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Gruppe Ratio Rausch Revolution Hamburg und Junge Linke Hannover

Was Fakt ist, bestimmt die Theorie

Einige Überlegungen zur sogenannten "Ökonomie der Endlösung", vorgetragen auf der Antinationalen Konferenz der Jungen Linken vom 4. Oktober 1998

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 Beginnen möchte ich mit der Frage, ob die im Titel dieser Diskussion angelegte Gegenüberstellung die ist, auf die die Kontroverse hinauslaufen wird. Lassen wir das "bevölkerungspolitisch" und das "national" weg - da steckt ja allemal kein Widerspruch drin - so heißt es "Kalkül" kontra "Wahn", und das klingt schon wie eine jener Debatten, in denen jede gegen jeden endlos Recht behalten kann. Bei Handlungen von Menschen den kalkulierenden Anteil und den wahnhaften auseinanderzudividieren, gerade in einem alltagsverständlichen Sinne von nachvollziehbar oder unnachvollziehbar, ist ein ziemlich frustrierendes Unterfangen. Nehmen wir nur verschiedene Praktiken, die für die Naziherrschaft, um zum Gegenstand zu kommen, kennzeichnend sind, und wir können sie problemlos immer wieder einem der Pole rational - irrational neu zuschlagen. Beispielsweise der Terror in den KZ's: Maßnahmen wie die willkürliche Auswahl von zu Folternden oder zu Tötenden, aber auch Regeln wie die Androhung der Todesstrafe für die, die nicht rasiert sind, aber auch für die, in deren Besitz ein Rasiermesser gefunden wird, bleiben für Opfer wie auch für uns Außenstehende, die die Berichte vernehmen, absolut unnachvollziehbar: Welchen Sinn macht das?; oder auch: Was für Chancen habe ich, mich so weit es geht zu schützen. Aus der Perspektive der Täter bekommen alle diese Maßnahmen wiederum einen funktionalen Sinn (ob er ihnen bewußt war, ist dabei noch eine zweite Frage): Gerade ihre Irrationalität erleichtert das Geschäft des Mordens ungemein - es demoralisiert die prospektiven Opfer, und sie schicken sich mangels Perspektive in das Schicksals eines Toten auf Abruf, dessen tatsächliche Tötung bloß noch zur formalen Bestätigung wird, die auszuführen die Henker auch psychologisch nicht mehr arg ankommt. Haben wir allerdings festgestellt, das das Ensemble irrationaler Quälereien den Zweck verfolgt, eine ganze Gruppe von Menschen zu entsubjektivierten, lebenden Leichen zu stempeln, wissen wir zwar, daß es zu diesem Zwecke tatsächlich getaugt hat, aber immer noch nicht recht, was an diesem Ergebnis nun wiederum zweckmäßig, rational sein soll - womit wir allerdings, um keinen Deut weiter, wieder bei der Ausgangsfrage wären.

Mit der auf den ersten Blick eleganten Unterscheidung zwischen rationalem Mitteleinsatz (im eben skizzierten Sinne der Zweckgemäßheit) und irrationalem Zweck kommt man im übrigen auch so weit nicht. Dazu muß man gar nicht, wie Götz Aly und Susanne Heim oder auch die marxistisch-leninistische Geschichtsforschung, die Irrationalität des Zwecks, verglichen mit anderen kapitalistischen Praktiken, in Frage stellen. Es reicht schon die Überlegung, daß , schon beim einfachen Paranoiker die gnadenlose Konsequenz, mit der er seinen bestimmten Zweck mit dem je adäquatesten Mittel verfolgt, eben jenen Zweck als wahnhaften erst von den harmlosen Spleens, die eine jede so pflegt, unterscheidbar macht. Gerade das totale instrumentelle Sich-Gefügig-Machen der Wirklichkeit zum Rassewahn dichtet diesen als Wahn ab - und führt im übrigen dazu, daß auch immanent die Dichotomie rational - irrational keinesfalls sauber aufgelöst wird, sondern beide Kategorien immer wieder ineinander übergehen. Nehmen wir die Kommentierung der Nürnberger Rassegesetze, ein Meisterstück des, Zitat Hitler, "wissenschaftlichen Antisemitismus": Wer Jude ist, ist eindeutig, kein Gefühl kann mehr entscheiden, allerdings mit zum Teil höchst obskurantistischen Folgen, nimmt man die Nazi-Vererbungslehre für bare Münze. So waren die Enkel einer Frau, die in ihrer Jugend zum Judentum konvertierte, auch dann zumindest Vierteljuden, selbst wenn diese Frau noch vor Heirat und Geburt ihrer Kinder zum Christentum zurückfand. Entsprechend barsch waren die Anweisungen, hier "keinen Widerspruch" zuzulassen. So kehrt die Willkür, die doch durch das Gesetz verdrängt werden sollte, wieder, als kennzeichnend für das ganze Projekt.

