Wertkritische Kommunisten Leipzig:
Das Spiel geht weiter oder
Die Krise verschont niemanden

04/03
 
 
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Liebe FreundInnen und Bekannte aus wertkritischen Zusammenhängen,
Liebe GenossInnen, Liebe Ehemalige,

Vermutlich ist es Robert Kurz sehr gut gelungen, die einschlägigen wertkritischen Grüppchen durcheinanderzuwirbeln. Auch wir fühlten uns angesprochen oder besser: angebrüllt. Obwohl in seiner Vorstellung wohl nur "Irrläufer ... die gerne mal 'Krisis' lesen", können wir dennoch die Schnauze nicht halten und behelligen euch mit folgendem Text. Wir nehmen uns das Recht dazu aus der Tatsache, dass uns "Das Spiel ist aus" für die Etablierung einer wertkritischen Gegenposition zur antideutschen verdammt geschadet hätte, wenn wir nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen hätten. Wir sahen uns also gezwungen, auf unserer Veranstaltung am 01.04. im Leipziger Conne Island ("Der Wert, das Kapital, die Krise") eine Distanzierung zu verlesen, die im Anschluss an diese Mail wiedergegeben wird.
Damit wird für Robert Kurz sowieso schon wieder alles klar sein: Das Conne Island ist als antideutscher Schuppen, der Conne-Island-newsflyer "cee ieh" als Kinder-Bahamas verschrien (fragt die Webmaster der Krisis-Seite!); wir machen dort eine Veranstaltung, also sind wir damit ein einziges Querfront-Projekt, um der Antikriegsposition der "Krisis" zu schaden. In diesen Verfolgungswahn einzubrechen, dürfte schwer werden. Wir wollen es dennoch versuchen.
Wie ihr seht, nehmen wir uns verdammt wichtig: Nix bisher geleistet, als lediglich eine Veranstaltung organisiert - und schon machen wir uns mausig. Aus folgenden Gründen:

Uns ist die "Krisis" zu wichtig, als dass wir uns mit einem Niveau der Auseinandersetzung anfreunden könnten, das dem normalen Indymedia-Antisemiten Argumente für sein Antideutschen-Bashing liefert.
Wir glauben, dass im ganzen paranoiden Getöse über Ausgrenzen, Boykottieren, Kaputtmachen die inhaltliche Kritik am Bellizismus der Antideutschen untergeht.

Nach wie vor können wir nicht einsehen, weshalb alle Verbindungen  zu Leuten zu kappen seien (Robert Kurz geht es ja nicht um das Ende irgendeines Kuschelkurses, sondern um den Abbruch aller Gespräche) für die erklärtermaßen die Kritik der Politischen Ökonomie Dreh- und Angelpunkt jeder Gesellschaftsanalyse ist und denen die unbedingte Solidarität mit dem Staat Israel genau so am Herzen liegt, wie uns. 

 So werden wir also weiter mit Antideutschen reden, streiten und socializing pflegen (Übersetzung für Robert Kurz: mit Hardcore-Bellizisten und Kriegshetzern Händchen halten). Die Vorherrschaft der Antideutschen in unserer Stadt hat dazu geführt, dass hier nicht wie überall seit dem 11.09. die Palästina-Soligruppen aus dem Boden schießen konnten, dass hier in der linken Szene die auch von Robert Kurz angemahnte "unbedingte Solidarität" mit Israel nicht in Frage gestellt wurde, dass hier Linksradikale keine Verschwörungstheorien über den 11.09. pflegen, sondern sich mit Antisemitismus auseinandersetzen. Und darüber sind wir -bei aller Kritik am antideutschen Kriegskurs- froh. Aus Krisis- und Streifzüge-Ecke kommt bezüglich Kritik des linken Antisemitismus seit dem 11.09. ja überhaupt wenig und wenn, dann immer nur widerwillig im Kontext des Abbürstens der angeblich längst von allen als obsolet erkannten Anti-Imps. "Daß (die radikale Linke) die konsequente Kritik von völkisch-antisemitischen Tendenzen ohne und gegen diese Paranoia-Politiker in die Hand nimmt" ("Das Spiel ist aus") ist billiger Wunsch - dass sie es nicht gemacht hat, sondern im Angesicht von Israelfahnen immer noch kollabiert, hat Gründe, über die man sich Gedanken machen sollte. Sollte in dieser Aufforderung allerdings der Anspruch an sich selbst formuliert sein, in Zukunft diese Kritik in Angriff zu nehmen (im "Neuen Deutschland", in der "jungen Welt"?), würde uns das sehr freuen.

