Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

„Der Monarch wird nervös“
Steht das politische „Modell Sarkozy“ vor dem drohenden Zusammenbruch?

04/10

trend
onlinezeitung

Es ist etwas faul; aber dieses Mal nicht im Staate Dänemark. Am Hofe des republikanischen Monarchen - wie Kritiker die Position des französischen Staatspräsidenten, die unter der Fünften Republik seit 1958 quasi-monarchische Züge trägt, oft bezeichneten - herrscht die „Atmosphäre eines <fin de règne>“. So wurde unter den Königen früherer Jahrhunderte die Endphase einer Regierungszeit, wenn das gekrönte Staatsoberhaupt schon nicht mehr richtig zurechnungsfähig war und man auf seinen Nachfolger wartete, bezeichnete. Die Wortwahl traf am Wochenende des 10./11. April der sozialdemokratische Politiker Pierre Moscovici. Aber ähnlich wie er dürften viele an ein ,fin de règne’ denken.

Den Eindruck, dass Sarkozy in ernsthaften politischen Schwierigkeiten steckt, wird in breitesten Kreisen geteilt. Nicht nur, dass der Anteil positiver Sympathiewerte für die Amtsführung des Präsidenten erstmals unter die 30-Prozent-Marke gerutscht ist, bei über zwei Dritteln negativen Meinungen. Und dass 65 Prozent der in Umfragen zu Wort kommenden Französinnen und Franzosen erklären, sie wünschten keine erneute Kandidatur Nicolas Sarkozys zur Präsidentschaftswahl 2012 – hingegen wünschen demnach 20 Prozent der Franzosen, und eine sehr knappe Mehrheit von 51 Prozent unter den Anhängern der Präsidentenpartei UMP, einen Wieder-Antritt Nicolas Sarkozys als Präsidentschaftskandidat. (Immerhin, immerhin: Bezogen auf seinen Amtsvorgänger Jacques Chirac wünschten dies im Herbst 2006, ungefähr sechs Monate vor der letzten Präsidentschaftswahl, nur noch genau ein Prozent der Befragten...)

Vom Eheproblem zur Staatsaffäre

Ein Anzeichen für die wachsende Nervosität Nicolas Sarkozy lieferte jüngst auch die groteske Affäre um die Gerüchte um die Eheprobleme bei Sarkozy und seiner dritten Gattin - Carla Sarkozy-Bruni -, die in der zweiten Aprilwoche ausbrach.

Ein Blog, der durch die Homepage der bürgerlichen Sonntagszeitung JDD beherbergt wird, hatte Mitte März 10 durchsickern lassen, dass die Sängerin Carla Sarkozy-Bruni - ein früheres Topmodel - fremd gehe. Eine Nachricht, die angesichts ihrer Biographie kaum jemanden wirklich überraschte. Überraschend war hingegen, dass höchst offiziell eine Riesenoperation des Inlandsgeheimdiensts DCRI angeordnet wurde, die dann auch noch publik gemacht wurde: Mittels eines Datenstaubsaugers, der mittels Schlüsselworte den e-Mail-Verkehr während einer bestimmten Periode durchsucht, hatte die DCRI dem Ursprung des Gerüchts nahe zu kommen versucht. Sarkozys Berater Pierre Charon begründete diese außergewöhnliche Maßnahme damit, dass „ein Komplott“ vorliege, dessen „Finanzierung“ mittels „Kapitalflüssen“ man nachspüren müsse: Es sei darum gegangen, die französische Staatsspitze „im Vorfeld der französischen G20-Präsidentschaft im Jahr 2011 zu destabilisieren“. Inzwischen wurde offiziell dementiert, dass eine internationale Verschwörung vermutet worden sei. Pierre Charon wurde abgestraft und darf nicht mehr an den Sitzungen von Nicolas Sarkozys engstem Beraterkreis teilnehmen, wie am Montag früh bekannt wurde.