Aber kann es nicht auch - wenn auch verwerflichen - Sinn machen, eine bestimmte Personengruppe, wie willkürlich auch immer zusammengestellt, zur Vernichtung freizugeben? So fragen, durchaus notwendigerweise, alle, die geschichtlich, gesellschaftswissenschaftlich oder wie auch immer, den Nationalsozialismus auf den Begriff zu bringen trachten. Der bevölkerungspolitische Ansatz, für den neben den Namen Aly und Heim auch die Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte und wohl auch die alte 'Autonomie - Neue Folge' stehen, auch, und das ist, entgegen vieler Behauptungen, nun sicherlich nicht das genuine oder auch problematische.

Problematisch ist vielmehr die Behauptung, das Gegeneinander von rational und irrational aufgelöst zu haben. Die Judenvernichtung entstamme nicht dem völkischen Rassewahn der Nazis, denn dieser wäre, so heißt es, aus sich heraus nur zu Diskriminierung und Pogromen fähig gewesen. Auschwitz hingegen sei nur der Bestandteil einer weit größer angelegten Tötungsaktion gewesen, die von einem Stab junger, nüchtern kalkulierender und jedem Radauantisemitsimus abholder Bevölkerungswissenschaftler und -strategen ersonnen worden wäre. Ziel dieser Aktion sei es gewesen, unmittelbare und mittelbar anstehende sozialpolitische Probleme möglichst effektiv zu lösen: Um die Ernährung im Reich sicherzustellen, sollten einige -zig Millionen Sowjets sterben; um die Ökonomie Ost- und Südosteuropas auf einen zeitgemäßen und den deutschen nützlichen Standard zu heben, sollte einerseits der kostenfressende Klein- und Mittelhandel, andererseits die weitgehend auf Subsistenz basierende vormoderne Landwirtschaft zerschlagen werden, wodurch aber große Teile der Bevölkerung außer Lohn bzw. Brot gesetzt worden wären. Auch hier sollten entweder, basierend auf den Berechnungen der Planer, die überflüssigen Esser entweder direkt vernichtet oder deren zu erwartende Landflucht prophylaktisch durch Ermordung städtischer Bevölkerung ermöglicht werden. Um schließlich die ökonomischen Probleme, die sich in der Verwaltung der Ghettos dadurch ergaben, daß diese sich aus dem Verkauf der Arbeitskraft ihrer BewohnerInnen nicht zu erhalten vermochten, effektiv anzugehen, gaben auch hier die "Vordenker der Vernichtung" den entscheidenden Anstoß zur Liquidierung. Untermauert werden diese Thesen durch eine Vielzahl von Dokumenten - Expertisen, Beschlußvorlagen etc. -, die es den ProtagonistInnen erlaubten, von einer "Ökonomie der Endlösung" zu sprechen, den ewigen Streit zwischen Kalkül und Wahn also auch im Zwecke selbst zugunsten ersterem aufzulösen.

