Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Sarkozy mariniert
Zum Präsidentschafts-(Vor)Wahlkampf des Bürgerblocks in Frankreich

03/12

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Jedenfalls die Lacher hatte Nicolas Sarkozy in den letzten Tagen kurzfristig voll auf seiner Seite, nachdem er sein Wahlplakat für die Präsidentschaftswahlen vom 22. April und sechsten Mai dieses Jahres präsentierte. Am vergangenen Mittwoch durchbrach der Amtsinhaber die durch die bürgerlichen Medien künstlich aufgespannte Spannung und erklärte im ersten Kanal des französischen Fernsehens: „Ja, ich bin Kandidat.“

Das Plakat mit dem zentralen Wahlkampfslogan des Anwärters auf seine Wiederwahl wurde am selben Tag durch seine Berater veröffentlicht. Es zeigt den Präsidenten und nunmehrigen erneuten Kandidaten vor dem Hintergrund einer Wellenlandschaft. Die Aufschrift dazu lautet: La France forte, „Das starke Frankreich“. Spötter begannen sich schon kurz darauf zu mokieren. So zeigte die beliebte satirische Fernsehsendung Les Guignols de l’info „den größeren Rahmen, in dem das Foto aufgenommen wurde“: Nicolas Sarkozy an Bord einer Luxusyacht vor Himmel und Wellen. Die Episode um seinen Kurzurlaub auf der privaten Yacht des Multimilliardärs Vincent Bolloré, in der Nähe von Malta, ist allseits in frischer Erinnerung. Sie geht auf die ersten Tage nach dem Wahlsieg Sarkozys im Mai 2007 zurück. Für einen Skandal sorgte die Sache nicht nur aufgrund der innigen Beziehung des Politikers zu einem der reichsten Männer Frankreichs, sondern vor allem aufgrund einer dreisten Lüge Sarkozys: Er hatte damals zunächst behauptet, er ziehe sich nach dem Wahlabend für einige Tage fernab der Öffentlichkeit „zum Meditieren in ein Kloster zurück“. Die Wirklichkeit sah erheblich anders aus. Die öffentliche Meinung hat diese Episode, die Sarkozys Verhältnis zu den Superreichen ebenso gut auf den Punkt brachte wie jenes zur Wahrheit, nie vergessen.

Lustig wurde es in den letzten Tagen aber erst richtig, als Fotospezialisten der Pariser Abendzeitung Le Monde mehr über die Aufnahme heraus bekamen, die dem Plakat zugrunde liegt. Zwischen den Pixeln des Fotos lassen sich nämlich Detailangaben zur Bildagentur, die das Foto zuerst publiziert hatten, zu Ort und Zeit der Aufnahme herausfiltern. Und das Meer, vor dem Sarkozy sich im Studio photographieren ließ, gehört – zu Griechenland. In diesen Tagen, während Tausende Griechen in Armut und Elend gestürzt sind und das deutsch-französische Tandem „Merkozy“ in der Europäischen Union immer drängender gegenüber dem „Pleitestaat“ auftritt, passt dies wie die Faust aufs Auge. Die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen griff die Anekdote am Wochenende auf, um zu prophezeien, Frankreich werde ähnlich enden wie Griechenland, das soeben durch die EU „in die Steinzeit zurück“ gedrängt/befördert werde. Anders als deutsche Rechte und viele deutsche Medien stellt Le Pen Griechenland stets als Opfer der supranationalen Strukturen dar, und nicht als Staat der Schuldigen, Faulen und Parasiten. Sarkozy, so tönte Marine Le Pen auf ihrem „Präsidentschaftskongress“ am Wochenende in Lille - wo ihr Vater Jean-Marie den 1944 erschossenen antisemitischen Schriftsteller Robert Brasillach mit einem seiner Gedichtverse zitierte -, stehe der Kandidat nicht für la France forte, sondern la France morte. Also „das tote Frankreich“.