Bei der Sonntagszeitung ‚JDD’ waren gleichzeitig zwei Journalisten aus ihrem Arbeitsverhältnis entlassen worden. Als mutmaliche Urheberin der Information gilt unterdessen Ex-Justizministerin Rachida Dati, die in ihrem Ministeramt peinlich scheiterte, jedoch noch als Bürgermeisterin des großbürgerlichen 7. Pariser Bezirks amtiert. Binnen 24 Stunden wurden ihr Leibwächter, Dienstwagen und -telephon entzogen. Das Absurdeste aber kam noch: Carla Sarkozy-Bruni dementierte zunächst, dass der Inlandsgeheimdienst zu der Affäre aktiv geworden sei: Nein, es habe keine solche Untersuchung gegeben. Prompt widersprach ihr die Spitze der, gewöhnlich höchst diskreten, DCRI (in Gestalt ihres Chefs Bernard Squarcini) öffentlich.

Sarkozy hoffnungslos „out“?

Die offensichtlich wachsende Nervosität im Präsidentenamt ist aber nur ein Symptom für die steigende politische Spannung. Auch innerhalb des bürgerlich-konservativen Lagers, dessen unbestrittener Star und hegemonialer Wortführer Nicolas Sarkozy vor den letzten Präsidentschaftswahlen 2007 gewesen war, gilt er in wachsenden Kreisen inzwischen nicht mehr als geeigneter Kandidat für die nächste Wahl. Der frühere Haushaltsminister Christian Lambert schlug Anfang April 10 vor, die bürgerlichen Spitzenpolitiker Alain Juppé, Dominique de Villepin, Jean-Pierre-Raffarin - also die drei früheren Premierminister von Sarkozys Amtsvorgänger Jacques Chirac - sowie Jean-François Copé, der bereits Ambitionen auf eine Kandidatur angemeldet hatte, sollten sich „zusammensetzen“. Und gemeinsam einen Bewerber bestimmen.

Jean-François Copé läuft sich bereits warm dafür. Seit Ende März dieses Jahres wiederholt er in periodischen Abständen, nun müsse doch endlich politischer Mut gefasst werden, um ein Totalverbot „der Burqa“ – der Ganzkörperverschleierung, die bei einer verschwindend kleinen Minderheit muslimischer Frauen in Frankreich praktiziert wird – endlich durchzusetzen. Ein absolut marginales Problem, das laut Angaben des französischen Innenministeriums vom Juni/Juli 2009 frankreichweit exakt 367 Frauen betroffen soll, aber aus ideologischen Motiven zum zentralen politischen Problem aufgebauscht wird. In dieser Hinsicht versucht Copé den Hardliner zu spielen, der sich auch über Einwände des ,Conseil d’Etat’ oder obersten Verwaltungsgerichts Frankreichs – das ein vom Anlass unabhängiges Totalverbot dieser Bekleidungsform als rechtswidrig betrachtet – einfach hinwegsetzt. Auf einem anderen Gebiet möchte Copé nun, unterdessen, seit kurzem den „Softie“ geben: In der zweiten Aprilwoche probierte er es mit der Homosexuellen-Ehe. Nachdem er bislang (wie alle Spitzenpolitiker des konservativen Regierungslagers) ihr ablehnend gegenübergestanden hatte, erklärte er vor acht Tagen nunmehr, in den Fragen der Homo-Ehe und des Adoptionsrechts für homosexuelle Paare herrsche inzwischen bei ihm „Unklarheit“. Ein solcher, unkonkret bleibender, Ausspruch kostet ihn zwar nichts. Aber offenkundig testet Copé die Spielräume aus, um sich notfalls auch schon mal als „moderner“ und „weltoffener“ im Vergleich etwa zu Sarkozy profilieren zu können...

