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Ein Kommentar zum Rücktritt Lafontaines
SCHRÖDER AM ENDE?

von DIETMAR KESTEN

03/99
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Jetzt ist sie auseinandergebrochen, die SPD-Troika, die einst das "Moderne Deutschland" schaffen wollte, sich für die "echte Verwirklichung der Demokratie" stark machte, und die wieder einmal - wie alle anderenRegierungen vorher - vermutlich schon eher gescheitert ist, als wie viele es anzunehmen wagen. Man hat noch das dumpfbackene Gerede der Herren SCHRÖDER, LAFONTAINE und SCHARPING im Ohr, die volllmundig vor und nach der Bundestagswahl die "Einheit und Geschlossenheit" im demonstrativen Schulterschluß mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verkündeten, die die Ablösung der KOHL-Regierung mit ihrer angeblich "besseren" Außen- Wirtschafts-, und Sozialpolitik begründeten, und die eintreten wollten, für "die sozial Schwachen in der Gesellschaft", gegen die Atomlobby und für ein "echtes Bündnis für Arbeit". Für diese Behauptungen hatten sie einen Propagandafeldzug gestar- tet, der alles bisher dagewesene in den Schatten stellte.

Die SPD hatte sich vor allem mit den Gewerkschaften arrangiert, mit den Zwickelisten, die nichts ausließen (selbst nicht die Beiträge ihrer Mitglieder) im Geldtrommelfeuer gegen die Ablösung der KOHL-Regierung - bis zur letzten Minuten den Hahn für die SPD offen zu halten. Jetzt beklagen sie scheinheilig den Rücktritt von LAFONTAINE, der "uns sehr getroffen hat" (DGB-Chef SCHULTE im ZDF, 12. 03. 99), oder wie es ZWICKEL ausdrückte: "Das sei der erste Erfolg des Ka- pitals:" (WAZ, 13. 03. 99). Alles wie üblich: Täuschungs,- Anbiederungs,- und Verwirrungsversuche, um von den wirklichen Problemen des Kapitalismus der Moderne abzulenken.

Und ihre Bemühungen, die Sozialdemokratie mit der größtmöglichen Macht auszustatten, sind nun wieder einmal hoffnungslos enttäuscht worden. Der SPD und den GRÜNEN sind eben die Ideen ausgegangen, ein Deutschland zu schaffen, das die Wiederholung der Vergangenheit ausschließt.

Ihre gesamte Konzeption geht davon aus, daß die Zukunft des Volkes u. a. auf der Leistungsbereitschaft des Einzelnen beruhen muß. Doch die Trümmerberge des warenproduzierenden Systems implizieren doch gerade jenen Leistungswahn, der weder durch ein mehr an "sozialer Gerechtigkeit", oder durch die "Gestaltung des Schicksals" in Eigenverantwortung auch nur ansatzweise überwunden werden könnte. Die aberwitzige Machtpolitik hat deshalb nur einen provisorischen Charakter, eben nichts Definitives erreichen zu können. Das dürfte der wahre Grund für LAFONTAINEs Festival gewesen sein. Seine Politik begann mit der Restauration und endete mit ihr. Mit Verbissenheit wollte er denen etwas zukommen lassen, die er als "gebeutelt" ansah. Doch in Wirklichkeit "entlastete" die Steuerreform nur die Unternehmer, die Banken und die Versicherungsanstalten. Angedachte "Vergünstigungen" für die Bürger endeten schnell wieder in der "große Verweigerung" - eine seltsame Mischung aus radikaldemo- kratischen Ideen, nationalem Gleichheitsgeplärre und nicht zu überbie- tender Hybris. Die Sozialdemokratie zur Kapitulation (?) gezwungen, das Ende vom Anfang!

