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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.08 vom 15.04.1999, Seite 7

Weibliche Genitalverstümmelung

Ein grausames Ritual

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1980 begann das UN-Kinderhilfswerk UNICEF mit Aktionen gegen die Genitalverstümmelung, indem es nationale Initiativen unterstützte. UNICEF hat Vertretungen in 26 Ländern und betreibt Aufklärungsarbeit unter Einbeziehung der Bevölkerung vor Ort.

Monika Piendl sprach mit PETRA ISSELHORST von der UNICEF-Pressestelle zur Genitalverstümmelung.

Auf wessen Initiativen hin entstehen Aufklärungsteams zur Genitalverstümmelung in den betroffenen Ländern?

P.I.: In vielen afrikanischen Ländern, wo ja die genitale Verstümmlung am meisten verbreitet ist, gibt es z.B. das InterAfrikanische Komitee gegen solche Praktiken, und das sind auch die Kooperationspartner für UNICEF und andere Organisationen. Also die Initiative geht von den Organisationen in den Ländern aus.

Auf welche Widerstände stoßen Sie bei den BefürworterInnen der genitalen Verstümmelung vor Ort, und wie gehen Sie damit um?

Das ist ganz unterschiedlich. Das hängt ein bißchen vom Land ab, welche Begründungen für genitale Verstümmelung angeführt werden. Manchmal ist es die Religion, häufig der Islam, obwohl keine Weltreligion die genitale Verstümmelung vorschreibt. Manchmal ist es die Begründung, daß sie ein Garant für Jungfräulichkeit, also Voraussetzung für die Ehe, sei. Davon hängt es ab, wie man mit diesen Widerständen umgeht. Am erfolgreichsten haben sich Bildungs- und Aufklärungskampagnen erwiesen.

Wie beurteilen die persönlich Betroffenen die Genitalverstümmelung und Ihr Eingreifen dagegen?

Das ist sehr unterschiedlich. Erstmal muß man sehen, daß es eben eine tiefverankerte Traditon ist und sowohl die Betroffenen als auch die BeschneiderInnen das als eine positive Tradition beurteilen. Das heißt eben auch, daß sie den Standpunkt vertreten, daß sie etwas Gutes tun, sowohl für ihr Dorf als auch für ihre Töchter. Und es hat keinen Sinn gegen diese Überzeugung etwas zu unternehmen, effektiv ist nur, wirklich aufzuklären. Denn was bei den Betroffenen und bei den BeschneiderInnen fehlt, ist ein Bewußtsein über den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung - also daß Mädchen durch die Genitalverstümmlung sterben, verbluten oder Blutinfektionen und -vergiftungen bekommen, oder daß Frauen Jahre nach der Beschneidung bei Geburten sterben. Man muß wissen, daß 50% aller geburtsbedingten Sterbefälle auf die Beschneidung zurückzuführen sind. Im Senegal haben die Betroffenen daraufhin selber gesagt, sie wollen das nicht mehr, weil sie erkannt haben, wo ihre gesundheitlichen Probleme eigentlich herkommen. Es hat keinen Zweck zu sagen, eure Tradition ist schlecht, hört damit auf.

Woraus bestreiten Sie die Mittel für die Aufklärungskampagnen?

Das sind zum großen Teil Spendenmittel über UNICEF. Wir rufen konkret zu Spenden für Programme gegen genitale Verstümmelung auf. Einen Großteil der Mittel bei UNICEF bekommen wir auch über den Grußkartenverkauf herein. Die Einnahmen werden gezielt für solche Programme für Frauen und Mädchen verwendet.

Welche NGOs unterstützt UNICEF?

Von Land zu Land ist das unterschiedlich. Es ist immer so, daß UNICEF Partnerorganisationen sucht. Das sind NGOs, die Bildungs-und Gesundheitsprogramme durchführen. Je nachdem, in welchem Feld sie tätig sind, sucht UNICEF die entsprechenden Partnerorganisationen aus. Im Senegal z.B. hat das Bildungs- und Gesundheitsprogramm von TOSTAN sehr große Erfolge gezeigt. Die Frauen waren zwei Jahre in diesem Bildungsprogramm, und haben dort nicht nur lesen, rechnen, schreiben gelernt, sondern auch über Menschenrechte diskutiert, über gesundheitliche Probleme und wie man lokale Probleme löst. Vor zwei Jahren hat sich ein ganzes Dorf entschieden, ihre Töchter nicht mehr beschneiden zu lassen, also einen sogenannten öffentlichen Eid geschworen; dem haben sich inzwischen 31 Dörfer angeschlossen.

Wie eng ist die Zusammenarbeit der NGOs mit staatlichen Institutionen?

Auch das hängt immer vom Land ab. Aber in der Regel besteht eine recht enge Zusammenarbeit. Im Senegal ist es so, daß die genitale Verstümmelung jetzt verboten worden ist, sowas kann nur Hand in Hand gehen.

