Volkszählung / Zensus 2011
NEIN DANKE


Politische Kommentare und Einschätzungen

04/11

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»Die Volkszählung ist praktisch längst im Gange«
Aber die Betroffenen wissen davon noch nichts. Gravierende Mißstände beim Datenschutz.
Ein Gespräch mit Werner Hülsmann
Interview: Ralf Wurzbacher

gespiegelt von Junge Welt Onlineausgabe vom 5.4.11

  • Werner Hülsmann ist Beiratsmitglied im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF) und Presseverantwortlicher beim Arbeitskreis »AK Zensus«, der gegen die bevorstehende Volkszählung protestiert

Am 9. Mai fällt der Startschuß für die erste gesamtdeutsche Volkszählung, bei der nicht nur die Zahl der Einwohner, sondern auch deren Lebensverhältnisse erfaßt werden sollen. Was wollen die Datensammler alles wissen?

Allein die Haushaltsstichprobe, die zehn Prozent der Privathaushalte betreffen soll, umfaßt 46 Fragen. Abgefragt werden neben dem Namen und Geburtsdatum beispielsweise die Religionszugehörigkeit, ein möglicher Migrationshintergrund und die berufliche Situation. Dazu kommt die Gebäude- und Wohnungszählung, in deren Rahmen Wohnungsbesitzer Auskünfte über ihre Mieter geben müssen.

Dinge, von denen Sie meinen, daß sie den Staat nichts angehen?

Für die vorgeblichen Zwecke der Erhebung braucht es keine detaillierten Erkundigungen im familiären, nachbarschaftlichen Umfeld oder zur Weltanschauung und zum Glaubensbekenntnis. Um den Länderfinanzausgleich gerechter zu gestalten, genügt es, korrekte Einwohnerzahlen zu haben. Außerdem heißt es, auf Grundlage der Daten ließen sich bessere politische Entscheidungen treffen. Das ist Unsinn: Die großen politischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre sind bestimmt nicht falschen Statistiken geschuldet, sondern der fehlerhaften Einschätzung oder der Mißachtung der öffentlichen Meinung – wie bei »Stuttgart21« oder dem Ausstieg aus dem Atomausstieg.

Gegen die Volkszählung 1987 regte sich massiver Protest. Warum ist das Thema heute kein richtiger Aufreger?

Wohl vor allem deshalb, weil viele davon noch gar nichts wissen. Die Informationskampagne des Statistischen Bundesamtes läuft erst seit Beginn dieser Woche, obwohl ein erster Registerauszug der Einwohnermeldeämter bereits am 1. November 2010 an die statistischen Landesämter übermittelt wurde. Das heißt, die Volkszählung ist praktisch längst im Gange, allerdings ohne Kenntnis der Betroffenen.

Hintergrund ist der, daß eine Reihe an Behörden beim Zensus mitmischt. Wie läuft das ab?

Die Einwohnermeldeämter müssen ihre Melderegister dreimal weiterreichen, ein letztes Mal am 9. August. Am 9. Mai überträgt auch die Bundesagentur für Arbeit ihre Daten, dazu kommen jene von diversen Bundesbehörden über die nicht bei der BA gemeldeten Beamten. Abgefragt werden auch sogenannte Sonderbereiche, angefangen bei Studentenwohnheimen über Gefängnisse bis hin zu Pflegeheimen und psychiatrischen Einrichtungen. Schließlich gibt es die Haushaltsbefragung der Wohnungseigentümer. Alle Daten werden schließlich zusammengeführt, um daraus eine Einwohnerzahl und eben auch ein Art von Bevölkerungsprofil zu gewinnen.

Wo bleibt bei all dem der Datenschutz?

Das ist einer unserer zentralen Kritikpunkte. Hier wandern Daten im verborgenen zwischen Ämtern und Behörden zweckentfremdet hin und her – und dabei werden gültige Sicherheitsstandards auch noch grob mißachtet. Die im »Arbeitskreis Zensus« zusammengeschlossenen Kritiker haben im Rahmen der Aktion »Frag die Befrager« bei den beteiligten Erhebungsstellen nachgehakt und gravierende Mißstände aufgedeckt. Viele Stellen wollten oder konnten unsere Fragen nicht beantworten, hielten uns monatelang hin oder verwiesen auf Informationsangebote der Statistik­ämter, die genausowenig Aufklärung bringen. Und jene Antworten, die wir erhielten, bereiten vielfach ernste Sorgen: In Sachsen können Volkszähler die ausgefüllten Fragebögen bis zu einer Woche in ihrer Wohnung aufbewahren. Keine der Stellen hat eine E-Mail-Anschrift, die auf einen abgeschotteten IT-Bereich hinweisen würde. Mancherorts ist nicht gesichert, daß nicht auch Mitarbeiter der Sozial-, Melde- und Ausländerämter als Befrager ausgesandt werden – was definitiv unzulässig wäre.

Was passiert, wenn man sich der Befragung verweigert?

Für diesen Fall wird mit Buß- und Zwangsgeldern gedroht. Dagegen kann man sich juristisch durch die Anstrengung eines Eilverfahrens zur Wehr zu setzen, allerdings mit ungewissem Ausgang. Alternativ kommen bestimmte Formen des zivilen Ungehorsams in Frage. Im Internet ist unter zensus11.de/mitmachen eine Reihe an Möglichkeiten aufgeführt.