Editorial
Das revolutionäre Subjekt

von Benjamin Blümchen
04/02
 
trend
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Wer nach dem revolutionären Subjekt fragt, geht von der Annahme aus, unsere Gesellschaft sei eine aus Klassen bestehende, worin die eine Klasse die andere ausbeutet und unterdrückt. MarxistInnen bevorzugen bei der Analyse solcher gesellschaftlichen Verhältnisse, die Ausbeutung der Unterdrückung als Ursache voranzustellen. AnarchistInnen dagegen sehen es eher umgekehrt. Doch egal - beiden Strömungen ist gemein, dass sie sich die Aufhebung dieser Verhältnisse als geschichtliche Tat eines geschichtlichen Subjekts denken. Dieses Subjekt konstituiert sich aufgrund seines Interesses, das von seinen negativen Erfahrungen geprägt ist, wie sie in den gesellschaftlichen Unterdrückungszusammenhängen entstehen.

Da dieses kollektive Interesse nur aus der Summe vieler Einzelinteressen hervorwachsen kann, beginnen hier die eigentlichen Schwierigkeiten, wenn es darum geht zu bestimmen, worin die andere bzw. höhere Qualität eines als kollektiv definierten historischen Interesses gegenüber einem Einzel- oder Gruppeninteresse besteht. Politisch relevant wird diese Frage dann, wenn die Revolution als Bewertungsmaßstab für die höhere Qualität eingeführt wird.

Die AnarchistInnen machten es sich dabei relativ einfach, indem sie den Willen des Einzelnen, summiert mit dem anderer, zum revolutionären Interesse deklarierten. Das Prädikat revolutionär wurde dann vergeben, wenn deren politische Forderungen dem anarchistischen Grundwertekatalog entsprachen, der unter Absehung der ökonomischen Zwänge auf Herrschaftsbrechung/abschaffung abgestellt war.

MarxistInnen hatten es dagegen ein wenig schwerer. Für sie war die Lösung der ökonomische Frage, nämlich die Aufhebung der kapitalistisch-warenproduzierenden Gesellschaft vorgängig. Doch wie wurden aus ökonomischen Forderungen einzelner bzw. in Gruppen zusammengeschlossener Fraktionen von Ausgebeuteten revolutionäre Forderungen des historischen Subjekts? Hier entstand Interpretationsbedarf. Diese Aufgabe übernahm seit der II. Internationale ein Team, welches die jeweilige Arbeiterpartei in Gestalt eines ZK´s oder Zentralbüros oder PV´s führte. Solche Spitzenteams wurden gemeinhin von weisen Lehrern & Führern wie Stalin, Walter Ulbricht, Enver Hoxha oder Kim Il Sung geleitet.

Der Zusammenbruch des realexistierenden Sozialismus war nicht nur ein Beweis für die Unreife der Verhältnisse, unter denen vergeblich versucht wurde, eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu errichten, sondern er beförderte auch einen immensen Vertrauensverlust in all die politischen Konzepte und Strategien, die sich mit Bezug auf diesen Sozialismus definiert hatten.

Gleichsam mit jenem Niedergang verbunden war des Verlust des revolutionären Subjekts, nicht als Denkfigur, wohl aber als empirisch-wahrnehmbare Größe. Kurzum: eine brauchbare Revolutionssoziologie musste neu formuliert werden.

Doch auf diesem Gebiet herrscht seitdem eher Dunkeltuten, als das verwertbare Ergebnisse anstünden. Ganz aktuell definiert sich "revolutionär" an der Frage, ob man(n) mit dem Berliner Innensenator darüber redet, dass er keine Polizei einsetzt, wenn man(n) am 1. Mai bei seiner Behörde eine "revolutionäre 1.Mai-Demo" angemeldet hat. (Siehe dazu den Artikel: Auf Eurer Revolution will ich nicht tanzen).

Andere wiederum halten sich deshalb für Revolutionäre, weil sie den US-Imperialismus bei seiner Kriegspolitik unterstützen. (Siehe dazu die Veröffentlichungen in der Rubrik Antideutsches und Anti-Antideutsches). Eine umfassendere Aufzählung solcher abwegigen Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen, erscheint aber wenig erquicklich.

Bei den letzten Nachtgesprächen erlebten wir, dass es erfreulicherweise noch Gruppen wie zum Beispiel die Gruppe B.O.N.E. gibt, die für sich akzeptiert hat, auf die Frage nach dem revolutionären Subjekt keine Antwort zu haben und sich statt dessen nicht in hohlen Wortradikalismus und umtriebigen Voluntarismus verflüchtigt. Ganz im Gegenteil. Sie sieht in der Beantwortung dieser Frage ein zentrales Kettenglied bei der Entwicklung einer zeitgenössischen Revolutionssoziologie und ist an diesbezüglichen theoretischen Bemühungen interessiert.

Vom 14.-16. Juni 2002 werden in Berlin, die 1. Linken Buchtage im Kreuzberger Mehringhof stattfinden. Rund um die Messestände - zeitlich verteilt - soll es ergänzende, begleitende Veranstaltungen geben. Wir wünschen uns eine zur Frage des revolutionären Subjekts. Wer will dort mit uns streiten? Die Gruppe B.O.N.E.? Oder....oder... Wer?