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Die "Nelkenrevolution" in Portugal

Ines Lehmann

Die portugiesische Revolution 1974/75

aus: Tranvia Nr. 32, März 1994

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Nimmt man das Datum, so ist alles erst 20 Jahre her, nimmt man das Sujet - eine Revolution - so scheinen es Lichtjahre. Der endgültige Zusammenbruch des Realsozialismus hat viele/s mit in die Tiefe gerissen, auch die, die in jenem Sozialismus immer schon den Todfeind ihrer eigenen Sozialismusvorstellungen erkannt und bekämpft hatten. Zwar beschädigt Zeit Erinnerung immer, aber der totale Sieg über jenen Sozialismus und das dadurch entstandene totalitäre Klima - wer immer noch an einen Sozialismus und das Recht auf Revolution glaubt, ist entweder ein Fall für die Justiz oder die Psychiatrie oder selber schuld - und vor allem das Ende aller politischen Gruppen- und Diskussionszusammenhänge hat auch die Hoffnung, d.h. die Voraussetzung radikalen Denkens und Handelns angegriffen. Es wird noch lange dauern, bis sich wieder eine Utopie Bahn bricht, die glaubhaft behaupten kann, die Verzweiflung menschlichen Daseins aufheben zu wollen. In dieser mehr oder weniger langen Zwischenzeit über eine gescheiterte Revolution zu schreiben, ist nicht leicht. Da hilft auch nicht das Wissen, daß eigentlich alle Revolutionen "wegen der Unzulänglichkeit der sozialen Verhältnisse, d.h. der Menschen gescheitert sind, denen sie ein besseres Leben verschaffen wollten. Warum also noch über die portugiesische Variante schreiben, dachte ich, als mich Tranvia wegen eines Beitrags zu dieser Ausgabe fragte.

Ich denke zwar nur noch selten über Revolutionen nach (und viel über die Gründe und Folgen des Zusammenbruchs des mittel- und osteuropäischen Realsozialismus), aber seit der deutschen Wiedervereinigung muß ich manchmal doch wieder an Portugal denken. Nicht, weil auch in der DDR eine Revolution etwas völlig anderes erreichte, als die Revolutionärinnen beabsichtigten, also scheiterte, sondern weil ich mich angesichts des menschenverachtenden und unvernünftigen Umgangs der Westdeutschen mit den Ostdeutschen und ihrer Geschichte frage, wie es wohl ausgesehen hätte, wenn Westportugal Ostportugal übernommen hätte. Wenn ich mich daran erinnere, wie die damals ziemlich arme, ca. eine Million Einwohnerinnen zählende portugiesische Hauptstadt mitten im Revolutionssommer 1975 ca. 350.000 aus den Kolonialkriegen ins »Mutterland« flüchtende, völlig antirevolutionäre »Retornados« aufnahm und integrierte (in das ganze neun Millionen Einwohnerinnen zählende Land kamen ca. 800.000), so steigt noch nachträglich meine Hochachtung für die in so vielen Fällen vorbildliche portugiesische Hilfsbereitschaft. Wenn ich mir dann noch vor Augen halte, wie einerseits die Revolutionärinnen mit der Auflösung des faschistischen Staates und ihren Führern und Anhängern umgegangen sind und andererseits nach dem Scheitern der Revolution die bürgerliche Gegenrevolution mit diesen Revolutionärinnen, dann gerät meine Hochachtung vor dem »Ci-vismo« dieser Gesellschaft zur Bewunderung. Und dann frage ich mich, warum sich hierzulande nicht viel mehr Menschen gegen die Art und Weise des Umgangs mit den Ex-DDRlern, ihrer Geschichte und ihren Problemen heute wehren? Wenn schon nicht aus Achtung vor der Würde des Menschen, dann doch wenigstens aus Kalkül bzw. gesundem Menschenverstand, denn für die Folgen ihrer Lebenserfahrungen mit der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft werden wir doch alle gemeinsam aufkommen müssen.

