Ziviler Ungehorsam und Transformation II
Was so geschah...

von Anne Seeck

03/12

trend
onlinezeitung

Transformation im Kapitalismus und darüber hinaus

In der Rosa-Luxemburg-Stiftung wird wieder über Transformation diskutiert.
Hier einige Videos und Texte.

Die 1. Internationale Transformationskonferenz des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist mit Videodokumentation von Vorträgen im Netz zu finden. Folgende Vorträge kann man sich ansehen:

Jenseits des Kapitalismus
Rainer Rilling: Warum sozialistische Transformationsforschung?

Vorträge von:
Rolf Reißig: Die neue «Große Transformation» - ein Erklärungs- und Deutungsversuch
Frigga Haug: Die Transformation muss am Herrschaftsknoten ansetzen
Ulrich Brand: Ein kritischer Transformationsbegriff
Michael Brie: Die versteckten kommunistischen Fundamente der kapitalistischen Moderne
Kommentar: Alex Demirovic
Moderation: Rainer Rilling
Mario Candeias: Szenarien einer Grünen Transformation
Beverly Silver: Jenseits des langen 20. Jahrhunderts
http://www.rosalux.de/event/44126/transformation-im-kapitalismus-und-darueber-hinaus.html

Transformationen des Kapitalismus und revolutionäre Realpolitik
Von Mario Candeias
http://arranca.org/ausgabe/41/transformationen-des-kapitalismus-und-revolutionaere-realpolitik

Raul Zelik liest aus seinem Buch "Nach dem Kapitalismus"
Teil 1: http://www.youtube.com/watch?v=Qhgk-lhAb1g
Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=M5RTJZ4omM4&feature=related


http://www.rosalux.de/event/43824/nach-dem-kapitalismus.html

Ziviler Ungehorsam

"Revolutionär, Dialektiker kann der Mutige nicht mehr ganz sein. Er ist eben Dissident, und sein Mut ist der des einsam wandelnden Nashorns...Die Zivilcourage als Geistererscheinung auf der leergeräumten Bühne der Öffentlichkeit." (Peter Brückner, Ungehorsam als Tugend, Wagenbach 2008)

Hungerstreiks im Knast

Im Februar besuchten wir Werner Braeuner in der JVA Sehnde. Er sitzt dort, weil er 2001 einen Arbeitsamtsdirektor tötete. Siehe auch im Trend: http://www.trend.infopartisan.net/trd0311/t510311.html

Werner Braeuner befindet sich im Hungerstreik, aus Solidarität mit dem Hungerstreikenden Pit Scherzl. http://de.indymedia.org/2012/02/325325.shtml

Inzwischen hat Pit aufgrund einer Kontaktsperre seinen Hungerstreik ausgesetzt. Es wurden alle möglichen Sicherheitsmaßnahmen gegen ihn verhängt und er wurde in den Hochsicherheitsbereich umgelegt.

Diese Informationen von Pit und seinem Hungerstreik stammen aus der zweiten Streik-Woche:

Am 07. Februar um 3:30 in der Nacht betrat der Vollzugsbeamte Scheuer ( Abteilung „Sicherheit und Ordnung“) mit drei weiteren Beamten die Zelle von Pit und leitete seine Verlegung in eine andere Abteilung ein. Seine persönlichen Sachen wurden dabei in einer Weise behandelt, die man nur als Sachbeschädigung charakterisieren kann: sie wurden nur teilweise eingepackt (der Rest ist 'verschwunden') und das auch noch mit offensichtlich provozierender Absicht; so fand sich in einem Karton die bereits benutzte Klobürste inmitten anderer Dinge. Besonders erbittert ist Pit darüber, dass viele seiner Dokumente (z. B. Briefwechsel mit Behörden und auch Freunden und Mitkämpfern) 'weg' sind. Pit sieht in dieser Vorgehensweise einen Bestandteil der Strategie, ihn zum Ausflippen zu bringen und ihm dann leichter was anhängen zu können.

