Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die extreme Rechte vor ihrer (nächsten) Spaltung?

05/08

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Die französische extreme Rechte könnte vor einer neuen Spaltung stehen. Während der Front National (FN) weiterhin in einer tiefen organisatorischen und politischen Krise steckt und diese auch seine Ergebnisse bei den Rathaus- und Bezirksparlamentswahlen vom März 2008 nicht überwinden konnte – AN berichteten ausführlich--, bereiten andere Kräfte zusammen mit innerparteilichen Strömungen eine neue Parteigründung vor.

Front National weiterhin auf striktem Sparkurs

Nun ist es also offiziell: Der Parteisitz des Front National (FN) wird „im Mai oder Juni dieses Jahres“ definitiv vom Pariser Nobelvorort Saint-Cloud, wo er sich seit dem Jahr 1994 befand, in die Bezirkshauptstadt Nanterre westlich von Paris verlegt. Dies kündigte FN-Chef Jean-Marie Le Pen am ersten Freitag im April, in einer Videobotschaft auf der Homepage seiner Partei an. (Vgl. http://fr.news.yahoo.com) Als voraussichtliche Käufer werden… Chinesen gehandelt (vgl. http://www.bakchich.info/breve624.html). Und inzwischen verkauft Jean-Marie Le Pen sogar seine gepanzerte Peugeot-Limousine auf eBay… Die Bekanntgabe dieses Verkaufsangebots am Vorabend des 1. Mai-Aufmarschs des FN wurde in den Reihen der eigenen Partei nicht extrem gut aufgenommen. Anlässlich der 1. Mai-Parade der Rechtsextremen beeilte sich die Parteiführung deshalb auch, zu betonen, Jean-Marie Le Pen habe bereits eine neue Limousine vom Typ Citroën. Ob sie gepanzert ist oder nicht, mochte (auf Anfragen von Journalist/inn/en hin) niemand präzisieren…

Der Grund für diesen - faktischen - Notverkauf der langjährigen Parteizentrale ist finanzieller Natur: Die Partei benötigt dringend frisches Geld, da sie 8 Millionen Euro Schulden hat. Der alte Parteisitz - bekannt unter dem Namen ‚Le Paquebot’ (Der Dampfer) - maß rund 5.000 Quadratmeter, der neue misst noch ihrer 1.800. Der Verkauf der alten Parteizentrale, ursprünglich bis Ende April angekündigt, durch den FN soll laut Le Pen „im Laufe des ersten Halbjahres“ erfolgen und ihm 16 Millionen Euro eintragen. Das von den Linksparteien (unter Führung des KP-Bürgermeisters Patrick Jary) geleitete Rathaus von Nanterre bezeichnet die Niederlassung der Parteizentrale in ihrer Stadt - „wo der FN nicht einmal über Gewählte (im Kommunalparlamentarier) verfügt“ - als „Schande für die Demokratie“. (Vgl. http://www.europe1.fr) Darauf antwortete die rechtsextreme Partei ihrerseits mit einem unfreiwillig komischen Kommuniqué, worin sie die Position des „kommunistisch geführten“ Rathauses von Nanterre mit der Repression durch das (angeblich „kommunistische“) chinesische Regime in der Autonomen Region Tibet verglich, unter dem Titel: „Von Tibet bis Nanterre: Der Kommunismus (ist) unvereinbar mit der Demokratie.“ (Vgl.
http://www.frontnational.com