Die portugiesische Revolution zog damals übrigens viele Ausländerinnen an, die weitaus überwiegende Zahl derjenigen, die in irgendeiner Form versuchten zu partizipieren, waren Deutsche, die meisten aus Berlin oder aus dem Großraum Frankfurt(1). Deutsche sind ja bekanntlich überhaupt Spitzenreiter im Reisen, also immer auf der Flucht vor sich selbst und der Suche nach anderen bzw. anderem, keiner hält ja sich bzw. das Zuhause lange aus — man stelle sich nur Berlin mit noch weniger Ausländern vor! Und wenn sie wieder zu Hause sind, dann schwärmen sie von den südeuropäischen Lebensformen, der Erotik, der Beziehungsfähigkeit der dortigen Menschen usw. ... und bereiten die nächste Reise vor. Wie oft erlebt man solche Deutschen dann im Ausland, wie sie sich freuen, wenn man sie nicht für Deutsche hält, wie sie behaupten, daß es nicht wichtig sei, ob sie Deutsche seien, daß sie sich als Europäer fühlten usw. Natürlich liegen die Gründe für ein derartiges Verhalten wie alle Gründe für alles Schlimme in diesem Jahrhundert bei Adolf Hitler, und natürlich ärgert man sich über solche Deutschen sehr viel weniger, als über die wachsende Zahl hirnrissiger Landsleute, die stolz darauf sind, deutsch zu sein - aber diese deutsche Haltung gegenüber der eigenen Geschichte, Nationalität und Verantwortung muß doch sehr zu denken geben. Sie ist nicht nur zutiefst unpolitisch, sie ist auch bar jeder anderen Glaubwürdigkeit. Es ist schon lange an der Zeit, einmal eine Reise zu den Gründen dieser Reisen zu unternehmen. Sie könnte interessanter werden, als die zahlreichen Diplomarbeiten, Dissertationen, Habilschriften, Gedichte und Romane, - die zu Hause über die besuchten Länder bzw. Revolutionen - also über die Probleme der anderen - angefertigt werden.

Jedenfalls scheint die Generation von Deutschen, die am meisten reist, am wenigsten mit der deutschen Vereinigung klarzukommen und die reisenden Intellektuellen, von denen sich so manche irgendwann einmal in irgendeiner Form mit ausländischen Revolutionen identifiziert hatten - noch weniger. Aber so wenig wie der deutschen Linken zur Vereinigung ihres Landes einfiel, so viel hatte sie immer in ausländischen Revolutionen zu wissen vorgegeben und nicht selten laut verkündet.

Auch auf das kleine Land am Rande Europas stürzte sich die - zwischen dem Ende der Studentenbewegung der sechziger Jahre und den grünen Umweltbewegungen der achtziger Jahre - heillos zerstrittene deutsche Linke und suchte dort ihr Heil (ich war nur eine von Tausenden, aber im Unterschied zu fast allen anderen wurden dann acht lange Jahre daraus).

Aber auch diesen Zusammenstoß hat Portugal mit Bravour überstanden, daran jedenfalls ist die portugiesische Revolution wohl nicht gescheitert. Sie nahm von den Deutschen vor allem das, was sie am dringendsten brauchte und was die Deutschen im Übermaß zu haben schienen: Geld (hier liegt eine der wenigen Gemeinsamkeiten der deutschen Wiedervereinigung und der portugiesischen Revolution). Die revolutionäre Seite brauchte es für die zahllosen Projekte und Initiativen (von der Landreform über Volkskliniken bis hin zu pädagogischen Einrichtungen), die gegenrevolutionäre Sozialdemokratie brauchte es zur Zerschlagung aller Hoffnungen auf ein selbstbestimmtes und vernünftiges Gemeinwesen. Die linken Deutschen zwangen den portugiesischen Solidaritätsprojekten ihre fundamentalistischen Emanzipationsvorstellungen auf, bis in die erbärmlichste Hütte sollte nun vor allem der feministische Geschlechterkampf vordringen; die anderen Deutschen setzten die portugiesische Sozialdemokratie solange unter Druck, bis sie weder sehr sozial noch sehr demokratisch eine Fraktion innerhalb der »Bewegung der Streitkräfte« (MFA) dazu brachte - u.a. mit dem Versprechen eines Beitritts zur Europäischen Gemeinschaft -, das revolutionäre Gedankengut aufzugeben und die revolutionsschützenden bzw. -stiftenden politischen Maßnahmen sein zu lassen. Irgendwie verstand keine portugiesische Seite so recht, warum man in Deutschland so viel Geld für sie locker machte. Wieso wurde dort für sie von diesen schlechtgekleideten Links-Touristen Geld gesammelt? Portugiesinnen waren und sind bis heute völlig unerfahren in Sachen »internationaler Solidarität«. Was sollte an ihrem Land so wichtig sein, fragt sich die andere Seite, daß die westliche Welt, allen voran die deutsche Sozialdemokratie und die von ihr dominierte Sozialistische Internationale, sich so für sie einsetzten?