Der folgende Text ist nicht freundlich; er antwortet auf Roberts publizistischen Schlag in die Magengrube und achtet ebensowenig auf ritterliche Verhaltensregeln - wie in diesem, so wird auch in jenem nicht die feinziselierte Argumentation gepflegt. Unnötig zu betonen, dass wir "Das Spiel ist aus" nicht eigenständig vervielfältigen und weiterverbreiten. 

Wir haben die eindeutige Botschaft verstanden und wir werden in Zukunft (hier völlig einsichtig) nie wieder abwiegeln und beschwichtigen in der Hoffnung, dass Nürnberg sich wieder beruhigen möge - auch wenn wir den Verdacht haben, dass die Begeisterung für die Friedensbewegung sich wohl kompletter Unkenntnis der realen Demonstrationen verdankt. (Vielleicht geht man in Nürnberg einfach mal auf die Straße und liest sich ein paar Transparente durch!)  

Nicht zuletzt wollen mit unserer Wortmeldung Klarheit schaffen über unsere Position und Klarheit erlangen darüber, ob, und wenn ja in welchem Umfang, die veröffentlichte Kurzsche Position von allen Redaktionsmitgliedern der beiden unterzeichnenden Redaktionen geteilt wird.

Was allerdings nie eintreten wird: Dass wir "aus Gründen der Parteiräson" ("Konkret im Krieg") ein Statement verteidigen, das von Analyse gänzlich unbeleckt ist und das neben sozialromantischen Projektionen lediglich Polemik enthält, die nicht treffen kann, weil sie nicht mehr zielt, sondern auf alles draufhaut, was nach "antideutsch" auch nur riecht.- Das wäre Bahamas-Style, nicht unserer. So viel Punkrock muss sein. 

Wertkritische Kommunisten Leipzig, 04.04.03

Das Spiel geht weiter oder  
Die Krise verschont niemanden
 

Es gibt Situationen, in denen es zukunftsträchtiger ist, lieber einsam zu werden als mit den Schafen zu blöken und mit den Fröschen zu quaken. (Robert Kurz: "Das Spiel ist aus") 

Wenn er wüsste, wie recht er hat. Worum geht es? Robert Kurz, prominentes Redaktionsmitglied der Zeitschrift "Krisis" sieht rot. Unter dem label "Krisis", dem der bekannten wertkritischen Zeitschrift, das auch unserer Gruppe zur Identifikation dienen sollte, weil wir deren Analyse, insbesondere die Diagnose der jetzt akuten finalen Krise des Kapitals teilen, unter diesem label also wird sein Entwurf eines Pamphlets gegen antideutsche Kriegshetzer bei "Indymedia" versehentlich veröffentlicht. Nur Stunden später gibt es auf der Krisis-Webseite eine leicht gemilderte Version (ohne Boykottaufruf gegen alle linken Zeitungen) unter dem Titel "Das Spiel ist aus" zu lesen, die aber keineswegs den Einsturz des im Entwurf errichteten bizarren Wahngebäudes bedeutet.

Äußerer Anlass ist die Vorbereitung des Münchner Kongresses "Spiel ohne Grenzen", an dem auch bahamasnahe Referenten teilnehmen werden. Robert Kurz macht klar: Er kenne keine Parteien mehr - nur noch Antideutsche. Die Zeitschriften Incipito, Phase 2 und konkret, zahlreiche Antifagruppen, die PDS Bayern, der Kriegsgegner Hermann L. Gremliza, die Gruppe Demontage, der Computerblödian Boris Gröndahl und die schwer gestörte PoMo-Tante Katja Diefenbach sind für ihn lediglich publizistische Handlanger der antideutschen, sagen wir besser: anti-islamischen, Zeitschrift "Bahamas". "Linke Kriegsgegnerschaft" sei bereits zum "braven Haustier" der Kriegshetzer domestiziert; Antideutsche "und ihr Nachwuchs" hätten es "mit einer Doppelstrategie von skrupelloser denunziatorischer Hetze einerseits und einer stalinistischen 'Bündnispolitik' zwecks Mobilisierung von nützlichen Idioten andererseits" geschafft, "die radikale Linke in der BRD zu ihrer Schafherde zu machen". Kurz diagnostiziert den Antideutschen einmal "klinischen Verfolgungswahn", dann wieder kühl kalkulierenden Macchiavellismus und schließlich pure Dummheit der Analyse an den Hals, letzteres mit der Begründung, dass man in der Einschätzung der gegenwärtigen Situation sich nicht von den immergleichen Bildern der Anti-Hitler-Koalition frei machen könne. Ja, was denn nun? Einen eiskalt kalkulierenden, dummen Verfolgungswahnsinnigen können wir uns nicht vorstellen. Vielmehr ist für uns der Fall klar: Wer wie die Antideutschen, weil er überhaupt keine Vorstellung vom synthetisierenden Prinzip dieser Gesellschaft hat, keine Krisendiagnose haben kann, muss annehmen, dieser Kapitalismus ginge in eine leuchtende Zukunft, wenn da nicht die antisemitische Internationale wäre, die wieder und wieder die negative Aufhebung des Kapitalverhältnisses versucht. Zum synthetisierenden Prinzip später mehr in den Hauptreferaten.