Auch die Frage des Spitzensteuersatzes und des 2007 durch Sarkozy eingeführten Dämpfungsmechanismus, des ,bouclier fiscal’ („steuerlichen Schutzschilds“ gegen zu hohe Spitzensteuersätze), hat im konservativen Lager seit der Wahlniederlage bei den Regionalparlamentswahlen am 21. März 10 zu erheblichen Verwerfungen geführt. Spitzenpolitiker der Regierungs-Rechten wie Alain Juppé oder der Fraktionsvorsitzende der UMP im Senat, Gérard Longuet, verwerfen den Sarkozy’schen Schutzmechanismus für Gro- und Gröstverdiener in Gestalt des ,bouclier fiscal’ inzwischen. Zumal im Zusammenhang mit der bevorstehenden „Steuerreform“ in Bälde neue „Opfer“ von der Mehrzahl der Französinnen und Franzosen abverlangt würden – daran könnten die obersten Einkommensschicht nicht vorbeikommen. Bislang hält Sarkozy, gestützt auf seine engere Umgebung, jedoch eisern an dem Schutzmechanismus für Spitzenverdiener fest. (Der oben erwähnte Gérard Longuet – der, wie andere konservative Kader, die „Öffnungspolitik“ Sarkozys in Gestalt einer von ihm so bezeichneten „Umschulung“ für sozialdemokratische Ex-Prominente auf Regierungsposten ablehnt – hat sich freilich jüngst auch als ausgesprochener Hardliner erwiesen. Er wies die zeitweise an hoher Stelle erwogene Kandidatur des Sozialdemokraten Malek Boutih für den Vorsitz der Antidiskriminierungsbehörde HALDE schroff ab: Dieser gehöre nicht dem „traditionellen französischen Körper“, oder ,corps traditionnel français’, an. Den unverkennbar rassistischen Ausspruch quittierte Boutih inzwischen übrigens mit der öffentlichen Retourkutsche: „Gérard Longuet würde einen guten Parkplatzwächter abgeben. Er hat eine Fresse, die Furcht einflößt“, im Original: ,une gueule à faire peur’.)

Juppé versus Sarkozy: Der Mann von gestern gegen den Mann von heute (aber wohl nicht von morgen). Oder: Zwei Taktiken der Bourgeoisie...

Alain Juppé seinerseits unternahm am Wochenende des 10./11. April einen wichtigen Vorstoß: In der Sonntagsausgabe der Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ erschien ein ausführliches Interview mit ihm. Es stand unter der Überschrift: „Ich habe nie an <la rupture> (den Bruch) geglaubt“. Unter diesem Motto, also <la rupture>, hatte 2006/07 die Kandidatur Nicolas Sarkozys gestanden. Alain Juppé moniert an der Amtsführung des aktuellen Staatsoberhaupts, man dürfe „nicht zu viele Reformen auf einmal unternehmen“, denn ansonsten drohe man sich einer gar zu breiten „Koalition der Unzufriedenen“ gegenüber zu sehen. (Ansonsten kritisierte er auch, von einer sichtlich moderateren Position aus, die ideologische Regierungskampagne der letzten fünf Monate unter dem Slogan „Debatte zur nationalen Identität“. Alle bürgerlichen Kritiker, Konkurrenten oder Rivalen Nicolas Sarkozys, die ihn von einem „gemäigteren“ Standpunkt aus kritisieren, werfen ihm inzwischen diese Phase seiner Politik – die Rassisten und Chauvinisten ein offenes Forum bot, und zum Wieder-Aufstieg des rechtsextremen Front National (FN) beitrug – offen vor.)

