Editorial
Politisch kantiger


von Karl Müller
05/04

trend
onlinezeitung
Sowohl was die Metropolen anbelangt als auch ihre Peripherien, scheint es so zu sein, als nähere sich die Realität immer stärker ihrem Begriff: Imperialismus.

Die VR China wird zu einem Moloch des Kapitalexports, welcher in einem nie gekannten Ausmaß menschliche Arbeitskraft ausbeutet und dem dorthin exportierten Kapital Profite ohne Ende zu bescheren scheint. Auf der stofflichen Seite drückt sich das zum Beispiel in der Konzentration der weltweiten Stahlproduktion in diesem Großwirtschaftsraum aus. Und mit der immens gestiegenen Nachfrage wurde notwendigerweise der Stahlpreis (und mit ihr der der Steinkohle) stark nach oben getrieben.

Während der US- und der britische Imperialismus den Nahen Osten, gestützt auf Sattelitenstaaten, gemäß ihrer militärischen und ökonomischen Interessen durch initiierte Kriege und Bürgerkriege zu formieren versuchen, explodiert der Preis des Energieträgers Erdöl.

Stahl und Öl sind so zu sagen das stoffliche Rückrad des sich in der Abteilung I verwertenden Kapitals, nämlich dort, wo die Produktionsmittel hergestellt werden. Und somit wird der stetig steigende Kostpreis von Stahl und Öl zunehmend zur Verwertungsschranke des Kapitals. Gleichermaßen werden in den Metropolen die Klassenstrukturen wieder empirisch sichtbar, weil die Kosten ihrer Retusche unter diesen aktuellen Verwertungsbedingungen und den rasant gestiegenen außerökonomischen Kosten (Krieg) kaum noch aufzubringen sind.

Klassenstrukturen

Jene in den Metropolen wieder sichtbar werdenden Klassenstrukturen lassen die Konturen eines Proletariats aufscheinen, das sich zu einem (geringen) Teil aus hoch bezahlten Schichten in den Dienstleistungssektoren der "New Economy" zusammensetzt, die - bezahlt aus den Extraprofiten - mit nichts anderem beschäftigt sind, als sich Konzepte auszudenken, wie der relative Mehrwert zu steigern sei. Diese Kräfte dominieren nicht zufällig die politischen Diskurse in Parteien, Verbänden und Gewerkschaften.

Den weitaus größten Teil bilden jedoch jene Schichten, die verteilt auf die klassischen Ausbeutungsbereiche (Handwerk, Handel, Erledigungsdienste) unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit sich mit Niedrigstlöhnen abspeisen lassen. Das ganze wird ergänzt durch die immer kleiner werdende Schicht des Industrieproletariats und die heterogenen und massenhaft vorhandenen Beschäftigtenmilieus im Verkehr- und Transportwesen. Die weitaus größte Gruppe des Proletariats bilden die Millionenmassen der Arbeitslosen, Prekären, SozialhilfeempfängerInnen und MigrantInnen.

Alternative: Kommunismus

Die in der EU zusammengeschlossenen Staaten, mit der BRD als ihrem ökonomischen und politischen Focus, versuchen mit Macht, diese sich verkomplizierenden Verwertungsbedingungen des Kapitals in Griff zu bekommen. Verwertungsstrukturen, die den alten nationalen Rahmen längst hinter sich gelassen haben, sollen so zugerichtet werden, dass ein Zugriff auf die Ware Arbeitskraft im Großraum EU im Interesse des Kapitals jederzeit möglich ist, ohne dass dabei die alten Nationalgrenzen wirklich aufgehoben werden.

Insofern formiert sich durch die EU ein imperialistisches Konkurrenz-Projekt zum US-Imperialismus und zu den imperialistischen Schwellenländern in einer Weise, dass nach innen fragil und nach außen machtlüstern erscheint. Tagesnachrichten, die diese imperialistische Konkurrenz widerspiegeln, lassen den Eindruck entstehen, als ob sich Parallelen zu den Ereignissen herauszubilden scheinen, die den Ersten Weltkrieg ankündigten.

Natürlich wäre es paranoid zu halluzinieren, dass sich Geschichte wiederholen würde und dass vor allem ihre konkreten Bedingungen seit 100 Jahren unverändert die selben geblieben wären. Allerdings - und das ist der Springpunkt - hat sich die Kernstruktur des Kapitalismus keinesfalls verändert. Noch immer kommandiert das Kapital die Lohnarbeit, um Wert- und Mehrwert abzupressen und zu verwerten, und daher heißt noch immer die Alternative: Kommunismus.

Klassenkämpfe

Diese Erkenntnis veranlaßt uns zu einem anderen publizistischen Umgang mit der Geschichte. Postrukturalistische Ansätze oder das Leiden des Einzelnen in den Mittelpunkt rückende Betrachtungen von Geschichte, wie sie der Existenzialismus pflegt, werden im trend keinen Platz mehr finden. Wir wollen die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung nicht mehr länger ihren LeichenfledderInnen und DenunziatorInnen überlassen, sondern uns um Texte bemühen, die einen differenzierten Standpunkt bei der Untersuchung der Geschichte der Klassenkämpfe einnehmen.

Ein erstes sichtbares Zeichen dieser Veränderung stellt die Einführung des Themenbereiches "Betrieb & Gewerkschaft" dar. Hier soll über die aktuellen Klassenkämpfe berichtet werden, wie sie sich an ihrer direkten ökonomischen Nahtstelle abspielen. Wir werden vorwiegend auf Textquellen zurückgreifen, die aus Zusammenhängen stammen, die an dieser Nahtstelle politisch organisiert arbeiten.

Damit in einem inneren Zusammenhang stehend haben wir uns virtuelle Reprints vorgenommen, die zu einem ausgewogenen Verhältnis von Bruch und Kontinuität im Umgang mit der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung und der Klassenkämpfe beitragen. Hier beginnen wir mit Auszügen aus Max Beers in den 20er Jahren erschienenem Buch Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe. Wir greifen zurück in die Zeit, in der die Bourgeoisie beginnt, als Klasse zu entstehen und sich als Träger des Fortschritts zu begreifen. Eine Zeit also, wo allerlei soziale Utopien in Umlauf gelangen.

Kurzum: Der trend wird ab jetzt politisch kantiger und damit natürlich auch angreifbarer. Letzteres werden wir gern aushalten.