Es wirkt wie direkt aus wildcat-Verlautbarungen abgeschrieben, wenn von Kurz wieder und wieder die unverbrauchten Bewegungen, die sicherlich am Anfang noch eine verkürzte Kapitalismuskritik hätten, gehypt werden. Statt kritisch an ihnen anzuknüpfen, würden die "transnationalen Bewegungen" von den antideutschen Miesmachern kaputtgeredet, deshalb seien diese jetzt endgültig auszugrenzen und zu boykottieren. Jeder, der diese Ausgrenzung nicht aktiv betreibt, wird so zum Feind, weil mindestens so schlimm wie das Zentralorgan selbst. Und auch wir wären für ihn vermutlich bereits eine Vorfeld-Organisation der "Bahamas", mindestens "nützliche Idioten" oder "Softcore-Bellizisten", die sich fix ein bisschen Krisentheorie angelesen haben um den Frontverlauf zugunsten der Antideutschen zu verschieben, wenn wir uns etwas früher an die linke Szeneöffentlichkeit gewagt hätten. So bleibt es bei der Betitelung als "Irrläufer ... die gerne mal 'Krisis' lesen" ("Konkret im Krieg"). Die "Bahamas" selbst wird Kurz in der unautorisierten Erstfassung zum "Stürmer-Hetzblatt", wobei wir uns fragen, wie Robert Kurz weiter in einer Zeitung schreiben kann, die ein verständnisinniges Ganz-Seiten-Interview mit dem Antisemiten Martin Walser bringt, im "Neuen Deutschland" nämlich. 

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wir empfinden den Bellizismus der Antideutschen als schwer erträglich, wir beziehen eine eindeutige Antikriegsposition, wir lehnen es ab, Demokratie und sog. "westliche Werte" mit Bombergeschwadern den Kaschmauken, die angeblich noch "archaischen Verhältnissen" (Tomorrow-Flugblatt ... ein paar Sätze weiter schreiben sie, dass "überall auf der Welt kapitalistische Zustände herrschen") verhaftet seien, einzubläuen. Auch uns machen die Massen der blöden Nachplapperer von "Sherry statt Scharia" Angst, die den Geldbollo-Spruch "Eure Armut kotzt uns an" mit kommunistisch-ideologiekritischer Phraseologie einkleiden und ihn denkfaulen Post-Popantifas, die eben in ihrer dreizehnten Sinnkrise angekommen sind, als neuesten Schrei der Gesellschaftskritik andrehen wollen. Das Leipziger Transparent mit der Bahamas-Losung "Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder!" ist blöde und zwar nicht wegen irgendwelcher strategischer Überlegungen oder polemischer Überspitztheiten, die angeblich unzulässig seien, sondern wegen der schlichten Tatsache, dass sich Saddam Hussein und seine Bande hinter vermutlich meterdicken Mauern und George W. Bush, Donald Rumsfeld und Condoleezza Rice hinter der US-Militärmaschine verschanzen. Hinter den traurigen Tröpfen aus Leipziger Kulturbürgertum und moralisch schwer aufgeregten Schülern verschanzt sich im Moment niemand. 

Allerdings sollen ebenso keine Missverständnisse über folgendes aufkommen: 

1. Wenn wir die Wahl zwischen Deutschland und Amerika hätten, wählten wir Amerika. Das wäre nämlich nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera, sondern die zwischen Pocken und Grippe. - Haben wir aber nicht. In der globalen Endkrise des Kapitals ziehen sich alle ideologischen Gegensätze wieder auf einen Punkt zusammen. Doch an dem entsteht nicht ein entspanntes Gemeinwesen mit Kaugummi, Coke und sozialem Netz, sondern ein totalitäres mit paranoiden Protestanten, Arbeitszwang und Karl Moik als erstem Cowboy, im Musikantenstadl mit texanischen Farmern schunkelnd. 