Zurück zu Juppé und der „Dampfwalze“ der Sarkozy’schen Reformen, die Ex-Premierminister Alain Juppé zufolge zu viele Kritiker koalitiert. Der Mann muss es wissen: Sein (Alain Juppés) Versuch, im Winter 1995/96 als Premierminister eine regressive „Gesundheitsreform“ durchzusetzen und gleichzeitig die relativ günstigen Rentenregelungen der Eisenbahner und Pariser Bus- und Métrofahrer auszuhebeln, endete damals in einem fast totalen Desaster. Während der anderthalb Jahre, die seine Regierung daraufhin - bis zu ihrem vorzeitigen Rücktritt - noch andauerte, steckte das Kabinett Juppé in einer totalen Defensive. Es konnte kein Dossier mehr anfassen, ohne dass sich sofort eine breite Front sozialer Bewegungen gegen seine Vorhaben herausbildete. Neue soziale Bewegungen, etwa die erste breitere antifaschistische Bewegung jener Jahre (seit dem „Appell der 250“ vom Frühjahr 1990) oder die Unterstützungsbewegung für die ,sans papiers’ oder „illegalisierten“ Immigranten, nahmen in jener Phase von 1995 bis 1997 ihren Aufschwung.

Sarkozy glaubte, es ganz anders machen zu können: Im Gegensatz zu Chirac/Juppé, die sich 1995 mit progressiv klingenden sozialen Versprechen hatten wählen lassen, um im Anschluss daran dann eine gegenläufige Politik einzuschlagen, setzte Nicolas Sarkozy darauf, „den Leuten reinen Wein einzuschenken“. Denn die Wähler würden, so glaubte der Kandidat Sarkozy, honorieren, dass „ihnen jemand die Wahrheit sagt“. Tatsächlich gefiel Sarkozys Pose des rücksichtslosen Durchsetzens manchen Wählern, etwa Männern, die sich gern in einer ähnlichen Rolle gesehen hätten. Bei Amtsantritt Nicolas Sarkozys im Frühjahr 2007 schlugen die wirtschaftlichen Eliten einen Kurswechsel ein: Nachdem unter der Präsidentschaft Chiracs wirtschaftsliberale „Reformen“ eher vorsichtig angegangen worden waren, ging man nun gewissermaßen vom Stellungs- zum Angriffskrieg über.

Als potenzieller Präsidentschaftskandidat verfügt Alain Juppé, derzeit Bürgermeister von Bordeaux, jedoch noch über ein gewichtiges Handicap: Seine relative Unpopularität. Allein 4 bzw. 5 Prozent der befragten Franzosen respektive der UMP-Anhänger/innen wünschen seine Kandidatur für das Jahr 2012. Die bestplatzierten Politiker des Regierungslagers bleiben Nicolas Sarkozy (Zahlen s.o.) sowie sein Erzrivale, Ex-Premierminister Dominique de Villepin, dessen Kandidatur laut Angaben vom 17. April dieses Jahres bisher 13 Prozent der Befragten wünschen.

Vom Stellungs- zum Angriffskrieg der Bourgeoisie

Und dies nicht nur auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet: Auch stabile Institutionen wie Universitäten, Gerichtswesen und Krankenhäuser wurden attackiert, um sie rigiden Spar- und Rentabilitätsimperativen zu unterwerfen. Alle Universitäten müssen etwa innerhalb von fünf Jahren „finanziell autonom“ werden, sich also über Drittmittel aus der Privatwirtschaft finanzieren. Neben kollektiven sozialen Interessen brachte die Regierung damit zum Teil aber auch Standesinteressen konservativer Juristen oder Ärzte durch diesen Kurs gegen sich auf, etwa als um die einhundert Zivil- und Arbeitgerichte einfach gestrichen wurde, während die Strafjustiz erheblich ausgebaut wird. Die letzte besonders umstrittene „Reform“ waren die Pläne, den französischen Untersuchungsrichter abzuschaffen. Seine Aufgaben sollten durch die Staatsanwaltschaft übernommen werden. Der Unterschied: Die französischen Staatsanwälte sind an Weisungen aus dem Justizministerium - also der Regierung - gebunden, die Untersuchungsrichter statusmäßig unabhängig. Zahlreiche Verfahren etwa zu Korruptionsskandalen und Waffenlieferungen etwa nach Afrika wären in den letzten 15 Jahren sang- und klanglos „beerdigt“ worden, hätten nicht motivierte und unabhängige Untersuchungsrichter dem erheblichen Druck aus Regierung und Eliten widerstanden.

