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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.05 vom 04.03.1999, Seite 3

Abgekartetes Spiel
Die Entführung des PKK-Vorsitzenden ist ein Werk der Geheimdienste

von Knut Rauchfuss
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Am Morgen des 15.Februar traf sich der griechische Botschafter mit Vertretern der kenyanischen Regierung. Er kam zurück und war voller Versprechungen. Viele dieser Versprechungen stützten sich auf Zusagen der griechischen Regierung. Griechische Regierungsvertreter hätten sich früher am Morgen getroffen und entschieden, unseren Vorsitzenden in ein europäisches Land seiner Wahl zu bringen. Sie hätten bereits damit begonnen, alles zu arrangieren", erzählt Dilan Semsi Kilic, europäische Vertreterin der ERNK. Zusammen mit Nucan Derya und Melsa Deniz gehört sie zu jenen, die Öcalan bis zuletzt in Kenya begleitet hatten. "Es ist interessant, daß sie uns versprachen, daß ihr Botschafter uns als Zeichen ihrer Aufrichtigkeit begleiten würde."

Genau einen Monat zuvor, am 16.Januar, hatte der PKK-Vorsitzende Rom verlassen, um nach einem kurzen Aufenthalt in Rußland nach Europa zurückzukehren. Der zunehmende Druck auf die italienische Regierung, insbesondere aus den USA, hatte das Klima in Italien schleichend verändert. Die italienische Regierung suchte nach einem außereuropäischen Aufnahmeland, um den ungeliebten Vorsitzenden loszuwerden.

Gerüchten zufolge verließ Öcalan das Land von einem Militärflughafen aus und mit einem italienischen Paß. Er hoffte, seine vorübergehende Abwesenheit könne dazu beitragen, die Verhandlungen über seinen Aufenthalt in Europa und sein Asylverfahren in Rom in einer entspannteren Atmosphäre stattfinden zu lassen.

Die 14tägige Abwesenheit Öcalans fiel mit dem zeitgleich stattfindenden VI.Parteitag der PKK zusammen. Ob der Vorsitzende an diesem Parteitag persönlich teilgenommen hat, ist bisher ebenso unklar wie die Inhalte des Parteitags. Auffällig ist jedoch, daß sich die europäischen, israelischen und US-amerikanischen Geheimdienste während der Dauer des Kongresses über Öcalans Aufenthaltsort ebenso strikt ausschwiegen wie die PKK selbst. Die Türkei stocherte nachweislich im Nebel und vermutete den Erzfeind täglich in einem anderen Winkel der Erde.

Nach dem Ende des Parteitags machte sich Öcalan am 29.Januar auf den Rückweg nach Europa. In Begleitung des ehemaligen griechischen Offiziers Adonis Naxakis flog er nach Athen, wo er freundliche Zusagen von Premierminister Simitis, Außenminister Pangalos, Innenminister Papadopoulos, dem Minister für öffentliche Angelegenheiten und dem Chef der Geheimdienste erhielt. Die griechische Regierung erbat sich die erforderliche Zeit, um innerhalb der EU eine Meinungsbildung herbeizuführen, und sicherte ihm ein Asylverfahren in Griechenland zu.

Einen Tag später verließ Öcalan auf Drängen der Regierung Griechenland und machte sich mit einem Flugzeug, das ihm diese zur Verfügung gestellt hatte, auf den Weg nach Minsk, wo er in eine Maschine nach Den Haag umsteigen sollte. Ein solches Flugzeug gab es dort jedoch nicht, und so weigerten sich trotz Frosttemperaturen Öcalan und seine BegleiterInnen sieben Stunden lang auf dem Rollfeld, das Flugzeug zu verlassen. Die griechische Crew war schon aufgefordert worden, nach Griechenland zurückzukehren. Schließlich mußten sie die an Bord befindlichen KurdInnen wieder mit nach Athen zurücknehmen, nicht ohne den Versuch zu unternehmen, eine Landeerlaubnis in Rotterdam zu erhalten, wo Öcalan jedoch abgewiesen wurde. Am 1.Februar traf die Gruppe erneut in Athen ein.

Am 31.Januar wurde auch der Geheimdienst der Türkei von Öcalans Rückkehr nach Europa unterrichtet. Dieser glaubte ihn jedoch auf dem Weg nach Italien, und Premierminister Ecevit attackierte öffentlich die Regierung in Rom. Der ins türkische Außenministerium einbestellte italienische Botschafter dementierte.

Erst am Nachmittag des 1.Februar gaben Abgeordnete der griechischen PASOK zu, daß sich der PKK-Vorsitzende auf dem Flughafen in Athen befände, wo er auf eine Entscheidung der griechischen Autoritäten warte. Zu diesem Zeitpunkt war die Gruppe aus Sicherheitsgründen bereits nach Korfu gebracht worden.

Mit der Türkei schienen auch die europäischen Regierungen die Spur Öcalans in Athen verloren zu haben. Das Flugzeug Öcalans wurde am Abend in Mailand sichergestellt und gestürmt. Der PKK-Vorsitzende befand sich jedoch längst nicht mehr an Bord. Wenige Tage später attackierte die belgische Luftwaffe ein vermeintliches Öcalan-Flugzeug und zwang den Piloten den Luftraum zu verlassen. An Bord befanden sich jedoch israelische Arbeitgeber.

Auf Korfu begann die griechische Regierung unterdessen, Öcalan unter Druck zu setzen, das Land wieder zu verlassen. Außenminister Pangalos bestellte den PKK-Vorsitzenden zu einem verabredeten persönlichen Treffpunkt, ließ sich dort aber durch seinen Geheimdienstchef Savrakakis vertreten. Dieser schlug vor, die Gruppe möge sich an einen sicheren Ort bringen lassen, während die griechische Regierung alles für eine spätere Rückkehr nach Europa vorbereite.