2. Wer, wie Robert Kurz, sich als Opfer einer antideutschen Verschwörung halluziniert, hat nichts begriffen. Wer alle sich links nennenden Zeitschriften (ausgenommen das antizionistische Hetzblatt für den ungepflegten Nationalbolschewisten, die "junge Welt" nämlich) als Vorfeldorgane antideutscher Kriegshetzerei und deren Debatten als Scheingefechte entlarven zu müssen glaubt, dem hat die Krise des kritischen Denkens eine breite Schneise in die Analyse geschlagen. Das bedauern wir zutiefst. Doch mehr als Mitleid mit denjenigen, die so abdriften, bleibt uns nicht. - Wir können die "zur Schafherde degradierten radikalen Linken, die sich von den antideutschen Claqueuren des imperialen Massenmords überall hintreiben" lassen, nirgendwo entdecken. Vielmehr macht die Linke das, was sie immer gemacht hat - Bewegung. Sie malt fleißig Transpis gegen Israel, propagiert die proletarische Weltrevolution, sitzt gegen Atomkraft auf Schienen rum oder berechnet die angebrachte Höhe der Tobin-Steuer. Die Antideutschen haben vor einiger Zeit mit viel publizistischem Rabatz dafür gesorgt, dass einigen Linken heute manchmal der Verdacht kommt, dass Israel nicht unbedingt von Haus aus ein faschistischer Staat sein müsse. Wenn Robert Kurz das mit "überall hintreiben" meint, können wir darüber nicht mitstöhnen. 

3. Wer kritische Distanz zur antisemitisch durchtränkten Friedensbewegung hält, muss kein Softcore-Bellizist und auch kein Vor- oder Nachbeter der Gemeinde um Yussuf Wertmullah sein, sondern ist u. U. ein wertkritischer Kriegsgegner, der nun mal nicht Bewegung um jeden Preis will. - Warum schreibt jemand, der ein Ende der Debatte mit allen Bellizisten fordert, eigentlich einen Text  mit dem Titel "Unter aller Kritik", in dem er sich mit eben diesen Bellizisten auseinandersetzt? Was ist dieser Text anderes, als ein Debattenbeitrag? 

4. Wir halten Schülerdemos gegen den Krieg nicht für eine unverbrauchte Bewegung, an deren Potenzialen anzusetzen sei. Wer angesichts der wütenden antisemitischen Reaktionen bei der vergangenen Demonstration "Gegen Krieg, Antiamerikanismus und 'deutsche Wege'"  (und wir glauben nicht, dass in Nürnberg die Demos anders aussehen) noch eine "offene" Entwicklungsrichtung der Bewegung sieht, an dem geht die Realität vorbei, der macht deutlich, dass sich bei ihm nach Jahrzehnten des Kampfes gegen niedrigreflektierte Anpacker mit manifester Theoriefeindlichkeit der Bewegungsfetischismus wieder durchsetzt. 

5. Der Unterschied zwischen dem "Steine werfende(n) 12-jährige(n) Palästinenserkind" ("Das imperiale Elendssubjekt") und dem "SS-Mann an der Rampe von Auschwitz" ist ähnlich groß wie der zwischen diesem und einem Antideutschen. 

6. Antideutsche machen meistens Blödsinn. Was soll man auch sonst machen, ohne vernünftige Realanalyse der krisenhaften kapitalistischen Gesellschaft?! Wenn Antideutsche deutschen Friedenswilligen eine Israelfahne entgegen halten, machen sie mal was Richtiges. 

7. Unbedingte Solidarität mit Israel heisst weder unbedingte Solidarität mit Sharons Likud, noch unbedingte Solidarität mit der israelischen Linken. Diese ist, im Gegensatz zum Likud, sehr heterogen. Wie auf der ganzen Welt, gilt auch in Israel, dass das label "links" keineswegs schon eine emanzipatorische Richtung anzeigt. Wer wie Robert Kurz auch nach fünf Texten mit immer der gleichen Bemerkung immer noch nicht angeben kann, wen er denn außer dem durchgedrehten Uri Avnery und der Möllemann-Unterstützerin Felicia Langer zur von Antideutschen beschimpften israelischen Friedensbewegung rechnet, wer nicht eine Stelle benennt, an der Antideutsche die israelische säkulare Opposition "heruntergemacht" hätten (Moshe Zuckermann wird gerade vom Bahamas-Vorfeldorgan "konkret" verlegt), dem geht es nicht um die Kritik an deren manchmal äffisch-identitärer Israelbegeisterung, sondern um eine alberne Retourkutsche mittels Autoritätsbeweis. 