SCHRÖDER zeigt sich derweil entschlossen, seine Strategie der Kompromisse mit den GRÜNEN unbeirrt fortzuführen, wohl wissend, daß der nächste Krach mit ihnen bereits vorprogrammiert ist, und dieser evtl. das Aus für die gesamte Koalition bedeuten könnte! Da tritt die alte Verketzerung im neuen Gewande auf: "Restaurativ", "autoritär", "nicht mehr transportabel" - diese Vokabeln hatte man nur allzu- gerne auf die KOHL-Regierung angewandt, und mit ihnen ihre Illusionen über den Kapitalismus geerbt; die alte Unterschätzung der Sozialdemokratie: Man übernimmt politische Krankheiten konstitutionell, die letztlich in der Unterwerfung vor dem Staat der Moderne enden. Selbst die Entschärfungsversuche nach dem Rücktritt LAFONTAINEs gipfeln in der besonders perfiden Mimikry der politischen Intransigenz. Zu unglaubwürdig tritt eben SCHRÖDER auf, wenn er beinahne schon stammelnd den Kitt der Einheitszelebration zusammenhalten muß, und beschwörend eingreift: "Die SPD wird eine Programmpartei blei- ben" (Süddeutsche Zeitung, 13./14. März 1999).

Die Heillosigkeit der Moderne wird hier in Begriffe gesteckt, die verkürzt aus dem geschichtlichen Konservatismus entlehnt sind. Diese Fixierung auf normative Gedankenbrüche soll die Bilanz der SPD erhellen, die im wirtschaftswunderbaren Wiederaufstieg aus "dem Vor- hof der Macht" (THEO PIRKER) bis an die Macht aufgestiegen, nicht mehr bei der Stunde Null beginnen wollte, sondern radikal alles bisher dagewesene als "Umwertung der Werte" verstand. Jetzt muß sie die Last des "bunten Gewandes", der konservativen Ge- sinnung und reaktionärer Interessen, doppelt transportieren: Sie muß das alte deutsche Denktum und Gefühlsgut für eine ganz und gar unheilige Allianz der Gegensätze aufbereiten: Mögliche Wahlverwand- schaften des Konservatismus der ehemaligen KOHL-Regierung, in die künstliche politische Veränderung einbinden; die Grabenkämpfe gegen den Dauerzustand der Arbeitslosigkeit und Restökologie an den kapitalistischen Staat weitergeben, der die Anwesenheit von SPD/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr und mehr als millionenfache Belastung empfindet Dieser Gedankengang macht deutlich, daß die erwähnte große "Solidarität" der SPD eine ähnliche Wendung nimmt, wie das Aufkommen neuer Glaubensillusionen- und sehnsüchte, die etwa aus dem Mittelalter bekannt sind.

Denn der grundsätzliche Zusammenhang besteht darin, daß der Untergang der alten Glaubenswahrheiten immer im schaurigen Mythos endete, in der Desavouierung durch die Geschichte. Der alte große Zauber der alten Bilder und Legenden von der "Bloßstellung des Kapitals" paßt nicht mehr ins kommende 21. Jahrhundert.

Er ist fast überall am Verschwinden und mancherorts schon gar nicht   mehr vorhanden, und er bleibt doch immer der, daß dieser Zauber eben auch ein falscher Zauber sein kann und in den Köpfen der Men schen große Illusionen über die SPD und ihrer Welt erzeugen kann.

Der Prozeß der Entzauberung des alten Glaubens ist verbunden mit dem Verlust der alten Glaubenswahrheiten: Das Herumstochern im Müllhaufen der Kulturbestände führt in eine künstliche Welt, und die damit einhergehende Philosophie identifiziert sie mit der Geschichte der industriellen Moderne, die die Menschheit an den Rand des Untergangs geführt hat. Es wird immer offensichtlicher, daß die SPD sich erneut in einer tiefen Krise befindet, in einer Krise, die schon traditionell ist, weil sie stets die "dynamischen Kräfte" beschwor, und stets in enger Verflechtung mit ihnen bis auf den heutigen Tag an ihnen hing. Die herrschenden Eliten hüten sich deshalb tunlichts davor, Licht in diese Zusammenhänge zu bringen. Sie schätzen die Grauzone, brauchen sich keine Rechenschaft darüber abzulegen, warum sie im rauschhaften Aktionismus des mechanischen Vergnügens, der verrückten Macht, den Betrug und das Spiel mit der politischen Propagande in die wohlkalkulierten Versprechungen einmünden lassen, und warum sie diesen Weg hartnäckig weiter gehen. Auf diese Weise liegt das Fundament der berühmten Marktwirtschaft völlig bloß. Als seriös und für ganze Bevölkerungen als verantwortlich angesehen, ist sie schon lange nicht mehr der Gang ins Paradies. Sie liegt vollständig mit hohem Dschungelfieber danieder, wie im Drogenrausch, und wird vollständig beherrscht von subtilen Machenschaften, von Manipulationen, eigener Geschäftemacherei, die zu gigantischen, schnellen, plötzlichen Gewinnen führen.