Zum Hungern selbst berichtet Pit, dass er bis zum 12. Hungerstreik-Tag 4,5 kg abgenommen hat und dass eine plötzliche 'Fürsorglichkeit', was die Messung von Blutdruck und Zuckerwerten anbetrifft, ausgebrochen ist. Dies zeigt, dass die Vollzugs-Funktionäre vor einer Kombination Angst haben: tote Gefangene und eine darüber informierte Öffentlichkeit. Für kritische Menschen 'draußen' heißt das: haltet nicht nur Kontakt mit Gefangenen, sondern stellt besonders im Falle von Hungerstreik Öffentlichkeit her!

Am 16. 03. um 9:30 h hat Pit im Landgericht Bonn ( Saal 1.07 ) einen Gerichtstermin wegen der angeblichen Bedrohung eines Vollzugsbeamten.

Weitere Infos:
http://de.indymedia.org/2012/02/324931.shtml
http://political-prisoners.net/tag/437-pit-scherzl.html

Erzwingungshaft verschoben

Am 27. Februar fand eine Pressekonferenz zum Fall von Angelika- Maria Konietzko statt. Die Erzwingungshaft zum 28. Februar wurde verschoben. Der Haftbefehl besteht weiter, dass heißt, es kann jederzeit geschehen, dass sie in den Knast muß.

Weitere Infos: http://konietzko.blogsport.de/
http://www.jungewelt.de/2012/02-28/031.php
http://peter-nowak-journalist.de/

Kollektive Proteste
Aktionskonferenz kündigt Proteste an

" Erklärung der Europäischen Aktionskonferenz in Frankfurt vom 26. Februar 2012

Die 400 Teilnehmer_innen der Aktionskonferenz vom 24. - 26. Februar haben beschlossen, vom 17. bis zum 19. Mai zu Tagen des Protestes gegen das Krisenregime der Europäischen Union aufzurufen. Wir wehren uns gegen gegen die Verwüstung Griechenlands und anderer Länder, gegen die Verarmung und Entrechtung von Millionen und die faktische Abschaffung demokratischer Verfahren in der Folge von Beschlüssen der Troika (EZB, EU und IWF).

Die Frankfurter Protesttage schließen damit direkt an den europaweiten Aktionstag des 12. Mai und an den Jahrestag der ersten Asamblea von Madrid an. Wir setzen so ein unübersehbares Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die sich seit Monaten schon in Europa gegen das Schuldenregime der Troika und die Angriffe auf ihr Leben und ihre Zukunft wehren. Zeitgleich finden in den USA die Proteste gegen den G8- und NATO-Gipfel in Chicago statt.

Die Wahl Frankfurts ergibt sich aus der Rolle, die die Stadt als Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) und der mächtigen deutschen und internationalen Banken und Konzerne spielt..."

http://www.european-resistance.org/de/ak/resolution

Fehlender sozialer Protest

Der „Mut zur Veränderung“, wie eines der Vernetzungstreffen überschrieben ist, geht in einer ziemlich bunten Szene mal mehr und mal weniger weit. Vor allem die organisierte Linke drängt, sich nicht nur auf Fragen der Demokratie und der Regulierung zu beschränken, weil die Lösung der Probleme nicht darin liegen könne, einen weniger „gierigen“ Kapitalismus zu fordern. Diskutiert wird inzwischen auch, ob die Kreditinstitute überhaupt das richtige Symbol für die Proteste sind. „Wollen wir wirklich die Banken besetzen und besitzen“, fragt die linke Gewerkschaftsaktivistin Mag Wompel. „Sollten wir nicht lieber das besetzen und besitzen, was wir wirklich brauchen? Sind Zelte im Kalten unser Traum vom schöner Wohnen?“

