Spaniens Pressefreiheit gilt nur für Gegner von ETA
Schwarze Schafe, weiße Westen

Von Gaston Kirsche (gruppe demontage)
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"Er hat als Bürger die Freiheit verteidigt, das Statut von Gernika und den Rechtsstaat." Javier Agirrezabala von den CCOO, der Gewerkschaft der Vereinigten Linken, erklärte dies am 4. April auf einer Versammlung in San Sebastián. Die Mehrzahl der Teilnehmer kannte sich aus der Zeit der Opposition gegen die Franco-Diktatur. 500 ältere Leute waren zusammen gekommen, um die José Luis López de Lacalle-Stiftung zu gründen. Agirrezabala wird die Stiftung leiten. Unterstützt von Mari Paz Artolazabal, der Witwe von de Lacalle. Der spanisch-nationale Mainstream protegierte dieses Ereignis gerne mit medialer Beachtung: Legitimiert es doch den Staat, der die Pressefreiheit verteidige und ein demokratischer Rechtsstatt sei. Am 7. Mai letzten Jahres hat ein Kommando von ETA de Lacalle erschossen, was Protest seitens der spanischen Linken auslöste. Er hatte davor zuletzt als Kolumnist für die rechte Tageszeitung El Mundo gearbeitet und sich im nationalen Konflikt klar auf der Seite des spanischen Staates, gegen ETA, positioniert. Deshalb hat ETA ihn zum Feind des baskischen Volkes erklärt und erschossen. 

Die nationale Polarisierung in die Befürworter eines unabhängigen baskischen Staates gegen die eines spanischen Zentralstaates ist derart verfestigt, dass auf der Gründungsversammlung der Lacalle-Stiftung kein Wort über die zur gleichen Zeit stattfindende Kriminalisierung von legalen Medien und Organisationen der baskisch-nationalen Linken kein Wort verloren wurde. 

Auch international erhalten spanische Intellektuelle Auszeichnungen von NGOS, weil sie von ETA bedroht worden sind, aber sich weiterhin gegen den baskischen Nationalismus äußern. So wurden am 11. April der Professor für Ethnologie Mikel Azurmendi und die Journalistin Carmen Gurruchaga in New York mit dem Preis Hellman/Hammett ausgezeichnet. Durch die größte US-Menschenrechtsorganisation, Human Rights Watch. Zur Begründung hieß es, beide seien durch ETA bedroht worden. Azurmendi ist Professor an der Universität des Baskenlandes und Mitglied des Forums Ermua, in dem auch de Lacalle Mitglied war. Gurruchaga schreibt in der spanisch-nationalen Tageszeitung El Mundo.

Der Preis ist benannt nach seinen Stiftern: Lillian Hellman und Dashiell Hammett, die beide Opfer der staatlichen antikommmunistischen Hexenjagd in den USA zur McCarthy-Zeit in den 50ern wurden. Hellman hatte jahrelang Probleme, Arbeit zu finden, weil niemand Kommunisten beschäftigen wollte. Hammett sass als Kommunist eine Zeitlang im Gefängnis. Bei der Preisverleihung wurde die Verfolgung durch einen antikommunistischen Staat gleichgesetzt mit den Drohungen und punktuellen Attentaten von ETA. Über die Verfolgung Oppositioneller seitens des spanischen Staates wurde nicht nur bei dieser Gelegenheit geschwiegen. 

Im September 1997 explodierte ein kleiner Sprengsatz vor der Haustür von Carmen Gurruchaga, welcher ETA zugeschrieben wird. Zwar war der Sachschaden nicht hoch, aber Gurruchaga war bereits zuvor häufig als Verräterin beschimpft und bedroht worden. Sie zog nach Madrid. Seitdem hat sie nunmehr drei Menschenrechtsauszeichnungen erhalten. Bereits 1998 erhielt sie den ersten Preis der Pressefreiheit von der spanischen Sektion der Reporter ohne Grenzen, im Dezember 2000 erhielt sie den entsprechenden Preis der internationalen Organisation von Reporter ohne Grenzen in Paris überreicht, weil sie "ein Symbol sei für den Widerstand gegen den Terror von ETA". Auch hier wieder das Schweigen über die Repression des spanischen Staates. Die berechtigte Kritik an der Repression seitens der Gegenstaatsmacht ETA wird mit einer Legitimation der staatlichen Gewalt verbunden. Besonders heuchlerisch wird die Kritik an der baskisch-nationalen Gewalt seitens ETA, wenn sie mit dem Ruf nach dem starken Staat und einem härteren Kurs gegen die vermeintlichen Sympathisantinnen von ETA verbunden wird. Dabei wird ETA neuerdings gerne als Reinkarnation der NSDAP tituliert, um die Repression des spanischen Staates in antifaschistischen Widerstand umzudeuten. 

