Betrieb & Gewerkschaft
Nach dem Streik bei TOTAL in Frankreich und drohender Benzinknappheit

von Bernard Schmid

03/10

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Der Ausstand ist landesweit beendet, doch bleibt in der „bedrohten“ Raffinerie in Dunkerque aufrecht erhalten. Dunkerque ist nun isoliert. Neben unterschiedlichen Gewerkschaftsstrategien der CGT (stärkster Verband) und von SUD (Mehrheitsgewerkschaft in Dunkerque) spielt auch die Unmittelbarkeit oder Nichtunmittelbarkeit der Arbeitsplatzbedrohung eine Rolle dabei, dass das Verhalten der Beschäftigten an den „Standorten“ nun auseinander klafft. TOTAL musste einige Zugeständnisse machen, die den Lohnabhängigen jedoch kaum Sicherheit gewährleisten

Dieses Mal hätte Nicolas Sarkozy nicht behauptet: „Heutzutage fällt es keinem auf, wenn es einen Streik in Frankreich gibt“, wie er höhnisch am 05. Juli 2008 erklärt hatte. (Die Äußerung ist seitdem oft ironisch-spöttisch aufgegriffen worden.) Dass der Streik beim französischen Erdölkonzern TOTAL - vor einem Jahrzehnt hervorgegangen aus der Fusion der Giganten TOTAL, ELF Aquitaine und der belgischen Ölfirma Fina - in den letzten anderthalb Wochen im Februar „niemandem aufgefallen“ sei, lässt sich nun wirklich nicht behaupten.

Gleichzeitig fanden auch andere mehr oder minder spektakuläre Arbeitskonflikte in Frankreich statt; so kämpfen die abhängig Beschäftigten bei IKEA in Frankreich (wo seit Jahren die Gewinnmarge steigt, und von einem ehemals „schwedisch-sozialdemokratischen“ zu einem knallhart kapitalistischen „Sozialmodell“ übergegangen wurde) seit Wochen um höhere Löhne. (Vgl. zuletzt http://info.france2.foder http://www.e24.fr/ ) In der letzten Februarwoche streikten die französischen Fluglotsen vier Tage lang gegen einen Plan, die Lotsentätigkeit in sechs europäischen Ländern (Deutschland, Frankreich, Benelux, Schweiz) in einer einheitlichen Struktur zu konzentrieren – und dadurch Arbeitsplätze zu killen -, und am Pariser Flughafen Orly fiel jeder zweite geplante Flug aus. Und auf der Mittelmeerinsel Korsika waren bis Ende vergangener Woche die Häfen drei Tage lang blockiert: Die Lohnabhängigen streikten gegen Pläne, privaten Konkurrenten durch öffentliche Subventionen eine Dumpingkonkurrenz gegen den öffentlichen Fährverkehr-Anbieter SNCM zu erleichtern. Zwei Drittel des Schiffspersonals im Fährverkehr zwischen dem französischen Festland und Korsika konnten im Streik mobilisiert werden. Am Samstag wurde bekannt, dass die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften sich hatten durchsetzen können: Es wird eine parlamentarische Untersuchungskommission (unter Einschluss der Opposition) zu den Auswirkungen der Konkurrenz durch private Transportfirmen wie Véolia, Hauptaktionär seit 2005 bei der Schiffstransportgesellschaft CMN, auf den öffentlichen Dienst im Schiffsverkehr geben. Beim öffentlichen Anbieter, der SNCM, wurden Arbeitsplatzgarantien, Neueinstellungen und eine Erneuerung der alternden Schiffsflotte errungen. (Vgl. ,L’Humanité’ vom 27./28. Februar 10)

Vor diesem Hintergrund titelte die Wirtschaftstageszeitung ,Les Echos’ am 23. Februar: „Die soziale Unruhe wird beim Herannahen der Regionalparlamentswahlen intensiver“. Dabei besteht im Allgemeinen kein oder kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den o.g. Arbeitskonflikten und der Neuwahl der französischen Regionalparlamente, die am 14. und 21. März dieses Jahres stattfindet. Doch im Falle des Streiks bei TOTAL besteht ein sehr direkter Zusammenhang zwischen dem Agieren des Konzerns, der (relativen) Druckempfindlichkeit der Politik, dem Streik und der Strategie der Gewerkschaften. Das Agieren von Konzern, Staat und Gewerkschaften griffen dabei ineinander.

