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Der schmale Grat
KRIEG IST DAS ENDE

von DIETMAR KESTEN

GELSENKIRCHEN, ANFANG MÄRZ 1999

03/99
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Die Geschichte gleicht vielen Kriegsgeschichten, die sich mit dem Kampf der Völker untereinander beschäftigen, mit dem Sterben, mit dem Tod. Sieger und Besiegte sind gleichermaßen betroffen, mal früher, mal später:

Eine US- Kompanie landet 1943 auf Guadalcanal, um die Japaner von dieser strategisch wichtigen Insel zu vertreiben. Wie in SPIELBERGs "Saving Private Ryan" (August 1998) beginnt auch Regisseur TERRENCE MALICK seinen Film mit einer Landung am Strand. Man mußte auf alles gefaßt sein; denn der 6. Juni 1944, als Marinesoldaten der USA an einem Landstreifen in der Nähe des Dorfes Vierville aus ihren Booten sprangen und von deutschen Invantriedivisionen gnadenlos mit Maschinengewehren niedergemäht wurden, begann in "James Ryan" mit einem Höllenspektakel, daß einem im Kino der Atem stockte: Die ersten 20 Minuten des Films - da bin ich mit sicher - werden in die Kinogeschichte eingehen; denn wenn Grauen, wenn Sterben, wenn Tod, blutiger Horror und entsetzliche Schreien überhaupt mit filmischen und akustischen Stilmitteln dargestellt werden können, dann wird es vermutlich nie mehr eine Entsprechung geben.

So starrte ich gebannt auf die Amphibienfahrzeuge, auf die Männer mit ihren Maschinenpistolen, auf die Gewehre, auf die Gesichter, sehe den Strand, die wogende See, die Landung, und dachte, jetzt ist es soweit; in jedem Augenblick kommen die Japse aus ihren Büschen gekrochen, und das gleiche Spiel wiederholt sich. Um so beruhigter war ich, als nichts von alledem eintrat; eine seltsame Ruhe in einer Atmossphäre, die etwas paradiesisches auszudrücken schien: "Welcome in peace". Wer will auch immer quellende Eingeweide sehen, abgesprengte Köpfe, Massaker des Fleisches? Ich sollte mich, wie viele andere, getäuscht haben. Nach tagelangen Märschen durch den Dschungel bricht auf einer Anhöhe das blanke Entsetzen aus. Ein Krieg im "Herzen der Natur", die Flora und Faune erschaudern läßt, jungfräuliches Ambiente mit ein paar Eingeborenen, so, als sei alles nur ein Vorwand; der Dschungel, unberührt, als hätte es nie etwa anderes gegeben. Die Bedrohung nimmt ihren Lauf; je weiter die Soldaten auf den Grat vorrücken, desto brutaler wird die Beklemmung, die Hölle bricht los; eine milchige Sonne erhebt sich und wirft ihre lange Schatten auf die bis zur Erschöpfung kämpfende Mannschaft; die am Ende ihrer körperlichen und psychischen Kräfte erscheint, aber der Teamgeist hält sie nach zig Verlusten zusammen.

"Der schmale Grat", zeigt den Krieg aus einer anderen Perspektive: Er zeigt das Leben im Krieg, er zeigt, wie der Krieg das Leben zerstört, die Illusion zerplatzt und die Desillusion uns alle umschließt. Er handelt nicht unbedingt von Soldaten, sondern von Menschen, die Soldaten werden, aus welchen Gründen auch immer! Ein Film, in dem der Ausgang eines Gefechts, einer Schlacht, eines Krieges nach MALICK vielleicht unwichtig ist, weil auch die Sieger zu den Opfern zählen, die die besten Jahre ihres Lebens opfern; immer vom schlechten Gewissen nach vorn gepeitscht. Authentisch? Vielleicht! Krieg ist Moral, Moral auf der höchsten Stufe sozialen Verhaltens der Mernschen. Besser kann die Eindringlichkeit nicht beschrieben werden, die zwar häppchen- weise nach guten 3 Stunden rüberkommt, aber es geschieht. Es passiert in den vielen Schmerzsekunden, die zu Tagen werden, zu Stunden, zu Minuten, wenn Hände an Abzügen zittern, oder sich Vorgesetzte selbst mit der Handgranate verstümmeln, wenn Japaner in ihren MG-Stellungen massa- kriert, oder Verwundete bei offenen Feldsschlachten geborgen werden.