Für den 21. April riefen spanisch-nationale Menschenrechtsgruppen zu einer Demonstration gegen ETA in Vitoria auf, wo das baskische Provinzparlament sitzt. Federführend war das Forum Ermua, dessen Sprecher mit den Worten nach Vitoria aufrief: "Wir wollen die Ausrottung darstellen und zeigen, dass wir unter einer Diktatur leiden, wie sie die Nazis gegenüber den Juden machten: Wir alle werden Juden sein am 21. April." An die Teilnehmer wurden Nachahmungen des Symbols, dass zur Nazizeit alle Juden tragen mussten verteilt: gelbe Judensterne mit der Aufschrift: Wegen Dissidenz. Die Plattform Freiheit, welche den Aufruf unterstützt, erklärte wenige Tage vor der Demo gegenüber der Zeitung El Mundo, dass die Situation im Baskenland mit der in Hitlerdeutschland vergleichbar sei: Die Aufzählung der Parallelen endete aber mit der Reichspogromnacht 1938. Die Shoah wird noch verschwiegen, ist es doch zu offensichtlich, dass ETA nicht alle Spanier im Baskenland vergasen wird und auch keine Konzentrationslager baut. Aber so weit, im Zusammenhang mit ETA Auschwitz zu erwähnen, sind spanisch-nationale Menschenrechtsgruppen schon - wie in El Mundo vom 12. April unter der Überschrift: "Das Forum Ermua plant eine Großdemonstration mit jüdischen Symbolen". Dort wurde behauptet: "Die Organisation erwartet die Solidarität von jüdischen Überlebenden der deutschen Konzentrationslager, welche, trotz ihres Alters, durch die Straßen von Vitoria demonstrieren werden." Ob dies eine Erfindung des Autors oder der Veranstalter war, sei dahingestellt. In den Artikeln nach der Demo war von einer Teilnahme von Überlebenden der Shoah nicht mehr die Rede. In spanischen Zeitungen wurde ausführlich berichtet. Der Correo Español titelte etwa am nächsten Tag auf Seite Eins: "Die Plattform Freiheit bevölkerte Vitoria mit Davidsternen gegen den baskischen Holocaust." 25.000 Teilnehmerinnen zählte der Correo, in El Mundo war dagegen nur von 3.000 Leuten die Rede, die sich hinter dem Leittransparent "Für die Freiheit - gegen die Ausrottung" versammelten. Unabhängig von der Größe war die Demo allerorts ein Medienereignis: Prominente Politiker der konservativen gesamtspanischen Regierung, liefen mit, von der PP, der Volkspartei; auch von der größten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PSOE. In Parolen wurde - wie bei solchen Anlässen üblich - ETA als das Böse schlechthin bezeichnet: "ETA - Faschisten, Nazis, Terroristen" und die Inhaftierung des Vorsitzenden der legalen linksnationalistischen Partei EH, Baskische Bürger, gefordert: "Otegi, du Mörder, auf dich wartet das Gefängnis". In seiner Abschlußrede warf sich der Präsident des Forums Ermua, Vidal de Nicolás, nochmal in die Opferpose und kritisierte den vermeintlichen "Totalitarismus von ETA, ihrer Gehilfen und Komplizen" und erklärte, "diese Demonstration ist ein Ausdruck der Zurückweisung des Talibanismus" der im Baskenland durch die Gewalt von ETA herrsche. 