Dem ist damals, als solche Debatten noch in größerem Maßstab Interesse erweckten, einiges entgegengehalten worden, und allzusehr möchte ich hier auch gar nicht in die historischen Details gehen. Gerade diese sind für das Problem der Rationalität der Vernichtung, so denke ich, nicht besonders relevant. Daß es nicht erledigt ist, mag man schon daran ablesen, daß auch die AutorInnen Aly / Heim immer wieder konzedieren müssen, daß die sozialpolitischen Problem der Ghettos und seiner Sachzwänge hergestellte sind, dessen Lösungen also, alles andere als bloß nüchtern, Binnenstrategien in einem eminent, im Sinne der AutorInnen, ideologischen Gesamtzusammenhang sind, und, wenn man weiterdenkt, so verschieden von der pragmatischen Entscheidung, von den Erschießungen zu den Vergasungen überzugehen, nicht sind - und letzteres wird schließlich auch niemand für das an sich Erklärungsbedürftige am Nationalssozialismus halten. Daß es auch nicht zu erledigen sein wird, jedenfalls nicht so, ist vielmehr schon mit der einfachen Überlegung Jan Philipp Reemtsmas ausgemacht, ob es wirklich weniger mythisch ist, statt in Kategorien des Tausendjährigen Reiches und der Erlösung der arischen Rasse in Kategorien des Großraums und des Bevölkerungsüberhanges zu denken. Um das zu klären, hätte es in der damaligen Debatte, wie sie in der 'konkret' in den Jahren '91 / '92 geführt wurde, zumindest einige Reflexionen über Ökonomie geben müssen, zumindest über den Begriff des ökonomischen Erfolges; die aber unterblieben auf beiden Seiten. Den linksliberalen Kontrahenten um Dan Diner & co. war überhaupt jeder Zusammenhang von Ökonomie und Auschwitz ein Greuel; daß aber bei Aly / Heim hier selbst die historische Fährtensuche aufhört, überrascht. Denn wer tausende von Quellen auswertet, um zu belegen, daß die Vernichtung einem ökonomischen Plan enstpringt, sollte zumindest, so wäre es zu erwarten, überprüfen, in welchem Verhältnis die Tötung zum anvisierten Ziel dann praktisch auch stand: Ob die nüchtern kalkulierende Elite beispielsweise auch überprüft hat, ob ihre Vorhersagen eintrafen; ob im Generalgouvernement, auf das jene Planer besondere Energie legten, tatsächlich (und nicht bloß auf dem Reißbrett) wirtschaftlich sich noch anderes tat als die bekannte wahllose Ausplünderung des Landes durch Frank und seine Camarilla; ob es Anzeichen gab, daß die Vernichtungsmaschinerie wirklich zum Stillstand gekommen wäre, wenn die Mordvorgaben der Planungsbehörden erfüllt worden wären. Aly / Heim aber glauben einfach den Vordenkern der Vernichtung, daß sie wußten, was sie taten; ein für Positivisten wie Marxisten ungewöhnliches Vorgehen.

Überraschend also, wenn Leute, die, wie Aly / Heim es taten, ihre Kontrahenten wütend attackieren, sie nähmen Fakten nicht zur Kenntnis und wollten Geschichtsschreibung ohne Empirie betreiben, über ihren Dreh- und Angelpunkt, den ökonomischen Zweck, weder einen Gedanken entwickeln noch eine Quelle präsentieren, um sich abzusichern. Das aber, so meine These, liegt nicht an deren Schludrigkeit, sondern, und deshalb mögen ihre Fehler exemplarisch sein, an der Sache. Was ein Fakt ist, entscheidet die Theorie, und gerade am Nationalsozialismus wird offensichtlich, daß der Frage nach seiner Rationalität empirisch nicht beizukommen ist. Um noch einmal die Kategorie des ökonomischen Erfolges aufzugreifen: Ob dieser eintritt oder nicht, scheint relativ handfest zu sein, ist aber alles andere als das. Will man die Tatsache, daß geraubte Kunstwerke von Millionenwert in Görings Keller verstaubten, als Erfolg verbuchen, oder eher, daß alle Volksgenossen irgendeiner Arbeit nachgehen konnten - oder vielleicht doch den Aufbau einer langfristig reproduktionsfähigen Nationalökonomie zum Erfolgskriterium machen, von dem die Nazis mit ihrer Taktik, sich in fremden Ländern zu verschulden, um sie dann zu überfallen, recht weit noch entfernt waren? Wer hier mit den Fakten argumentiert, landet nolens volens doch irgendwann bei der Theorie.

Theoretisch bestimmt, könnte der Begriff des ökonomischen Erfolges nun durchaus eine Grundlage abgeben, auf der über die Rationalität des Nationalsozialismus zu richten wäre. Ökonomie ist die Form, in der in der bürgerlichen Gesellschaft der Stoffwechsel mit der Natur organisiert wird. Zwar ist diese Form eine falsche und jedes ökonomische Handeln praktische Ideologie; jedoch bewahrt sie mit der Notwendigkeit, den Stoffwechsel mit der Natur zu vollziehen, die Grundlage jeder Objektivität. Statthalter der objektiven Vernunft im ökonomischen Prozeß ist, so unvernünftig das auch wieder sein mag, die Pleite - sie verhindert die totale Abkoppelung der Produktion von Willen und natürlichem Bedürfnis ihrer Mitglieder, in dessen Verlauf bloß objektiv nutzloser Schrott hergestellt würde. Gerade dieser Statthalter ist im Faschismus getilgt.

