie und der II.
Internationale zu helfen.
Kein einziger Kommunist darf die Lehren der Ungarischen
Räterepublik vergessen. Die Verschmelzung der ungarischen
Kommunisten mit den sogenannten «linken» Sozialdemokraten ist
dem ungarischen Proletariat teuer zu stehen gekommen.
Deshalb erachtet es der II. Weltkongreß der Kommunistischen
Internationale für notwendig, ganz genaue Bedingungen für die
Aufnahme von neuen Parteien festzusetzen und die Parteien, die
bereits in die Kommunistische Internationale aufgenommen worden
sind, auf ihre Pflichten hinzuweisen.
Der II. Kongreß der Kommunistischen Internationale beschließt:
Für die Zugehörigkeit zur Kommunistischen Internationale gelten
folgende Bedingungen:
1. Die tagtägliche Propaganda und Agitation muß einen wirklich
kommunistischen Charakter tragen und dem Programm und den
Beschlüssen der Kommunistischen Internationale entsprechen. Alle
Presseorgane, die sich in den Händen der Partei beenden, müssen
von zuverlässigen Kommunisten redigiert werden, die ihre Hingabe
an die Sache des Proletariats bewiesen haben. Von der Diktatur
des Proletariats darf man nicht einfach wie von einer
landläufigen, eingepaukten Formel sprechen, sondern muß sie so
propagieren, daß ihre Notwendigkeit jedem einfachen Arbeiter,
jeder Arbeiterin, jedem Soldaten, jedem Bauer auf Grund der
Tatsachen des täglichen Lebens klar werde, die von unserer
Presse systematisch, tagaus, tagein hervorgehoben werden.
Die periodische und nichtperiodische Presse und alle
Parteiverlage müssen vollkommen dem Zentralkomitee der Partei
unterstellt werden, ganz gleich, ob die Partei in ihrer
Gesamtheit in dem betreffenden Moment legal oder illegal ist. Es
ist unzulässig, daß die Verlage ihre Autonomie mißbrauchen und
eine Politik treiben, die nicht ganz der Politik der Partei
entspricht.
In den Spalten der Presse, in den Volksversammlungen, den
Gewerkschaften, den Genossenschaften - überall, wohin die
Anhänger der III. Internationale Zutritt erlangen, muß man nicht
nur die Bourgeoisie, sondern auch ihre Helfershelfer, die
Reformisten aller Schattierungen, systematisch und unbarmherzig
brandmarken.
2. Jede Organisation, die der Kommunistischen Internationale
beitreten will, muß planmäßig von allen irgendwie
verantwortlichen Posten der Arbeiterbewegung (in den
Parteiorganisationen, Redaktionen, Gewerkschaften,
Parlamentsfraktionen, Genossenschaften, Gemeindeverwaltungen
usw.) die Reformisten und Anhänger des Zentrums entfernen und an
ihre Stelle bewährte Kommunisten setzen, ohne sich daran zu
kehren, daß man mitunter in der ersten Zeit «erfahrene Führer»
durch einfache Arbeiter wird ersetzen müssen.
3. Fast in allen Läindern Europas und Amerikas tritt der
Klassenkampf in die Phase des Bürgerkrieges ein. Unter diesen
Verhältnissen können die Kommunisten kein Vertrauen zu der
bürgerlichen Legalität haben. Sie sind verpflichtet, überall
einen parallelen illegalen Apparat zu schaffen, der im
entscheidenden Augenblick der Partei helfen soll, ihre Pflicht
gegenüber der Revolution zu erfüllen. In allen Ländern, wo die
Kommunisten infolge des Belagerungszustandes oder der
Ausnahmegesetze nicht die Möglichkeit haben, ihre gesamte Arbeit
legal zu leisten, ist die Verknüpfung der legalen mit der
illegalen Tätigkeit eine unbedingte Notwendigkeit.