Nicht ganz so amüsant wie bei den zahlreichen Anekdoten, die sich inzwischen um das Plakat ranken, geht es sonst in den Anfängen des Wahlkampfs zu. Es mag einer bewussten Entscheidung oder – was in diesem Falle wahrscheinlicher ist – einem Zufall geschuldet sein: Nicolas Sarkozy gab für seine erneute Präsidentschaftskandidatur wortwörtlich dieselbe Begründung ab, die in den früheren Jahren immer wieder durch den rechtsextremen Politiker Jean-Marie Le Pen benutzt wurde, um seinen Verbleib auf der politischen Bühne zu rechtfertigen. Sarkozy erklärte der ihn befragenden Journalistin des, 1987 durch die damals wie heute regierende Rechte, privatisierten ersten Fernsehkanals TF1: „In Zeiten des Sturms und Wellengangs darf der Kapitän nicht von Bord gehen.“ Exakt dieselbe Metapher liebte Jean-Marie Le Pen, dessen Vater ein bretonischer Fischerkapitän war – er lief 1942 auf eine Mine auf und starb -, über alles. Ansonsten führte der Ausspruch vom Kapitän in den letzten Tagen übrigens ebenfalls zu einigen Varianten des Spotts über Sarkozy: Im Internet sah man vielfach das Wahlplakat Sarkozys, das im Hintergrund das gleich bleibende Meer zeigte, aber auch das Wrack des vor einem Monat verunglückten italienischen Dampfers Costa Concordia.

Dass Nicolas Sarkozy und seine Umgebung dem alternden Jean-Marie Le Pen eine Metapher entwendeten, mag kein bewusstes politisches Kalkül gewesen sein. Andere Weichenstellungen im Vorwahlkampf während der vergangenen Wochen hingegen schon. Dabei setzt zumindest ein Teil des Regierungslagers offenkundig auf scharfe ideologische Polarisierung - du gros rouge qui tache, wie Sarkozy es mehrfach vor Beratern formulierte, also ungefähr „mit dickem Rotstift, der (beim Schreiben) Flecken hinterlässt“. Erstmals hatte Sarkozy diesen Ausdruck anlässlich der Ideologiekampagne der Regierung im Winter 2009/10, die auf den programmatischen Titel „Debatte zur nationalen Identität“ hörte und nach einem Regierungsseminar Anfang Februar 2010 abgebrochen wurde (vgl. dazu ausführlich: Frankreich debattiert unter Regierungs-Aufsicht über seine „nationale Identität“ und "Nationaler Identitäts"quark, Einwanderungsdiskurs und (offener oder verdeckter) Rassismus ), benutzt. Nun packt Nicolas Sarkozy erneut das Gerät einer politisch-ideologischen Mobilisierungskampagne auf den Tisch. Sein Kalkül lautet, dass „eine Expertenkampagne etwa zu wirtschaftlichen und sozialen Themen das Publikum langweilt“, und die Unterschiede zwischen dem konservativ-wirtschaftsliberalen Lager und der im Anwärterstand auf die Regierungsposition stehende Sozialdemokratie dabei „nicht klar zu Tage träten“. Diese Lehre habe er aus den beiden Fernsehdebatten zwischen Spitzenpolitikern beider Seiten, Alain Juppé und François Hollande im einen und François Fillon sowie Martine Aubry im anderen Falle, gezogen.

So setzte sich Sarkozy am vorletzten Wochenende – kurz vor der offiziellen Bestätigung seiner Kandidatur – in Szene, indem er dem konservativ-reaktionären Wochenmagazin Le Figaro Magazine ein sehr langes Interview gewährte. Es erschien am 11. Februar 12 unter dem Titel „Meine Werte für Frankreich“ und kündigte erstmals offen die Absicht Sarkozy zu einer erneuten Präsidentschaftskandidatur an. Darin spricht der Präsident und Kandidat für seine Nachfolger sich unter anderem für mehr Volksabstimmungen in der nächsten Amtsperiode aus, und nennt auch gleich zwei Themen, zu denen er ein Referendum anberaumen möchte: den Umgang mit Arbeitslosen und jenen mit „illegalen“ Einwanderer. Als allererstes möchte er das Wohlvolk darüber befinden lassen, ob und in welchem Ausmaß Erwerbslose noch ein Recht auf Unterstützung haben sollen, „wenn sie ein Arbeitsangebot oder eine Fortbildung ablehnen“. Zwar können Arbeitslose schon bislang sanktioniert werden, falls sie solche „Angebote“ ausschlagen, jedoch nicht in vergleichbar starkem Maße wie in Deutschland oder Dänemark. Dass eine wichtige politische Entscheidung per Referendum getroffen wird, ist zwar in Frankreich nichts gänzlich Neues: Unter der 1958 eingerichteten Fünften Republik fanden bislang neun solcher Abstimmungen statt, in der Regel zu Fragen des Staatsaufbaus, und zuletzt zur Verkürzung der Amtszeit des Präsidenten (2001) sowie zum Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005. Noch nicht dagewesen ist jedoch, dass eine Volksabstimmung anberaumt wird, bei welcher die Mehrheit über fundamentale Interessen einer mehr oder minder schutzlos gestellten Minderheiten quasi zu Gericht sitzen soll. Der bürgerliche Mitte-Rechts-Oppositionspolitiker und Präsidentschaftskandidat François Bayrou antwortete denn auch auf Sarkozy, mit dessen neuesten Vorschlägen rutsche er „auf ein gefährliches Terrain“.