Dem gegenüber sprechen baskische Linksnationalisten von einer staatlichen Offensive gegen alle Organisationen, die sich für die Unabhängigkeit des Baskenlandes einsetzen, ohne die Anschläge von ETA auf Journalisten zu kritisieren. Zu der Militarisierung von politischen Auseinandersetzungen durch ETA, zu den Hinrichtungsattentaten gegen Journalisten und Kommunalpolitikern wird geschwiegen, um so mehr die gewalttätige Repression des spanischen Staates kritisiert. Die baskische Jugendorganisation Haika erklärte in ihrem Aufruf zum 1. Mai 2001: "Das betrifft alle Organisationen und Organismen, die ein baskisches Vaterland wollen. Sie haben es mit Xaki gemacht, mit der Zumalabe-Stiftung, und mit Haika, weil wir effektive Schritte im nationalen Aufbau gegangen sind." Xaki ist eine legale Organisation, die das Euskal Herria Journal in mehreren Sprachen veröffentlicht hat und sich um Sympathie für eine baskische Unabhängigkeit in anderen Ländern bemühte. Der umtriebige Untersuchungsrichter Gnadenlos Baltasar Garzón hatte vor einem Jahr 15 Mitglieder von Xaki als angebliches "Außenministerium der ETA" verhaften lassen. Baltasar Garzón ist Spaniens bekanntester Jurist. Der oberste Untersuchungsrichter hat nicht nur Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet mit internationalem Haftbefehl suchen lassen, was ihm Sympathien bei Menschenrechtlern verschaffte. In Spanien ist er federführend bei der Kriminalisierung des legalen baskisch-linksnationalen Politspektrums. 

Seit Februar sind die Mitglieder von Xaki nicht mehr im Gefängnis, aber ihre Organisation ist kriminalisiert, ihr Journal nicht mehr erschienen. Garzón hat auch das vermeintliche Innenministerium von ETA entdeckt: Die Joxemi Zumalabe-Stiftung. Dort würden die "Politkommissare von ETA" sitzen, wie Garzón sich ausdrückte. Die Zumalabe-Stiftung begann letzten Sommer damit, ein baskisches Melderegister aufzubauen und einen neu kreierten baskischen Personalausweis auszugeben. Die gewünschte eigene, baskische Nation soll so von unten protostaatliche Einrichtungen bekommen. Der Vorsitzende der baskisch-nationalen Partei EH, Baskische Bürger, hat jetzt dazu aufgerufen, mit diesem Papier bei der anstehenden Regionalwahl am 13. Mai wählen zu gehen. In diesen Ansätzen, Einrichtungen parallel zum spanischen Staat aufzubauen, sehen spanische Nationalisten eine Provokation. Richter Garzón hat auch hier schnell reagiert. In seinen Anklageschriften behauptete er seit Jahren immer wieder, ETA und die legale baskisch-nationale Linke Organisationen seien eine einzige Organisation: "ETA-KAS-egin". Nun ist die Tageszeitung egin auf Antrag von Garzón seit Juli 1998 verboten, und die Organisationen des früheren baskisch-linksnationalen Bündnisses KAS standen immer am Rande der Legalität. Für die aktuelle Kriminalisierungskampagne, an deren Spitze sich mit seinem Eifer Baltasar Garzón gestellt hat, behauptet er gerne, gegenwärtige Organisationen und Medien seien als Ersatz für verbotene Vorläufer leicht zu verbieten: "Die legalen, illegalen und unlegalen Strukturen der baskischen nationalen Befreiungsbewegung befinden sich im Prozeß der Ersetzung: KAS ist jetzt Ekin, ASK die Joxemi Zumalabe-Stiftung, KHK ist Xaki, Egin ist ersetzt worden durch Gara, Jarrai-Gazterriak ist jetzt Haika."

Dies steht in der 61-seitigen Anklageschrift, die Baltasar Garzón am 2. April einem prominenten Untersuchungsgefangenen vorlas: Pepe Rei, der als Journalist in den Diensten der Organisation "ETA-KAS" stehen würde und teilnehmen würde an der Formierung "eines Staates parallel zum Spanischen." 