8. Weder hat Robert Kurz Tel Aviv bombardieren lassen, noch ist die "Bahamas" eine "Killer-Intelligentsia". Der eine schreibt in einer Zeitschrift, die anderen schreiben in einer Zeitschrift. Todesurteile dürfen beide nicht unterschreiben, für die Organisation von Söldnercamps sind beide nicht verantwortlich, beiden ist die Lizenz zum Töten versagt geblieben. 

9. Es ist Robert Kurz nicht zu dumm, mit Zahlenverhältnissen zu argumentieren, also damit, dass die Antideutschen so wenige, die anderen so viele sind, die sich von den Wenigen gängeln ließen, was doch eigentlich nicht sein könne. Ein merkwürdiger Zungenschlag bei jemandem, der das Wertprinzip, dem ja bekanntlich nur die Quantität Argument ist, überwinden will.  

10. Robert Kurz spricht von "Zwangslesern" antideutscher Postillen. Wir können uns das nicht so recht vorstellen. Macht Tjark Kunstreich Kontrollbesuche, ob die "Bahamas" auch überall ausliegt? Müssen die Infoläden dieses Landes Zusammenfassungen der letzten "Bahamas"-Ausgabe zur Benotung nach Berlin schicken, damit die Bahamas-Redaktion diese dann dem Mossad übergeben kann? Unseres Wissens nicht. 

Wie ihr seht, haben wir, ehe es uns als Gruppe überhaupt gibt, schon ein gewaltiges Problem. Wir zögern und zaudern und kommen mit den eigenen Leuten überkreuz. D. h. wir sind für potenzielle MitmacherInnen nicht halb so attraktiv wie die Antideutschen. Die machen ein klares Sinnangebot, sprechen mit einer Stimme und außerdem haben sie zwei Fahnen mehr als wir.  

Doch - hier sitzen wir nun und können nicht anders. Wir möchten uns keinem Theoretiker anschließen, den die Krisenwirklichkeit derart brachial überrollt, dass er sich ins Bewegungshopping der 70er Jahre zurückhalluziniert. Robert Kurz, der die wertkritische Debatte gegen jeden arbeiterbewegungsmarxistischen Praxisfetischismus und jede pseudo-ideologiekritische Verflachung vorangetrieben hat, verdient ernstgenommen zu werden. Bevormundungen und Abschwächungen unsererseits wären eine Beleidigung. Das heisst für uns: Wir verweigern ihm, der Gruppe "Krisis" und der Redaktion "Streifzüge" die angemahnte Polarisierung. Wenn er einen "Schluß der 'Debatte' mit sämtlichen Hardcore- und Softcore-Bellizisten" fordert, werden wir diese Forderung missachten. Franz Schandl, Krisis-Autor und Streifzüge-Redakteur ist ja auch keineswegs pingelig, wenn es um das Mitmischen bei -nun sagen wir mal- der Emanzipation nicht gerade nahestehenden Zeitungen wie der "jungen Welt" geht; wer wie er an die  Bedürfnisse moralisch komplett verkommener Diskutanten anknüpft und sich von ihnen als "geschätzter jW-Autor" titulieren lässt, hat nicht das Recht, eine Brandschrift zu unterstützen, in der bspw. die "Phase 2" zur Kinder-Bahamas wird.  