Zuflucht & Hilfe bei Jeanne d’Arc?

Im Heftinneren des Figaro Magazine wird das Interview illustriert durch eine Aufnahme, die Nicolas Sarkozy beim vorgeblichen Meditieren – dieses Mal wich er nicht auf eine Luxusyacht aus – in einem Kloster in ländlicher Umgebung zeigt. Das ganze Bild soll, wie auch die Unterschrift belehrt, Ruhe und Besinnung auf die Wurzeln Frankreichs in Zeiten der Krise und Verunsicherung ausstrahlen. Seine Besinnung aber absolviert Nicolas Sarkozy, wohl nicht zufällig, vor einer Statue von Jeanne d’Arc.

Die Legende der „Jungfrau von Orléans“, die in der Schlussphase des Kalten Krieges vorübergehend ein französisches Reiterheer anführte, jedoch in Rouen auf dem Scheiterhaufen endete, war im 19. Jahrhundert durch die nationalistische Rechte wiederbelebt worden. Seitdem dient sie als Sinnbild des „Widerstands gegen eine ausländische Invasion“: Sie soll damals einen wichtigen Beitrag zur Austreibung der Engländer und zur Befreiung der französischen Nation geleistet haben. Einer der kleinen Schönheitsfehler im Bild ist, dass es damals – um 1435 – noch gar keinen Nationenbegriff im modernen Sinne gegeben hat.

In den letzten Jahrzehnten hat vor allem der rechtsextreme Front National (FN) immer wieder den Kult um Jeanne d’Arc zelebriert. Alljährlich seit 1981 absolvieren die Rechtsextremen einen Marsch zu ihren Ehren, seit 1988 legen sie ihn jedes Jahr auf den 1. Mai, einige Stunden vor der nachmittäglichen Demonstration von Gewerkschaften und Linken zum Arbeiterfeiertag. Am 6. Januar dieses Jahres, als der 600. Geburtstag der „Nationalheiligen“ der Rechten auf dem Kalender stand, war es jedoch zunächst Nicolas Sarkozy, der den Jahrestag mit viel Spektakel beging. Er begab sich persönlich in Jeannes Geburtsort, das lothringische Domrémy, um dort zu betonen, die Jungfrau von Orléans gehöre „keiner Partei, keiner Fraktion“, sondern der ganzen Nation. Am folgenden Tag erst, einem Samstag, beging dann auch der FN das Geburtsjubiläum mit einem ziemlich kleinen Aufmarsch vor der Jeanne d’Arc-Statue im Stadtzentrum von Paris.

Es handelte sich nicht um den einzigen expliziten Wink an die Adresse der rechtsextremen Wählerschaft, den das Regierungslager aussandte. Am 4. Februar trat Innenminister Claude Guéant vor einer weit rechtsstehenden Studierendenvereinigung auf, der seit 1969 existierenden Union national interuniversitaire (UNI). Diese steht, seitdem der bürgerlich-konservative Flügel sich 2010 abspaltete und einen eigenen, regierungsnahen Verband - den MET - bildete, heute zwischen dem rechten Flügel der Konservativen und dem Front National. Aus diesem Anlass posaunte Guéant hinaus: „Alle Kulturen sind nicht gleichwertig.“ Einige stünden höher als die anderen, da sie „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ verkörperte. Diese essentialistische Kulturalisierung von historisch-politischen Ereignissen wie 1789 wurde durch den Sarkozy nahe stehenden Einwanderungspolitiker Arno Klarsfeld am folgenden Tag noch verstärkt. Er rechtfertigte die Worte seines Ministers mit der Aufforderung an die Opposition, wenn diese „wirklich meine, dass der Rassismus oder die Taliban gleichwertig mit der britischen oder französischen Kultur“ seien, dann solle „sie eben Wahlkampf dazu machen“. Als ob Rassismus eine der französischen oder britischen Gesellschaft vollkommen äußerliche Erscheinung sei, und als seien die Taliban eine „Kultur“, und nicht etwa eine Miliz.

