Back to the Roots?
Stellungnahme der Herausgeber
05/04

trend
onlinezeitung

Am 1. März 2004 implodierte das Partisan.net aufgrund der perfiden Interventionen des früheren trend-Redakteurs Günter Langer. Der trend, der durch den Provider des Berlinet 1998 schon einmal aus dem Netz geworfen worden war, hatte sich damals zusammen mit anderen Betroffenen das Partisan.net quasi als Schutz und Sicherheit vor solchen Angriffen errichtet. Auf Angriffe von "innen" waren wir jedoch nicht vorbereitet.

Durch den aktuellen Zusammenbruch des Partisan.net crashte natürlich auch der trend. Im März und April 2004 führte dies zu zwei reduzierten Notausgaben, die dankenswerterweise bei "linkeseite.de" erscheinen konnten. Wir nutzten diese Zwangspause, um inhaltliche und organisatorische Veränderungen zu erörtern. Die Ergebnisse dieser Beratungen möchten wir hier an die Öffentlichkeit geben. An Hinweisen, Kritik und vor allem an Mitarbeit und Unterstützung durch Zusendung von Texten sowie an der Einräumung des Rechts auf Spiegelung sind wir nicht nur mehr als interessiert, sondern vor allem auch angewiesen.

Der trend hatte sich in seinem mehr als achtjährigen Bestehen zu einer der wichtigsten linken Onlinemagazine im deutschsprachigen Internet entwickelt. Texte von weit mehr als 500 AutorInnen wurden seitdem veröffentlicht. Im Februar 2004 belegte der trend im google-Ranking den 13. Platz von 393 "alternativen" Internetzeitungen.

In den letzten Jahren wurde immer wieder in LeserInnenzuschriften an die trend-Redaktion betont, dass die Bedeutung des trend gerade darin bestünde, dass es dort einen ausgewogenen Querschnitt dessen zu lesen gäbe, was die Linke diskutiert bzw. wo ihre Gegensätze und Kontroversen angesiedelt sind. Daher erhielt die Redaktion auch ständig von den verschiedenen Strömungen Texte zur weiteren Veröffentlichung übermittelt. Andererseits ergänzte die Redaktion aus ihrer Sicht diesen Textbestand durch Spiegelungen.

Von Anbeginn (Januar 1996) konzentrierte sich die Redaktion auch auf die Bereitstellung von Dokumenten für bestimmte thematische Zusammenhänge. Hier wären exemplarisch zu nennen die Serien Aufruhr & Revolte, Deutscher Herbst 1977, das KPD-Verbot und Löcher in der Mauer, die seit 1997 entstanden und mittlerweile eine wichtige Rolle im WWW als historische Datenquelle spielen. Ferner ging es der Redaktion auch darum, durch virtuelle "Reprints" für linke Diskurse wichtige - aber "untergegangene" - Texte jenseits des Profitprinzips wieder zugänglich zu machen. Als jüngstes und daher noch nicht beendetes "Reprint"projekt wäre das 1975 erschienene "Israel-Buch" von N. Weinstock zu nennen. Schließlich wäre noch zu erwähnen, dass anknüpfend an das Konzept "Linkskurve" im Herbst 2003 eine Neuordnung (und Ergänzung) des trend-Textbestandes zum Thema "Antisemitismus" begann. Diese Arbeit stützte sich auf eine extra dafür eingerichtete AG.

Kritik des Neo-Revisionismus

Wir, die unterzeichnenden HerausgeberInnen, gehörten zu unterschiedlichen Zeiten der trend-Redaktion an. Schon deshalb werden wir dafür sorgen, dass das bisherige trend-Konzept weiter Bestand hat. Jedoch werden wir uns in Zukunft innerhalb der ideologischen Auseinandersetzungen als MarxistInnen deutlicher positionieren. Dabei wird es uns auch um die Entfaltung einer "Kritik des Neo-Revisionismus" gehen.

