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GELSENKIRCHEN, 28. 03. 1999

DER KRIEG IN DEN KÖPFEN
DAS UNDENKBARE WIRD WIRKLICHKEIT

von DIETMAR KESTEN

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Die Versuche der Politik, Einfluß auf die Medien zu nehmen, und umgekehrt, die Militärzensur, die mediale Vermittlung von Nachrichten über Kriege, die Wahrnehmungen dieser vermittelten Realität durch die Öffentlichkeit und deren Reaktionen auf diese Realität - all diese Vorgänge sind vielschichtige und schwer zu durchschauende Kommunikationsprozesse, bei denen Bilder, Urteile, Vergleiche, Gleichnisse und die abstrusesten Berichte entstehen, die sich die Individuen und Völker über den vermeintlichen Gegner machen.

Diese Prozesse - das endlose Spiel von Differenz und Nichtidentität - hat es in der Geschichte, in der Kriegsgeschichte, schon immer gegeben. Die Form der Berichterstattung hat sich im Laufe der Jahrhunderte allerdings geändert, und mit dem Aufkommen der Massenmedien im 20. Jahrhundert eine Dimension erreicht, die Außenstehende kaum nachvollziehen können, oder sie in typisch naiver Manier interpretieren.

Die Gründe für die eigentlichen Konfliktsituationen werden in  der Regel daher so gedeutet, so wie es die internationale Nachrichtenbeschaffung der telematischen Gesellschaft verlangt. Das ist das Fatale daran: Wir sind Gefangene unserer "eigenen" Informationen, die wir lesen, verarbeiten, weitergeben und darüber diskutieren; Gefangene der Schaltkreise der Geschichte. Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Kriege in den Köpfen der Menschen vorbereitet werden müssen, und die Bereitschaft von Völkern, Militäreinsätze, Kriege und große finanzielle Belastungen zu akzeptieren, muß kommunikativ auf höchster Stufe in Szene gesetzt werden; denn anders läßt sich die Moderne nicht mehr organisieren. Sie basiert medial u. a. auch darauf, daß sie sich zur systematischen Irreführung entschlossen hat, und gezielt nur die Nachrichten "streut", von denen sie meint, daß sie in weiten Kreisen der Bevölkerung auf Gegenliebe stoßen kann.

Spätestens seit dem Golf-Krieg ist diese Form der Berichterstattung  bekannt, und die öffentliche Kommunikation über internationale Krisen und deren Bewertung- wird mehr und mehr zu einem großangelegten und hervorragend funktionierenden Bluff. Informationen werden aus Krisengebieten in der Regel aus unüberprüften Quellen weitergegeben. Das mag sicherlich mit den Rahmenbedingungen zusammenhängen, die sich von Einsatzort zu Einsatzort beständig verändern, verschlechtern können, und sie vermutlich auch erst durch "Filterung" der Gegenseite(n) gehen müssen, bevor sie weitergeleitet werden. Das Drama im Kosovo ist hier Beispiel genug. Fakt dürfte sein, daß im Kosovo eine "ethnische Säuberung" sonders- gleichen stattfindet. Die offizielle jugoslawische Presseagentur negiert diese Berichte der Medien, der Journalisten etc. einfach, indem sie behauptet, daß diese Informationen von der "Terrororganisaton UCK" stam- men und verbreitet werden. Und der jugoslawische Botschafter in Bonn erklärte dem ZDF am 26. 03. 1999, daß das "nur ein Vorwand sei, um zum dritten Mal in die sem Jahrhundert einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien" zu starten.

Das geht soweit, daß sich die PDS bei Demonstrationen gegen die NATO in Berlin, vor den Karren der serbischen Nationalisten spannen läßt, und zu den Massakern an Kosovo-Albanern nur vage Andeutungen macht. Leider müssen, um diese gröbsten Menschenschlächtereien und Menschenrechtsverletzungen, die verfluchte Menschenkinder überhaupt begehen können, moralisch anzuprangern, ganze Maschinerien der Entrüstung in Gang gesetzt werden, um das Gewissen aufzurütteln, um unmenschliche Brutaliäten gesetzlich zu verfolgen, die Verantwort- lichen dingfest zu machen- und sie als Kriegserbrecher zu verurteilen.

