Editorial
Über die Klassenlinke und ihre gegenwärtigen Aufgaben

von Karl-Heinz Schubert

03/2020

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In der 1920 über die "Buchhandlung Neukölln" (Warthestr.69) vertriebenenen Theoriezeitschrift der KPD "Die Internationale" Heft 23 (1. Juni) und Heft 24 (24. Juni) lässt sich anschaulich nachlesen, wie politisch irritiert die KPD-Führung vom Generalstreik gegen Kapp und Konsorten sowie von den blitzartig entstehenden proletarischen und vor allem bewaffneten Räten war.

Die KPD daselbst war zu diesem Zeitpunkt eine relative kleine Partei mit ca. 100.000 Mitgliedern (1919), die in den Wahlen zur Nationalversammlung 1920 nach dem Kapp-Putsch nur 1,7 % der Stimmen erhalten hatte. Schließlich hatte sie einen beträchtlichen Teil ihrer Mitglieder Anfang April 1920 an die neugegründete Kommunistische Arbeiterpartei Deutschland (KAPD) verloren.  Der II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale im Sommer 1920 sah sich - inspiriert von Lenin - veranlasst auf diese Entwicklung  mit der Verabschiedung von klaren Statuten (Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale) zu reagieren; denn diese Spaltungstendenzen waren 1920 keine deutsche Besonderheit. Teilgenommen am II. Weltkongress hatte auch die USPD mit der die KPD im Generalstreik und in den Räten zusammengearbeitet hatte. Die Haltung zu diesen Statuten führte schließlich zur Spaltung der USPD und dem Zusammenschluss des abgespaltenen Teils im Dezember 1920 mit der KPD zur VKPD , die nun mit rund 450.000 Mitgliedern eine wirkliche Massenpartei darstellte.

Allein aus dieser knappen Skizze lässt sich ablesen, wie politisch und ideologisch kompliziert die damaligen Bedingungen waren, um aus der proletarischen Klasse heraus eine radikal-antikapitalistische Massenpartei aufzubauen, die sich einer revolutionären Politik verpflichtet sah. Die Erfahrungen mit dem Kapp-Putsch bildeten zweifellos eine wichtige Grundlage, wodurch die VKPD gestützt auf die Beschlüsse des III. Weltkongresses  der Kommunistischen Internationale (1921) eine Einheitsfrontpolitik entwickeln konnte, die ihre Verankerung im Proletariat beförderte.

Wir haben den "Kapp-Putsch" und die "Rote Ruhramee" zum Schwerpunkt dieser Ausgabe gemacht, nicht nur weil sie Gegenstände der proletarischen Literatur wurden und damit zum Narrativ der revolutionären Arbeiter*innenbewegung, sondern um vor allem dazu anzuregen, sich mit der Geschichte der proletarischen Klasse wieder analytisch untersuchend zu befassen. Denn würden diese Erfahrungen buchgläubig eins zu eins auf heute übertragen, dann käme nur eine apolitische Melange aus Scharlatanerie und Nostalgie heraus. In der Tat besteht die reale Gefahr, wenn heute linke Antifa-Bündnisse in der Diktion der 1920er Einheitsfrontpolitik begründet werden, dass vorbei an der heutigen Klassenwirklichkeit und dem Minizirkelzustand der revolutionären Linken sektiererische Politik gemacht wird. Vielmehr kommt es heute darauf an, dass die politischen Zirkel, die ihre revolutionäre Politik mit der Arbeiter*innenklasse als das historisch revolutionäre Subjekt begründen, zur Vereinheitlichung in den damit verbundenen strategischen Fragen kommen. Ich nenne diese Kräfte "Klassenlinke". Allerdings darf eine solche Vereinheitlichung nicht als Zentrismus begriffen werden, womit Widersprüchse opportunistisch verkleistert werden.

Neben dieser Hauptaufgabe, spielt für die Klassenlinke angesichts der rasanten Rechtsentwicklung die antifaschistische Bündnisarbeit sehr wohl eine tagespolitisch herausragende Rolle -  wobei es ein strategischer Fehler wäre, die Zustimmung zur Aufhebung des Kapitalismus als Voraussetzung für ihre Teilnahme an solchen Bündnisse zu behandeln.

Andererseits darf die Klassenlinke es keinesfalls  - auch in ihrem zersplitterten Zustand -  zulassen, dass in Antifa-Bündnissen ebenso wie in Friday-For-Futur-Bündnissen von sogenannten Milieulinken gegen die Klassenlinke antikommunistische Schranken errichtet werden. Von daher möchten wir besonders auf die Erklärung des Zentralkomitees der MLPD "Gib Antikommunismus keine Chance!" in dieser Ausgabe hinweisen.

In diesem Kontext steht auch der Beitrag aus der Zeitschrift "Der Funke" Perspektiven für die Klimastreikbewegung, die ihr Mitwirken an der Friday-For-Futur-Bewegung erfreulicherweise  dazu benutzt, diese Bewegung auf vergessene, historisch richtige Erkenntnisse hinzuweisen:

"Nur die Arbeiterklasse hat auf Grund ihrer Stellung im Produktionsprozess die Kraft, die Herrschaft der Unternehmer zu brechen: Kein Kohlekraftwerk läuft, kein Auto rollt vom Band, keine Glühbirne brennt, kein Telefon klingelt ohne die freundliche Zustimmung der Arbeiterklasse."

Unsere kommenden Ausgaben werden sich daher weiterhin mit der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung beschäftigen, wo unseres Erachtens für die aktuelle Aufgabenstellung, die Einheit der Klassenlinken herzustellen, wichtige Erkenntnisse zu gewinnen sind.

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Dass zeitgeschichtliche Untersuchungen gleichermaßen wichtig sind, zeigen die Literaturübersicht zum Thema "Politische Morde in der alten und neuen Bundesrepublik Deutschland" von Wilma Ruth Albrecht und Max Bryms Erinnerungsbuch "Mao in der bayerischen Provinz", welches die Irrungen und Wirrungen bei der Suche nach einer sozialistischen Alternative zum Gegenstand hat.

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Wenn es in letzter Zeit um Wohnen und Miete ging, dann füllten die befürwortenden wie ablehnenden Stimmen zum (atmenden) "Mietendeckel" die Medien. Nun geht der Meinungsstreit demnächst juristisch weiter. Eine Senkung der Miete steht also nicht in Aussicht. Die DW-Enteignungsakteure aus der "Stadtgesellschaft" nutzen nun diesen medialen Abschwung, um einmal nach langer Pause wieder auf Ihr eigenes Vorhaben bei Presse, Funk und Fernsehen aufmerksam zu machen. Wie vermeldet wollen sie in den nächsten vier Wochen mit dem Senat über ihre Vorschläge mal handverlesen persönlich reden.

Dass Miet- und Wohnungsprobleme in Berlin durch "Schön, dass wir mal wieder miteienander geredet haben." nicht zu lösen sind, zeigt der Bericht aus dem Berliner Nordkiez ebenso wie die jüngste Zwangsräumung im Wedding.

Dieses stadtpolitische Nebeneinander innerhalb der Linken ist seit "ewigen Zeiten" Ausdruck eines beziehungslosen Kampfes zweier politischer Linien, der viel Bewegung aber wenig  Erfolg einbringt - jedenfalls gemessen an den selbstgesetzten Zielen. Die Chance dies zukünftig zu ändern, hätte meines Erachtens eine vereinigte "Klassenlinke" zur Voraussetzung, da nur sie die Möglichkeit eröffnen kann, diese beiden Linien zielführend in einer revolutionären Realpolitik dialektisch zu verbinden.

Berlin im März 2020