Auch sonst sieht sich der FN gezwungen, einen strikten Sparkurs zu fahren. Und die Motivation dazu ist offenkundig nicht allein finanzieller Art. So ist die rechtsextreme Partei dabei, die Hälfte der bislang 50 hauptamtlichen Mitarbeiter an ihrem Parteisitz zu entlassen. Dies kündigte Jean-Marie Le Pen ihnen in einer kurzen Ansprache am vergangenen Freitag (18. April) an, wobei er hinzufügte, es sei ihnen aber künftig „nicht verboten, als ehrenamtliche Mitarbeiter weiterhin zur Arbeit zu kommen“. Eine durchaus kreative Personalpolitik, die die Fantasie so manchen Unternehmers beflügeln könnte… Aber vielleicht war es auch ironisch gemeint und mit höhnischem Unterton ausgesprochen. Denn Jean-Marie Le Pen benutzt die aktuellen Geldprobleme des FN auch dazu, um „aufzuräumen“ und solche Mitarbeiter loszuwerden, die sich dem Aufstieg der Cheftochter Marine nach „ganz oben“ widersetzen und darum lästig geworden sind: Die gekündigten Mitarbeiter sollen fast alle miteinander gemeinsam haben, dass sie gegen Marine Le Pen opponier(t)en… (Vgl. http://www.bakchich.info/breve625.html ).  

 Im Hinblick auf den alljährlichen Aufmarsch der rechtsextremen Partei am 1. Mai, „zu Ehren von Jeanne d’Arc“ - jener „Jungfrau von Orléans“, die im 15. Jahrhundert die Engländer im Dreißigjährigen Krieg bekämpfte und die durch französische Rechtsnationalisten als „Nationalheilige“ betrachtet wird - kündigte die FN-Spitze im Vorfeld eine Änderung des Orts für die Abschlusskundgebung an. Statt auf dem Vorplatz der Pariser Oper hielt Jean-Marie Le Pen in diesem Jahr seine Rede auf der Place des Pyramides (in der Nähe des Louvre), wo sich eine vergoldete Statue von Jeanne d’Arc befindet. Bereits bisher zog der jährliche FN-Aufmarsch über die Place des Pyramides hinweg, von dort aus jedoch weiter bis vor die Oper. Offiziell rechtfertigte der FN-Apparat diese Verkürzung der Aufmarschroute mit Einsparungen „bei den Beschallungs- und Beleuchtungskosten“, denn die Place des Pyramides ist ungleich kleiner als der Opernplatz. In Wirklichkeit jedoch ging es wohl auch darum, den negativen Eindruck zu verhindern, der entstünde, falls Le Pen vor einem zur Hälfte oder zu drei Vierteln leeren Platz sprechen müsste. (Vgl. http://www.lesechos.fr/info/france/4707841.htm) Bereits in den vergangenen Jahren schaffte der FN es nicht, den Opernplatz,  der – gut gefüllt – über zehntausend Menschen fassen dürfte, wirklich voll zu bekommen. Im vorigen Jahren waren es circa 4.000 Parteianhänger gewesen, die dorthin kamen. In diesem Jahr waren es laut Angaben der Polizei 1.250, nach Angaben der Veranstalter hingegen angeblich „6.000“ Personen (und lt. eigenen Beobachtungen des Autors dieser Zeilen rund 1.500), die sich auf dem Pyramidenplatz drängten. 

Unterdessen hat das (sowohl auf Papier als auch elektronisch erscheinende) Mitteilungsblatt des Parteiapparats Français d’abord in einer Nummer von Anfang April 2008 seine Einstellung, mit sofortiger Wirkung, angekündigt. Seitdem ist allerdings noch mindestens eine neue elektronische Ausgabe der Publikation erschienen. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die parteinahe, und zu 40 % der Kapitalanteile auch parteieigene, „Nationale Wochenzeitung“ National Hebdo (NH) dicht vor der Pleite steht. „In den nächsten Tagen“, so hieß es ebenfalls Anfang April, solle sie voraussichtlich ihren Bankrott anmelden. Die Zeitung wurde und wird bisher durch die Partei subventioniert, da sie aufgrund einer eher spärlichen Leserschaft - der sich auf den engsten Kreis der Parteimitglieder reduzieren dürfte - nicht von ihren Einnahmen aus dem Kiosk- oder Aboverkauf überleben könnte. Angeblich trägt sie dem FN einen Verlust von rund 100.000 Euro pro Jahr ein. Nun ist mit ihrer baldigen Einstellung zu rechnen: „Rund um den 15. April“ soll(te ursprünglich) Schluss sein. Allerdings erschien an den beiden vergangenen Donnerstagen noch jeweils eine Ausgabe, und bislang ist unbekannt, ob noch weitere herauskommen werden oder ob nun wirklich in Bälde der Zapfen ab ist. 