Was aber haben eigentlich die deutschen Polit-TounstInnen damals in Portugal bzw. in der portugiesischen Revolution gesucht, und was haben sie gefunden? Welche Veränderungen haben sie auf- und dann mit nach Hause genommen? Ich habe zwar nicht gefunden, was ich gesucht habe, weil es das nicht gibt, was ich gesucht habe, aber ich habe mich so verändert, daß ich später in Berlin noch weniger klarkam als vorher, bevor ich wegging, weil ich es nicht mehr unter den Deutschen ausgehalten habe.

Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, so erinnere ich mich vor allem an Ungleichzeitigkeiten. Portugal war 1974 die älteste europäische Faschismusvariante, es gab aber auch noch das Franco-Spanien mit dem dahinsiechenden Caudillo (er stirbt im November 1975 und mit ihm sein Regime) und die Junta-Version der Griechen (sie wird von einer radikalen Studentenbewegung im Sommer 1975 davongejagt). Dank Willy Brandt bzw. der Süd-Erweiterungspolitik der Schmidt/Genscher-Regierung landeten dann alle drei Länder Anfang bzw. Mitte der achtziger Jahre in der Europäischen Gemeinschaft. Portugal hatte jedoch von allen die miserabelsten Bedingungen. Vielleicht ging deswegen hier der revolutionäre Prozeß so tief, war das Chaos so groß, geriet die Welt so in Aufregung, daß Henry Kissinger das Land - die südwesteuropäische Flanke der NATO - für den Westen als verloren betrachtete und das sowjetische ZK-Mitglied Portugalow den Status quo dadurch rettete, daß er das Land durch einen Putsch von moskautreuen Offizieren am 25.November 1975 (eine der vielen Lesarten des Endes der portugiesischen Revolution) wieder zur Räson brachte.

Die Revolutionärinnen kamen jedenfalls entweder zu früh oder zu spät, in jedem Fall aber mußten sie an der internationalen Arbeitsteilung scheitern. Da ist zuerst die gloriose MFA, die durch ihren siegreichen Staatsstreich am 25. April 1974 die Revolution auslöste. Jahrelang hatten die portugiesischen Streitkräfte vergeblich versucht, in einem sehr blutigen Kolonialkrieg auf zwei Kontinenten die revolutionären Befreiungsbewegungen in Timor, Mozambik, Angola, Säo Tome und Principe, Kap Verde und Guinea zu zerschlagen (die ihrerseits weltweite Unterstützung erhielten und einerseits vom globalen Status quo profitierten, andererseits später daran zugrundegingen). Als hier ihre Niederlage nicht mehr aufzuhalten war, machten sie sich selbst zu Helden einer Revolution ... durch einen Staatsstreich im Mutterland. Das verquere Gedankengut dieser Revolutionsfraktion war eine wundersame Mischung aus antikolonialen Befreiungstheorien, kolonialem Herrendenken und frühbürgerlichen Demokratievorstellungen. Kam jedoch ihr Nachgeben im Kolonialkrieg zu spät, um sich noch mit den Befreiungsbewegungen an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Unabhängigkeitsform zu suchen, so kam ihr Aufstand in Portugal für die classe politique zu früh. Portugal war seit der Christianisierung katholischer als Rom und seit Jahrzehnten arm wie eine Kirchenmaus. Das Land hatte den Anschluß an die Industrialisierung verpaßt. Die Landwirtschaft war eine unentwickelte Subsistenzwirtschaft geblieben, die Analpabetenquote lag sehr hoch. Haupteinnahmequelle des Landes war der Tourismus, und die politische Intelligenz saß im Gefängnis oder in der Emigration und war natürlich zerstritten. Kaum öffnete die MFA die Gefängnisse und kehrten diese Emigranten heim, ging das Hickhack los, und die objektiven Widersprüche und subjektiven Machtgelüste stießen hart aufeinander. Weder Gefängnis noch Emigration adeln, sondern beschädigen dauerhaft. Daß gerade Menschen, die durch diese Erfahrungen gegangen sind, dann besonders oft führende Rollen in Revolutionen, also in emanzipatorischen Prozessen einnehmen, ist mehr als eine furchtbare Ironie der Geschichte.