Es geht dabei nicht zuletzt um eine klassenpolitische Dimension der Krisenproteste. Statt vor Banken zu campen schlägt Wompel vor, den Blick auf Wohnungen, Nahverkehr, Schulen zu richten, auf die eigene Arbeitsstelle und den von Pfändung bedrohten Nachbarn. Man habe zwar „durchaus so etwas wie eine Demokratiebewegung“, meint Polit-Professor Grottian. „Sozialer Protest dagegen ist so gut wie nicht vorhanden und das bei zwölf Millionen Menschen, die verarmt, obdachlos, arbeitslos sind.“ So sieht es auch Christoph Kleine vom Netzwerk Interventionistische Linke. „In Deutschland hat es bislang noch kein Zeichen gegeben, das dem Ausmaß des Sozialangriffs adäquat war“, sagte Kleine der Tageszeitung. „Wir brauchen jetzt Occupy plus.“" (aus dem Freitag 20.1.2012)

http://www.freitag.de/politik/1203-wollen-wir-wirklich-die-banken-besitzen

Zeitung der Rosa-Luxemburg-Stiftung über Occupy: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/RZ_OCCUPY_Dez2011.pdf

Kritiker im Sozialausschuß

Am 14.2. fand im Rathaus Berlin-Neukölln eine öffentliche Sitzung des Sozialausschusses der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Neukölln statt, in der der Geschäftsführer des hiesigen Jobcenters, Klaus-Peter Hansen, über die dortigen aktuelle Situation berichtete.

Erwerbslose suchten den Sozialausschuß auf und stellten kritische Fragen.

Der Jobcenterchef Hansen zog eine positive Bilanz, was vor allem an der "Berliner Joboffensive" liegt. Das heißt, dass Menschen, die früher alle paar Monate zu einem Termin auf dem Amt erscheinen mussten, dies nun in einem Zwei-Wochen-Rhythmus müssen. 350 neue Sachbearbeiter_innen wurden dafür in den 12 Berliner Jobcentern eigens neu angestellt, um die als marktnahe Kunde_innen klassifizierten Menschen zu „aktivieren“ und dadurch zu einer schnelleren „Integration“ zu verhelfen. Auf Nachfrage einer BVV-Verordneten, ob denn zu jedem Termin den Menschen auch immer ein Jobangebot unterbreitet werden könne, erwiderte Herr Hansen, dass auch eine reine Überprüfung der Anwesenheit diese erhöhte Kontaktdichte rechtfertige. Ergebnis dieser Art von Fürsorge ist eine um 9,5% angestiegene Sanktionsquote am JCNK. Jeder verpasste Termin oder eine ausgeschlagene als sinnlose erachtete Maßnahme zieht eine solche nach sich. Diese, von Herrn Hansen als „Umarmung“ bezeichnete Strategie der Armutsverwaltung, erhöht natürlich einfach nur den Druck auf die Erwerbslosen, schlecht bezahlte und nicht den Fähigkeiten oder Bedürfnissen entsprechende Beschäftigungen aufzunehmen.

Weitere Infos: http://de.indymedia.org/2012/02/325530.shtml

Proteste gegen Acta

" Nach Protesten in ganz Europa liegt Acta (Anti-counterfeiting Trade Agreement) erst einmal auf Eis, der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll es nun überprüfen.

Die Acta-Debatte zeige eindeutig, dass die traditionelle Politik noch keine Antwort auf die Generation Internet gefunden habe, so der Protestforscher Rucht. "Verschärfend kommt hinzu, dass dieses Abkommen während der Verhandlungen 2008 bis 2011 gar nicht groß öffentlich diskutiert wurde. Die Kritiker sprechen von regelrechten Geheimverhandlungen", betont Rucht. "Wenn es so war, trifft es den empfindlichen Nerv dieser Generation junger Leute, die ja wie bei der Occupy-Bewegung und der Piratenpartei Transparenz zum Heiligtum und Dogma erkoren haben."

"Der Forscher Klaus Hurrelmann, Mitautor der Shell-Jugendstudie 2010, sieht die zunehmend egobezogene Haltung der Menschen als eine Triebfeder der Proteste. Deutlicher als jemals zuvor äußere sich das in den vehementen Protesten gegen Acta. "Freiheit, Individualität, nicht einschränken lassen, keine Kontrolle meines persönlichen Lebens - dieser Strang scheint mir der Antriebsmotor zu sein." Ego-Taktik nennt Hurrelmann diese relativ neue Protestkultur. Seit etwa zehn oder zwölf Jahren sei die Entwicklung zu beobachten. Was hat sich geändert? "Das liegt an der gesamten Lebenslage", sagt Hurrelmann. Die Lebensphase Jugend beginne sehr früh und ende sehr spät - "wenn überhaupt". Die berufliche Zukunft sei ungewiss, die vorgegebenen Strukturen, nach denen man noch in den 70er Jahren erwachsen wurde, gebe es nicht mehr. Das habe dazu geführt, dass das klassische politische Engagement in einer Partei stark zurückgehe."

