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aus:  Searchlight 4/99  Die elektronische deutsche Ausgabe besorgte ANTIFA-WEST@BIONIC.zerberus.de  

Der Front National 1972 - 1999
von Jean Raymond (Reflex)

04/99
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Bis zu seiner Spaltung war der FN Europas erfolgreichste faschistische Nachkriegsorganisation. Er war ursprünglich nicht als dauerhafte Einrichtung geplant. Seine offizielle Gründung am 5. Oktober 1972 war lediglich Ergebnis eines taktischen Schachzugs der Nationalrevolutionäre des Ordre Nouveau (ON), die im Juni 1972 beschlossen, bei den Parlamentswahlen 1973 Kandidaten aufzustellen.

Der 1969 gegründete ON setzte seinen gewalltätigen Aktivitäten auf den Straßen und an Universitäten fort, brauchte aber auch eine organisatorische Struktur, um die Gewässer des Populismus auszuloten. Die Führer des ON beabsichtigten, die völlig verschiedenen und sich bekämpfenden rechtsextremen Kräfte in Frankreich, darunter ehemalige Waffen-SS-Männer, Erben der Poujadisten-Bewegung und OAS-Terroristen, die den imperialistischen Krieg Frankreich in Algerien unterstützten, unter einer Fahne zu sammeln.

Dieser "nationalen Front" schlossen sich schon bald sogenannte Europa-Nationalisten, waschechte Nazis und altgediente Mitarbeiter des faschistischen Blattes "Militant" an. Jean- Marie Le Pen, dessen rechtsextreme Aktivitäten seit Mitte der 40er Jahre aktenkundig sind, war natürlich von so einem politischen Schmelztiegel angezogen.

Zunächst wurde der FN direkt von den Führern des ON, Alain Robert, François Brigneau und Pascal Gauchon, kontrolliert. Le Pen wurde erst aktiv, als sich die Organisation entwickelte. Mit seiner nationalpopulistischen Orientierung war der FN, in den Worten des Nazis und Holocaustleugners François Duprat, nur ein "Sammelbecken für all die Unzufriedenen."

Nach dem schweren Rückschlag bei den Parlamentswahlen 1973 (109.000 Stimmen, entsprechend 2,25 0n den 100 Wahlkreisen, in denen der FN kandidierte) verlegte sich der ON auf Randale, die in Zusammenstößen mit AntifaschistInnen am Rande einer der Anti- Immigrationsveranstaltungen im Juni 1973 in Paris ihren Höhepunkt hatten. Als Folge davon wurde der ON zusammen mit der trotzkistischen Ligue Communiste, die die Demonstration organisiert hatte, verboten.

Durch das Verbot geriet der ON durcheinander. Le Pen nutzte diese Situation aus, um seine Position zu stärken. Er schob Robert und Brigneau beseite und nominierte einen seiner wichtigsten Verbündeten, Victor Barthélémy, einen ehemaligen Kommunisten und Nazi-Kollaborateur, für den Posten des Verwaltungssekretärs. Die Spaltung zwischen der Le Pen-Fraktion und der alten Garde aus dem ON wurde derart verbittert, daß sie zu Gerichtsverfahren führte.

1974 hatte die Le Pen-Fraktion die Führung übernommen und unterstützte seine Kandidatur bei den Präsidenttenwahlen, während die Verbündeten von Robert und Gauchon als Gegenleistung für 18.000 Francs für den liberalen Kandidaten Valéry Giscard d'Estaing warben. [1] Le Pen bekam klägliche 0,74%, und der FN blieb eine politische Randerscheinung.

Im November 1974 war die Spaltung mit der Gründung der Parti des Forces Nouvelles (PFN) endgültig, die sich selbst als vierte Partei der Rechten neben Liberalen, Gaullisten und Zentrum darstellte, und die den "rechten Flügel zu einem richtigen rechten Flügel machen" wollte. Während die PFN für einen Block mit den Parteien der traditionellen Rechten eintrat, der eine Infiltration dieser Parteien folgen sollte, ging der FN seinen eigenen Weg.