Die anderen vier Millionen portugiesischer Emigranten im Ausland, die wegen der Armut ihr Land verlassen hatten, kamen nur in den Ferien zu Besuch und erschraken dann um so heftiger, als sie sahen, was hier geschah, wo man im Eifer der allgemeinen Enteignungs- und Besetzungseuphorie auch ein Auge auf ihre kleinen, mühsam vom Munde abgesparten Parzellen und Häuschen zu werfen begonnen hatte. Diese Emigranten schlössen sich umgehend den Kräften an, die ihnen glaubhaft garantieren konnten, gegen diese Art von Revolution vorzugehen.

Die Militärs ihrerseits hatten zwar versprochen, die bürgerliche Gesellschaft zu fördern und den demokratischen Rechtsstaat einzuführen, am schwersten fiel ihnen dann jedoch die bürgerlich-demokratische Einsicht, daß Streitkräfte der Politik dienen und nicht umgekehrt.

Die durch den April-Putsch dekretierte Aufhebung des Gewerkschaftsverbot mobilisierte umgehend die arbeitende Bevölkerung, zuerst die Bank- und Versicherungsangestellten und dann die Industriearbeiterschaft, an vorderster Front die Werftarbeiter. Aber auch ihr Kampf kam nicht zur rechten 7.eit und scheiterte an Ungleichzeitigkeiten: Die hauptstädtischen Bank- und Versicherungsangestellten hatten schon im Estado Novo Kampferfahrungen gesammelt und sich unter dem Einfluß maoistischer Studenten im Untergrund organisiert. Nach dem Staatsstreich und vor allem nach dem gescheiterten Gegenputsch vom 28. September 1974, als der erste von der MFA eingesetzte Präsident, General Spinola, versuchte, im Namen einer schweigenden Mehrheit das Rad der Geschichte schon zu diesem frühen Zeitpunkt zurückzudrehen, trieben die Bank- und Versicherungsrevolutionärinnen ihren Kampf so weit, daß sie am Abend eines weiteren gescheiterten Rechts-Putsch des 11. März 1975 (auch für diesen Putsch gibt es mehrere Lesarten) ihre eigenen Arbeitsplätze enteigneten bzw. nationalisierten. Die nicht völlig unvorbereiteten Eigentümer flohen mit einem nicht unansehnlichen Taschengeld außer Landes und organisierten dann mit internationaler Bank-Solidarität den Boykott Portugals so, daß die Revolutionäre bald mit fliegenden Fahnen zu den nationalen und ausländischen Fraktionen überliefen, die eine Lösung anbieten konnten ..., weil ihnen das private Bank- und Versicherungswesen immer eine Herzensangelegenheit geblieben war.