Die Kunst der Nachrichtenagenturen besteht oft einfach darin, mit der "kommunikativen Intervention" DAS Bild von den Kriegsfronten zu zeichnen, um damit auch viele Unwahrheiten dem Publikum als sog. "alter- native Quelle" an die Hand zu geben. Der mediale Endzeitkrieg hat gerade einen Mann berühmt gemacht, der als Chefreporter von CNN praktisch DER Berichterstatter vom Golf-Krieg war. PETER ARNETT und hochrangige CNN-Mitarbeiter hatten vor dem eigentlichen Golfkrieg rechtzeitig "gute" Beziehungen zur iraklischen Regierung aufgebaut, um später ungehindert über das Kriegselend berichten zu können. ARNETT und seine Mitarbeiter blieben in den Tagen, in denen die Bomben fielen, eigentlich unbehelligt.

Irakis führten sie zu einem Krankenhaus, das von "Präzisionsbomben" getroffen wurde, zu einer zerstörten "irakischen Milchpulverfabrik", und seine Berichterstatter waren es auch, die die Greuelmärchen der "Brutkastenaffäre" weitergeben durften. Danach würden Mädchen in diesen "Käfigen" gequält. Dadurch sollte die "besondere Brutalität" der irakischen Armee herausgestellt werden - kunstvoll gestrickte PR-Kampagne. Die Einschaltquoten von Hörfunk und Fernsehen schnellten 1991 in die Höhe, und selbst die Printmedien konnten eine Auflagensteigerung nach der anderen verbuchen - frei nach dem Motto: "Gegen den Krieg und für den Frieden bin ich, weil, nur am Frieden gewinn ich!"

Am wirklichen Kriegselend hatten die Informationsmonopolisten von CNN kein Interesse. Es ging nur darum, Fernsehgeschichte zu schreiben. Der "schlachterprobte" PETER ARNETT als geläuterter PETER SCHOLL -LATOUR? Letzterer allgerdings hatte noch die Möglichkeit als Gefangener des Vietcong - 1973 - die Weltöffentlichkeit über das Drama des Indochinakrieges aufzurütteln. Jedenfalls war CNN die Nachrichtenquelle, über die alles ablief, und über die das Thema Krieg eine besondere Dimension bekam, der die Kassen füllte: Honorige Summen wurden von allen Fernsehanstalten  für Spots gezahlt, für Videos mit "Echtzeitopfern" - selten gesehene, sensationelle Bilder - gab es Vorbestellungen, und ARNETT soll einem Reporter auf die Frage, ob das denn alles an Originalschauplätzen stattgefunden habe, geantwortet haben: "Krieg sieht überall gleich aus!" CNN berichtete und zeigte das "wahre Gesicht des Krieges". Wahrheit - das ist die Folgerung - wird verkauft, so, wie eine Milchtüte verkauft wird, oder ein Kondom. Es verwundert nicht, daß daher auch der NATO-Einsatz in Jugoslawien über Wochen hinweg PR-mäßig auf einer hohen kommunikativen Stufe "vorbereitet" wurde.

Die Berichterstattung über einen Krieg wird quasi zu einem anthropologischen Ereignis, das von allen, die lesen und schreiben können, getragen werden soll. Erinnern wir uns an PLATONs Höhlengleichnis aus seinem Buch POLITEIA. PLATON schildert dort die Probleme um Wahrnehmung und Realität. Die Menschen leben nach ihm - als Gefangene - von Kindesbeinen an in einer seelischen, unterirdischen Höhle. Sie sind dazu gezwungen, - ihr ganzes Leben lang - den Kopf und den Körper regungslos zu halten. Was sie von der Außenwelt mitbekommen, ist einzig und allein die von der Sonne geworfenen Schatten der Dinge, die sich abbilden, an der Höhlenöffnung vorbeihuschen; die so entstehende Schattenwelt ist ihr Bezug zur Realität. Würde den Menschen eine Mög- lichkeit gegeben, diesen unterirdischen Käfig zu verlassen, würden sie "da draußen" die wahre Wirklichkeit sehen. In ähnlicher Weise funktioniert unsere Wahrnehmung über den Krieg. Wir haben ein sozialpsychologisches Bild von ihm; seine Gegenwart erscheint als dahingeworfener Schatten, und wir sind erst dann dazu in der Lage, all die wirklichen Schändlichkeiten, die anderen Menschen angetan wird, zu beurteilen und zu verdammen, wenn wir die Welt der gegaukelten Informationen verlassen, der Überlieferung von Pseudo-Ereignissen, des Konstruktiven, und die Beschaffenheit von Informationen in den Zusammenhang der realen Welt stellen.