Panik steigt auf

Zu Anfang der letzten Februarwoche begannen Teil der Medien und des Publikums Panik zu schieben, das Szenario einer Benzinknappheit wurde wiederholt an die Wand gemalt; und verschiedene Zeitungen bemühten sich, detailliert die Reserven darzulegen („zehn Tage Benzinvorräte frankreichweit“, oder rund 100 Tage „unter Einschluss der strategischen Reserven, die aber nur bei einem internationalen Großereignis angebrochen werden dürfen und nicht bei einem sozialen Konflikt“). Bei 132 von insgesamt rund 2.000 ELF- oder TOTAL-Tankstellen in Frankreich wurden am Montag dieser Woche um 13 Uhr bereits Treibstoffengpässe verzeichnet, d.h. es mangelte an diesen Tankstelle an mindestens einem Produkt. Im Laufe von vier oder fünf Tagen drohten sich die Engpässe zu verallgemeinern. Am Dienstag (23. März), auf dem Höhepunkt des Konflikts, waren bereits 294 Tankstellen ,en rupture de stock’ - das bedeutet, ein oder mehrere Produkte waren vollständig ausverkauft. Am Mittwoch (den 24. März), nach teilweise erfolgter Wiederaufnahme der Arbeit, ging die Zahl im Laufe des Tages auf 134 zurück.

Bis am Dienstag Abend befanden sich diejenigen sechs von insgesamt zwölf französischen Erdölraffinerien, die zu TOTAL gehören (und die insgesamt 54 Prozent der vorhandenen Raffineriekapazitäten im Land ausmachen), im Ausstand. Auch die Lohnabhängigen in den beiden Raffinerien des Ölkonzerns EXXON-Mobile auf französischem Boden waren ab Dienstag, den 17. Februar (durch die CGT) dazu aufgerufen, sich dem Streik anzuschließen. Hintergrund dafür waren gemeinsam geteilte Befürchtungen, zahlreiche Arbeitsplätze im Raffineriesektor verloren gehen zu sehen - konkreter Anlass ist die angekündigte Schließung der TOTAL-Raffinerie im nordfranzösischen Dunkerque, die ihrerseits schon kurz vor dem 17. Februar durch die dort beschäftigten Lohnabhängigen besetzt worden war (vgl. http://libcom.org/). Es handelte sich also nicht um einen reinen Solidaritätsstreik, sondern um einen im eigenen „Arbeitsplatzinteresse“ geführten Arbeitskampf.

Doch ab dem darauf folgenden Dienstag Abend (23. März) rief besonders die CGT - als stärkster Gewerkschaftsverband im Sektor der Petrochemie - dazu auf, den Streik „vorläufig einzustellen“ und die Arbeit wieder aufzunehmen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr ) Fünf von sechs zu TOTAL gehörenden Raffinerien stellten daraufhin ihre Teilnahme am Ausstand ein (bei EXXON hatte der Ausstand noch nicht zu greifen begonnen). Dunkerque hingegen, wo der Arbeitskampf bereits wesentlich früher begonnen hatte, nämlich am 12. Januar 2010, blieb auch weiterhin im Streik, allerdings nun allein. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/ oder http://www.linternaute.com)

Dort ist die Mehrheitsgewerkschaft freilich nicht die CGT, sondern die linke Basisgewerkschaft SUD. Neben der anders gestalteten gewerkschaftlichen Landschaft spielt bei diesem Auseinanderdriften zwischen den fünf anderen TOTAL-Raffinerien (wo die Arbeit seit Mittwoch wieder aufgenommen wurde) und der sechsten in Dunkerque auch eine Rolle, dass die Bedrohung für die Arbeitsplätze dort wesentlich unmittelbarer ausfällt: Die Anlage in Dunkerque war schon seit September 2009 bis auf den Stillstand heruntergefahren worden. Dort arbeiten rund 370 Arbeiter & Angestellte von TOTAL sowie 400 bis 450 Leiharbeiter/innen und Beschäftigte von Subunternehmen.