Auch für die Werftarbeiter der LISNAVE und SET-NAVE, den revolutionären »Stoßtruppen« - wenn diese behelmten Blaumänner um revolutionäre Hilfe gebeten wurden, lief buchstäblich nichts mehr -, war der Erfolg ihres revolutionären Kampfes das Ende ihrer beruflichen Existenz. Sie stellten so etwas wie eine Arbeiteraristokratie dar: Durch die Schließung des Suezkanals und die restriktive Arbeitsgesetzgebung wurde Portugal in den sechziger Jahren zu einem begehrten Reeder-Stützpunkt, hier wurden die Riesentanker für den Öltransport um das Kap der Guten Hoffnung gebaut und auch der Kolonialkrieg brauchte Schiffe. So wurden die portugiesischen Werftarbeiter Spitzenverdiener und nahmen langfristige Kredite zur Erfüllung ihrer wachsenden Konsumwünsche auf, die sie - das hatte die Revolution nicht abschaffen können - auch in den Revolutionsmonaten zurückzahlen mußten. Als die Revolution ausbrach, war der Schiffsmarkt gesättigt, die OPEC-Öl-Krise ließ den Ölbedarf schrumpfen und für den Rückzug aus den Kolonien waren schon die vorhandenen Schiffe noch zu viel. Trotzdem bildeten die Arbeiter einen »Arbeiterrat«, vertrieben tapfer die in- und ausländischen Besitzer, stellten ihre geballte Kraft der Revolution zur Verfügung - zu arbeiten gab es ja eh nicht mehr viel -, fingen aber auch schon längst vor dem Revolutionshöhepunkt im Juli 1975 an, sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Es dauerte nicht lange, bis auch der »Arbeiterrat« von diesen Gedanken zu hören bekam, und an dem Streit über einen Ausweg aus diesem circulus vitiosus - niemand brauchte Schiffe, die Werftarbeiter brauchten Geld -zerbrach dann auch seine Macht, bis nach dem Gegenputsch vom 25. November 1975 langsam wieder die in- und ausländischen Reeder zurückkamen, die Betriebe mithilfe einer völlig unideologischen Abspeckung sanierten und heute nur noch ein gewisses Liedgut an die revolutionäre Bereitschaft der Companheiros der LISNAVE und SETNAVE erinnert.

Apropos Liedgut. Die Bedeutung dieses Revolutionsfaktors kann man nicht hoch genug einschätzen. Mit Musik hatte ja auch schon alles angefangen, auch die deutschen Revolutionstouristinnen liebten ja die Hymne der Revolution -»Grandola, vila morena« - sehr, besonders den Anfang mit den marschierenden Soldaten und dann dem »o povo e que mais ordena ...«.

Vor allem bei der Landarbeit wird bekanntlich viel gesungen. Die portugiesische Landwirtschaft war jahrhundertelang durch zwei sehr unterschiedliche Besitz- bzw. Produktionsformen gekennzeichnet, die im Verlauf der Revolution dann zu unüberbrückbaren Gegensätzen wurden: Während im Norden bis hinunter zum Tejo (und in der Provinz Algarve) das parzellierte kleine und mittlere Eigentum vorherrschte, gehörte das Land südlich des Tejo, also der Alen-tejo, Großgrundbesitzern, die das Land aber nicht groß bewirtschafteten, sondern es entweder nur als Jagdgebiet benutzten oder völlig brachliegen ließen. Als die Revolutionsregierung eine Landreform versprach, hetzte die katholische Kirche im Norden die kleinen Leute mit der Interpretation auf, daß sich diese Reform gegen sie richten würde, dabei fürchtete sie nur die Enteignung ihrer eigenen riesigen Besitzungen. Im Alentejo ging dagegen den pauperisierten Landarbeitern und kommunistischen Landarbeitergewerkschaftern alles viel zu langsam, so daß sie die Gehöfte der in Lissabon residierenden latifundiarios kurzerhand besetzten, weil sie das Land bearbeiten wollten. So revolutionär und richtig ihre Parole »A terra quem a trabalha« auch war, so verdreht kam sie dann im Norden an, wo die kleinen Landbesitzer sich schon bald in der konterrevolutionären CAP gegen den Süden zu organisieren begannen, im falschen Glauben, ihren Besitz gegen den Süden verteidigen zu müssen. Da die Portugiesen leidenschaftliche Jäger sind und jeder Mann sein Füsili zu Haus unter der Matratze zu liegen hat, mußte man schlimmste Zusammenstöße befürchten.

Am schärfsten prallten die Gegensätze im Ribatejo aufeinander, wo beide Besitzformen nebeneinander existierten und der Boden besonders gut war. Hier war auch die deutsche Linke aktiv in der Landreform tätig. Diejenigen, die bis Portugal gekommen waren, hatten mit den Kommunisten nichts am Hut und waren linksradikal, basissozialistisch oder wie man sie bzw. sich damals schlicht nannte: Spontis. Und der Ribatejo gehörte noch zum Großraum Lissabon, wo wiederum andere Deutsche in zahlreichen revolutionären Projekten (Handarbeitskollektive, Volkskliniken, Frauen-Initiativen usw.) mitarbeiteten, so daß es untereinander eine rege Kommunikation gab. Weder die DKP noch andere selbsternannte Avantgarden der Bundesrepublik - die unzählig vielen fanatischen ML-Sekten - trieben sich viel in Portugal herum; letztere wurden allerdings manchmal bei den maoistischen Antikolonialkrieg-Demonstrationen in der portugiesischen Hauptstadt gesichtet, die von einer ähnlich selbsternannten Vorhut der portugiesischen Revolution, der MRPP, siegreich bis zum eigenen Untergang geführt wurden.