Der Vorwurf des Revisionismus spielte in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung eine entscheidende Rolle bei der Grenzziehung zwischen revolutionärer und reformistischer Politik. Das Konzept vom friedlichen Hinüberwachsen des bürgerlichen Staates in einen sozialistischen, wie es sich ideengeschichtlich aus der Theorie und Praxis der II. Internationale heraus entwickelt hatte, galt revolutionären MarxistInnen, wie Lenin und der Kommunistischen Internationale, als Verrat an den Prinzipien des Marxismus. Lenin und seine GenossInnen stützten sich dabei auf die politisch-praktischen Erfahrungen der Pariser Kommune und vertraten die Ansicht, dass nur durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie und infolgedessen durch die Errichtung der Diktatur des Proletariats die Voraussetzungen des Kommunismus geschaffen würden.

Der Revisionismusvorwurf wurde ein zweites Mal in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung nach dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 von Seiten chinesischer und albanischer KommunistInnen erhoben. Auch hier zielte der Vorwurf auf einen so genannten Verrat an den revolutionären Prinzipien des Marxismus. Indem sich die moskauorientierten KommunistInnen im Westen an Wahlen und an Regierungen beteiligten und damit für ein "friedliches Hinüberwachsen in den Sozialismus" eintraten, erschienen sie den durch den revolutionären Volkskrieg geschulten KommunistInnen der "Dritten Welt" als die neuen Sozialdemokraten bzw. als moderne Revisionisten.

In beiden Fällen richtete sich der Revisionismusvorwurf gegen eine politische Praxis, die als Zurückweichen vor dem Klassenfeind interpretiert wurde und nach Ansicht ihrer KritikerInnen seinen Niederschlag schließlich auch in der Marxistischen Theorie fand.

Unser Verständnis von Revisionismus grenzt sich davon in doppelter Weise ab. Zum einen ist der Ausgangspunkt unserer Kritik nicht die politische Praxis jener Strömungen, bei denen wir meinen, revisionistische Tendenzen feststellen zu können, sondern ihre Theoriearbeit. Zum andern verkürzen wir den Marxismus nicht auf eine Revolutionstheorie, um dann im Umkehrschluss daran Verrat zu wittern.

Im Kern unseres Revisionismusvorwurfs geht es uns um die schwerwiegenden Entstellungen bei der Rekonstruktion der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie der letzten Jahre. Hier handelt es sich nicht um Vernachlässigungen verschiedener konstitutiver Aspekte, sondern letztlich um die
Zerstörung des Marxismus, der in der Einheit von Wert- und Mehrwerttheorie gründet. Exemplarisch stehen dafür Robert Kurz & Co.,  indem sie die Marxsche Werttheorie von ihrer Mehrwerttheorie abspalteten.

Die Etikettierung Neo-Revisionismus stellt zwar ein grobes Zuordnungsverfahren dar, erscheint uns aber angesichts der Art und Weise, wie die so genannten WerttheoretikerInnen mit ihren KritikerInnen umgehen, angemessen, um in einer Diskussion der Klarheit willen zu polarisieren. Denn nicht ohne Erfolg haben diese Neo-Revisionisten bei der Entsorgung der Mehrwerttheorie ein Verständnis von der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie verbreitet, der ihnen in linken Diskurszusammenhängen den Ruf verliehen hat, bei ihrer Uminterpretation der Werttheorie handele es sich um eine Theorie gleichsam auf der "Höhe der Zeit".

Robert Schlosser schreibt uns in diesem Zusammenhang in einer internen Korrespondenz.

"Im Kapitalismus wird nur produziert um Profit zu erzielen. Der Mehrwert ist treibendes Motiv der Operation. Kennzeichnend ist die Bewegung des rastlosen Gewinnens, die den Kreislauf G-W-G' stets von neuem, auf erweiterter Stufenleiter beginnen muss. Die Vermehrung des vorgeschossenen Geldes ist die Bedingung der Existenz des Kapitals. Ohne eine entsprechende Herausarbeitung der alles beherrschenden Kategorie des Mehrwerts bleiben die wesentlichen Momente der gesellschaftlichen Bewegung und Vermittlung dunkel."