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/die-generation-internet-stellt-politik-vor-raetsel-1.2730857

Besetzungen von RentnerInnen in Spanien

Die Bewegung 15-M, die Bewegung der Indignados / Empörten, die in Spanien am 15. Mai 2011 mit der Besetzung des Platzes Puerta del Sol in Madrid in Erscheinung trat, scheint etwas eingeschlafen zu sein. Jetzt hat eine Gruppe von RentnerInnen den Ball aufgenommen: die Iaioflautas.

Ihre erste Aktion war die Besetzung der Banco Santander in Barcelona am 27. Oktober 2011, dem Aktionstag gegen Banken, zu dem die Bewegung aufgerufen hatte. „Der Jüngste von uns war über 70, da hat die Polizei sich nicht getraut, uns zu räumen“, sagt eine Frau mit verschmitztem Lächeln. Am nächsten Tag begannen sie mit der Dauerbesetzung der Ambulanz CAP Marina in Bellvitge, einem Stadtteil von Hospitalet de Llobregat im Großraum Barcelona, um gegen die Schließung von Ambulanzen zu protestieren. Ebenfalls gegen Kürzungen im Gesundheitsbereich besetzten sie am 4.11. das Gesundheitsministerium in Girona, und drei Tage später die Ratingagentur Fitch, gegen die Finanzoligarchie und in Solidarität mit der Bevölkerung Griechenlands. Am 1.12. war eine Filiale der Bank Caixa in Badalona Ziel der Aktion: Wir zahlen nicht für eure Krise. Am 22.12. ging es wieder um das Gesundheitswesen, und am 1. Februar besetzten sie einen Linienbus: Gegen Lohnkürzungen und Fahrpreiserhöhungen, für den öffentlichen Transport.

Weitere Infos: http://de.indymedia.org/2012/02/324792.shtml

Drei Tage der Wut in Griechenland

"Drei Tage der Wut", so wurden die Aktionstage gegen die brutalen Sparmaßnahmen der nicht gewählten griechischen Regierung genannt ...Im ganzen Land kam zu Besetzungen von Rathäusern. Fakultäten, etc. und mindestens 1500 Gefangene beteiligten sich an den Kämpfen, außerdem fanden in mehreren Orten wilde Streiks und Betriebsbesetzungen statt. Allein in Iraklion auf Kreta demonstrierten 15.000 Menschen.

http://de.indymedia.org/2012/02/324596.shtml

Ganz unten
Wieder psychisch Kranker von Polizei erschossen

Der Mann litt offenbar unter schweren Depressionen. Nachbarn berichteten dem hr-Boulevardmagazin "maintower" und dem hr-Hörfunk, vor kurzem seien kurz hintereinander die Ehefrau des Mannes und dessen Mutter gestorben. Danach habe er sich verändert.

Zuvor habe man ihn als netten, sehr höflichen Nachbarn gekannt. Dass der 57-Jährige nun tot ist, können die Nachbarn schwer nachvollziehen: "Wir wundern uns, wie es sein kann, dass es die Polizei vor Wochen geschafft hat, friedlich reinzugehen und wir heute Morgen erleben mussten, dass geschossen worden ist", sagte eine Anwohnerin am Sonntag dem hr-Hörfunk. "Das schockiert uns."