Wegen seines Sektierertums wuchs der FN nur langsam. Vor 1981 hatte er nie mehr als 2.000 Mitglieder [2]. Die 160 Kandidaten bei den Parlamentswahlen 1978, bei denen der FN mit einem ultra- liberalen Wirtschaftsprogramm antrat, bekamen ganze 1.6 0er Stimmen. Die Zweifelhaftigkeit der Kandidaten wird durch die Tatsache deutlich, daß ein Drittel von ihnen entweder Nationalrevolutionäre oder Hardcore-Nazis waren.

PFN und FN versuchten, sich bei den Europawahlen 1978 zusammenzutun, was allerdings nicht gelang, da die PFN das Monopol auf finanzielle Unterstützung durch Giorgio Almirantes faschistischen Movimento Sociale Italiano und durch die Franco- Partei Fuerza Nueva in Spanien hatte. Die PFN drückte den FN an den Rand, trat allein unter dem Namen Eurodroite (Euro-Rechte) an und kam auf 1.3% Stimmenanteil.

Bei der nächsten bedeutenden Abstimmung, der Präsidentenwahl 1981, rief die PFN erst zur Wahl von Jacques Chriac, dann von Giscard d'Estaing auf, um die Linke zu schwächen. Die Apelle der PFN erwiesen sich als bedeutungslos - Mitterand, der Kandidat des linken Bündnisses, wurde gewählt. Bei den nächsten Parlamentswahl bekam der FN sein schlechtestes Ergebnis: 0,18%.

Woher kam der Unterschied? Wie war der FN in der Lage, sich zu erholen und zu wachsen? Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Der FN wurde Ende der 70er Jahre durch Zuwachs aus zwei neuen ideologischen Strömungen außerordentlich gestärkt. Es begann mit dem Eintritt der sogenannten "Solidaristes" um Jean Pierre Stirbois.

Die Solidaristes wandten sich vehement gegen die Vorstellung eines liberalen Wirtschaftssystems, und favosisierten das traditionelle faschistische Konzept der "Vereiningung" von Kapital und Arbeit. Stirbois, ein Faschist von außerordentlichem Talent, verband Orthodoxie und politische Härte innerhalb der Partei mit einer flexiblen Taktik und der Verankerung faschistischer Politik in linken Wahlkreisen.

Zusammen mit seiner Frau und einer Handvoll Aktivisten schaffte er es, die Partei in Dreux zu etablieren, einer Stadt mit 35.000 EinwohnerInnen in der Nähe von Paris. Hier führte Stirbois einen intensiven Wahlkampf unter den beiden Standard- Slogans des FN, "Eine Million Arbeitslose sind ein Million Immgranten zuviel" und "Stoppt antifranzösischen Rassismus".

Die zweite Gruppe, aus der der FN rekrutieren konnte, waren die katholischen Fundamentalisten unter Romain Marie, die sich enthusiastisch dem FN anschlossen, und im November 1981 "Présent" gründeten, die erste extrem rechte Tageszeitung seit Ende des Krieges.

Das Jahr 1981 war ein Wendepunkt. Die Wahl von Mitterand und die Ernennung von Kommunisten zu Ministern in seinem Kabinett lösten eine öffentliche Gegenbewegung und eine Radikalisierung der gesamten Rechten aus, welche law-and-order-Kampagnen startete und einen schrillen Antikommunismus und Gewerkschaftsfeindlichkeit und sogar anti-staatliche Gefühle entwickelte.

Der Augenblick des FN war gekommen. Die Radikalisierung verlieh den Argumenten des FN Glaubwürdigkeit, und so konnte die Partei in den Schichten der radikalisierten Bourgeoisie und der Kleinunternehmer ein aufmerksames Publikum finden. Erstmals gelangen dem FN bei Wahlen ernsthafte Erfolge. Bei den Kantonalwahlen im März 1982 kamen ein paar FN-Kandidaten auf über 5%; in Dreux erhielt die Partei 12,6%.