Pepe Rei ist Chefredakteur der Zeitschrift Ardi Beltza, Schwarzes Schaf, der seit Monaten in spanischen Medien Unterstützung von ETA vorgeworfen wird. Die spanischsprachige Zeitschrift erscheint seit Januar 2000 monatlich, durchgehend vierfarbig gedruckt, mit informativen Reportagen. Die Auflage von 11.500 Exemplaren wird ausschließlich im Abonnement vertrieben. Bekannte linksnationalistische Kneipen sind ebenso mit Anzeigen vertreten wie Rathäuser, in denen EH regiert. Ardi Beltza behandelt die klassischen Themen des linken baskischen Nationalismus- etwa einem Bericht von einer Konferenz von "Nationen ohne Staat" in Europa, auf der etwa der Kosovo und die kürzlich umkämpften Gebiete in Südwestmazedonien der albanischen Nation zugeschlagen werden. Daneben finden sich aber auch zahlreiche Berichte über den Rassismus in Spanien, etwa aus El Ejido. 
Garzón teilte Pepe Rei nun am 2. April mit, das nun nicht mehr wegen Unterstützung einer terroristischen Bande, sondern wegen Mitgliedschaft in selbiger gegen ihn ermittelt werde. Garzón begründete dies mit angeblich neuen Erkenntnissen aus einer Großrazzia vom 5. März. Die richtete sich gegen die linksnationalistische Jugendorganisation Haika, welche vom spanischen Innenminister Jaime Mayor Oreja als "Terroristenschule der ETA" bezeichnet wird. Unter dem Codenamen "Schlangenbrut" - Axt und Schlange bilden das Symbol von ETA - fanden Dutzende Hausdurchsuchungen statt, 15 Mitglieder von Haika, alle 20-26 Jahre alt, sitzen seitdem in U-Haft. 
Kaum jemand wundert sich darüber, dass Pepe Rei jetzt plötzlich Mitgliedschaft in der ETA mit diesen angeblichen Erkenntnissen unterstellt wird. Die Willkür, mit der Pepe Rei strafbare Handlungen vorgeworfen werden, hat Methode. Pepe Rei ist seit Jahrzehnten ein bekannter Zeitungsmacher, der sich für die staatliche Unabhängigkeit des Baskenlandes einsetzt und investigativen Journalismus betreibt. Hauptthemen von ihm sind die Korruption in Spanien, die Medienkampagnen gegen ETA und staatsterroristische Aktivitäten gegen das baskische linksnationalistische Politspektrum. Er sitzt deswegen zum vierten Mal in U-Haft, dreimal musste er bereits aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Den alles, was ihm vorgeworfen werden konnte, waren seine Artikel und seine Recherchen. Da in Spanien die formelle Pressefreiheit gilt, wurde ihm vorgeworfen, mit seinen Recherchen ETA zuzuarbeiten, um ihn zu kriminalisieren. Garzón wirft ihm vor, mit der Veröffentlichung von Informationen über bestimmte Personen und deren Lebensgewohnheiten der ETA Ziele vorzugeben. So heißt es in der Anklageschrift, von 400 in Ardi Beltza im letzten Jahrgang namentlich kritisierten Personen hätten sich 116 auf Listen von ETA mit potentiellen Anschlagszielen wiedergefunden. Das wird als Beweis gehandelt. Dabei dürfte eigentlich klar sein kann, dass die genannten Personen - Politiker, Journalisten, Industrielle - so exponiert sind, dass es keines Zeitungsartikels bedarf, damit ETA sie als eines ihrer zahlreichen Anschlagsziele in Erwägung zieht.

Aber kein Vorwurf gegen Ardi Beltza und Pepe Rei ist zu absurd, um nicht gerichtsverwertbar zu sein. So beschlagnahmte die Guardia Civil mehrmals bei Festnahmen angeblicher ETA-Mitglieder Ausgaben von Ardi Beltza. So wird suggeriert, das Etarras die Ardi Beltza brauchen, um sich auszusuchen, wen sie als nächstes abknallen. Im Dezember ließ die Polizei verlautbaren, in einer ETA-Wohnung seien 12 Exemplare von Ardi Beltza gefunden worden. Die waren aber nicht, wie auf der Pressekonferenz der Polizei suggeriert, für den Handverkauf beim nächsten ETA-Kommandotreffen gedacht. Ralf Streck, Mitarbeiter von Ardi Beltza, erklärte dazu: "Jedoch wurden die Ausgaben von Ardi Beltza in der Privatwohnung von Iñigo Muerza gefunden und nicht wie unterstellt in einer geheimen Wohnung, in der auch Waffen lagerten. Es handelte sich um zwölf verschiedene Ausgaben von Ardi Beltza, nämlich alle, die bis dahin erschienen waren. Das Muerza überhaupt ETA-Mitglied war, muß im übrigen erst noch bewiesen werden. Inzwischen wurde einer der fünf Personen, die in diesem Zusammenhang festgenommen wurden, wieder aus der U-Haft entlassen." Das Baltasar Garzón jetzt Pepe Rei Mitgliedschaft bei ETA unterstellt, erhöht auch den Kriminalisierungsdruck gegen Ardi Beltza. Igor Eguren, Ressortleiter bei Ardi Beltza, erklärte dazu im April: "Letzte Woche haben wir erfahren, daß er die Anschuldigung gegen unseren Redaktionschef, Pepe Rei, änderte und ihm nun Mitgliedschaft in der bewaffneten Organisation ETA vorwirft. Das hat die Möglichkeit eröffnet, Ardi Beltza zu schließen, denn nun wird nach dem § 129 auch gegen uns ermittelt. Wir machen weiter und haben gestern mit der Verschickung der neuesten Nummer begonnen."

