zurück

aus:  Searchlight 3/99 
Die elektronische deutsche Ausgabe besorgte
ANTIFA-WEST@BIONIC.zerberus.de  


Frankreich
Front National gespalten

Von Jean Raymond
Reflex, in Paris
04/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Bei ihrem Sonderparteitag am 23. und 24. Januar in Marignane besiegelten Unterstützer des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Front National (FN), Bruno Mégret, ihre Trennung vom FN-Führer Jean-Marie Le Pen. Trotzdem wird der Krieg um die Kontrolle über Europas einflußreichste faschistische Partei weiterhin so verbissen wie immer geführt, der Kampf um Posten und Wählergunst geht weiter.

Mehr als 2.000 Delegierte wohnten dem Parteitag bei, der unter dem Motto "Mégret, die Zukunft" stand und brachten eine neue Struktur und einen neuen Namen auf den Weg: Front National - Mouvement National (Nationale Front - Nationale Bewegung). Mégret, der zum Führer der Partei gewählt wurde, stellte deren kompromißloses Ziel heraus: "Die Eroberung der Macht".

Es ist augenblicklich nicht abzusehen, daß die Le Pen-Gruppe fähig wäre, die Situation zu stabilisieren. So wie Le Pen die meisten Köpfe um ihn herum verloren hat, verlor er auch einige seiner Muskeln. Führende Mitglieder des 1.700 Personen starken Schlägertrupps Départment de Protection et Securité (DPS) des FN haben begonnen, zum Mégret-Lager überzulaufen.

Das DPS, eine interne Sicherheitsorganisation unter der direkten Kontrolle Le Pens, war berühmt für seine Loyalität zu ihm als Person. Aber im Januar gaben zwei der höchsten Oberbefehlshaber des DPS, Oberst a. D. Gérard Hirel, zuständig für Ausbildung und Gérard Le Vert bekannt, daß sie nicht länger verfügbar wären, um "die Sicherheit von Le Pen" zu gewährleisten und sich selbst "völlig zur Verfügung von Bruno Mégret zum Schutz des Parteitags von Marignane " zu stellen.

Sie wurden umgehend durch Dominique Chaboche, den Vizepräsident der Le Pen-Gruppe, suspendiert. Aber das hielt die DPS-Bosse aus 12 von Frankreichs 22 Regionen nicht davon ab, ihnen ins Mégret-Lager zu folgen.

Schließlich erklärte der Direktor des DPS, Bernad Courcelle, seine Absicht am Rebellenparteitag teilzunehmen. Umgehend wurde er am 21. Januar durch seinen Stellvertreter Marc Bellier ersetzt, welcher seit Anfang Januar ein wesentlicher Bestandteil von Le Pens Team war. Le Pens Kabinettdirektor Bruno Raccouchot, reihte sich ebenfalls bei Mégret ein.

Das verrufene Wochenblatt des FN, 'National Hebdo', kam auch nicht unversehrt davon. Das Blatt muß jetzt ohne die Cartoons von Konk und die Beiträge von Martin Peltier, Mathilde Cruz und des altgedienten Faschisten François Brigneau auskommen. Mit Ausnahme seines Direktors Jean Claude Varanne kann die Zeitung auch nicht mehr die regulären Mitarbeiter auflisten. Jean Bourdier, alter Monarchist, langjähriges FN-Mitglied und lange Zeit Publizist anderer extrem rechter Publikationen (einschließlich Choc du mois und Minute), wurde zur Rate gezogen um das Blatt zu retten.

Unter den wilderen Elementen wird Mègret auch von den Nationalrevolutionären um Christian Bouchet unterstützt, obwohl einige ihrer wichtigsten Fürsprecher weiterhin für die Publicity im Rathaus von Orange verantwortlich bleiben, einer Le Pen-Hochburg. Mégret hat diese Hardcore-Faschisten dazu aufgefordert, sich erstens zu benehmen und ihn nicht mit ihrer offiziellen Funktion als Unterstützer zu kompromittieren, und zweitens den Aufruf für den Sonderkongress zu unterschreiben oder zu versuchen, daran teilzunehmen.

Bouchet und seine Freunde hoffen, von den Wirren und dem Mangel an erfahrenen Aktivisten in der Mégret-Partei zu profitieren, um eine Basis aufzubauen und lokale Führungspositionen zu übernehmen. Ihr Hauptziel bleiben jedoch die verschiedenen Jugendorganisationen.