Diese „Reform“ brachte im Februar 10 mehrere Tausende von Anwälten und Richtern auf Protestdemonstrationen. Anfang April wurde sie nun zunächst „auf unbestimmte Zeit verschoben“: Die Regierung musste Ballast abwerfen. Doch daraufhin erklärte Justizministerin Michèle Aliot-Marie: Nichts da!, die Reform werde zügig (und ohne Rücksicht auf Verluste) umgesetzt. Doch zu Ende der zweiten Aprilwoche erklärte die ,Cour de cassation’, der oberste französische Gerichtshof in Straf- und Zivilsachen, die geplante „Reform“ sei seiner Auffassung nach illegal. Nun wird man sehen, wie die Regierung sich aus dem Schlamassel herauswinden wird.

Wie wird es weitergehen?

Derzeit zeichnen sich zwei wahrscheinliche Szenarien ab. Entweder - sofern die regierende Rechte ab 2012 an der Regierung bleibt - dürfte eine neue Führungsmannschaft versuchen, das „Erreichte“ an bereits erfolgten wirtschaftsliberalen Veränderungen zu konsolidieren, dabei aber einen moderateren Kurs einzuschlagen. Aber sollte die bürgerliche Rechte in die Opposition gehen, was derzeit durchaus wahrscheinlich erscheint, dann wird ein Flügel von ihr versuchen, einen Neuaufbau auf härteren Grundlagen zu unternehmen. Ein rechter Unternehmer erklärte etwa fünf Tage nach den jüngsten Regionalparlamentswahlen in ‚Le Monde’: „Nicolas Sarkozy war einfach nicht der richtige Mann“ für das „Großreinemachen“ gegen Einwanderer, Arme und historische Errungenschaften der Lohnabhängigen, das erforderlich sei. Nun sollten - fuhr er fort - im Jahr 2012 lieber „die Sozialisten den angeschlagenen Karren übernehmen“, und die in den Krisenjahren 2008 und 09 aufgelaufenen riesigen Staatsschulden erben. Nachdem sie einige Zeit lang die Suppe auslöffeln dürften, dann könne sich die Rechte darauf vorbereiten, nunmehr zum „Großreinemachen“ anzutreten. Ein Teil der Sozialisten (PS) hat die Falle bereits erkannt: Am Wochenende warnte der zur Parteilinken zählende PS-Sprecher Benoît Hamon, es dürfte 2012 nicht darum gehen, „ein französisches Pendant zum griechischen Premierminister Papandreou“ zu wählen, also einen Krisenverwalter, der die aufgelaufenen Krisenlasten auf die Bevölkerung abwälzt.

Auch die Frage eines eventuellen Bündnisses der Konservativen mit der extremen Rechten - ähnlich wie in Italien - dürfte in einer solchen Konstellation, sofern sie eintritt, neu aufgeworfen werden. An der Spitze des rechtsextremen Front National wird Jean-Marie Le Pen, seit dem 12. April steht es nun fest, im Januar 2011 definitiv abtreten. Seine Tochter Marine, die höchstwahrscheinlich die Parteiführung übernehmen dürfte, hat bereits durchblicken lassen, dass sie - ein wichtiges Symbol - eine Namensänderung für die „Nationale Front“ erwäge. Dadurch soll der Anspruch unterstrichen werden, mit dem klassischen Neofaschismus der Nachkriegsjahrzehnte angeblich nichts mehr zu tun zu haben. Gelingt es ihr, den beim FN noch störenden offenen Antisemitismus in Teilen der Partei zurückzudrängen oder jedenfalls besser zu kaschieren, um sich auf den - bei Konservativen besser akzeptierten - Rassismus gegen Einwanderer zu konzentrieren, könnte die Bündnisfrage wirklich neu diskutiert werden.

Geschwächte Hardliner-Regierung, doch schlappe Gewerkschaften: Schlappissimo!