Von wem sollte z. B. angezweifelt werden, daß sich im Kosovo keine menschliche Tragödie abspielt, warum sollte man der albanischen und mazedonischen Regierung nicht glauben, die die internationalen Hilfsorganisationen dringend bittet, vor Ort zu erscheine, um den zig Tausenden Kosovo-Albanern zu helfen, die auf der Flucht sind, und warum sollte man die Informationen der einzigen humanitären Organisation, die offenbar noch über "gesicherte" Informationen verfügt, der "Cap Anamur", abschlägig behandeln, die vor einer humanitären Katastrophe warnt, und dazu auffordert, einen "humanitären Korridor" zu errichten? Eine Welt, die sich beständig atomisiert, und deren eigene Erfahrungen deshalb in zunehmendem Maße durch vermittelte Erfahrungen ersetzt werden müssen, haben nicht nur eine philosophische, sondern auch eine politische Relevanz. Denn es ist einfach die konstruierte Wirklichkeit, die nicht nur das Leben der Individuen bestimmt, sondern auch alle Formen der Kommunikation bis hoch zur interkulturellen und zwischenstaatlichen. Der Beschaffenheit von Realitäsbildern - und Weltbildern aus Kriegssituationen kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Das Bild, das von Nationen und Kulturen in unseren Köpfen entsteht, ent- standen ist, erzüchtet, gehegt und gepflegt wird, ist so stark ausgeprägt, daß sie oftmals im Rahmen von Kommunikationsprozessen über Krieg und Frieden mitentscheiden können.

Die Moderne befindet sich im rasanten Fall. Dieser macht vor der Vernetzung durch die unterschiedlichen Kommunikationsweisen,- formen,- und systemen nicht halt. Der dadurch entstehende weltweise Austausch von Nachrichten und kulturellen Gütern - auch durch die neuen Generationen der Computertechnologien bedingt - lassen Kulturräume enger zusammen- wachsen, und die Globalisierung schafft sich auch eine deutliche sozialpsychologische Schiene, um die Andersartigkeit von Ländern und Menschen zu beurteilen, und um danach Handlungsstrategien aufzubauen. Wirtschaftsstrukturen und Handelsblöcke verdichten dieses Netz von Abhängigkeiten. Computerkommunikation bietet die Möglichkeit, Massengesellschaften in Mikrogesellschaften aufzulösen, den öffentlichen Informationsraum, der dann keiner mehr ist, durch die sog. "virtuelle Realität" zu ersetzen. So können bestens über ein Land gezielte Informationen "abgefragt" wer- den. Die im Kopf fälschlich entstehende Beurteilung: Das ist "instabil", "diktatorisch", "demokratisch", sich "im Krieg befindend" etc. Der menschliche Geist reagiert darauf mit seinen erlernten stereotypen Verhaltensmustern: Er reduziert und rationalisiert die Wahrnehmungen auf ein erträgliches Maß, und erhöht die Neigung zur Stereotypisierung von weitergegebenen Vorstellungs- und Informationsinhalten.