http://www.hr-online.de/website/

Ganz oben
Wulff und Gauck

Besser könnte es den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff nicht treffen. Er bekommt einen Ehrensold von 199 000 Euro pro Jahr und das lebenslang. Sein Nachfolger wird Joachim Gauck, der sich als Bürgerrechtler inszeniert, aber 1989 erst spät auf den Zug aufgesprungen ist. (Ganz abgesehen von seiner Haltung zu Erwerbslosen und den Montagsdemonstrationen 2004 gegen Hartz IV) Wie Angela Merkel hat er ein ausgezeichnetes Anpassungsvermögen im neuen System gezeigt. Das bringt auch Ossis in Spitzenämter. Und wo bleibt der Aufschrei der Mehrheit der DDR- Bürgerrechtler? Sie bangen wohl um ihre Posten oder die Staatsknete für ihre Aufarbeitungsinstitutionen. Ja so funktioniert Integration in die kapitalistische Gesellschaft. Maul halten. Und wo bleibt der aufrechte Gang?

Tschiche über Gauck: Gauck habe sich in München bei einer Preisverleihung mit den Geschwistern Scholl vergleichen lassen „und wurde noch nicht einmal schamrot. Er hat niemals zur DDR-Opposition gehört, deren Akteure man im heutigen Sprachgebrauch Bürgerrechtler nennt. Er verließ erst Ende 1989 die schützenden Mauern der Kirche und kam über das Neue Forum in die Volkskammer“, so Tschiche. Gauck reise „ohne Skrupel“ auf dem Ticket Bürgerrechtler durch die politische Landschaft. „Er ist kein Vater der protestantischen Revolution, sondern er gehört zu denen, die sie beendet haben.“

Weiteres zu Gauck: http://www.freitag.de/politik/1208-gauck-ist-die-falsche-person http://de.indymedia.org/2012/02/325146.shtml

Literatur:

Territorien des Widerstands

Das erste, was mir an dem Buch auffiel, war der Sprachstil und dass die "Leute von unten", auf die er sich bezieht, kaum zu Wort kommen. Zibechi schreibt über sie und nicht für sie. Es war eine teilnehmende Beobachtung. Aus dem Innern der Armutsviertel hätten sich die wesentlichen Kampfansagen an das herrschende System entwickelt. Die Eliten fühlen, dass sich Gefahren vervielfachen. "Die Angst der Mächtigen scheint in zwei Richtungen zu gehen: Zum einen versuchen sie, die soziale Explosion bzw. den Aufstand hinauszuzögern oder undurchführbar zu machen, zum anderen wollen sie verhindern, dass sich 'weiße Flächen' außerhalb der staatlichen Kontrolle bilden." (Zibechi, S. 12) Die gefährlichen Klassen werden wieder gefährlich.

Aber Zibechi solidarisiert sich mit den Menschen in den Armenvierteln: "Die lateinamerikanischen Linken betrachten die Armenviertel als Bollwerke der Delinquenz, des Drogenhandels und der Gewalt- als Gebiete, in denen Chaos und das Gesetz des Dschungels regieren. Das Misstrauen verdrängt das Verständnis. In diesem Punkt gibt es nicht die kleinste Differenz zwischen den Linken und Rechten." (Zibechi, S.20) Die Slums der Dritten Welt seien der "entscheidende geopolitische Schauplatz", so Mike Davis. Für Zibechi sind die "subalternen Klassen..die wesentliche Herausforderung für das kapitalistische System...(und sie hätten) sich sogar in Gegenmächte von unten verwandelt.." (Zibechi, S.20) Ihr Raum sei das Produkt sozialer Kämpfe.

Die Unterklassen ziehen in die Städte und umzingeln die Orte der herrschenden Klassen. Es gestaltet sich schwierig, die Unterklassen zu disziplinieren. Auch in Lateinamerika, wo linke Regierungen existieren, zeigen die Armen Autonomiebestrebungen. In den aktuellen sozialen Bewegungen in Lateinamerika sind viele Frauen mit ihren Kindern beteiligt. Die Regierungen in Lateinamerika versuchen neue Herrschaftsformen durchzusetzen, die Sozialpläne sind nur eine Säule der sozialen Kontrolle. Raul Zibechi spricht von einer neuen Form der Gouvernementalität. Ehemalige "Kämpfer" erobern sich einträgliche Positionen im staatlichen Apparat, immer mit dem Versprechen, die Forderungen der Armen zu erfüllen. Wichtig werde die Fähigkeit, Gelder zu akquirieren. Die Bewegungen sind dagegen isoliert, gespalten und in der Defensive. Ein Teil verteidigt die offizielle Politik, der radikale Teil wird unterdrückt und geschwächt. Zibechi schreibt: "Die parlamentarische Linke ist nicht grundsätzlich als Feind der Bewegung zu betrachten, aber ihr Zugang zur staatlichen Macht kann diesen einen irreparablen Schaden zufügen, wenn sie keine ausreichende politische und materielle Autonomie besitzen...Man muß meiner Ansicht nach verstehen, dass die neue Gouvernementalität einen tiefgreifenden Angriff auf die von den Bewegungen erkämpften autonomen Räume darstellt." (Zibechi, S. 137)