Uns ist klar, dass sämtliche antideutschen Gruppen dieses Landes angesichts des unsäglichen Artikels von Robert Kurz aufjaulen werden. Die Reaktionen werden reichen von "Wir haben es ja schon immer gewusst" bis hin zu "Jetzt marginalisieren sich die Apokalyptiker völlig". Begierig werden sie sich an seinem rabiaten Ton aufgeilen, der es so einfach macht, die schlagenden Argumente gegen den Irak-Krieg zu übergehen. Die mitlaufenden Heißsporne ihrerseits werden gegenüber jeder emanzipatorischen Kriegsgegnerschaft vermutlich die dumm-coole Ignoranz von Bahamas-Autoren wählen und Robert Kurz wieder und wieder als Antisemiten "enttarnen", sie werden sich -wenn sie da nicht schon sind- in die Pose dessen begeben, der weiß, dass der Weltlauf schrecklich ist und es gerade deswegen sein muss - das Bombenwerfen, schade, schade, aber nicht zu ändern. Der hinterletzte Dorfantifa (bspw. aus der Antifajugend Dorsten) scheint ja heute "begriffen" zu haben, was der dumme Robert Kurz, der immer wieder mit seinem alten Marx daherkommt und seine antisemitischen Freunde von der Antiglobalisierungsbewegung nicht begreifen wollen: dass dieser Krieg die Bedingung der Möglichkeit für kritisches Denken schafft. Warum eben diese mitlaufenden Deppen in den Zentren diese Möglichkeit, die ihrer Meinung nach ja hier gegeben ist, nicht nutzen, bleibt ihr kleines, süßes Geheimnis. Wem "Kritik der Politischen Ökonomie" bedeutet, sich besessen ausschließlich in die Wertformanalyse zu vertiefen und sie immer und immer wieder zu memorieren nur weil Papa Bruhn sein Lebtag auch nichts anderes gemacht hat und wer die vornehmste Aufgabe der Kritik heute darin sieht, jede, aber auch jede Aktion der letzten kapitalistischen Weltmacht, nämlich der USA, abzusegnen, wenn auch mit ungeheuren Bauchschmerzen (die "Grünen" nannten das beim Afghanistan-Krieg ja bekanntlich "innere Zerrissenheit"), der ist, so meinen wir, in einer denkbar schlechten Position, sich das Maul zu zerfetzen. Denn er hätte genügend mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu tun, also bspw. damit, wie es kommen konnte, dass eine anfangs schwer korrekte, gegen das deutsche Unwesen gerichtete Bewegung herunterkommen konnte auf das Niveau von einander im Koranstudium übertrumpfenden anti-islamischen Sekten, die wieder und wieder für die Absegnung westlicher Schönheiten wie Fanta, Misswahlen und Jeansläden die Kritische Theorie von Horkheimer und Adorno missbrauchen.

So werden wir weder über das Stöckchen der Friedensbewegung, noch über das der Antideutschen springen. D. h.: Weder treiben uns die regressiven Friedensmassen in die Position der Bellizisten, noch die Antideutschen zur Montagsdemo mit ATTAC. 

Statt dessen werden wir weiter herumlavieren. Wenn das verbitterten Altlinken, egal aus welchem Stall sie nun kommen, nicht passt, dann haben die ein Problem, nicht wir. Ob der Wertmüller nun tobt, weil die AKG hin- und wieder mal einen Krisistext liest oder ob Robert Kurz über seine ungezogenen Kinder schäumt, weil die von Zeit zu Zeit mit Antideutschen Bier trinken - was liegt daran?

Wenn es Robert Kurz und seiner "Krisis" in der Gesellschaft arbeitsgeiler SPD´ler und bunt bemalter Glitzer-Teenies, die sich ihr letztes bisschen Verstand gegen den "Cowboy Bush" aus dem Leib brüllen, besser gefällt - bitte schön, ihre Entscheidung. Uns ist das peinlich.

Für ihre in immer schnellerer Folge in die linke Öffentlichkeit geworfenen Abrechnungen werden sie sich jetzt wohl nach anderen Adressaten umsehen wollen, als uns. Wir können es ihnen nicht verdenken. Bei der kritischen Solidarität mit ATTAC, Bund gegen Anpassung, PDS, Jusos und MLPD würden wir ja wirklich nur stören.  

Wir haben allerdings den kaum zu beschwichtigenden Verdacht, dass es schon sehr bald gelten könnte, die starke, treffende Wert- und Krisentheorie der Gruppe "Krisis", die wir euch nun vorstellen wollen, vor ihren eigenen Protagonisten in Sicherheit zu bringen.  

In diesem Sinne:  Gegen Krieg und deutschen Frieden! 

Wertkritische Kommunisten, 31.03.03

 

Editorische Anmerkungen

Red. trend warb in der letzten Ausgabe für den Kongress "Spiel ohne Grenzen" (SPOG), der von  Robert Kurz und den Redaktionen von Krisis und Streifzüge als "Schlesiertreffen der reaktionären Linken" kritisiert wird.

Gegen diese Polemik trat sofort Holger Schatz auf. Anlässlich dessen baten wir im editorial dieser Ausgabe  um weitere Stellungnahmen.

Norbert Trenkle, die Wertkritischen Kommunisten Leipzig und Joachim Bruhn schickten uns ihre Artikel "postwendend".