Unser Bild von der Welt ist so wichtig geworden, daß der Vorgang der Wahrnehmung als ein Austauschprogramm funktioniert. Die Modelle der Außenwelt sind dann gut, wenn sie uns nicht berühren. Die "guten" Nachrichten sind die, die die begrenzte Aufnahmefähigkeit des Kopfes so tangieren, das ein Bild entsteht, daß Kompromisse erzeugt. Werden die Nachrichten "schlecht", muß unser Kopf offen für "neues" sein, schaltet er auf "begrenzte Fähigkeiten", und versucht die "neuen" Inhalte in die Informa- tionen einzubetten, die das stereotype Denkmuster ausmacht. Wir besitzen eine nur begrenzte Fähigkeit zur Informationsverarbeitung. Die moderne Warenproduktion überflutet uns massenmedial. Dagegen können wir uns nicht schützen, weil die ständig neuen Informa- tionen über uns hereinbrechen, die wie ein Wasserfall sind, gesteuert werden, in dem Augenblick bereits im Kopf gespeichert sind. Das musteriale Denken widerspiegelt sich in der Form von Bildern. So werden Informationen zusammengesetzt und mit schon gespeicherten Erfahrungen, Vorurteilen, geschichtlichen Abläufen etc., in historische und kulturelle "Weltbilder" eingeordnet. Informationen sind Überlebensstrategien über eine Welt, die wir fraglos oder weniger fraglos erleben - es macht die Komplexität des Denkens und des Lebens der Menschen aus, daß sie so unüberschaubar geworden sind und uns scheinbar in jeder Ecke des Globus beherrschen.

Diese Wahrnehmungsschemata wirken sich bei der Berichterstattung über Kriege besonders fatal aus. Dabei ist die Ebene der Vorurteile - die in Deutschland auch besonders gegenüber Ausländern beobachtbare Realität ist - kennzeichnende Vorstellung über Fremde, über Vorgänge, die wir selbst nicht erfahren konnten. Den Genozid hat mein Jahrgang nicht erlebt.

Wer zweifelt daran, daß es ihnen gegeben hat? Niemand!! Obschon er eine unangenehme Information ist, über den Tonnen von Büchern geschrieben wurden, Kilometer an Filmmaterial verarbeitet, und Vernichtungsstätten zu besichtigen sind, dient er immer noch in gewisser Weise der Anpassung an die Umwelt, soll heißen, er soll aus seiner Zeit heraus verstanden werden. Einer der Irrtümer deutscher Geschichte: Der Holocaust ist zu jeder Zeit wieder möglich, und er ist eben nicht "nur" aus seiner Zeit heraus zu verstehen, sondern hat seinen Urgrund in dem tiefsten Haß auf alles Fremdartige. Die Selbstdarstellung der deutschen Republik krankt genau daran; und sie dient der Anpassung an das warenproduzierende System, an die Umwelt, an die Naturbedingungen, und an die Einordnung der gesteuerten Informationen, die alltäglich in unterträglicher Weise publiziert werden. Die Techniken der Selektion mögen sich verändert haben; mit Hilfe von Vorurteilen gelingt es aber immer wieder, den Menschen in der Moderne entsprechende Informationen vorzuenthalten, andere weiterzugeben. Sie führen dazu, daß eine Idee abgelehnt, oder angenommen wird - Weltbilder können so neu entstehen oder zerfallen. Kriege sind danach objektiv unzulässig, aber subjektiv nötig.

Kriege sind kommunikative Bewußtseinsprozesse geworden. Sie basieren auch auf der Kommunikation mit den beteiligten Kriegsparteien, werden unter einem Konformitätsdruck an individuelle Vorurteile und/oder an kollektive Vorstellungsinhalte angepaßt. So werden aus Vorurteile(n) Stereotype: Kosovo-Albaner sind eben wenig "kultiviert" und "fortschrittlich", müssen als "rückständig" (nur weil sie auf dem Land leben?) und "unzivilisiert" bezeichnet werden - die Mär der jugoslawischen Staatsinformation, der "Sonderpolizei", die genau daraus ihre Wut und ihren Haß ziehen, weil ihnen keine anderen Informationen zur Verfügung gestellt werden - außer der offiziellen! Dieses Urteil über sie ist in ungerechfertigter Weise eine emotional wer tende Tendenz, die eine Gruppe von Personen in niederträchtigster Weise des "Raubes von Land", der "Brandschatzung" etc. beschuldigt. Auf diese Weise vollzieht sich die "Identitätsfindung" der serbischen Ban- den, der paramilitärischen Einheiten der jugoslawischen Armee in ihrem "gerechten Kampf gegen die UCK". In Wirklichkeit haben sie sich auf die Menschen mit einer anderen Haut "eingeschossen", denen sie ihre fatalen Denkmunster oktroyieren. Diese Beschreibung einer Nation, eines Volkes, Stammesangehöriger usw., führt zur Erniedrigung, und Selbsterhöhung, Rechtfertigung und Anpassung, Abwehr von "unangenehmen" Tatsachen, sofern sie unange- nehm sind, soziale(r) Aggressionen, organisierter Gewaltsamkeit, Entmenschlichung. Im Zusammenwirken von Wahrnehmungen und Vorurteilen über die abgefallenen Teilrepubliken entstehen neue Nationenbilder, die sich unter MILOSEVIC seit Mitte der 80er Jahre beständig (ver)-gefestigt haben. Aus den Bildern der jugoslawischen Staatsführung wurde im ökonomischen Zusammenbruchsprozeß des Landes, eine neue "Landkarte", die erst in den Köpfen heranreifte, dann in der Form der Militärintervention und der ethnischen Vertreibung in den Teilrepubliken, Realität wurde. Es enstanden der Reihe nach "Vorstellungsbilder", "Völkerbilder", "Nationenbilder" -ähnlich der "künstlichen Welten" der HITLER-Diktatur. Das serbische Volk konnte so über fast ein Jahrzehnt lang auf die Einstel- lung gegenüber Bosniern, serbischen Kroaten, Muslime, Kosovo-.Albanern propagandistisch vorbereitetr werden, über ihren Staat, über deren Vergangenheit und deren Zukunft, die es nicht mehr geben soll: "Wir werden die UCK auslöschen" heißt im Kartext: Wir werden das Kosovo auslöschen!!