Diese Entwicklungen erschütterten die etablierten Konservativen. Bei den Stadtratswahlen in Dreux 1983 stellte der konservative RPR mit dem FN eine gemeinsame Liste auf und übernahm das Rathaus. Zum ersten Mal hatte eine Partei der etablierten Rechten ein Bündnis mit dem FN geschlossen und bei städtischen Wahlen eine Mehrheit bekommen. Le Pen, der in Paris antrat, bekam 11.3%.

Der Erfolg des FN war zwar das Ergebnis einer Radikalisierung der Rechten, doch konnte der FN auch von zwei "Hilfsmaßnahmen", die die Sozialisten freundlicherweise durchführten, profitieren. Erstens erhielt der öffentlich-rechtliche Fernsehsender von Mitterand die Anordnung, Le Pen zu einer Diskussion einzuladen, die am 29. Juni 1982 gesendet wurde. Seitdem ist Le Pen regelmäßig im Fernsehen aufgetreten.

Dann führte Mitterand in der Absicht, die konservative Rechte zu spalten und abzuwehren, bei den Parlamentswahlen das Verhältniswahlrecht ein. Der FN bekam 35 Sitze.

Dieser Durchbruch ermöglichte es dem FN, seine gesamte Organisationsstruktur auf Vordermann zu bringen; so wurden ein Schulungszentrum für Aktivisten und eine Sicherheitsorganisation aufgebaut. Der FN konnte seine Mitgliederzahl auf 30.000 steigern, beschäftigte 30 Vollzeit- Organisatoren und - das entscheidende - er begann, für Wendehälse und Opportunisten aus der liberalen UDF und dem konservativen RPR attraktiv zu werden.

1985 verließ Bruno Mégret den RPR und stieß zum FN. Die Zusammenarbeit zwischen dem Sozialisten Mitterand und dem konservativen Premierminister Chirac erlaubte es dem FN, sich als die "wirkliche Alternative" darzustellen.

Trotz seiner Erfolge pendelte der FN nach wie vor heftig zwischen Respektabilität und Radikalisierung. Bestes Beispiel hierfür ist Le Pens berüchtigte Äußerung von September 1987, daß die Gaskammern der Nazis "ein Detail der Geschichte des zweiten Weltkriegs" seien, und sein antisemitisches Wortspiel gegen den jüdischen Minister Durafour im September 1988.

Ein weiterer markanter Punkt war der tödliche Autounfall von Jean Pierre Stirbois 1988, der Mégret in eine Führungsposition katapultierte und es ihm ermöglichte, seinen Einfluß im Parteiapparat und in der Partei selbst auszubauen.

1991 erlitt der FN einen schweren Rückschlag nach Le Pens persönlicher Entscheidung, gegen den Golfkrieg zu agitieren - eine Entscheidung, die ein Teil seiner WählerInnen nicht verstand. Die Partei erholte sich aber und kam bei landesweiten Wahlen regelmäßig auf 14% bis 15%.

Der FN ist im Grunde eine städtische Partei, die in der Region Paris, in Ballungsgebieten wie Lille, Lyon, Marseille, Strasbourg und an der Mittelmeerküste am erfolgreichsten ist. Ein Großteil seiner Unterstützung läßt sich mit der unter FN- WählerInnen weit verbreiteten Angst vor Unsicherheit und Immigration erklären; bemerkenswert ist allerdings, daß der FN in der Lage war, eine bedeutende Basis - 200nter den ArbeiterInnen zu etablieren, die gegen Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit protestieren wollen.

[1] Joseph Algazy, L'Extrême droite en France (1965 à 1984), L'Harmattan, 1989.

[2] Jean Yves Camus, Le Front National: Histoire et Analyses, eol, 1996.

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