Ein Vertreter der Landlosenbewegung berichtet in dem Buch, wie die Bewegungen vereinnahmt und kontrolliert werden, in dem den Sprechern und Anführern Posten angeboten werden. In die Territorien der Armen werden Experten versandt, das sei eine "stille Invasion". Es sei nicht mehr zu unterscheiden, was von oben oder von unten organisiert sei. Eine Vereinheitlichung und Zentralisierung der Bewegung sei aufgrund der Erfahrungen im 20. Jahrhundert abzulehnen, so Zibechi. "Die angemessenste Art und Weise, eine Bewegung zu verbreitern und ihren Einfluß auszuweiten, besteht in der Koordinierung- Vereinigung (also mittels der Organisation) und der Formulierung von gemeinsamen Forderungen anhand eines Programms....(Was Zibechi bezweifelt, denn...)'Die Rebellion zu organisieren' stellt einen Widerspruch in sich dar. Organisieren bedeutet ordnen, disziplinieren, etwas gründen. Das alles richtet sich gegen die Rebellion und sobald diese sich ordnen lässt, hört sie auf, eine Rebellion zu sein....Wir wissen heutzutage, dass auch das Chaos eine Form der Organisation darstellt." (Zibechi, S. 159) Er endet: "die Veränderung der Welt geschieht 'von unten' und das ist der essentielle Referenzpunkt".

Raul Zibechi, Territorien des Widerstands, Assoziation A 2011

"Linksextremismus" von rechts gesehen

Bei der Bundeszentrale für politische Bildung ist das Buch "Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland" zu haben. Man sollte die Bücher seiner Feinde lesen.

Im Abschnitt "Die linke Szene in Berlin als Herausforderung für die politische Bildung" schreibt Rainer Erb:

" Es ist deutlich zu betonen, dass sich viele gesellschaftliche Analysen der Linken wie die Illustration des Grauens lesen und mit der Wirklichkeit in diesem Land nichts zu tun haben. Urteilsfähigkeit kann lehren, legitime Kritik von bloßem Ressentiment und von Systemschelte zu unterscheiden. Zufrieden werden die linksradikalen Gesellschaftskritiker nie sein; die Klage über die Schlechtigkeit der Welt ist ja ihr Lebenselixier..." (Dovermann, S. 206) Wessen Wirklichkeit meint er?

Aber er schreibt auch:

"Die Analyse und die Kritik der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als kapitalistisch kann noch keinen Extremismusverdacht begründen, da sich für einen derartigen Standpunkt gute (und weniger gute) Gründe anführen lassen..." (Aha)

"Die Linken bringen Fähigkeiten in den Diskurs ein, auf die keine Gesellschaft verzichten kann. Es sind ja häufig Menschen, die politisch interessiert und sozial engagiert im Bündnis mit den moralisch Sensiblen unbequeme Fragen aufwerfen. Sie stellen berechtigte Ansprüche an politische Entscheidungen und formulieren notwendige Kritik an sozialen Entwicklungen. Zur Habenseite gehört ihre Kritik an sexistischen Verhaltensweisen, ihr Beharren auf Inklusion, auf sozialer Gerechtigkeit und ihr Internationalismus." (Oho)  (Dovermann, S.205f.)

Probleme hat Rainer Erb vor allem mit Kommunisten und Militanten.