Bei ihren Versuchen einen ideologischen Einfluss auf Antifa-, Antira- und Antiglobalisierungskräfte zu erlangen, lastet jene wertkritische/-theoretische Verdunklung gesellschaftlicher Verhältnisse wie eine Erblast auf der theoretisch arbeitenden marxistischen Linken. Der Neo-Revisionismus blockiert diese gleichsam bei ihren Versuchen, den Denkhorizont jener Kampagnen-PraktikerInnen, der über Herrschafts- und Verteilungskritik ("Unsere Agenda heißt Widerstand") nicht hinauskommt, aufzubrechen. Angesichts dessen sind die MarxistInnen ihrerseits gezwungen, wenn sie ihre selbstverschuldete Isolation durchbrechen wollen, den Neo-Revisionismus zu überwinden und die gesellschaftlichen Verhältnisse wieder als von Wert- und Mehrwertproduktion strukturierte Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse zu analysieren.

Wir werden also in der nächsten Zeit Texte veröffentlichen, die den Neo-Revisionismus kritisch hinterfragen, seine Kernthesen herausarbeiten und zurückweisen. Allerdings wollen wir uns nicht nur auf den Neo-Revisionismus beschränken, sondern wir werden uns - und das hängt natürlich von den uns zugesandten Texten ab -  auch mit zeitgenössischen Vereinseitigungen bei der Rekonstruktion der Marxschen Theorie befassen. Dazu gehört zum Beispiel Michael Heinrichs "Die Wissenschaft vom Wert", also seine "monetäre Werttheorie".

Unbeschadet dessen werden wir weiterhin Texte von AutorInnen veröffentlichen, mit denen wir uns in dieser Weise kritisch auseinandersetzen. Gerade auch deshalb um unseren LeserInnen direkt die Möglichkeit zu geben, sich unserer Kritik anzuschließen oder durch eigene Kritik zu ergänzen.

In Anlehnung an unsere positiven Erfahrungen mit der Antisemitismus-AG werden wir den trend nutzen, um einen Zirkel aufzubauen, der dazu eigenständig arbeitet. Wir denken z.B. an eine kritische Auseinandersetzung mit Moishe Postones Schrift: Zeit Arbeit Soziale Dominanz, Neuinterpretation der Marxschen Theorie.

Texte zur Ökonomie und Geschichte

Im trend gab es seit mehreren Jahren zwei ständig wiederkehrende Rubriken, denen Texte zur Geschichte und zur Ökonomie zugeordnet wurden. In aller Regel handelte es sich um gespiegelte Texte, wobei zwei unterschiedliche Auswahlkriterien Anwendung fanden. Für die Auswahl von Geschichtstexten galt: Die Texte sollten "Geschichte von unten" transportieren. Sozialer Widerstand, Klassenkämpfe und wichtige Texte aus der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung wurden daher bevorzugt behandelt.

Bei den "Ökonomie"-Texten hieß es eher, die Breite der linken Debatte auf diesem Feld zu illustrieren. Das führte bisweilen zu Missverständnissen. So erhielten wir mitunter LeserInnenbriefe, die gegen die Veröffentlichung bestimmter Texte protestierten, weil der Eindruck entstanden war, dass diese Texte von uns redaktionell getragen wurden. Tatsächlich ging es uns nur um die Dokumentation dieser Texte.

In beide Rubriken werden wir zukünftig verstärkt virtuelle "Reprints" einstellen. Im Bereich der Ökonomie soll es sich vornehmlich um Textmaterial handeln, das zu Schulungszwecken verwendet werden kann. Wir wollen damit einen Beitrag dazu leisten, dass es wieder möglich wird, vor Ort marxistische Grundlagenschulung anzubieten. Im Bereich Geschichte sollen in erster Line Texte wiederveröffentlicht werden, die die Geschichte als Geschichte der Klassenkämpfe untersuchen.

Hintergründe und Gegenstandpunkte

Der trend wird trotz dieser Neuerungen ein "Readers Digest" der Linken bleiben. Dafür stehen wir als Herausgeber. Doch wie die jüngsten Auseinandersetzungen um die rassistische Becklash-Kampagne in unseren eigenen Reihen zeigen, sind Antagonismen nie auszuschließen. Wir streben daher die Schaffung eines Beirates an, der die MacherInnen des trend politisch berät und ggf. korrigiert.

Wir - Beirat und Herausgeber - werden gemeinsam sicherstellen, dass der trend zu wichtigen tagespolitischen Ereignissen hier und anderswo informiert und von herrschenden Meinungen abweichende sozialemanzipatorische Ansichten eine Internetplattform erhalten. Hintergründe und Gegenstandpunkte zu veröffentlichen wird ein Markenzeichen des trend bleiben.