Die "reine" Menschenfreundlichkeit der Sozialdemokraten ist in Wirklichkeit an keinerlei Bedingungen geknüpft. Sie kam aus dem Nebel, stand im Nebel, und wird wieder im Nebel versinken, wenn das System, das sich auf Macht gründet, die Besetzung der strategisch  wichtigsten Punkte, die Verteilung der Posten, die Verbindungen zu anderen Machtkalkülen verlangt.

Hier stoßen wir auch auf die "wahren" Gefühle, die mit der Sozialdemokratie schwanger gehen: Man begreift schnell, wie man, wenn man einmal keinen ökonomischen Wert mehr besitzt, vom Ausgegrenzten schnell zum Ausgestoßenen wird. Das Gefälle ist schwindelerregend: Zunächst wird man aus dem Gleichgewicht gebracht, dann gedemütigt, und schließlich steht man in der Gefahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren; alles gerät ins Wanken, jeder Ausweg verschließt sich und rückt in weite Ferne. Da mag man den "schlechten Führungsstil" in der SPD geißeln (LAFONTAINE zu seinem Rücktritt, 14. 03. 99, ZDF aktuell), die  "Last" der Entscheidungen andern aufbürden wollen, aber bekannt ist, daß die Quelle dann versiegt, wenn kein Wasser mehr sprudelt!

Das Ganze wirkt in der Zwischenzeit immer unechter. Es ist auf grausame Weise absurd und von solch haarsträubender selbstgefälliger Haltung, daß sie in der sogenannten zivilisierten Gesellschaft nur noch lächerlich wirkt. Auf diese Weise erleben wir die wahren Meisterwerke der SPD, die uns glaubhaft versichert, daß ihre Politik, die in Wahrheit eine des sozialen Chaos ist, diejenige sei, die zukunftsträchtig ist.

Gefangen im Staat der Moderne, ihm auf Gedeih und Verderb ausgliefert, werden ihre Strategien immer unverbindlicher. Man weiß, daß ihre Formeln längst abgedroschen sind; aber man will nicht aufhören zu lügen, man will nicht aus dem Traum erwachen, der zu einem Alptraum geworden ist, der nichts mit dem bisherigen Schlummer zu tun hat; man muß eben der brutalen Gefahr ins Auge sehen: Dem Schrecken dieser planetarischen Situation, der fast lautlos in den Gang der Geschichte und in unsere Lebensverhältnisse eingeführt worden ist.

Ein Halseisen umschließt uns wie eine zweite Haut: Wir leben in geschichtlich bedeutenden Zeiten. Diese liefern uns mehr Gefahren aus, als wir z. Zt. überblicken können. Durch die vor kurzem stattgefunde NATO-Osterweiterung (Ungarn, Tschechien und Polen) sind die Spannungen gestiegen, "Europa und das Bündnis" - und Deutschland in der Mitten - werden ihre Konzeptionen mittel- und längerfristig an "neuen strategischen Konzepten" festschreiben und über militärische Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes reflektieren. Deutschland wird sich in seinem Europa-Modell klar auf die Verpflichtungen, die es eingeht, berufen, wenn die US-Regierung die unnachgiebige Haltung einfordert. So können die amerikanischen Verpflichtungen nur dann eingehalten werden, "wenn sich Europa auch an militärischen Einsätzen der USA außerhalb Europas beteiligt" (Süddeutsche Zeitung, 13./14. März 1999). Und wenn diese Eroberungen schon allseits gebilligt werden, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die SCHRÖDER-Regierung diesen Dingen freien Lauf läßt.

Welchen Raum mag da das menschliche Leben noch in diesen Szenarien spielen?