"Auf dem Weg zum Flugzeug passierte ein Unfall", berichtet Dilan Semsi Kilic weiter. "Die Tragfläche des Flugzeugs brach plötzlich durch die Frontscheibe des Militärfahrzeuges, in dem wir unterwegs waren. Um ein Haar hätte sie unseren Vorsitzenden erwischt, der in der ersten Reihe saß. Ich denke, daß das Absicht war, daß sie ihn auf diese Art aus der Welt schaffen wollten, nachdem bereits ein bis zwei Versuche fehlgeschlagen waren, ihn dem türkischen Geheimdienst zu übergeben."

Als sie schließlich das Flugzeug bestieg, kannte die Gruppe das Reiseziel nicht. Es war von einem afrikanischen Land die Rede, und die Gruppe dachte, es werde Südafrika sein. Doch die Maschine landete in Kenya, wo der Gruppe erklärt wurde, daß sie zwei Monate warten solle, bis die Einreise nach Südafrika vorbereitet sei. Solange solle Öcalan im Landhaus eines griechischen Geschäftsmannes untergebracht werden oder mit dem Auto nach Somalia weiterreisen. Die Gruppe lehnte jedoch bis zuletzt ab, die Botschaft zu verlassen.

"Wie wir heute wissen haben sich während dieser Zeit der türkische Geheimdienst MIT, die CIA und der Mossad auf die Entführung vorbereitet. Natürlich waren wir uns nicht sicher, aber wir dachten uns das schon und überlegten, wie wohl alles ausgehen würde. Wir vermuteten, daß wir am Ende unserer Reise angelangt seien und konzentrierten uns darauf, was nun zu tun sei. Uns war vom ersten Tag an klar, daß sie wußten, wo wir sind." Dieser Verdacht bestätigte sich für Öcalan und seine BegleiterInnen, im Laufe der zwei Wochen, die sie in der Botschaft zubrachten.

Am Tag vor der Verschleppung des PKK-Vorsitzenden in die Türkei überstürzten sich die Ereignisse. Am Nachmittag sollte Öcalan zum Flughafen gebracht und auf Zusage von Außenminister Pangalos in die Niederlande ausgeflogen werden. Öcalan weigerte sich jedoch, weil zwei seiner BegleiterInnen nicht in der Botschaft weilten. Diese berichteten bei ihrer Rückkehr von kenyanischer Polizeipräsenz vor dem Gebäude. Öcalan selbst glaubte den kenyanischen Behörden nicht. Ein Anruf des griechischen Außenministers Pangalos versuchte, Sicherheit vorzutäuschen.

"Wir erklärten, daß wir nicht gewillt seien in diese Falle zu gehen, und daß wir wüßten, wohin sie uns wirklich bringen würden. Wir würden das Haus nicht verlassen", schildert Dilan Semsi Kilic die letzten Stunden in der Botschaft.

Der griechische Botschafter eröffnete ihnen: "Wenn ihr darauf besteht zu bleiben, könnte es auch für uns gefährlich werden." Dennoch bot er an, die Gruppe könne bleiben. Öcalan soll geantwortet haben: "Das Haus ist umstellt. Ich habe nicht das Recht zu sterben, mir gehört nicht mein eigener Wille." Vom ersten Tag in Kenya an soll Öcalan betont haben, daß sich die Gruppe in der Hand der CIA befände, wenn er nicht versuche, aus Kenya herauszukommen, werde er mit Sicherheit liquidiert.

Der Botschafter sicherte zu, die Gruppe zum Flughafen zu begleiten. Der PKK-Vorsitzende solle in seinem Auto mitfahren. Beim Verlassen des Botschaftsgeländes zwang die kenyanische Polizei Öcalan jedoch zum Umsteigen. Sie berief sich dabei auf eine Absprache mit Pangalos, der sich auch in exakt diesem Moment telefonisch meldete und nochmals Garantien für einen freien Abzug mit nachfolgender Einreise in die Niederlande gab. Der Botschafter wollte sich zu dem PKK-Vorsitzenden ins Auto setzen, die kenyanischen Behörden lehnten dies jedoch ebenso ab wie die Begleitung durch eine Übersetzerin. Man werde im Konvoi fahren, hieß die Zusage. Kaum war Öcalan jedoch eingestiegen, startete der Wagen und fuhr mit hoher Geschwindigkeit davon.

"Wir versuchten, ihm zu folgen, aber er war schon weit vor uns", erinnert sich Dilan Semsi Kilic. "Als unser Wagen auf dem Flughafen ankam, sahen wir unseren Vorsitzenden in seinem Auto. Wir hielten uns hinter ihm und stoppten vor einer Tür mit der Aufschrift: Polizei. Auf einen Schlag kamen aus allen Richtungen Polizisten auf uns zugerannt. Sie umzingelten den Wagen des Vorsitzenden, drei Polizisten stiegen zu, wendeten das Auto und gaben Vollgas. Wir konnten nicht mal unser Auto verlassen, geschweige denn losfahren, denn alles war mit Polizisten vollgepackt. Dann brachte uns die Polizei in das Flughafengebäude. Wir rannten zurück dahin, wo wir ihn zuletzt gesehen hatten, aber es war schon zu spät.

Der Botschafter versuchte per Telefon, bestimmte Kreise zu erreichen, aber interessanterweise traf er niemanden an. Schließlich bekam er Pangalos an den Apparat. Der jedoch wies ihn an, uns auf dem Flughafen zu lassen und sich zu verdrücken. Er blieb jedoch bei uns." Der Anweisung der griechischen Regierung, die drei aus der Botschaft zu werfen, leistete er nicht Folge.

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