Wir laden von hier aus alle linken AutorInnen zur Mitarbeit ein. Schickt uns Eure Texte, Thesen, Kommentare und Kritiken. Wir garantieren Euch, dass bei uns rassistische, nationalistische, inhumane und faschistische Positionen keine Öffentlichkeit erhalten. Ebenso werden wir keine Texte von Personen veröffentlichen, die sich an Querfrontprojekten beteiligen.

Back to the Roots?

Als wir 1998 das Partisan.net schufen, handelte es sich nicht nur um die logische Fort- und Umsetzung dessen, was zwei Jahre zuvor mit dem trend an Formen und Strukturen linker Gegenöffentlichkeit entwickelt worden war, sondern mit dem Partisan.net sollte ein exemplarischer Beitrag zur Überwindung der Zersplitterung der linken&radikalen Kräfte geleistet werden. Als günstig erschien uns dafür der Umstand, dass es damals für Linke ausgesprochen schwierig war, selbst organisierte Projekte ins Internet zu stellen. Deshalb glaubten wir, durch ein attraktives Projekt, wo Mailinglisten, virtuelle Wandzeitungen, Archive, Terminübersichten, theoretische Debatten, Kurznachrichten, ein elektronischer Buchladen usw. auf einem Server gehostet wurden, verschiedene Strömungen auf einer Veröffentlichungsplattform zusammenzubringen. Das Partisan.net sollte Mittel zum Zweck der Vernetzung sein. Daher gab es kontinuierlich über Jahre hinweg vom Partisan.net initiierte Foren, Diskussionsrunden und Konferenzen.

Unabhängig von dem hinterhältigen Angriff auf das Partisan.net, welcher zu seinem Abschalten führte, müssen wir jedoch selbstkritisch einräumen, dass das Partisan.net als Vernetzungsprojekt gescheitert ist. Das Scheitern resultierte nicht aus persönlichen Unzulänglichkeiten, sondern war einer objektiven Entwicklung geschuldet, die durch ideologischen Zerfall und politische Atomisierung der Marxistischen Linken gekennzeichnet ist. Hinzu kam die rasante Entwicklung des WWW zu einem Massenmedium, was von jeder Kampagne, Einzelperson oder von jedem politischen Projekt zur selbständigen, von anderen Strömungen unabhängigen Verbreitung genutzt werden kann. Dieser Tendenz ungebrochen den Vernetzungsanspruch vorzuhalten wäre einfach anachronistisch.

Dennoch haben sich beim Partisan.net zwei Funktionen bewährt, die wir bewahren und fortführen wollen. Zum einen handelt es sich um den Partisan.net-Archivbereich und zum andern um unsere "Onlinezeitung" trend.

Heißt das Back to the Roots? Dort wieder ansetzen, wo der trend 1996 gestartet ist. Ja und Nein. Ja, insofern als der trend wieder zum Kerngebiet unserer politischen Betätigung wird. Nein, weil der trend nicht nur qualitativ - d.h. von seinen Inhalten her - mehr ist als in seiner Frühphase, er ist es auch quantitativ. Der trend braucht daher auch zukünftig virtuelle Rahmenbedingungen, wie sie durch das Partisan.net gegeben waren. Z.B. befanden sich in den Archiven des Partisan.net Datenbestände, die aus dem trend stammten. Aber nicht nur trend-Datenbestände hosteten dort, sondern auch solche aus anderen Zusammenhängen, auf die sich der trend bisher bezog und die er weiterhin für seine politische Identität braucht.

Aus all dem folgt notwendiger Weise die Abschiednahme vom Partisan.net als einem Strömungsübergreifenden Vernetzungsprojekt und sein Umbau zu einem linken Archiv mit einem integrierten Theorieorgan (trend), beides eingebettet in eine Portalseite für linke Politik.

Diese Portalseite www.infopartisan.net  gibt es bereits. Von dort aus werden wir mit dieser Ausgabe den trend neu ins Netz stellen.

Damit es wieder heißen kann, lest den trend; visit www.trend.infopartisan.net !

Rolf-Dieter Missbach & Karl-Heinz Schubert