Le Pen ist im Jugendsektor in besonders tiefen Schwierigkeiten, da der größte Teil der jugendlichen
Aktivisten des FN Mégret zu unterstützen scheint. Die Mégretists haben bereits die Universitätsorganisation des FN, 'Renouveau Étudiant' (RÉ), gewonnen, ebenso die Aktivisten der gewalttätigen 'Groupe-Union-Défense' und die Hälfte der Departement-Schriftführer des 'Front National de Jeunesse' (FNJ), der von Le Pens Schwiegersohn Samuel Maréchal geführt wird.

Franck Timmermans, Kopf der Verwaltung der Mégret-Partei, hat bereits eine provisorische Führung für eine neue Jugendbewegung ernannt. Unter den Mitgliedern sind unter anderen der ehemalige Bonehead Robert Ottaviani, Olivier Chalmel, Chefherausgeber des Magazins der FNJ, Guillaume Peltier, ehemaliger Sekretär von 'Forum Étudiant', Grégoire Tingaud, der ehemalige FNJ-Verantwortliche für das Training in der Bretagne, Phillippe Schleiter und Claire Jouët.

Ebenfalls Mitglied des Mégret-Lagers ist Michel Murat, der erste Präsident des RÉ von 1991 bis 1995, der nun 'Aurore' anführt, die Organisation ehemaliger RÉ-Mitglieder.

Die Mégretists sind nun darauf aus, komplett die Kontrolle über den Apparat des FN zu erlangen. Von 95 Departementssekretären haben sich 58 ausdrücklich für Mégret entschieden, zusammen mit 51 der 120 Mitgliedern des Zentralkomitees und 14 der 44 Mitglieder des Politbüros.

Die Unterstützung für Mégret ist am stärksten in den mittleren Rängen der Partei, schwächer in den obersten Strukturen und unerheblich unter den alten Mitgliedern und denjenigen mit persönlichen Bindungen zu Le Pen. Unter den gewählten Repräsentanten ist das Verhältnis zwischen den sich
bekriegenden Fraktionen unverändert. Von 273 Regionalabgeordneten des FN hat Mégret 139 auf seiner Seite, außerdem drei der 12 MdEPs, drei der acht Bezirksabgeordneten und zwei der vier Bürgermeister.

Le Monde vom 12. Januar sah die Mégretists in 16 der 22 Regionen in der Mehrheit. Die Mégret-Fraktion hat in mehreren Regionen, insbesondere Rhône-Alpes, Provence-Alpes-Côte d'Azur und +le-de-France, bereits Gruppen gebildet. In +le-de-France hat sich Mégrets Gruppe den Namen "Front National +le-de- France" gegeben, während die Le Pen-Fraktion eisern an dem namen "Front National" festhält.

Nichts und niemand ist von den Kämpfen zwischen den Rivalen verschont geblieben. Krönendes Mißgeschick für beide Seiten war, vor die "sozialistisch-kommunistischen" Justizbehörden kriechen zu müssen, um ihre Streitigkeiten auszufechten.

Die erste Runde im juristischen Kampf ging an Mégret. Le Pen strengte ein Verfahren gegen Mégret an, um ihm verbieten zu lassen, den Namen "Front National" zu verwenden. Das Gericht erklärte sich Mitte Januar allerdings für nicht zuständig, ein Urteil über die Verwendung von Initialen oder Logo des Front zu entscheiden.

Le Pen griff diese Entscheidung sofort als Komplott der Regierung an. Beide Lager klammern sich an den Namen "Front National" in der Hoffnung, im März rund 12 Millionen DM an staatlichen Parteizuschüssen kassieren zu können - obwohl Le Pen seine Liste zu den Europaparlamentswahlen LEPEN (Liste Entente Nationale Pour l'Europe des Nations) genannt hat.

Die Mégretists versuchen jetzt, die Unterstützung der FN-Basis zu gewinnen, indem sie sich noch kompromißloser rassistisch geben als ihre Rivalen. Mégret hat eine Kampagne gegen Einwanderung begonnen und lief Sturm gegen SchülerInnen, die in staatlichen Schulen islamische Kopfbekleidung tragen. "Wenn man diese Art von Kopfbekleidung in unseren Schulen akzeptiert, heißt das, daß man das Prinzip der umgekehrten Kolonisierung akzeptiert", erklärte er auf dem Departement- Kongreß in Vitrolles, einer der vier vom FN regierten Städte.

Am Vorabend dises Kongresses besuchten Mégret und sein Hauptverbündeter, Jean-Yves Le Gallou, die Stadt Flers, in der einige LehrerInnen in Streik traten, weil türkische Schülerinnen aus religiösen Motiven Kopftücher trugen. Sie erhielten allerdings nicht den erwarteten Empfang und mußten den Schauplatz in einem mit Eiern und Dreck verzierten Auto verlassen.