4. Die Pflicht der Verbreitung der kommunistischen Ideen
erfordert insbesondere, daß man eine hartnäckige, planmäßige
Propaganda in der Armee treibe. Wo diese Agitation durch
Ausnahmegesetze verboten ist, muß man sie illegal treiben. Die
Ablehnung einer solchen Arbeit wäre gleichbedeutend mit einem
Verrat an der revolutionären Pflicht und unvereinbar mit der
Zugehörigkeit zur III. Internationale.
5. Notwendig ist eine systematische und planmäßige Agitation auf
dem Lande. Die Arbeiterklasse kann ihren Sieg nicht sichern,
wenn sie nicht wenigstens einen Teil der Landarbeiter und armer
Bauern für sich gewinnt und einen Teil der übrigen
Dorfbevölkerung durch ihre Politik neutralisiert. Die Arbeit der
Kommunisten auf dem Lande erlangt in der gegenwärtigen Epoche
die allergrößste Bedeutung. Diese Arbeit muß man hauptsächlich
mit Hilfe der revolutionären kommunistischen (städtischen und
ländlichen) Arbeiter leisten, die mit dem Lande Verbindungen
haben. Der Verzicht auf diese Arbeit und ihre Übergabe in
unzuverlässige, halbreformistische Hände wäre gleichbedeutend
mit einem Verzicht auf die proletarische Revolution.
6 Jede Partei, die der III. Internationale anzugehören wünscht,
ist verpflichtet, nicht nur den offenen Sozialpatriotismus,
sondern auch die Falschheit und Heuchelei des Sozialpazifismus
zu entlarven: den Arbeitern systematisch vor Augen zu führen,
daß ohne revolutionären Sturz des Kapitalismus keinerlei
internationale Schiedsgerichte, keinerlei Abkommen über
Einschränkung der Kriegsrüstungen, keinerlei «demokratische»
Reorganisation des Völkerbundes imstande sein wird, die
Menschheit vor neuen imperialistischen Kriegen zu bewahren.
7. Die Parteien, die der Kommunistischen Internationale
anzugehören wünschen, müssen die Notwendigkeit des vollständigen
Bruchs mit dem Reformismus und der Politik des Zentrums
anerkennen und diesen Bruch in den weitesten Kreisen der
Parteimitgliedschaft propagieren. Ohne das ist eine konsequente
kommunistische Politik nicht möglich.
Die Kommunistische Internationale fordert kategorisch und
ultimativ die Vollziehung dieses Bruchs in kürzester Frist. Die
Kommunistische Internationale kann sich nicht damit abfinden,
daß notorische Opportunisten, wie Turati, Kautsky, Hilferding,
Hillquit, Longuet, MacDonald, Modigliani u.a. das Recht haben
sollen, für Angehörige der III. Internationale zu gelten. Das
würde nur dazu führen, daß die III. Internationale in hohem
Grade der zugrundegegangenen II. Internationale ähnlich werden
würde.
8. In der Frage der Kolonien und der unterdrückten Nationen
müssen die Parteien jener Länder, deren Bourgeoisie Kolonien
besitzt und andere Nationen unterdrückt, eine besonders klare,
eindeutige Stellung einnehmen. Jede Partei, die der III.
Internationale anzugehören wünscht, ist verpflichtet, die
Machinationen «ihrer» Imperialisten in den Kolonien
rücksichtslos zu entlarven, jede Freiheitsbewegung in den
Kolonien nicht nur mit Worten, sondern durch Taten zu
unterstützen, die Verjagung ihrer eigenen Imperialisten aus
diesen Kolonien zu fordern, in den Herzen der Arbeiter ihres
Landes wirklich brüderliche Gefühle für die werktätige
Bevölkerung der Kolonien und der unterdrückten Nationen zu
wecken und unter den Truppen ihres Landes eine systematische
Agitation gegen jegliche Unterdrückung der Kolonialvölker zu
treiben.
9. Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale
anzugehören wünscht, ist verpflichtet, systematisch, hartnäckig
innerhalb der Gewerkschaften, der Arbeiterräte, der
Betriebsräte, der Genossenschaften und anderen
Massenorganisationen kommunistische Arbeit zu leisten. In diesen
Organisationen muß man kommunistische Zellen bilden, um durch
langwierige, hartnäckige Arbeit die Gewerkschaften usw. für die
Sache des Kommunismus zu gewinnen. Diese Zellen sind
verpflichtet, in ihrer tagtäglichen Arbeit auf Schritt und Tritt
den Verrat der Sozialpatrioten und den Wankelmut des «Zentrums»
zu entlarven. Diese kommunistischen Zellen müssen vollkommen der
Gesamtpartei untergeordnet sein.
10. Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale
angehört, ist verpflichtet, einen hartnäckigen Kampf gegen die
Amsterdamer «Internationale» der gelben Gewerkschaften zu
führen. Sie muß unter den gewerkschaftlich organisierten
Arbeitern beharrlich die Notwendigkeit des Bruchs mit der gelben
Amsterdamer Internationale propagieren. Sie muß die in der
Entstehung begriffene internationale Vereinigung der roten
Gewerkschaften, die sich der Kommunistischen Internationale
anschließen, mit allen Mitteln unterstützen.
11. Die Parteien, die der III. Internationale angehören wollen,
sind verpflichtet, die Zusammensetzung ihrer
Parlamentsfraktionen einer Prüfung zu unterziehen, alle
unzuverlässigen Elemente aus ihnen zu entfernen, diese
Fraktionen nicht nur formell, sondern in der Tat den
Zentralkomitees unterzuordnen, von jedem einzelnen
kommunistischen Parlamentsmitglied zu fordern, daß es seine
gesamte Tätigkeit den Interessen einer wirklich revolutionären
Propaganda und Agitation unterordne.
12. Die der Kommunistischen Internationale angehörenden Parteien
müssen nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus
aufgebaut sein. In der gegenwärtigen Zeit des verschärften
Bürgerkrieges ist die Kommunistische Partei nur dann imstande,
ihre Pflicht zu erfüllen, wenn sie möglichst zentralistisch
organisiert ist und eine eiserne, fast militärische Disziplin in
ihr herrscht, wenn ihr Parteizentrum ein starkes, autoritatives
Organ mit weitgehenden Vollmachten ist, das das allgemeine
Vertrauen der Parteimitgliedschaft genießt.
13. Die kommunistischen Parteien aller
Länder, in denen die Kommunisten legal arbeiten, müssen
periodisch Reinigungen (Umregistrierungen) des
Mitgliederbestandes der Parteiorganisationen vornehmen, um die
Partei planmäßig von den kleinbürgerlichen Elementen zu säubern,
die sich unvermeidlich an sie anschmieren.
14. Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale
anzugehören wünscht, ist verpflichtet, jede Sowjetrepublik in
ihrem Kampfe gegen die konterrevolutionären Kräfte rückhaltlos
zu unterstützen. Die kommunistischen Parteien müssen eine
tatkräftige Propaganda unter den Arbeitern treiben, damit sie es
ablehnen, Waffen und Munition für die Feinde der
Sowjetrepubliken zu transportieren, müssen legal oder illegal
unter den Truppen Propaganda treiben, die zur Erdrosselung der
Arbeiterrepubliken abgesandt werden usw.
15. Die Parteien, die bisher noch bei ihren alten
sozialdemokratischen Programmen geblieben sind, müssen in
möglichst kurzer Zeit die Programme revidieren und, entsprechend
den besonderen Verhältnissen ihres Landes, ein neues,
kommunistisches Programm im Geiste der Beschlüsse der
Kommunistischen Internationale ausarbeiten. In der Regel muß das
Programm einer jeden zur Kommunistischen Internationale
gehörenden Partei von dem Kongreß der Kommunistischen
Internationale oder ihrem Exekutivkomitee bestätigt werden. Wird
das Programm dieser oder jener Partei vom Exekutivkomitee der
Kommunistischen Internationale nicht bestätigt, so hat die
betreffende Partei das Recht, an den Kongreß der Kommunistischen
Internationale zu appellieren.