Dürfen sich GegnerInnen dieser Praktiken überhaupt einmischen, da es sich doch um Traditonen und innere Angelegenheiten anderer Völker handelt?

Nun, zum einen vertritt UNICEF den Standpunkt, daß die genitale Verstümmlung eine der krassesten Menschenrechtsverletzungen an Frauen ist. Der Vorwurf wird immer wieder erhoben. Aber man muß sehen, daß es in den Ländern selbst Initiativen gegen die genitale Verstümmelung gibt. Das sind die Organisationen, die UNICEF unterstützt. Also, wir werden nicht von uns aus initiativ, sondern wir nehmen immer Kontakt zu diesen Gruppen auf, unterstützen sie.

Wie vernetzt sind die einheimischen Frauengruppen gegen Genitalverstümmlung?

Da ist einmal das Inter-Afrikanische Komitee [gegründet 1984], das ich vorhin schon erwähnt habe. Die Frauengruppen sind über verschiedene Länder hin vernetzt. Dann natürlich auch innerhalb eines Landes, aber es ist sehr unterschiedlich, wie stark die Initiativen in den einzelnen Ländern sind.

Sollen Eltern und andere Beteiligte (z.B. ÄrztInnen, Eltern) in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden?

Das ist eine sehr aktuelle Frage hier in Deutschland, vor allem durch das Frankreich-Urteil. Ich denke schon, daß es ganz wichtig ist, auch in Deutschland darauf hinzuweisen, daß das ein strafrechtlicher Tatbestand ist. In Deutschland fällt es ja unter schwere Körperverletzung, und ich denke schon, daß das richtig ist. Wichtiger noch als die Bestrafung ist aber die Information der MigrantInnen hier in Deutschland. Und daran mangelt es.

Wie kann die Präventionsarbeit in Deutschland verbessert werden?

Das ist der Punkt, den ich vorhin schon angesprochen habe. Das muß vor allem durch Informationsarbeit laufen; GynäkologInnen, RichterInnen, SozialarbeiterInnen, die mit AusländerInnen zusammenkommen, müssen geschult, weitergebildet, über die Problematik informiert werden und dementsprechend ihr Klientel auch beraten und informieren können.

Es gibt Schätzungen, wonach ca. 120 Millionen afrikanische Frauen Opfer einer Beschneidung wurden. In 28 Ländern Afrikas und in einigen Ländern Asiens und des mittlerern Ostens sind bis zu 90% der Frauen genital verstümmelt. In Deutschland sollen ca. 21.000 Frauen und 5500 Mädchen davon betroffen sein. Ca. 7400 in Deutschland lebende Mädchen, Töchter afrikanischer EinwanderInnen, sind in Gefahr, in ihren Herkunftsländern sexuell verstümmelt zu werden.

Diese folterähnliche Prozedur wird oft ohne Betäubungsmittel, mit Scherben, Scheren oder Rasierklingen und unter Mißachtung jeglicher hygienischer Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt. Meistens werden die Klitoris und die kleinen Schamlippen teilweise oder ganz entfernt. Bei der schwersten Form der Genitalverstümmelung, der sog. "pharaonischen" Infibulation, werden anschließend die Schamlippen bis auf eine streichholzkleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut mit Dornen, Nadeln oder Fäden zugenäht.

Es kann zu vielfältigen Gesundheitsschädigungen kommen: die jungen Frauen sterben an Tetanus, andere Organe werden mit beschädigt oder der Abfluß der Menstruation und des Urins wird behindert. Viele sterben unmittelbar danach aufgrund massiver Organschädigungen, hohem Blutverlust oder kurze Zeit später durch Infektionen. Die Gefahr der AIDS-Übertragung ist sehr groß. Auch die enorm hohe Müttersterblichkeit in Afrika ist u.a. auf diese Verstümmelung zurückzuführen. Weitere Folgen sind chronische Schmerzen, Unfruchtbarkeit, Zysten, Inkontinenz, Frigidität, Unfruchtbarkeit, psychische Probleme, etc....

Die Tradition der Genitalverstümmelung besteht seit Jahrhunderten und ist kulturell tief verankert. Die Begründungen für genitale Verstümmelung entbehren jeglicher Grundlage:

  • Die natürliche Vagina sei schmutzig und häßlich.
  • Erst mit der Entfernung der Klitoris werde das Geschlecht der Frau eindeutig weiblich.
  • Die Keuschheit bzw. Jungfräulichkeit der Frau soll gewährleistet werden.
  • Die Fruchtbarkeit der Frau soll erhöht werden.