Knapp 8 Milliarden Euro Jahresprofit - und gleichzeitig Entlassungen programmiert

Ursprünglich hatte die Konzernspitze schon am 1. Februar dieses Jahres verkünden wollen, dass der „Standort“ in Dunkerque endgültig dichtgemacht wird. Doch dann kam die französische Regierung dazwischen, die ihr in den Arm fiel: Halt, das geht so nicht, denn am 14. und 21. März finden frankreichweit die Neuwahlen sämtlicher Regionalparlamente statt. Die Ankündigung von mehreren Hundert Entlassungen bei einem Konzern, der - bezüglich Umsatz und Gewinn - ganz oben auf der Liste der börsennotierten Unternehmen Frankreichs und des Aktienindex ‚CAC 40’ steht, hätte aus Sicht des konservativ-wirtschaftsliberalen Regierungslagers verheerende Folgen haben und sein (wahrscheinlich absehbares) Desaster bei den Regionalparlamentswahlen komplett machen können.

TOTAL erzielte im zurückliegenden Jahr 2009 einen Jahresgewinn (Reingewinn, nicht Umsatz!) in Höhe von 7,8 Milliarden Euro. Das entspricht zwar einem Rückgang um 44 Prozent gegenüber dem Gewinn im Jahr 2008: über 13 Milliarden Euro (was aber den Konzern auch nicht daran hinderte, zeitgleich mit dessen Bekanntgabe zu Anfang 2009 den Abbau von 555 Arbeitsplätzen - mit Umschulungen, also ohne direkte Entlassungen - anzukündigen). Vor diesem Hintergrund wäre es in der Öffentlichkeit umso skandalöser erschienen, falls gerade TOTAL nun massenhaft Kündigungen ausgesprochen hätte.

Also übte die Regierung, in Gestalt von Industrieminister Christian Estrosi (gleichzeitig Bürgermeister von Nizza), Druck auf den Konzern aus - damit dieser den Termin der Bekanntgabe von Entlassungen in seinen Raffinerien zeitlich nach hinten schiebe. Und so wurde, auf Anregung der Regierung hin, anlässlich der Sitzung des CCE (ungefähr: Gesamtbetriebsrats im Konzern) vom o1. Februar, die Verschiebung der Entscheidung angekündigt: Eine neue Sitzung solle am 29. März stattfinden, also nach den Regionalparlamentswahlen; die Weichenstellung zur Schließung oder Nichtschließung der Raffinerie in Dunkerque solle jedoch voraussichtlich erst bis „im Sommer 2010“ gefällt werden. Doch die abhängig Beschäftigten trauten dem „lieben Frieden“ natürlich nicht, wussten sie doch, dass die Verschiebung nur einen kurzen Aufschub bedeutete, aber eben keinerlei Sicherheit für ihre Jobs gewährleistete - im Gegenteil.

Doch der „Ausbruch“ des Streiks im Raffineriesektor „auf breiter Front“, am Mittwoch vorvergangener Woche (17. Februar), und das Horrorszenario - aus Sicht der Regierenden - einer sich ausbreitenden Benzinknappheit kurz vor den Regionalparlamentswahlen ließen den Minister das Ruder herumwerfen. Wiederum waren es die Regierung und ihr Industrieminister Christian Estrosi, die nun massiv Druck auf den Konzern ausübten, die Entscheidung symbolisch vorzuziehen - vor die Regionalparlamentswahlen, um zu signalisieren, dass man nicht darauf warte, bis die Wahlen vorbei seien, um danach schlechte Nachrichten zu verkünden. Vom 29. März wurde die Sitzung des CCE (-ungefähr: Gesamtbetriebsrats) nun also auf den o8. März vorverlegt. Auch Präsident Nicolas Sarkozy blieb nicht untätig, sondern legte demonstrativen Aktivismus an den Tag. Am Montag (22. Februar) wurde der frühere Generaldirektor und jetzige Vorstandsvorsitzende von TOTAL, Thierry Desmarest, in den Elysée-Palast einbestellt. (Vgl.http://www.lefigaro.fr/ ) Dort musste Desmarest sich den Unmut des Staatschefs darüber, dass sein Amtsnachfolger als Generaldirektor – Christophe de Margerie – mitten in der Krise nicht erreichbar sei, sondern sich auf USA-Reise und Werbetour für seinen Konzern befinde, anhören (vgl. auch ,Libération’ vom 24. 02. 10). Christophe de Margerie musste dann eilig verkünden, dass auch er seinerseits die Regierung (in Gestalt von Industrieminister Christian Estrosi, den er fast überstürzt aufsuchte) und die Gewerkschaften treffen werde. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ )

Unterdessen wurde eifrig verhandelt. Am vorletzten Sonntag (21. Februar) gaben beide Seiten, TOTAL und die Gewerkschaften, zunächst den Abbruch der Verhandlungen und ihr vorläufiges Scheitern bekannt. Der Druck wuchs dadurch, und die CGT rief zum „Generalstreik in den französischen Raffinerien“ auf. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ oder http://www.lemonde.fr/ ) Aber im Laufe des Dienstag, 23. März wurden sich die Konzernspitze und die CGT handelseinig: TOTAL verpflichtet sich nunmehr dazu, neben dem Standort in Dunkerque (der quasi bereits „geopfert“ worden ist) innerhalb von fünf Jahren keine weitere der noch verbleibenden fünf Raffinerien auf französischem Boden zu schließen. Dies soll den Befürchtungen der Beschäftigten jedenfalls für einen (je nach Sichtweise) kurzen bis mittelfristigen Zeitraum entgegen wirken. Gleichzeitig wurde für Dunkerque das Versprechen abgegeben, den Standort zu „re-industrialisieren“ und, nach Aufgabe der dortigen Raffinerie, andere Beschäftigungsmöglichkeiten dort anzusiedeln; die Rede ist beispielsweise von einer Beteiligung an einem Methangas-Terminal des Stromversorgers EDF im Hafen von Dunkerque, doch dieses wird voraussichtlich erst ab 2014 funktionstüchtig werden. Auch von einer Schule für Raffinerietätigkeiten, die in Dunkerque anzusiedeln wäre, ist die Rede. TOTAL verspricht, allen abhängig Beschäftigten der Raffinerie in Dunkerque Ersatzarbeitsplätze „in Zusammenhang mit ihren Kompetenzen“ anzubieten - das beinhaltet aber keine Aussage darüber, wo und wie.

Die Investitionszusagen für Dunkerque bleiben unkonkret; so fragt sich ein durch ‚Libération’ (vom 25.o2.10) zitierter Lohnabhängiger: „TOTAL hat soeben Investitionen für 20 Milliarden Euro in Nigeria bekannt gegeben. ,Die Investitionen im Ausland sind präzise. Für jene in Frankreich gibt es hingegen keine Zahlen.“ Es muss zwar aufgepasst werden, dass die im Kern richtige Kritik an der planetaren Expansionsstrategie des Konzerns keine chauvinistische Schlagseite (Stichworte „Arbeitsplätze zuerst für Franzosen“) erhält. Dennoch ist es zutreffend, dass Misstrauen angebracht ist, sofern keinerlei konkrete Zahlen die vom Konzern abgegebene „Verpflichtung“ untermauern. Industrieminister Christian Estrosi verkündete unterdessen lautstark, und in donnernder Siegespose: „TOTAL bleibt in Dunkerque!“ (Vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) Gleichzeitig monierte er die Konzernspitze dafür, dass diese „zu spät mit ihren Beschäftigten kommuniziert“ habe (vgl. http://abonnes.lemonde.fr/ Aus diesem Anlass rief Christian Estrosi einen „Industriepatriotismus“ (patriotisme industriel) aus (vgl. http://www.lefigaro.fr/), der freilich wie ein Abklatsch des ,patriotisme économique’ wirkt, welchen die damalige konservativ-wirtschaftsliberale Regierung in den Jahren um 2005 proklamiert hatte. (Vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd7806/t277806.html )

Ferner konnten die Verhandlungsführer der Gewerkschaften die Bezahlung der zurückliegenden Streiktage durch den Arbeitgeber „herausholen“.