Im kommunistischen Alentejo wären die Sponti-Deutschen übrigens unausweichlich mit dem anderen Deutschland konfrontiert worden, hier war die DDR in vieler Hinsicht sehr aktiv. Schon damals konnte diese Linke diese Deutschen überhaupt nicht leiden, schon damals ging man ihnen aus dem Wege, weil man sie unerträglich blöd fand. Wer von diesen DDR-Deutschen allerdings bis Portugal kam, mußte ja auch ein besonders inniges Verhältnis zu seinem unerträglichen Staat gehabt haben, also waren diese Abneigungen mehr als gerechtfertigt.

Aber weder an den vielen Sponti-Fehlern in den Projekten, in denen sie mitarbeiteten, noch an den DDR-Experimenten auf den kommunistischen Kooperativen im Alentejo ist die portugiesische Agrarreform letztlich gescheitert, sondern an der Unmöglichkeit einer autarken Landwirtschaft in einem Entwicklungsland, das mit seinen Industrie- und Agrarprodukten auf einen lückenlos protektionistischen oder übersättigten Weltmarkt stößt, der nur dann noch andere Waren zuläßt, wenn das Entwicklungsland die von diesem Markt gesetzten Bedingungen (nebst der politischen Auflage: die Revolution zu beenden) erfüllt. Außerdem hatte Westeuropa von allem, was Portugal anzubieten hatte, selbst zu viel, und der Sowjetunion mangelte es nicht gerade an Kork, Olivenöl, Sardinen und Wein:

Je mehr die revolutionären Portugiesinnen nach Lücken in diesem System suchten, desto mehr zerstritten sie sich untereinander über den Weg zwischen einer utopischen links-sozialdemokratischen und einer maximalistischen Poder Popular-Variante. Sehr beliebt war damals auch ein »Dritter Weg« (eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der späteren DDR-Revolution und der portugiesischen, nur hatte die DDR-Linke, die auch einen »dritten Weg« propagierte, im Grunde genommen gar keinen): mit den ehemaligen Kolonien eine »Lusitanische Gemeinschaft« aufzubauen. Diese Länder waren aber einerseits in eigene Bürgerkriege verwickelt und erwarteten andererseits nicht gerade von den Angeboten aus dem ehemaligen 'Mutterland' einen Ausweg aus ihrer Misere.

Viele portugiesische Probleme lösten sich einfach dadurch von selbst, daß der Putsch vom 25. November 1975 die Sozialdemokratie an die Macht brachte, die das Land in die EG überführte, wo erfahrenere Politiker sich der Probleme des Landes annahmen und sie aufhoben.

Aber bis dahin schien im Hochsommer 1975 noch ein weiter Weg, obwohl er hier seinen Anfang nahm. Das Ausland trat auf den Plan und nicht in Form der linken deutschen Revolutionsunterstützer, sondern in einer weltweiten bürgerlichen Empörung über die Arbeitskämpfe in einer kleinen sozialdemokratischen Zeitung, der Republica. War diese Empörung damals nicht ganz nachvollziehbar, weil sie erstens auf einer völligen Verdrehung der Tatsachen und Probleme basierte und zweitens in ihrer Maßlosigkeit alles hinter sich ließ, was das Ausland sonst schon über Land und Leute in Umlauf gebracht hatte, so gewinnt der Fall Republica dann an Klarheit, wenn man alles vom Ergebnis her betrachtet. Die Revolution ist Geschichte und die Zeitung gibt es überhaupt nicht mehr.