16. Alle Beschlüsse der Kongresse der Kommunistischen
Internationale wie auch die Beschlüsse ihres Exekutivkomitees
sind für alle der Kommunistischen Internationale angehörenden
Parteien bindend. Die Kommunistische Internationale, die in
einer Periode des schärfsten Bürgerkrieges tätig ist, muß viel
zentralisierter aufgebaut sein als die II. Internationale. Dabei
müssen selbstverständlich die Kommunistische Internationale und
ihr Exekutivkomitee in ihrer gesamten Tätigkeit den
verschiedenartigen Verhältnissen Rechnung tragen, unter denen
die verschiedenen Parteien kämpfen und arbeiten, und dürfen
allgemeinverbindlich Beschlüsse nur in solchen Fragen fassen, wo
solche Beschlüsse möglich sind.
17. Im Zusammenhang damit müssen alle Parteien, die sich der
Kommunistischen Internationale anschließen wollen, ihren Namen
ändern. Jede Partei, die der Kommunistischen Internationale
beitreten will, muß den Namen führen: Kommunistische Partei
dieses oder jenes Landes (Sektion der III. lnternationale). Die
Frage der Benennung ist keine bloß formale Angelegenheit,
sondern eine politische Frage von großer Bedeutung. Die
Kommunistische Internationale hat der ganzen bürgerlichen Welt
und allen gelben sozialdemokratischen Parteien entschiedenen
Kampf angesagt. Jedem einfachen Werktätigen muß der Unterschied
zwischen den kommunistischen Parteien und den alten offiziellen
«sozialdemokratischen» oder «sozialistischen» Parteien, die das
Banner der Arbeiterklasse verraten haben, vollkommen klar sein.
18. Alle führenden Presseorgane der Parteien aller Länder sind
verpflichtet, alle wichtigen Dokumente des Exekutivkomitees der
Kommunistischen Internationale abzudrucken.
19. Alle Parteien, die der Kommunistischen Internationale
angehören oder einen Antrag auf Beitritt gestellt haben, sind
verpflichtet, in kürzester Frist, aber nicht später als vier
Monate nach dem II. Kongreß der Kommunistischen Internationale
einen außerordentlichen Parteitag einzuberufen, um diese
Verpflichtungen zu prüfen. Dabei müssen die Zentralkomitees
dafür sorgen, daß die Beschlüsse des II. Kongresses der
Kommunistischen Internationale allen örtlichen Organisationen
bekannt sind.
20. Diejenigen Parteien, die jetzt in die Kommunistische
Internationale eintreten wollen, aber bisher ihre frühere Taktik
nicht radikal geändert haben, müssen vor ihrem Eintritt in die
Kommunistische Internationale dafür sorgen, daß nicht weniger
als zwei Drittel der Mitglieder ihrer Zentralkomitees und aller
wichtigsten zentralen Parteikörperschaften aus Genossen
bestehen, die sich noch vor dem II. Kongreß der Kommunistischen
Internationale unzweideutig für den Anschluß an die
Kommunistische Internationale öffentlich ausgesprochen haben.
Ausnahmen sind zulässig mit Zustimmung des Exekutivkomitees der
Kommunistischen Internationale. Das Exekutivkomitee der
Kommunistischen Internationale hat das Recht, auch für die in §
7 genannten Vertreter des «Zentrums» Ausnahmen zu machen.
21. Parteimitglieder, die die von der Kommunistischen
Internationale aufgestellte Verpflichtungen und Leitsätze
grundsätzlich ablehnen, müssen aus der Partei ausgeschlossen
werden.
Dasselbe gilt namentlich von Delegierten zum außerordentlichen
Parteitag.
Editorische
Anmerkungen
Die Leitsätze wurden von Lenin erarbeitet
und vor dem Kongress im Juli 1920 veröffentlicht (LW 31 193ff)
Der vorliegende Text ist die beschlossene Fassung, entnommen:
Der I. und II.. Kongress der Kommunistischen Internationale,
hrg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED,
Berlin 1959, S. 243ff
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