SUD am „Standort“ Dunkerque hingegen hatte ein sofortiges Wiederanfahren der (seit September 2009 ruhenden) Raffinerie vor Ort, und bis zu erfolgter Wiederaufnahme ihres Betriebs eine Fortführung des Arbeitskampfs, gefordert. Angesichts der Berufung des TOTAL-Konzerns auf „Überkapazitäten“ wäre es ja auch möglich gewesen, anderswo – an allen Standorten – das Produktionstempo zu drosseln und gemächlicher zu arbeiten. Doch bei den übrigen Gewerkschaften fand SUD mit ihrer Kampflinie kein Gehör; durch die Entscheidung der CGT zur Einstellung respektive Aussetzung des Streiks am Abend des 23. Februar fiel natürlich dann der Druck fort. Die CGT ihrerseits berief sich darauf, dass sie das öffentliche Meinungsklima gegen sich hätte, falls sie es – nach erfolgter Zusage des Konzerns auf Aufrechterhaltung der Arbeitsplätze in den fünf anderen Raffinerien, sowie auf „Investitionen“ in Dunkerque – nun noch auf eine Benzinknappheit im Lande hätte ankommen lassen. (In Dunkerque selbst wird die Arbeit, die dort ohnehin seit September 09 auf Anordnung des Konzerns hin geruht hatte, jedenfalls nicht bis zur Sitzung des CCE - ungefähr: Gesamtsbetriebsrats -, die nun für den 08. März 10 geplant ist, wieder aufgenommen werden. Vgl. http://www.lefigaro.fr/)

Dennoch scheint es zumindest an einigen „Standorten“ Schwierigkeiten bei der Annahme des Votums zur Wiederaufnahme der Arbeit durch das streikende Personal, und Unzufriedenheit mit dem Verhandlungsergebnis gegeben zu haben; auch die Bürokratisierung der Gewerkschaften, deren führende Vertrauensleute „ihre Büros im TOTAL-Hochhaus (in Paris-La Défense) neben jenen der Geschäftsleitung haben“, wurde dabei wiederholt angesprochen. So berichtet bspw. ,Libération’ aus einer Vollversammlung der Streikenden in der Raffinerie von Feyzin (südlich von Lyon), dass es dort zu Verstimmungen kam und dass mehrere abhängig Beschäftigten in Redebeiträgen monierten, dass „die Kollegen in Flandern (= in Dunkerque) im Stich gelassen werden“. In Feyzin ist die örtliche Mehrheitsgewerkschaft die ungefähr als sozialdemokratisch zu bezeichnende CFDT, die schon zu einem frühen Zeitpunkt - auf dem Höhepunkt des Streiks am Dienstag - gegen dessen Fortsetzung eintrat. Hingegen hatte die örtliche CGT versprochen, „bis zu dem Schluss mit den Kollegen in Flandern durchzuhalten“, bevor sie am Mittwoch dann zur Wiederaufnahme der Arbeit aufrief. Gleichzeitig ergeben Berichte aus der Raffinerie von TOTAL im westfranzösischen Donges (bei Nantes), dass dort umgekehrt der Beschluss zur Wiederaufnahme der Arbeit ohne größere Opposition und fast einstimmig angenommen wurde.

Aus Dunkerque selbst wiederum sprechen Berichte von vor Ort von einer „Bitterkeit“ der abhängig Beschäftigten, infolge des Votums an den übrigen Standorten zugunsten einer Wiederaufnahme der Arbeit. (Vgl. http://www.lemonde.fr)

Hintergründe der „Raffineriekrise“

Dass derzeit ein Rückbau der Arbeitsplätze im Raffinerie-Sektor erfolgt, hängt mit der Krise bei der Benzin-Abnahme zusammen. Normalerweise, ohne zusätzliche technische Eingriffe (die größere Investitionen erfordert), fallen bei der Raffinerietätigkeit rund 25 Prozent Benzin und 50 Prozent Diesel sowie Heizöl an. Doch in den letzten Jahren waren in einigen europäischen Ländern, unter ihnen Frankreich, jedoch die Diesel- (und Heizöl-)Produktion steuerlich und finanziell begünstigt worden, da im Zuge von Klimapolitik und aufgrund anderer Erfordernisse eine relativ erfolgreiche Benzin-Einsparpolitik verfolgt wurde. In Frankreich ist in den letzten30 Jahren der Benzinverbrauch um insgesamt 50 Prozent zurück gegangen, u.a. weil die (bereits aufgrund der Ölkrisen 1973/74 und 1978/79 begonnene) Begünstigung treibstoffsparender Motoren und Fahrzeuge weiterverfolgt wurde und weil Diesel steuerlich begünstigt wird. Doch wurde dieser Einbruch beim Benzinabsatz dadurch kompensiert, dass gleichzeitig jährlich 25 bis 30 Millionen Tonnen Benzin aus französischen Raffinerien in die USA exportiert wurden. Hingegen brach dieser Absatzmarkt in den letzten anderthalb Jahren zusammen, weil die US-Administration Obama - vor dem Hintergrund der Wirtschafts- & Finanzkrise - ihrerseits eine Einsparungspolitik verfolgt und sich zudem (zwecks Devisensparens und Verringerung der „Abhängigkeit“ von den Golfstaaten und den Ländern der OPEC) verstärkt heimischen Ressourcen zuwendet.