Nichts kann Krieg rechtfertigen: Die Botschaft schlechthin, mit der sich jede/r an- freunden kann, ja muß; nichts ist schlimmer als Krieg! MALICK will sein Publikum aufrütteln; wenn ihm etwas gelingt, dann ist es das, und er tut uns allen damit einen großen Gefallen. "Der schmale Grat" ist deshalb kein Landserdrama, keine abstrakte Ergänzung zum jenem "James Ryan", der nur als Quersumme alller bisherigen "Anti"-Kriegsfilme wirkt; keiner der 5 bis 6 guten ("Platoon", "Die besten Jahre ihres Lebens", "Die durch die Hölle gehen", "wege zum Ruhm" oder "Iwans Kindheit"), sondern vielleicht der, der SPIELBERGs Drama weit hinter sich läßt, weil MALICK sich nicht um die Gesetze des Kino-Marktes kümmert, und nach 20 Jahren (1978 dreht er "Days of Heaven") der Verweigerung aus den Schatten der Welt der Moderne etwas anderes herausliest als der moderne Kulissentransporteur STEVEN SPIELBERG. "Der schmale Grat" gilt als Kriegsfilm, aber er ist in Wahrheit ein Anti-Kriegsfilm. Ist nicht jeder Film, der sich mit der Zerstörung der Unschuld des Lebens beschäftigt, ein Anti-Kriegsfilm? In MALICKs Krieg gibt es deshalb auch keine Identifikationsfiguren, die das wa- renproduzierende System immer so gerne hätte; will er so provozieren, imponieren oder gar desavouieren? Wenn die Perspektive ständig wechselt, sich ändert, es keinen festen Typus gibt, der Held, Sieger oder Besiegter ist, dann lassen die Konturen offen, um welche Namen oder Gesichter es sich hier handelt.

Im Krieg sind sie Schall und Rausch; der Krieg interessiert sich nicht für Opfer oder Überlebende; für ihn ist jede Unterscheidung unwichtig; das, was Bestand hat, ist, daß Krieg die schlimmste Erfahrung ist, die Menschen machen können. MALICK schafft es duch den Off-Sprecher, die Gedanken und Gefühle der Kämpfenden zum Ausdrduck zu bringen. Das habe ich selten erlebt, und diese Beklemmung hält den Zuschauer 3 Stunden wach; er erfährt genau das, was er wissen muß, um sich ein Urteil erlauben zu können, über die abstrakte Ergänzung und die konkrete Erinnerung - für einen solchen Film sehr lobenswert; und das Puzzle setzt sich zu- sammen: Wir werden in ausweglosen Situationen wie ein Läufer vom Schachbrett genommen; vieles ist hierbei Glück und Pech, Sieg und Niederlagen verschmelzen zu einer Einheit; eine Handvoll Granaten kann ein Leben auslöschen oder durch drei oder vier sich verändernde Schritte, retten. Die kurzsichtige Betroffenheit, die uns "James Ryan" vermitteln wollte, ist bei MALICK schon fast philosophisch; einfache Soldaten haben eine Philosophie, wenn sie über die dunkelste Seite ihres Lebens reflektieren; ohne naives Pathos versucht er die "ganze Realität" zu zeigen, ungeschminkte Wahrheit überden großen Krieg; kein Potpourri aus Heldenliedern und saurem Kitsch, Fiktionen über Fikti- onen; sonder Erinnerungen, Träume, Phantasien.