Um dies zu veranschaulichen, sei ein letztes Mal ein Gedanke von Aly / Heim zitiert. In 'Vordenker der Vernichtung' heißt es, daß der Kapitaleinsatz bei jüdischen Zwangsarbeiter sich ob ihr Unproduktivität nicht amortisiert hätte, deren Vernichtung zur indirekten Amortisierung des Kapitals beigetragen hätte. Was 'indirekte Amortisierung des Kapitals' ist, weiß ich nicht; aber auch der Ausgangspunkt des Gedankens ist nicht zu halten. Anwender von Zwangsarbeit ist der Staat, und der akkumuliert per definitionem kein Kapital. Seine Verwendung des zwangsweise angeeigneten gesellschaftlichen Mehrprodukts muß sich nicht ökonomisch, sondern politisch ausweisen, weil er außerhalb jeder Konkurrenz steht; und gerade deswegen kann es sich, allem neoliberalen Gerede zum Trotz, auch nicht ökonomisch ausweisen, weil Begriffe wie gesellschaftlich durschschnittlich notwendige Arbeitszeit, Mehrwert. Profit hier keine Anwendung finden können. Insofern mochte es dem NS-Staat zu teuer erschienen sein, jüdische Zwangsarbeit anzuwenden, aber diese Beurteilung nach angeblich ökonomischen Kriterien blieb seine willkürliche Entscheidung, nicht wie für den Kapitalisten ehernes Gesetz.

Nun läßt sich aber die gesamte deutsche Gesellschaft der Zeit als System verschieden organisierter Zwangsarbeit begreifen, zumindest aber als treuhänderische Verwaltung der Arbeit durch den Staat, die er in verschiedenen Fällen an - wiederum hochgradig monopolisierte und damit konkurrenzlose - Privatunternehmen delegierte; man denke nur an das System von Kündigungs- und Entlassungsverboten, Arbeitsdienst wie Arbeitsfront und IG-Farben-KZ-Außenstellen. Unter diesen Bedingungen ist die Konkurrenz sistiert und damit auch der Garant der Vernunft in der Ökonomie. Mehr noch: Die Bestimmbarkeit des Nationalsozialismus als kapitalistische Produktionsweise selbst ist in Frage gestellt. Die Kritik der politischen Ökonomie ist eben wesentlich eine Kritik, die angewiesen ist auf die Differenz von Erscheinung und Wesen, die Darlegung, es gehe in bürgerlichen Gesellschaften um den verrückten Zweck der Verwertung des Werts, ist eben nicht bloß die Wahrheit, sondern die Wahrheit in Form des Einwandes gegen das Bestehende, der Polemik. Was bleibt von ihr, wenn der Staat sie nicht bloß affirmativ verkündet, sondern die Gesetze der Produktion, die doch in der Kritik, in Spekulation auf das Wesen der Gesellschaft gewonnen werden, in freier Willkür positiv setzt und exekutiert? Nicht nur die Bedingung der Möglichkeit, sondern auch der Gegenstand der Kritik verändert sich dann qualitativ. So ist der NS-Staat nämlich gezwungen, eben weil er die Konkurrenz sistiert hat, aus eigener, terroristischer Macht dafür zu sorgen, daß die naturwüchsigen Folgen des Wertgesetzes jetzt geplant eintreten - er muß die kleineren und mittleren Betriebe wegrationalisieren, weil kein Markt dafür sorgt, er setzt die Individuen offen als disponible Variablen der politökonomischen Anwendung, zu der kein stummer, bewußtloser Zwang der Verhältnisse, der über diese Feststellung bewußt einseh- und kritisierbar würde, sie mehr stempelt. Und wer nicht verwertbar ist, verhungert nicht, denn Verwertbarkeit selbst wird staatlich gesetzt und in der Vernichtung oder im Weiterlebenlassen exekutiert.