Am 15. April meinte eine Madrider Tageszeitung, etwas neues über Pepe Rei enthüllen zu können: "Rei zielt aus dem Gefängnis erneut gegen Journalisten und fordert eine ‚Rebellion'" titelte der Diario 16: "Pepe Rei, Chefredakteur der Publikation Ardi Beltza (Schwarzes Schaf), verhaftet und angeklagt durch den Untersuchungsrichter Baltasar Garzón wegen seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft bei ETA, hat erneut, diesmal aus dem Gefängnis, gegen verschiedene Journalisten gezielt, welche er als direkt verantwortlich für seine Inhaftierung bezeichnet." Der Artikel bezieht sich auf einen Text von Pepe Rei, der offensichtlich bei einer Zellendurchsuchung bei ihm beschlagnahmt wurde: "Diario 16 hat Zugang zu einer langen Schrift, aus dem Gefängnis von Alcalá Meco, die Pepe Rei selbst an die ‚alternativen Medien' richten wollte."

In dem Artikel vermengt Diario 16 Zitate aus dem beschlagnahmten Text mit den gängigen Anschuldigungen gegen Pepe Rei: Er wird mehrmals als "vermutliches Mitglied von ETA" bezeichnet, seine Zeitschrift mit ETA in Verbindung gebracht: "Ardi Beltza, die Publikation, welche regelmäßig unter dem beschlagnahmten Material auftauchte bei den festgenommenen ETA-Kommandos im vergangenen Jahr." 

Ardi Beltza brachte im November letzten Jahres auch ein Video heraus: "Journalisten - Das Geschäft des Lügens". Am Anfang werden pittoreske Bilder vom Baskenland gezeigt: Fischkutter, Marktstände, ein Sonnenaufgang über den Bergen, wahrscheinlich hinter dem Jaizkibel. Danach werden spanisch-nationale Journalisten dafür kritisiert, dass sie die Verfolgung aller Sympathisanten von ETA fordern und die Propaganda des Innenministeriums gegen ETA und die legale baskische linksnationale Bewegung übernehmen würden. In dem Video werden etliche Journalisten namentlich genannt und für ihre Zusammenarbeit mit dem spanischen Staat kritisiert. 

Darüber hinaus suggeriert der Zusammenschnitt aber, ihre Angst vor der Bedrohung durch die Eta sei kaum ernst zunehmen, die Bedrohung der Meinungsfreiheit ginge vielmehr nur vom Staat und der Macht der spanisch-nationalen Presseoligarchen aus. 

Am Schluß heißt es zu Bildern vom Sonnenuntergang über dem Strand von Gros: "Lügen, Manipulationen - alles wird gegen dieses Volk eingesetzt. Am Ende wird - bedauerlich für dies Medien - das Baskenland sein, was es sein will, und die Leute werden frei über ihr Leben entscheiden." 
Zwei Tage nach dem Erscheinen des Videos verübte ETA auf eine der Genannten, Aurora Intxausti, ein Attentat. Danach empörten sich die in dem Video aufgeführten Journalisten, ihre Medien - alle großen - sowie die konservative PP-Regierung darüber, dass die für das Video Verantwortlichen Mitschuld an dem Anschlag seien. 