Die Wahrheit über Kriege erfährt man gesetzmäßig erst dann, wenn sie vorbei sind, nämlich dann, wenn der Propagandapparat verstummt ist, wenn er aufgehört hat, zu arbeiten, die politischen, die in Wahrheit militärische Ziele sind, erreicht sind. Es scheint so, als ob die Medien und die breite Öffentlichkeit das zu akzeptieren scheint. Jede Wahrheit über Kriegsgreuel kann dazu beitragen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern, wenn das menschli- che-lückenhafte Gedächtnis es lernt, von der Unwahrheit zu lassen, die Lüge zu strafen, die Irreführung, die wirklichen Informationen herausschält. PLATONs Höhlengleichnis -als Allegorie gedeutet - bietet die Möglichkeit, die schwerwiegenden humanitären Unterlassungen der Weltöffentlichkeit im Falle der Kosovo-Albaner nicht als Schatten an uns vorbeiziehen zu lassen; sondern den "gefangenen Menschen" zu sprengen, damit er lernt, sich ein umfangreiches Bild über "das da draußen" zu machen. Auf den ersten Blick erscheint das einleuchtend. Doch es sieht auf dieser Ebene weiter negativ aus; denn die Wahrheitsprozesse verselbständigen sich von Stunde zu Stunde. Die Kommerzialisierung des Jugoslawien-Krieges hat bereits jetzt begon- nen, die Digitalisierung und Internationalisierung von Informationen ist so dicht geworden, daß man schon fünfzig Zeitungen am Tag lesen muß, um mit den neusten Erkenntnissen Schritt zu halten. Das mindestes was man der Informations- und Medienstruktur der Moderne entgegensetzen sollte, wäre die Entwicklung des eigenen Problembewußtseins. Ob das letztlich ausreicht, Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren, ist mehr als fraglich. Mit dem Konkurrenzkampf um die "wahre" Information im Jugoslawien- Krieg wird selbst die Nachricht zur Ware, deren Herstellung und Verbrei- tung von sachfremden, nicht integeren Informationen, bestimmt ist.

Der Beutejournalismus ist wie der Katastrophentourismus geworden; der seine Nachrichten aus der tödlichen Bedrohung des Menschen liest. Als der Bergsteiger SCOTT FISCHER 1996 beim Abstieg vom Mount Ever- rest kurz vor Erreichen des ersten Basislagers qualvoll starb, war es ihm noch möglich, per Satelitentelefon mit seiner Frau im fernen Amerika zu sprechen. Wenn das Geschick der Menschen, Mediennutzer und Nachrichtenempfän- er zugleich zu sein, davon abhängt, Produzenten einer Opferberichterstattung zu werden, dann hat die moderne Warenproduktion ihr Ziel erreicht: Alle furchtbaren Verbrechen im Kopf zu legalisieren und die Zurichtung der Menschen unter die globale Vernichtungsstrategie zu subsumieren.

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