" Die orthodoxen Kommunisten bleiben in ihren Gedankengebäuden gefangen, weil sie stets nur mit ihresgleichen sprechen, nur auf die Argumente von ihresgleichen hören und mögliche Einwände als Ausdruck bürgerlich- reaktionären Denkens abtun. Dieser verschlossene, zirkuläre Denk-, Informations- und Argumentationshorizont genügt sich selbst und gibt den Altmarxisten ihre sektenhafte Erscheinung...Ihre Einflußlosigkeit wird aber nicht als selbst verschuldet reflektiert, sondern "Klassenverrätern", "rechten" Abweichlern und mächtigen Pressehäusern angelastet.".... (Dovermann, S. 208)

Bei den Militanten freut er sich, dass "die Übergänge von der Mitte der Gesellschaft nach ganz links, die in den 1970er Jahren noch offener waren", heute geschlossen sind.

Ulrich Dovermann (Hrsg.), Linksextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn 2011

Organisierungsdebatte

Nach 1990, als die Autonomen am Boden lagen, gab es die Organisierungsdebatte. Danach wieder das volle Programm: Antifaschismus, Antirassismus, Antiglobalisierung mit Gipfelhopping, Anti-AKW, Antimilitarismus....Anti, Anti, Anti....Wo bleiben da die Perspektiven? Sind das die Freiräume? Mit der Antigentrifizierungsbewegung ist man jetzt allerdings aus dem Ghetto herausgekommen. Und in Zeiten der Krise wird auch wieder über Organisierung diskutiert.

Die Gruppe FELS hat jetzt aus Anlaß ihrer 20 jährigen Existenz die Heinz-Schenk-Debatte von damals ins Netz gestellt: http://fels.nadir.org/multi_files/fels/heinz-schenk-debatte_0.pdf

http://fels.nadir.org/de/heinz-schenk

Dort schreibt jemand: "Ich habe in den letzten 6 bis 7 Jahren irgendwo zwischen 10 und 20 Gruppen und eben soviele Kampagnen durchlaufen. Ca. 2/3 der Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, haben sich ins Privatleben zurückgezogen, einer ist vorübergehend in der Psychiatrie gelandet, einige im Suff geendet, einer hängt an der Nadel und einer hat Selbstmord begangen. Daran sind mit Sicherheit nicht nur die objektiven Bedingungen oder subjektives Unvermögen schuld: Die autonomen Strukturen haben diese Formen der Resignation und Verzweifelung hervorgerufen oder zumindest begünstigt. Ich selbst habe das Gefühl von Stagnation, leide zunehmend mehr unter den inneren Verhältnissen der Autonomen als unter den gesellschaftlichen Bedingungen (das ist vielleicht auch ein Privileg von weißen, männlichen Mitteleuropäern). In der Arbeit ist nicht zu spüren, wofür wir kämpfen und die Tatsache, nie einmal grundsätzlich seine Fragen einbringen zu können, sondern sich immer nur aufs Neue in Kampagnen hineinstürzen zu können, nervt. Zudem macht die autonome Geschichtslosigkeit vieles schwierig. Da das Wissen um Geschichte nicht als grundsätzliche Vorraussetzung für Politik begriffen wird, existiert keine Art „kollektives Gedächtnis“, alle fangen immer wieder am Nullpunkt an."

Na dann "Autonome in Bewegung" von A.G. Grauwacke, Assoziation A lesen. Politik der 1. Person. Kommunistische Arbeitsscheuenzentrale.

Rette sich, wer kann. Zu Besuch beim Soziologen Wilhelm Heitmeyer: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ku&dig=2012%2F02%2F27%2Fa0113&cHash=516791c499

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel für diese Ausgabe von der Autorin.

In der monatlichen Beiratsitzung im Januar 2012 wurde beschlossen, die Konzipierung und Installation der neuen Rubrik "Ziviler Ungehorsam und Transformation", in Angriff zu nehmen. Dazu gab es bereits ein Selbstverständnistreffen des HerausgeberInnenkreises AKKA. Der Klärungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.

Die Autorin hat bereits folgende  Artikel für die zukünftige Rubrik vorgelegt.