Dem widerspricht Igor Eguren von Ardi Beltza entschieden: "Das ist lachhaft. Ich weiß nicht, wie ETA agiert, aber das ist doch totaler Blödsinn, innerhalb von zwei Tagen einen Anschlag vorzubereiten, weil die beiden im Video genannt wurden. ETA ist doch nicht davon abhängig, das wir etwas über die Leute veröffentlichen."

Trotzdem wurde am 19. Januar Pepe Rei, der Produzent des Videos, verhaftet. Öffentliche Aufführungen des Videos wurden auf Betreiben der Staatsanwaltschaft am Staatsgerichtshof verboten und unterbunden, Ermittlungen gegen Organisationen eingeleitet, welche Vorführungen organisierten. In Barcelona fanden Hausdurchsuchungen statt, um die Videokopien zu beschlagnahmen.  Auch ein Autor von Ardi Beltza, der häufig in deutschsprachigen Periodika schreibt, geriet ins Kreuzfeuer der Kritik: Im Abspann des Videos wird Ralf Streck als Interviewer genannt. Tatsächlich enthält das Video Auszüge aus vier Interviews, in denen Journalisten etwa sagen: "Garzón hatte Recht, egin zu verbieten" (Carmen Gurruchaga), "Gara ist eine terroristische Tageszeitung" (Fernando Jauregui), "Pepe Rei ist eine Kanaille, ein Schwachsinniger", und "Der Vogel Pepe Rei sass ja schonmal wegen Kollaboration mit der bewaffneten Bande ETA im Gefängnis" (Luis del Olmo). Das Zusammenspiel von Staat und staatstragenden Medien wird in dem Video so eindrücklich deutlich. Die Interviewten wollen aber nicht so mit ihren eigenen Worten vorgeführt werden und behaupteten, die Interviews seien erschlichen worden unter Vorspiegelung falscher Auftraggeber. Ralf Streck erklärte dazu: "Richtig ist, dass die Recherchen für eine deutsche Produktionsfirma geführt wurden und die Pressefreiheit als ganzes zum Thema hatten. In dem Anschreiben hieß es unzweifelhaft: ‚Unsere Produktion erstellt einen Film über die Situation der Pressefreiheit. Sie wurden uns von Freunden als jemand genannt, der in seiner Arbeit beeinträchtigt ist.'" In spanischen Tageszeitungen haben die betroffenen vier Journalisten behauptet, sie hätten Anzeige gegen Streck erstattet, wohl um Ermittlungen gegen Streck herbeizuschreiben. Der weiß aber bis heute nichts von einer Anzeige, wie er mir gegenüber erklärte: "Von der gegen mich erstatteten Anzeige ist mir auch nach drei Monaten noch nichts bekannt." Hoffentlich bleibt das so. Die Einstellung des Verfahrens gegen Pepe Rei zu fordern, ist wichtig, weil es um einen politischen Streit geht, der nicht vor Gericht gehört: Pepe Askatu - Freiheit für Pepe Rei!

Das bedeutet aber nicht, ihm bei seinem nationalen Pathos zuzustimmen, etwa wenn er in Ardi Beltza vom Februar seinen Artikel aus dem Knast so beendet: "Die Zukunft gehört uns. Der Tag wird kommen, an dem das baskische Vaterland und alle Völker des Staates, welche die Freiheit erhoffen, in die Archive gehen müssen, um sich an jene längst vergangenen Übergangszeiten zu erinnern, die voller schmerzlicher Momente waren. Der Leser wird sehen, dass, wenn alle Möglichkeiten gut genutzt werden, diese Vorfälle nur das Vorspiel zur Unabhängigkeit sind." 

Pepe Rei hat gegen die Ermittlungen durch Garzón Widerspruch eingelegt, weil dieser befangen sei: Sein Name stehe sowohl in der Ardi Beltza als auch auf Listen des Kommandos Madrid von ETA mit möglichen Anschlagzielen. Außerdem sei er mit Luis del Olmo, dem von Pepe Rei in dem umstrittenen Video am ausführlichsten kritisierten Journalisten, eng befreundet. Am 10. April erklärte Garzón sich gegenüber seinem mit diesem Einspruch befassten Richterkollegen Guillermo Ruiz Polanco aber für nicht befangen. Garzón will das publicityträchtige Untersuchungsverfahren gegen Pepe Rei in jedem Fall selbst leiten. Er will Pepe Rei diesmal unbedingt verurteilt sehen.