In Wirklichkeit geht es immer um die Unterdrückung weiblicher Sexualität und Fruchtbarkeit. Frauen, die sich oder ihre Töchter den Verstümmelungen entziehen wollen, müssen mit massiven Repressalien bis hin zur Entziehung der Existenzgrundlage rechnen. Die Genitalverstümmelung gilt als zentrale Voraussetzung für die Ehe und sichert die Ehre der Familie und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Deshalb ist es bei Aufklärungskampagnen wichtig, angesehene Personen an einem Ort zu überzeugen, die dann als MultiplikatorInnen wirken können. Wichtig ist vor allem die Einbeziehung der BeschneiderInnen in diesen Prozeß und die Bereitstellung anderer einkommenschaffender Möglichkeiten für sie.

Seit dem 25.3.98 existiert ein Entschließungsantrag aller Fraktionen, der vom Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einstimmig angenommen wurde. Darin wird diese Art der Verstümmelung als Körperverletzung und schwerwiegende Menschenrechtsverletzung angesehen, die strafrechtlich geahndet werden soll.

Aufsehen erregte das vor kurzem in Frankreich ergangene Urteil gegen eine Beschneiderin, 22 Mütter und drei Väter. Ein Mädchen und drei Organisationen als Nebenklägerinnen für 47 weitere betroffene Mädchen hatten ihre Eltern und eine Beschneiderin wegen Klitorisverstümmelung angeklagt. Die Mutter der Hauptklägerin wurde zu zwei Jahren, die Beschneiderin zu acht Jahren Haft verurteilt. Die übrigen Angeklagten erhielten drei bis fünf Jahre auf Bewährung. Dies war bereits der 14. oder 15. derartige Prozeß in Frankreich.

Problematisch ist die praktische Anwendung im AusländerInnen- und Asylrecht, wonach BeschneiderInnen in Zukunft abgeschoben werden können sollen. Die Verschärfung des Strafgesetzbuchs im letzten Jahr, wonach schwere Körperverletzung nun mit 3- bis 15jähriger Haft geahndet werden kann, würde zu einer automatischen Abschiebung afrikanischer AusländerInnen (v.a. BeschneiderInnnen, Mütter und Großmütter) führen. Damit wäre niemandem geholfen, denn sie würden im eigenen Land zu MärtyrerInnen und die Praxis der Genitalverstümmlung dort weiter durchführen. Würde die Genitalverstümmelung nur als gefährliche Körperverletzung eingestuft, betrüge das Strafmaß zwischen sechs Monaten und zehn Jahren und hätte keine sofortige Abschiebung zur Folge.

CDU/CSU, SPD und PDS plädieren jedoch für eine Einstufung als schwere Körperverletzung. Die CDU/CSU-Fraktion sah keine Veranlassung, diese Art der Menschenrechtsverletzung ausdrücklich in das Gesetz aufzunehmen. Die bestehenden Paragrafen deckten eine Strafverfolgung in einem solchen Fall ausreichend ab. Die SPD dagegen betrachtet die Aufnahme des Tatbestandes der Genitalverstümmelung in das Gesetzbuch als ein wichtiges Signal für die Länder, in denen "Beschneidungen" noch durchgeführt werden. Sie hofft, damit auf eine langfristige Änderung der Bewertung dieses Brauchtums hinzuwirken. Die Bündnisgrünen forderten, die sogenannte "Beschneidung" als gefährliche, nicht aber als schwere Körperverletzung einzustufen.

Problematisch ist auch das Androhen der Kürzung von Entwicklungshilfegeldern für Länder, die die Genitalverstümmelung weiter durchführen. Es fragt sich, ob den Frauen in den betroffenen Ländern ausgerechnet durch eine Kürzung der Entwicklungshilfe gedient ist, die dann ja auch für die Bildung fehlt.

Die Vereinten Nationen haben 1993 in einem internen Dokument die genitale Verstümmelung als Gewalt gegen Frauen verurteilt. Im März 1997 erließen sie ein Gesetz, das es den entsprechenden Ländern erschwert, Geld von der Weltbank und vom IWF zu bekommen. Das Gesetz verpflichtet die US-Vertreter in diesen Gremien, sich gegen Kredite für solche Länder stark zu machen. Wichtiger wäre es jedoch, dafür zu sorgen, daß die Gelder in die richtigen Hände geraten, also auch Frauen zugutekommen.

Unbestritten ist die Forderung nach Asyl für Frauen, denen in ihrer Heimat die genitale Verstümmelung droht. Nur besonders ausgebildete EinzelentscheiderInnen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge sollten in diesen Fällen die Anhörung durchführen. Weitere Forderungen sollten sein:

  • Eine klare gesetzliche Regelung und ein explizites Verbot jeglicher Form von Genitalverstümmelung in Deutschland.
  • Die Einrichtung von Beratungsstellen in Deutschland.
  • Die Bereitstellung von Entwicklungshilfegeldern für entsprechende Aufklärungsprojekte in den betreffenden Ländern.
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