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Quelle: www.members.partisan.net/gettel/

Zwischen marktradikaler Dogmatik und neokeynesianischer Illusion.

Zur Diffusion des "post-neoliberalen" Kapitalismus

von Hartmut Krauss

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Willi Gettel hat bei Partisan.net seine Homepage eröffnet.
Dort wird er ab sofort "eigene & andere" Texte zur Diskussion stellen.
Der folgende Leseauszug versteht sich als Werbung in der Sache.

I. Einleitung: Zum Elend der systemimmanenten Strategiedebatte

Gemessen an ihrer regierungspolitischen Präsenz ist die Dominanz des neoliberal-konservativen Flügels der spätkapitalistischen Herrschaftselite zunächst passé. Mit der Konstituierung der "rot-grünen" Bundesregierung in Deutschland ist damit nunmehr eine nahezu flächendeckende Rückkehr der Sozialdemokratie in die politische Verantwortung zu konstatieren. Wurden die "Sieger des Kalten Krieges" in ihrer triumphalen Hochphase nach dem Fall der Mauer noch durch Bush, Kohl, Mayor, Fabius, Berlusconi u.a. repräsentiert, haben nach einem Jahrzehnt der kapitalistischen "Krisenrenaissance" mittlerweile die "linken" Kontrahenten Clinton, Schröder, Blair, Jospin, d’Alema u.a. ihren Platz eingenommen. Die Machtabtretung der neoliberal-konservativen Führungsgarnituren erscheint in ihrer sukzessiven Abfolge als verblüffend schnell, konsequent und "total", beinahe so, als sei sie im Zeichen der globalen Beschleunigung "generalstabsmäßig" vollzogen worden.

Was steckt hinter dieser internationalen "Klimaveränderung"? Welche systemische und gesellschaftspolitische Bedeutung ist der Auflösung der neoliberal-konservativen Regierungsmacht in den entwickelten kapitalistischen Ländern beizumessen? Eröffnet z.B. die Wahl der "rot-grünen" Bundesregierung die Möglichkeit für ein neues "Goldenes (Reform-)Zeitalter des Kapitalismus in Deutschland"? Oder aber ist vielmehr eine eklektische Entdifferenzierung der politisch-strategischen Lager der westlichen Führungseliten zu konstatieren, wonach sich die Grenzlinien zwischen "neoliberalem Sozialdemokratismus" und "sozialliberalem Konservatismus" zunehmend verwischen?

Zunächst einmal gilt es festzuhalten, daß das zurückliegende 20. Jahrhundert als eine Epoche der gescheiterten Großprojekte zu resümieren ist. Faschismus, Stalinismus und Keynesianismus erwiesen sich als unfähig, die multiple kapitalistische Widerspruchs- und Krisendynamik in der jeweils spezifisch intendierten Weise zu bändigen, zu überwinden oder stillzustellen. Das "Tausendjährige Reich", der "Sozialismus in einem Land" sowie der "krisenfreie Kapitalismus" entpuppten sich allesamt als Schimären. So unterschiedlich, ja gegensätzlich diese historischen Projekte zu beurteilen sind, ihr einigendes Band finden sie in einem ausgeprägtem Staatsfetischismus/Etatismus, d.h. in dem Aufbau eines staatszentrierten mechanistisch-bürokratischen Lenkungssystems zwecks Steuerung großer ("entsubjektivierter") Menschgruppen von "außen" und von "oben".

Im Gegensatz zu den staatsfixierten politisch-strategischen Optionsmodellen setzt das klassische (antiinterventionistische) Kernideologem des Wirtschaftsliberalismus auf die unreglementierten Selbstregulierungs- bzw. "Selbstheilungskräfte" des kapitalistischen Marktprozesses, in den der Staat sich nicht einzumischen hat, sondern dessen "Rahmenbedingungen" er lediglich absichern soll. Indem der sog. Neoliberalismus dieses alte Kernideologem vor dem Hintergrund der fordistischen Systemkrise reaktiviert und in Anknüpfung an neue ("wohlfahrtsstaatliche") Degenerationserscheinungen aufwärmt, verdrängt er gleichzeitig folgenden gesellschaftshistorischen Tatbestand, nämlich, daß die freie konkurrenzkapitalistische Entfaltung der ressourcenungleich ausgestatteten Marktkräfte erst zu jenem Krisendesaster geführt hat, aus dem die staatsfixierten/-interventionistischen Strategiemodelle als Verarbeitungsversuche dann hervorgegangen sind. D.h: Den variantenreichen Fehlschlägen des Etatismus (Staat als "Krisenlöser") ging der Regulierungsbankrott der "invisible hand" voraus. Wenn z.B. Dahrendorf m.E. durchaus zu recht die Überlebtheit traditioneller sozialdemokratischer Programmatik hervorhebt, dann ist aber im gleichen Atemzug darauf hinzuweisen, daß der sich "neoliberal" aufspielende Wirtschaftsliberalismus einen industriekapitalistischen Dinosaurier anderen Typs darstellt.

In historischer Makroperspektive zeigt sich letztendlich, daß die systemimmanente Strategiedebatte mit ihren Polen Staat/Markt sich von Beginn an in einem sich stets wiederholenden Kreislauf der "herauszögernden" Ausweglosigkeit befindet: Eine praktisch folgenreiche Diskussion, aus strukturellen Gründen verurteilt zu "aporetischer Redundanz"(1), über die sich ihre Teilnehmer in der Regel vermittels Erhitzung an Augenblickserscheinungen hinwegtäuschen. Das vergegenständlichte Resultat der alternierenden Strategiemodelle tritt uns heute gegenüber als die verhängnisvolle Doppelherrschaft von "starkem (Groß-) Kapital" und "starkem Staat" als den zwei konstitutiven Machtsäulen des Spätkapitalismus.

Mindestvoraussetzung für die Überwindung der "aporetischen Redundanz" wäre die systematische Reflexion der folgenden integralen Widerspruchsdimensionen der kapitalistischen Gesellschaftsformation mit ihrer unhintergehbaren, im Falle des Ignorierens: durchkreuzenden Wirkungsmächtigkeit:

1) Der "endogene" Widerspruch zwischen den unterschiedlichen profitlogischen Handlungsebenen des "personifizierten Kapitals": der Kapitalist als Warenproduzent (Interesse an hohem Mehrwert) und als Verkäufer von Waren/Dienstleistungen (Interesse an zahlungskräftiger Nachfrage). Die zwei Seelen in der Brust des personifizierten Kapitals.

2) Der "interkapitalistische" Widerspruch zwischen den konkurrierenden Einzelkapitalen einerseits und den nationalen Kapitalstandorten andererseits in der sich zunehmend "globalisierenden" kapitalistischen Weltmarktgesellschaft.

3) Der Interessengegensatz zwischen in sich vielfältig differenzierter Lohnarbeit und hierarchisiertem Kapital (aktuelle Konstitution des Klassenantagonismus) sowie die damit verknüpften geschlechtlichen und ethnischen Widerspruchskomplexe.

4) Das herrschaftsinterne Konfliktfeld (Steuer- und Gesetzgebungs-)Staat vs. hierarchisiertes Kapital.

5) Der ökologische Widerspruch zwischen Kapitalverwertung und der Erhaltung menschlicher und außermenschlicher Natur.

 

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