Generell haben sich die Raffineriekapazitäten, die sich früher weltweit rund um das Nord-Atlantikbecken konzentrierten, inzwischen stärker rund um den Pazifik konzentriert.

Der technologische und industrielle Wandel ist also real. Auch TOTAL versucht, bei ihm mitzuhalten, und wendet sich in den letzten Jahren verstärkt der Nuklearenergie (der Konzern investierte rund o8 % in den künftigen neuen Reaktortyp EPR, der derzeit am Ärmelkanal errichtet wird) einerseits, und den erneuerbaren Energiequellen - besonders Solarenergie, mit Investitionsprojekten u.a. in Spanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, sowie Biomasse - zu. Letzterer Aspekt bildet zwar einen Schritt in die richtige Richtung, weg vom Umwelt zerstörenden und Ressourcen verzehrenden Erdöl- und Benzinverbrauch hin zu anderen Energiequellen. Jedoch ist von einem Konzern wie TOTAL mit seinen gigantischen Profiten bedingungslos zu fordern, dass eine industrielle Umorientierung keinesfalls auf Kosten der Arbeitsplätze erfolgt, um auf diesem Weg „unterwegs“ auch noch höhere Profite mitzunehmen: Geringerer Benzinverbrauch (und weniger motorisierter Individualverkehr) ist unbedingt positiv; aber nicht unter Aussprechen von Kündigungen in einem Konzern, der im vergangenen Jahr acht Milliarden Euro Profit einstrich.

Dennoch ist der aufgrund des Streiks gefundene „Kompromiss“ zwischen einem Teil der Gewerkschaften und dem TOTAL-Konzern (fünfjährige Bestandsgarantie für die übrigen fünf Raffinerien, aber nicht für Dunkerque; Neuinvestitionen am „Standort“ Dunkerque, doch ohne konkrete Verpflichtungen respektive präzise Arbeitsplatzgarantien) nicht nach „jedermanns“ Geschmack. So wettert ein Leitartikel der konservativ-wirtschaftsliberalen Tageszeitung ,Le Figaro’ vom Mittwoch, 24. Februar 10 gegen „De(n) schizophrene(n) Staat“ im TOTAL-Konflikt. Der Verfasser des Editorials, Gaëtan de Capèle, moniert: „Unter dem Druck der öffentlichen Hand und der CGT sah die Firma (TOTAL) sich gestern gezwungen, eine formelle Verpflichtung zu unterschreiben, ihre französischen (Raffinerie-)Standorte fünf Jahre lang nicht umzustrukturieren. Obwohl diese Entscheidung wirtschaftlich unsinnig ist, gegen die Interessen des Unternehmens läuft, welches über Jahre hinweg eine strukturell defizitäre (wirtschaftliche) Tätigkeit wird aushalten müssen. Obwohl die Schwierigkeiten der Raffinerien zum Groteil aus einer (Anm.: staatlichen) Umweltpolitik zugunsten von Energieeinsparungen, die den Verbrauch von Erdölprodukten verringert, resultiert. Wichtig war, den Streik, der das Land mit Treibstoffknappheit bedrohte, zu beenden. Die Strategie der Geiselnahme hat voll funktioniert: Die Fabriken von TOTAL werden also zum Teil im Leerlauf arbeiten und, Tüpfelchen auf dem ,i’, die Streikenden (Anm.: der vergangenen Woche) werden bezahlt werden.“

Editorische Anmerkungen

Wir  erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.