Bei MALICK vergräbt sich der Krieg endgültig, er begräbt sich, ohne aufzuerstehen mit den schicksalshaften Geschehnissen; die bekannten Motive sind kein rechteckiges Glasmaul mehr, keine Oberfläche, keine Fassade, keine Schweineschlacht, kein Ausflug auf"s Land, kein Programm über Materie und Antimaterie, über das letzte Transportflugzeug (wie bei VILSMAIERs "Stalingrad" -1993); er saugt die Zeit auf und verwandelt sie in die Verfielfachung des Visuellen; er bringt nicht mehr die gleichen Produkte und Formen, die alten Lebensläufe, bleibt nicht an den Altersunterschieden seiner Kämpfer stehen - er realisiert Erfahrungen aus einer erfahrungslosen Welt; Tote werden mit Laken bedeckt, das ist die Warheit, so banal sie auch klingen mag: Selbst im Tod gibt es keine Statements; der moralische Aufruf, wenn sie beweint und zur Erde werden, verändert den Zuschauer, er will eingereifen, verändern, zerstören, verstören: Die befreiende Wirkung als Schock? Der organisatorische Aufbau des Unglücks ist bei MALICK eigentlich perfekt; er ist der Sprung in eine denkwürdige Ausnahme; das Leben geht weiter, aber so darf es niemals mehr enden!!

Am Ende dieses Jahrhunderts beginnt die Reise in die Schrecken, des Eises und der stumpfen Ruhe. Der größte denkbare Gegensatz zu allem; Einfachheit statt Klüngelei, Bitterkeit statt Larmoyanz, Gegenwart statt Nostalgie, Konstruktion statt Dekoration, Logik statt Trickfeffekt, Pathos statt Kitsch, Anklage statt Versöhnung - die filmische Reduktion der "Vergletscherung der Gefühle"! Ein Aufruhr gegen den Landschafts- und Seelenschwulst, gegen das Pittoreske und das Psychologische, gegen die großen Vorbilder, gegen die Kriegsherren, gegen den "guten" oder "gerechten" Krieg -Kinematographie a la MALICK zeigt es, der Glaube an das "Notwendige" pure, ist kein "schönes" Bild mehr. Wenn braunhäutige Kinder unter Palmen lächeln, im Meer baden, dann ist das die heutige Erinnerung; der Gang zur Gangway auf dem Flug in die Sonneninseln, die uns die "Welt des Friedens" bringen. Dabei steht der Krieg vor unserer Haustür. Vielleicht sieht das ein Mann wie er, besser als wir alle: Gesichter von Schmerz verzerrt; der Anfang und das Ende im ewigen Epos der Natur. "Wir sind alle Teil einer einzigen Seele" , "all diese Gesicher sind nur ein Mensch" sagt ein Soldat. Die Unschuld unseres Lebens ist für immer zerstört, jede Kriegsaufführung ist ein Triumph für all diejenigen, die in den symbolischen Exessen nur ihre eigene Haut retten wollen, die auf die Zerstörung der Gesittung hoffen, und die Körper fallen lassen, wenn ihnen danach ist. Alle Gedanken weben sich zu einem zusammen, zu einem endlosen inneren Monolog, nicht überdreht, kraftvoll erzählt, mit einer solchen Inbrunst, daß ich noch Stunden nach dem Kinogang tief betrübt vor einem Kaffee saß. Während ich selber verblutete, blickte mich die Kamera an, das Triebschicksal hatte mich wieder, das Geäst des Dschungels war der Bus, auf den ich wartete; in ihm weiß niemand etwas vom Sterben der Menschen.

"Der schmale Grat", das Fragment des wirklichen Lebens; nach 3 Stunden, die man mit dem Krieg verbringt, hat man mehr von ihm gesehen, als kriegerisches Kino es je zeigen kann. Der letzte Satz des Films lautet "Alle Dinge leuchten". Das Versprechen ist ein Kunstwerk.

Anmerkung: Der Film läuft seit dem 25. Februar in den Kinos. Darsteller wie: BEN CHAPLIN, GEORGE CLOONEY, JOHN TRAVOLTA, NICK NOLTE, WOODY HARRELSON, SEAN PENN, ADRIEN BRODY, JIM CAVIEZEL sollen auf einen erheblichen Teil ihrer Gage verzichtet haben, umdiesen Film machen zu können. Regisseur: TERRENCE MALICK.

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