Das macht, so denke ich, die Motivation aus, gerade beim Nationalsozialismus immer wieder auf 'Fakten' zu beharren: daß nämlich die Analytikerin vom Gegenstand sowieso immer schon in den Stand der Positivistin gesetzt wird, die bloß noch nacherzählen kann, was sowieso als Praxis offen vor aller Augen liegt. Und genau deswegen kommt man mit Fakten so herzlich wenig weit. Denn, so kann man wissen, wenn der nationalsozialistische Staat aus eigener souveräner Willkür die barbarischsten Konsequenzen des Kapitalismus zieht und Praxis werden läßt, so heißt es auch, daß er es nicht hätte machen müssen, daß keine Not, keine mangelnden Produktivkräfte oder ähnliches die Gesellschaft dazu zwang, ihren Stoffwechsel mit der Natur in jener Form zu organisieren. Der Nationalsozialismus war, so Pohrt, die erste verwirklichte Freiheit der Menschheit, in der kein Gran Naturnotwendigkeit mehr auftaucht. Genau diese Freiheit, der freie Entschluß, die Individuen als jene disponiblen, potentiell überflüssigen Anhängsel der Produktion zu behandeln, der Entschluß also, sich aus freien Stücken jeder Freiheit zu entäußern, um sich den Gesetzen der zweiten Natur, des Kapitals, zu unterwerfen, hebt eben dieses auf seiner eigenen Grundlage auf. Im Triumph der Gesetze des Kapitals, in dem dessen Begriff und die Sache mit sich identisch werden, zerfallen beide: Ökonomie und Terror, Ausbeutung und Vernichtung lassen sich begrifflich nicht mehr unterscheiden. Die total verwirklichte Verwertung des Wert um seiner selbst willen geht als zum Zweck gesetze totale Zwecklosigkeit in Vernichtung um ihrer selbst willen über, ebenso grenzenlos wie die Verwertung selbst, weil zwischen Verwertung und Vernichtung bloß die Willkür steht und die Launen der Machthaber, die keine nachvollziehbare Grenze mehr kennen können.

Um zum Ende zu kommen: Genau deswegen ist die These von der Rationalität der Vernichtung nicht zu halten - nicht weil Ökonomie und Endlösung nichts, sondern weil sie allzuviel miteinander gemein haben. Als Kritikerin der Gesellschaft ist man darauf angewiesen, daß zum Gegenstand der Kritik, am geschichtlichen Ereignis ein Rest von Vernunft ist, der es erlaubt, es als Vorbedingung einer vernünftigen Gesellschaft zu begreifen. Am Nationalsozialismus ist nichts davon. In der Tilgung des Naturzwangs, der Objektivität in Form der Pleite verbürgt, ist Freiheit verwirklicht, bloß um sich naturgleich in einen Ameisenhaufen mit Zyklon-B-Reservoir zu verwandeln. Daran muß jede Geschichtsphilosophie, die die Emanzipation des Menschen als geschichtliches Ziel setzt, um hier und jetzt trotz aller Unvernunft vernünftig denken zu können, zuschanden gehen. Die Deutschen haben Geschichte geschrieben in der Weigerung, genau das zu tun. Und dazu paßt, daß es von ihrer Seite nie den Versuch gab, Auschwitz als geschichtliche Tat zu setzen. Der fehlende Führerbefehl, die Rede von 'Deportationen' und 'Arbeitseinsätzen' für die Vernichtungstransporte, das "nie zu schreibende Ruhmesblatt der Geschichte", von dem Himmler sprach - die Weigerung also, Auschwitz zu symbolisieren, dokumentierte auch die Weigerung, auch bloß den Anhängern die Vernichtung als begrifflich gefaßte Sache nachvollziehbar und zustimmungsfähig zu machen. Die Zustimmung zu Auschwitz beinhaltete integral die Ablehnung jeder klassischen Tradition von Vernunft (und damit auch, am Rande sei's bemerkt, jedes Konzepts von Zurechenbarkeit und Verantwortung). Vielleicht ist so die angemessenste Analyse der deutschen Vernichtungspraxis wirklich die von Freud, die er nach seiner Ausweisung aus Wien an Arnold Zweig schrieb: "Alles, was man über die 'boches' sagt, ist wahr." Jedes vernüntigere Verstehen steht unter Ideologieverdacht.

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