Die Aussprüche des Ministers sorgten für einen Aufschrei, der allerdings durch das Regierungslager mutmaßlich von vornherein einkalkuliert war. Der karibikfranzösische linke Abgeordnete Serge Letchimy hielt dem Minister drei Tage nach seiner Äußerung im Parlament entgegen, auch Sklavenhandel, Kolonialverbrechen und Konzentrationslager hätten in dem Falle zu der „Kultur“ des europäischen Kontinents gehört. Daraufhin zogen alle Regierungsvertreter geschlossen aus der Sitzung aus, was erstmals seit der Dreyfus-Affaire passierte. Auf seiner Herkunftsinsel La Martinique erhielt Letchimy daraufhin zwei mal hintereinander einen triumphalen Empfang am Flughafen, während viele örtliche Parlamentarier ein Treffen mit Claude Guéant - der in der folgenden Woche ebenfalls auf die Antillen reiste - boykottierten und ihn zur „unerwünschten Person“ erklärten. Die französischen Karibikinseln waren ein historisches Zentrum der Sklaverei.

Allgemein wurden die Signale des Ministers als Versuch, vor den Wahlen die Anhängerschaft des Front National anzusprechen, gewertet. Zumal noch nicht sicher ist, ob dessen Kandidatin Marine Le Pen überhaupt antreten kann. Wie 2002 und 2007 bereits ihr Vorgänger und Vater Jean-Marie Le Pen hat die rechtsextreme Politikerin auch in diesem Jahr Schwierigkeiten, die formalen Voraussetzungen für eine Präsidentschaftsbewerbung zu erfüllen. Eine solche erfordert, über 500 Unterstützungsunterschriften von Mandatsträgern der Republik - vom Bürgermeister und vom Regionalparlamentarier an aufwärts - zu verfügen. Diese Erfordernis ist, aufgrund des auf den meisten Ebenen geltenden Mehrheitswahlrechts, für Vertreter kleinerer und mittelgroßer Parteien oft nur schwer zu erfüllen. Erneut fehlen Marine Le Pen in diesem Jahr angeblich eine Reihe von Unterschriften, bisher noch rund 100. Vor fünf Jahren hatte der damalige Innenminister und Kandidat Nicolas Sarkozy kurz vor Bewerbungsschluss die Bürgermeister kleinerer Kommunen - von denen viele zögerten - zur Erteilung der Unterschrift an Jean-Marie Le Pen und andere in Schwierigkeiten steckende Bewerber aufgefordert. Es sei gut für die Demokratie, wenn die Hürde der 500 Unterschriften zwar Fantasiekandidaturen verhindere, nicht aber Bewerbungen aus tatsächlich im Lande verankerten politischen Strömungen. Nicht so in diesem Jahr: Das Regierungslager wie die Sozialdemokratie stellen sich jetzt auf den Standpunkt, das Gesetz sei nun einmal Gesetz, auch wenn man in einem späteren Zeitraum über eine Änderung der - im Kern tatsächlich vom Standpunkt des demokratischen Pluralismus her überaus fragwürdigen - Kriterien nachdenken könne. Premierminister François Fillon ebenso wie die sozialdemokratische Parteichefin Martine Aubry werfen Le Pen darüber hinaus vor, sie „bluffe“ ohnehin nur, um Aufmerksamkeit zu erregen, während sie in Wirklichkeit sicher sei, die 500 Unterschriften letztendlich zu bekommen. Hinter den Kulissen scheinen viele konservative Politiker sich aber ernsthaft darauf auf die Eventualität vorzubereiten, Marine Le Pen könne vielleicht nicht kandidieren, und ihr eigenes Lager müsse sich für deren potenzielle Wähler attraktiv zeigen. Ob Le Pen nun wirklich antreten kann oder nicht, erweist sich definitiv am Stichdatum 16. März 12.

Die Anzeichen für einen Rechtsruck von Teilen des Regierungslagers spalteten zunächst auch die UMP. Ex-Premierminister Jean-Pierre Raffarin kritisierte etwa die Sprüche von Claude Guéant zur Ungleichwertigkeit der Kulturen - der Mann sei „ein guter Innenminister, aber wohl kein guter Ethnologe“ -, und auch der amtierende Außenminister Alain Juppé kritisierte die „unglückliche Wortwahl“ seines Ministerkollegen.

Verkehrte Welt? Konservative werfen Sozi-Kandidaten Rassismus vor...