Als ihn die Wächter um 6. 30 erneut zum dritten Verhör durch Baltasar Garzón aus der Zelle holen wollten, brach Pepe Rei am 7. April zusammen. Er wurde mit akuten Herzbeschwerden und stark überhöhtem Blutdruck ins Krankenhaus eingeliefert. Um einem möglichen Herzinfarkt vorzubeugen, wurde ihm Nitroglyzerin gespritzt. Bereits vor dem ersten Verhör am 2. April hatte es einen Disput zwischen Garzón und dem zuständigen Arzt gegeben. Wenige Tage zuvor hatte Pepe Rei seinen ersten Zusammenbruch, zum Verhör wurde er im Krankenwagen gebracht. Seine Erklärung, die er dann gegenüber Garzón zu seinem Zustand abgab, wurde in der baskischen Tageszeitung GARA veröffentlicht: "Seit meiner Einlieferung ins Gefängnis hat sich mein Gesundheitszustand stark verschlechtert. Meine Herzbeschwerden waren der Grund, warum ich in dass Krankenhaus ‚12. Oktober' eingeliefert wurde. Seit meiner Rückkehr in s Gefängnis hat sich meine Situation verschlechtert und zwar von Tag zu Tag. Die Schmerzen in der Brust dauern an..." 

Garzón nimmt darauf, wie auch bei anderen Gefangenen, die etwa Sympathien für ETA verdächtig sind, keine Rücksicht. Und die spanisch-nationalen Medien, die sich im Hochhalten der Pressefreiheit überschlagen, wenn ETA einen Journalisten tötet, schweigen bestenfalls. Ansonsten fordern sie Härte, wie unlängst die auflagenstärkste, sozialdemokratische Tageszeitung El Pais, wo Josep Ramoneda schrieb: "Der Kampf gegen den Terrorismus hat immer mit Schwierigkeiten zu kämpfen, wenn es gegen das zivile Umfeld von ETA geht. Baltasar Garzón, der auf diesem Gebiet am meisten fortgeschritten ist, verdanken wir es zu einem großen Teil, dass heute niemand, auch im Baskenland nicht, daran zweifelt, dass ETA und HB zwei Seiten derselben Sache sind." Bei den letzten Regionalwahlen 1998 im Baskenland erhielt das Wahlbündnis der linksnationalistischen Partei HB, Volkseinheit, 18% der Stimmen. Diese 18% sind für Josep Ramoneda und viele andere JounalistInnen wie für Baltasar Garzón lauter Verdächtige. Dementsprechend gibt es derzeit im Vorfeld der Regionalwahlen im Baskenland am 13. Mai eine Diskussion in ganz Spanien darüber, ob HB nicht besser verboten werden sollte. AktivistInnen aus dem Umfeld von HB haben deshalb eine offiziell nicht mit HB verbundene zweite Kandidatur angemeldet, die vermutlich zurück gezogen werden wird, falls HB nicht verboten wird. Die Liste heißt Askatasuna - baskisch für Freiheit.

Pepe Askatu - Freiheit für Pepe Rei!

Kontakt: Ardi Beltza, Apartado de Correos 5083, E-48009 Bilbao, Spanien. Telefon: 0034/94/661.14.15. Oder: ardiak@teleline.es  
Das Video "Periodistas: El Negocio de Mentir", 43 min, Spanisch, kostet 2.600 Pesten. Ein Jahresabo von Ardi Beltza, durchgehend spanischsprachig, kostet 14.000 Peseten.

Der Autor schickte das folgende Begleitschreiben:

Liebe Leute von der trend-Redaktion,
anbei ein neuer Text von mir zum Baskenland zur Kenntnisnahme.
Es geht um die Kriminalisierung der linksnationalistischen Zeitschrift ARDI BELTZA im Vorfeld der Wahlen in der spanischen Autonomieregion Baskenkland am 13. Mai.
Eine Einstellung in TREND würde mich freuen. Wäre eine Fortsetzung meines
Artikels "Virtuelle Schützengräben" aus TREND 12/00 vom 11.12.00 Ein kleiner Teil (6000 von 24000 Zeichen) erschien am 18. April in der jungle World. Diese neue & ausführlichere Variante des Textes ist dem gegenüber allerdings aktualisiert.
Mit freundlichen Grüßen
Gaston Kirsche