Die Medien bzw. der Kampf um die Medien spielte in der portugiesischen Revolution eine alles entscheidende Rolle. Als die Bank- und Versicherungsangestellten im März 1975 ihre Chefs enteigneten und ihre Betriebe nationalisierten, gerieten über Nacht auch fast alle Zeitungen und privaten Rundfunkstationen in die Hände des Staates, weil auch sie den Banken und Versicherungen gehört hatten. Mit Ausnahme der im Besitz sozialdemokratischer Spitzenpolitiker befindlichen Republica und der von Maoisten gegründeten gegenrevolutionären Elite-Wochenzeitung Expresso verfügte der Staat, d.h. das politische Chaos, nun - neben den staatlichen Rundfunk- und Fernsehsendern - über das gesamte Medienwesen Portugals. Und über die Notwendigkeit der Eroberung dieser Schlüsselpositionen gab es unter den Revolutionärinnen nicht den geringsten Zweifel.

Auch die Arbeiter und Angestellten des katholischen Radio Renascenca und der sozialdemokratischen Lissabonner Abendzeitung Republica wollten da nicht zurückstehen, zumindest nicht als antirevolutionär gelten oder etwas produzieren, was nicht »die Revolution« unterstützte. Die Arbeiter der Repüblica beanspruchten ein Mitspracherecht bei den Beiträgen der Chefredaktion, die aus sozialdemokratischer Sicht gegen die Revolution kämpfte. Die lehnte das natürlich ab. Also schlössen die Arbeiter - wie das damals üblich war bzw. in einer Revolution schon einmal vorkommt - zum Beweis ihres revolutionären Ernstes Mitte April den Chefredakteur Raul Rego in seinem Büro solange ein, bis er nachgeben würde, was dieser alte und gestandene Antifaschist nicht nur nicht tat, sondern sich »als Gefangener« den linksradikalen, aber für derartige Konflikte zuständigen COPCON(2) rief und sich befreien ließ. Typisch war dann auch die COP-CON-Konfliktregelung: auch die Arbeiter und Angestellten mußten die Zeitung räumen und das Gebäude wurde versiegelt. So war alles weg, die Zeitung und die Arbeitsplätze. Beide Seiten versuchten wochenlang, COPCON zu einer anderen Entscheidung zu bewegen. Und Ende Juni - mitten im Strudel der hochsommerlichen Revolution - entschied dann COPCON, daß die Arbeiter wieder in das Haus durften und Anfang Juli bekamen sie dann auch Druckerlaubnis (Papier war damals rationiert und wurde durch Zuteilung vergeben).

Die Partido Socialista rief das Ausland um Hilfe und ging vor Gericht (das den Fall dann einige Jahre später zugunsten der Partei entschied, als niemand mehr eine linksradikale Zeitung gekauft hätte und das Gebäude plus Maschinen in einen erbarmungswürdigen, sprich abrißreifen Zustand heruntergewirtschaftet waren). Als die COPCON-Entscheidung bekannt wurde, ging ein Aufschrei durch die freie Welt, besonders laut wurde in Bonn und Paris geschrien. Republica galt als »erneuter Beweis« erstens für die Methoden der Kommunisten im Umgang mit der Pressefreiheit und zweitens für den Grad kommunistischer Unterwanderung der portugiesischen Staatsorgane. Noch war ja Portugal auch ein NATO-Land.

Ich habe zwischen April und August in dieser Zeitung 'gearbeitet', d.h. zu arbeiten war ja wochenlang nichts, aber täglich mit den ca. 150 Arbeitern und Journalisten alles durchgesprochen, was in einer Revolution anfällt. Ich war bei allen wichtigen Gesprächen des »Arbeiterrates« mit allen anderen portugiesischen Links-Parteien und den regierenden Militärs dabei. Es hätte mir also nicht verborgen bleiben können, wenn mehr als eine Handvoll Kommunisten in der Zeitung gewesen wären und diese dann auch noch die wesentlichen Entscheidungen beeinflußt oder gar getroffen hätten. Und an Erfahrungen mit Kommunisten fehlte es mir nicht.(3) Und wem meine Erfahrung nicht reicht, der kann ja auch dem früheren und späteren Lebensweg der Republica- Arbeiter und -Journalisten nachgehen und sich ein Bild machen, auf welch tönernen Füßen die internationale Anklage einer »kommunistischen Machtübernahme« stand.