Um ein „Gegenfeuer anzuzünden“, wie ein französischer Ausdruck besagt, um also von diesen Kursstreitigkeiten und von der inhaltlichen Kritik abzulenken, versuchte die UMP Ende vergangener Woche ihrerseits in die Gegenoffensive zu treten. Sie trat eine heftige Kampagne gegen den sozialdemokratischen Präsidentschaftsbewerber François Hollande los, wobei sie in Teilen ihrer Argumentation auch einen vermeintlich antirassistischen Eifer an den Tag legte. Hollande hatte am vorletzten Sonntag in einer TV-Sendung auch auf Fragen zur Einwanderungspolitik geantwortet, wobei klar wurde, dass in dieser Sache wohl im Kern allenfalls nur geringfügige Änderungen von ihm zu erwarten wäre. Was etwa die Frage von „Legalisierungen“ von Sans papiers - illegalisierten Einwanderern - betrifft, welche derzeit bei strenger „Einzelfallprüfungen“ der Behörden bereits möglich sind, wollte Hollande nur eine „Vereinheitlichung der Kriterien nach objektiven Maßstäben“ versprechen. Für 2012 stellte er nichts darüber Hinausgehendes in Aussicht, während bei zwei der historisch letzten Regierungswechseln zugunsten der französischen Sozialdemokratie, 1981 und 1997, jeweils größere „Legalisierungs“runden für rund 100.000 Personen eingeleitet worden waren.

Zur Frage der Roma stellte Hollande zunächst nur fest, die Präsenz von camps aus Osteuropa stammender Roma an verschiedenen Orten stelle deswegen ein Problem dar, weil bei der örtlichen Bevölkerung Unmut über deren Standorte herrsche. Eine objektiv zutreffende Zustandsbeschreibung, mehr nicht. Nun hat der Begriff camps im Französischen verschiedene Bedeutungen: Das Wort wird für „Lager“ unterschiedlicher Art benutzt, darunter auch Straf-, Internierungs-, Gefangenen- oder Konzentrationslager. Aber eben auch beispielsweise Zeltlager, oder durch Roma errichtete Wagenlager, auch wenn für diese daneben auch der Begriff campements existiert. Von Letzteren sprach François Hollande, der sich in den folgenden Sätzen dafür einsetzen wollte, „dass wir darüber entscheiden, wo diese Lager angesiedelt werden“, um Reibungspunkte zu vermeiden. In diesem Kontext sprach der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat sich dafür aus, dass örtlich „Lösungen“ gefunden werden müssten. Ansonsten unterstrich er vor allem - auch wenn er grundsätzlich einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Romabevölkerungen das Wort redete -, dass diese „in Rumänien leben müssen/sollen“ und es nicht ständig noch weitere Migrationsbewegungen geben dürfe.

So weit, so unspektakulär jedenfalls in dem Sinne, dass es nur eine Art Common sens bürgerlicher Staatspolitiker ausdrückte und Hollandes Äußerungen nicht im geringsten etwas Originelles oder eigene Gedanken anhafteten. Regierungspolitiker aus den Reihen der UMP versuchten jedoch in den kommenden Tagen, sein Interview zum Skandal zu erklären, und forderten die antirassistischen oder antifaschistischen Teile der Öffentlichkeit ultimativ zu Stellungnahmen und zum Protest auf: Hollande habe von „Lagern“ und von „Lösung“ gesprochen, da müssten bei ihnen doch alle Alarmglocken schrillen, betonte etwa die für ihre oft unflätigen und an Fäkalsprache anlehnende Sprüche bekannte Familienministerin Nadine Morano. Ein paar Tage lang versuchte die UMP, die Aufregung zu diesem Thema zu unterhalten, bevor diese sich von allein legte.

Plebiszitäre Republik?

Durch seine eigenen Vorstöße, die man als populistisch bezeichnen könnten, wenn dieser Begriff nicht derart abgenutzt und durch oft unpassende Verwendung längst jeglichen vernünftigen Inhalts entleert wäre, versucht Sarkozy sich weiterhin als „Kandidat das Volkes“ zu profilieren. Am letzten Donnerstag in Annecy und am Sonntag vor rund 11.000 Personen in Marseille schlug der Präsident und Kandidat weiter in diese Kerbe. In der ostfranzösischen Stadt Annecy beklagte Sarkozy etwa, dass „zu viele Vermittler sich zwischen das Volk und die Regierungsentscheidungen“ stellten. Er nannte „gewerkschaftliche, politische, wirtschaftliche und administrative Eliten“, wobei er zwei mal hintereinander die Gewerkschaften an allererster Stelle erwähnte. Diese Instanzen oder corps intérmédiaires („vermittelnde Körperschaften“) möchte er nun ausdrücklich umgehen, um „dem Volk öfter das Wort zu erteilen“. Eben durch etwaige Referenden. Die Gewerkschaftsvereinigung UNSA warnte in der Tageszeitung Libération bereits davor, dass dieser plebiszitäre und demagogische Diskurs „die Demokratie gefährdet“, während andere Kritiker darin vor allem ein Ablenkungsmanöver für die in Augen weiter Teile des Publikums - von links bis rechts - ziemlich miserable Regierungsbilanz in den letzten fünf Jahren erblicken.

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