Die Eingriffe, die Plünderungen, die Eroberungen - wie weit gehen sie, wie weit drohen sie zu gehen? So lange schon sind wir selbst eindeutigen Vorboten dieser Entwicklung gegenüber blind! Die dritte technologische Revolution (wie etwa Automatisierung), deren Aufkommen sich schon seit langem abzeichnete und die seinerzeit noch voller Verheißungen steckte, wurde erst zur Kenntnis genommen, als man sich ihrer bereits zu bedienen begann, und sie einfach übernahm. Alles war hier bereits in Ansätzen sichtbar: Der Untergang der Arbeit, Modernisierung und Globalisierung, die Macht der Technologie, der Ban- ken, der Großunternehmen, die Metamorphosen, die damit verbunden waren, wie auch eine völlig andere Verteilung der Energie, die in den Elendsstaaten noch mehr an Elend als bisher, hervorrief, und andere Definitionen von Raum und Zeit, von Körper und Intelligenz. Auch die Überhöhung, Verherrlichung und Vergöttlichung der Arbeit entsprang daraus, und nicht nur aus der materiellen Not, die mit ihrer Abwesenheit einhergeht.

Immer noch ist sie in unseren Augen die einzige Lebensform, die unserem Planeten angemessen ist, obschon sie zu Grabe getragen wird. Und wir sind sogar bereit, zu akzeptieren, daß den Bevölkerungen die- se Existenzform geraubt wird, und man uns aus ihr verstößt. Wir haben Freude daran, diesem Untergang zuzusehen. Unablässig erhält die SPD die Hoffnung, daß die Arbeitslosigkeit vor- übergeht; aber sie ist ein Dauerzustand und wird nie mehr eine akzeptable Situation erreichen; die Arbeitsplätze werden weniger und weniger. Offensichtlich macht sich auch niemand ernsthafte Gedanken darüber, daß hohe Arbeitslosigkeit mit tiefen gesellschaftlichen Einbrüchen verbunden sind, mit Eroberungen, mit Dauerdepressionen, mit Zerstörung und Krieg. Das ist letztlich die eigentliche Zäsur, die herzustellen ist! Welch ein Traum von einem Leben!! Welch ein Schicksal, dabei eine Ziffer in den Statistiken zu sein und sich mit den unzähligen Komplikationen, Schikanen und Kränkungen herumschlagen zu müssen! So bleibt uns zuletzt nur der Konsum, durch den wir noch einen Nutzen für die Gesellschaft haben. Wir sind gerade noch gut genug für die Rolle des Verbrauchers, ohne den es kein "Wachstum" gibt, keine Globalisierung, keinen modernen Staat, kein etabliertes System, keine SPD und keine CDU!! Angesichts dieser Verhältnisse ist es doch sehr seltsam, daß die Bedrohungsfaktoren auf diesem Planeten uns gar nicht mehr tangieren, und wir sie brav über uns ergehen lassen.

Das verspricht weitere Schreckensbilder, die es möglich machen,   den Eroberungen tatenlos zuzusehen. Es ist wie ein Schock, der an die Kraftlosigkeit der Völker erinnert, gegen die Kriege aufzustehen, es ist wie eine geistige Schädigung, die daran erinnert, alles Schlechte aufzubewahren, die tragischen Fehler zu wiederholen, die Versäumnisse, die Schicksale, die Resignationen, die unfaßbaren Analysen, die enttäuschenden Entdeckungen, die Destruktion des Denkens, die raubtierhafte Wirtschaft, der "Genius" der Sozialdemokratie oder der Konservativen. Wenn die geschichtlichen Stufen nur in der Eroberung münden, Völker zu kolonisieren, sie in die globale Abhängigkeit zu treiben, deren Zivilisationen aufzuheben, sie zu besiegen, ihre Denk,- Glaubens,- und Wissenschaftsstrukturen aus dem Ganzen herauszubrechen, und uns selbst zu Deppen machen, dann hat sich Geschichte als lebendiges Element von uns schon längst verabschiedet. Offenbar sind wir gute Krieger und treiben die Völker in die qualvollen Phasen der Zeitalter; wir zwingen sie dazu, ihre eigene Gegenwart aufzu- bewahren und einer unterjochten beizuwohnen.

Erinnert uns das nicht an etwas?

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