Republica druckte also weiter, obwohl die Forderungen aus dem Ausland nach Rückgabe der Zeitung an die Partido Socialista geradezu Ultimatumscharakter annahmen. Aber schon wenige Monate später wurde am Beispiel eines anderen Mediums, nämlich Radio Renascenca, deutlich, auf welches Ende sich die Revolution zubewegte. Als die nun letzte provisorische und schon sehr rechtslastige Regierung Pinheiro de Azevedos Anfang Oktober Radio Renascenca bombardieren ließ, um die revolutionären Rundfunkleute zum Schweigen zu bringen, war das nicht nur etwa ein politischer Offenbarungseid - wie viele annahmen -, sondern als solcher ein Signal und zwar nach innen und nach außen: Wie muß es um einen Staat bestellt sein, der seine Entscheidungen nur noch mit Bomben durchsetzen zu können glaubte?!

Aber das war schon im Herbst, da ging die deutsche Linke längst wieder in die Schule oder saß in den Hörsälen. Als ich meine erste Vorlesung an der Faculdade de Letras in Lissabon am 25. November 1975 hielt, flogen schon die aufständischen Militärs über uns Angriffe auf das neben dem Campo Grande stationierte, revolutionäre RAL-1-Bataillon, das ein paar Tage zuvor in Anwesenheit des Revolutionskommandanten Otelo Saraiva de Carvalho den Eid auf das »patria revolucionaria e socialista« geschworen hatte.

Als nach dem Putsch linke Rädelsführer festgenommen wurden, waren neun Ausländer darunter, acht Deutsche und ein Kolumbianer, »Oscar« von der Kooperative »Torrebela«. Die Deutschen wurden ausgewiesen. Als sich später Deutsche den Demonstrationen gegen die Verhaftung Otelos sowie führender Mitglieder der »Brigadas Revolucionärias« anschlössen, wurde ein Hamburger Genösse in Porto erschossen.(4)

Als mich auf der Höhe der Revolution eine Hamburger ML-Arbeiterkampf-Gruppe als CIA-Mitglied outete, und die portugiesischen Projekte, die über mich an deutsche »Solidaritätsgelder« gekommen waren, endlich ihre Zweifel über die Geldquelle bestätigt sahen, entging ich zwar knapp einer 16

Kurzschlußhandlung durchgedrehter »Bngadisten«, aber mein politisches Leben wurde danach sehr schwierig. Wenn ich heute darüber nachdenke, warum ich nicht nach dem 25. November ausgewiesen wurde - nur mein Auto wurde damals vorübergehend »konfisziert« -, so habe ich das immer meiner Position an der Hochschule zugeschrieben. Aber wer weiß, vielleicht hatten ja die siegreichen rechten Putschisten auch nur Angst, eine (vermeintliche) CIA-Agentin auszuweisen.

Anmerkungen:

1) Ich traf übrigens damals auch nicht wenige DDRIerInnen in Portugal.

2) »Comando Operacional do Contmente«, eine neugeschaffene militärische Eingreiftruppe der »Bewegung der Streitkräfte« (MFA) unter dem Kommando Otelo de Carvalhos.

3) Neben historischen und politischen Erfahrungen hatte ich auch persönlich - an der Freien Universität Berlin im Institut für Publizistik, wo ich Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre lehrte - ihre Machenschaften in einer Entlassungskampagne zu spüren bekommen, als diese Herrschaften dort zeitweilig im »Mittelbau« und der »Studentenschaft« eine Mehrheit hatten.

4) Die These, daß der Putsch vom 25. November 1975 ein von der KP bzw. Moskau eingefädeltes Manöver gewesen sei, um die Revolution zu stoppen, wird vor allem von den Gründern und Führern dieser »Brigaden«, lsabel do Carmo und Carlos Antunes, vertreten. Ihre beste deutsche Freundin war Brigitte Heinrich, die später (nach ihrem Tod) als Stasi-Mitarbeiterin hochging. Mir persönlich ging im Sommer 1976 - also als die revolutionäre Linke in Portugal böse verfolgt wurde - in meinem Lissabonner Domizil ein (geöffnetes) Riesen-Kuvert zu, gestempelt vom Anwaltsbüro Croissant, Stuttgart, in dem mich ein Brief aufforderte, im Rahmen des internationalen bewaffneten Kampfes den portugiesischen Flügel aufzubauen. Croissant war Lebensgefährte der Heinrich.

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