Von dem sichereren Territorium rauchgefüllter Hinterzimmer kann die Entscheidung der Mégretists, bei der Wahl des Regionalversammlungspräsidenten nicht für den ehemaligen Verteidgungsminister Charles Millon zu stimmen, nur als Versuch gewertet werden, den FN-Aktivisten zu zeigen, daß man härter ist als die Le Pen-Unterstützer.

Schon im November hatte Mégret Millon beschuldigt, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Er behauptete, Millon "hat eine Vereinbarung mit dem FN, um dessen Unterstützung zu erhalten. Zur gleichen Zeit erzählte er anderen Leuten, daß es eine solche Vereinbarung nicht gebe, und daß er keinerlei Abkommen mit dem FN wolle. Wenn man zwischen zwei Stühlen sitzt, riskiert man, sich den Arsch zu brechen."

Genau dies war passiert, als sich die Regionalversammlung am 7., 8. und 9. Januar traf, und beide FN-Versionen konkurrierende Kandidaten für die Regionalpräsidentschaft aufstellten. Bruno Gollnisch kandidierte für die Le Pen- Fraktion "im Namen des FN", Denis de Bouteiller für die Mégret- Fraktion "im Namen der Mehrheit der FN-Gruppe". In der ersten Wahlrunde bekam Millon 38 Stimmen (fünf weniger als im März 1998); de Bouteiller 22 und Gollnisch 13.

In der zweiten Runde zog Millon seine Kandidatur zurück und rief zur Wahl von Pierre Gascon auf, einem Mitglied der Liberaldemokraten (DL). Gascon bekam 25 Stimmen, darunter diejenigen von der Le Pen-Fraktion. Die Mégretists unterstützten weiterhin de Bouteiller. In der nächsten Runde
zogen die Mégretists ihren Kandidaten zurück, und die Kandidatin der Linken, Anne-Marie Comparini, wurde mit 75 gegen 56 Stimmen gewählt.

In einer Analyse dieses Rückschlags für die Rechte schrieb Bruno Gollnisch im "National Hebdo", daß Millon auf ihn hätte zukommen sollen, um einen Handel zu machen, "als er wußte, daß Mégret, angeblich der Architekt einer Einheit der Rechten in der Region, seinen Anhängern Anweisungen erteilt hatte, Millon nicht zu helfen, um seine Wählerpotential abzuschöpfen."

Trotz dieser offensichtlichen Radikalisierung der Position der Mégretists bleibt ihr Hauptziel ein Bündnis mit der traditionellen Rechten, um die angeblich 30 0er französischen WählerInnen zu gewinnen, die das eine oder andere Mal für die extreme Rechte gestimmt haben. Ein führender Mégretist, Gérard Freulet, erklärte in Le Figaro vom 11. Januar, daß seine Partei für eine "Rechte im Plural" stehe.

Das größte Hindernis für einen Block mit der Rechten besteht für die Mégret-Fraktion in ihrer geringen Popularität. Im Januar lag sie bei Meinungsumfragen zwischen 30nd 5%, Le Pen dagegen beim Doppelten. In der ersten Runde der Kommunalwahlen in La Grande-Motte bei Montpellier erhielt der Mégret-Kandidat am 1. Januar nur 9,9 0er Stimmen; vor zwei Jahren kam der FN noch auf 13%.

Noch beunruhigender für Mégret war ein Überblick in "Le Parisien" vom 22. Januar, in dem 67 0er FN-Sympathisanten die Meinung äußerten, daß nur Le Pen in der Lage sei, bei den Europa-Wahlen auf einen hohen Stimmanteil zu kommen.

Fast drei Viertel der FN-Sympathisanten denken, daß Le Pen das Beste der Konzepte der extremen Rechten verkörpert; 65% glauben, daß nur Le Pen die Zukunft des FN gewährleisten könne; 55ind unglaublicherweise der Meinung, daß Le Pen die Ideen der extremen Rechten besser vertritt. Mégret wird nur für fähiger gehalten, den FN den Parteien der konservativen Rechten anzunähern.

Vielleicht war dies der Grund dafür, daß Yvan Blot, Mégrets Hauptverbündeter und -ideologe, am 3. Februar aus dem Mégret- Lager desertierte und um Wiederaufnahme in Le Pens Organisation nachsuchte. Nachdem der aufbrausende Führer ihn willkommen hieß, könnte er sich bei seinen Bemühungen, seine wiederentdeckte Loyalität zu beweisen, als gefährlicher Feind von Mégret erweisen.

 

nach oben