Erklärungsbedürftig ist unterdessen, warum die Gewerkschaftsführungen, die angesichts der schweren Regierungskrise offene Türen für ihre groß angekündigten Protestaktionen gegen die sozialpolitischen Rückschritte vorfinden dürften, offenkundig auf eine Taktik des Hinhaltens und Abwarten setzen. Am Montagb, den 12. April begann die „Konzertierung“ zur bevorstehenden „Rentenreform“, dem letzten größeren sozialpolitischen Einschnitt, den die amtierende Regierung vor den Wahlen 2012 noch durchsetzen möchte. Ende Mai oder Anfang Juni 2010 will die Regierung ihre genauen Pläne. Sie werden voraussichtlich beinhalten, die Zahl der obligatorischen Beitragsjahre zur Rentenkasse auf mindestens 42,5 zu erhöhen - was eine erhebliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit oder aber, durch Ausfallzeiten, eine erhebliche Absenkung der Renten auf Armutsniveau bedeuten wird.

Am 23. März 1o hatten die französischen Gewerkschaftsverbände gemeinsam gegen dieses Vorhaben demonstriert und rund 600.000 Protestierende mobilisieren können. Üblicherweise hätten man einen solchen gewerkschaftlichen Protest als „erstes Warmlaufen“ betrachtet, dem rasch weitere Mobilisierungen folgen. Aber am 30. März beschlossen die Gewerkschaftsführungen, erst am 1. Mai wieder zu demonstrieren - im Rahmen der an diesem Tag ohnehin üblichen Aufmärsche. Kritiker/innen meinen sarkastisch, dass die Gewerkschaften an jenem Tag demonstrieren wollten, sei derart unerhört, dass Sarkozy ganz sicher im Elysée-Palast zittere wie Espenlaub.

Wahrscheinlich ist, dass einerseits der rechte Flügel der französischen Gewerkschaften rund um die sozialliberal geführte CFDT ohnehin fest daran glaubt, dass eine solche „Reform“ notwendig sei, weil die arbeitende Bevölkerung nun mal in ihrem Durchschnitt heute älter werde. Andererseits lehnt die etwas linkere CGT - der mitgliederstärkste gewerkschaftliche Dachverband in Frankreich - eine solche Akzeptanz der „Reform“ zwar in der Sache ab. Aber der Apparat der CGT, der früher eher als „kommunistisch“ galt, steht inzwischen zum Teil dem Parteiapparat der französischen Sozialdemokratie nahe. Letzterer hatte ihm wohl signalisiert, dass man es mit dem Protestieren nicht übertreiben solle - denn erst müsse sich die Sozialistische Partei noch für das Regieren ab 2012 „bereit machen“, Programme ausarbeiten und Kandidaten nominieren. Gleichzeitig möchte jedenfalls ein Teil der Sozialdemokratie sicherlich, dass die „Reform“ noch in dieser Legislaturperiode über die Bühne geht - um sie nicht selbst durchführen zu müssen, da man die Vorgaben des Kapitals ansonsten inhaltlich als „unvermeidlich“ betrachtet.

Allein auf betrieblicher Ebene, und besonders dort, wo massive Entlassungen - vordergründig durch „die Krise“ gerechtfertigt - drohen, finden derzeit massive Widerstände statt. In der ersten Aprilwoche drohten Lohnabhängige in zwei Fabriken, ihre Arbeitsstätten in die Luft zu sprengen, falls sie keine substanziellen Abfindungszahlungen im Falle ihrer Kündigung mitnehmen können: beim Automobilzulieferer Sodimatex in Crépy-le-Vallois, im nördlichen Pariser Umland, sowie in einer durch ihre Arbeiter besetzten Fabrik für Brustimplantate im südfranzösischen La-Seyne-sur-Mer. (Vgl. dazu „Zaster oder bumm!“, mal wieder - Lohnabhängige drohen in zwei französischen Fabriken mit Sprengung)

Editorische Anmerkungen

Wir  erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.