Jedoch trägt „Cheftochter“ und Parteimodernisiererin Marine Le Pen sich anscheinend mit der Absicht, binnen kurzer Zeit eine neue Zeitung zu gründen. Diese soll nur noch ausschließlich an Abonnenten sowie per Handverkauf vertrieben werden, also ohne den wenig einträglichen Kioskverkauf, und den Titel Le National führen. Geleitet werden soll sie den Plänen zufolge durch den früheren NH-Journalisten Jean-Emile Néaumet und durch Alain Soral, einen ehemals von der Linken kommenden und beim FN gelandeten Berufsprovokateur, der in den Jahren von 2005 bis 07 Marine sowie Jean-Marie Le Pen beriet, jedoch innerparteilich aufgrund seines demagogischen „Linkskurses“ im Wahlkampf unter heftige Kritik geriet. Deshalb unken bereits manchen Stimmen aus der extremen Rechten, die Finanzkrise diene Marine Le Pen als bequemer Vorwand, um eine Umstrukturierung der „nationalen Presse“landschaft in ihrem Sinne vorzunehmen. Der Augenblick wäre jedenfalls günstig… 

Neue Parteigründung in Vorbereitung 

Unterdessen bereiten sich innerparteiliche „Dissidenten“strömungen sowie andere Kräfte der extremen Rechten darauf vor, eine neue Partei oder Sammelbewegung aus der Taufe zu heben. Jene Kräfte, die daran beteiligt sind, positionieren sich eher rechts vom FN (bzw. dem Mainstream der Partei, insbesondere verkörpert durch die verhasste „Modernisiererin“ Marine Le Pen) und werfen ihm vor, „zu schlapp“ geworden zu sein. 

Am 29. März wurde, laut einem Artikel der rechtsextremen aber parteiunabhängigen Wochenzeitung ‚Minute’, anlässlich eines Treffens in Paris eine Struktur für eine neue Bewegung geschaffen. Daran nahmen laut Angaben eines prominenten Beteiligten, Robert Spieler (vgl. unten), 40 rechtsextreme Kader und unter ihnen 15 Regionalparlamentarier teil.

Diese Regionalparlamentarier gehör(t)en notwendiger Wiese dem FN an, da außer ihm derzeit keine andere rechtsextreme Kraft über Sitze in den Regionalparlamententen verfügt. Der MNR war dort von 1999 bis 2004 ebenfalls vertreten, aber nur aufgrund des Parteiwechsels von Mandatsträgern, die bei der vorletzten Regionalparlamentswahl im März 1998 auf Listen des FN gewählt worden waren. Bei den letzten Wahlen im März 2004 verlor der MNR, der bereits zur Splitterpartei abgesunken war, sämtliche Sitze in den Regionalparlamenten. Der FN trug damals 156 Mandate in den Regionalräten davon (im Vergleich: im März 1998, freilich unter einem anderen und für ihn günstigeren Wahlrecht, waren es noch 275 gewesen, aber nach der Spaltung von 1998/99 war er auf 139 abgesackt.) Das bedeutet also, dass rund ein Zehntel der für den Front National in den Regionalräten sitzenden Abgeordneten aktuell an dem neuen Sammlungsversuch beteiligt sind. Im nationalen Parlament ist die extreme Rechte, aufgrund des dort Mehrheitswahlrechts, nicht vertreten.

Die am 29. März gegründete Struktur steht derzeit noch unter dem (provisorischen) Namen „Initiativkomitee für die Refondation (Wieder-, Neugründung)“. Am 27. April dieses Jahres soll diese „Bewegung“ – die bislang noch keine politische Partei darstellt, aber in naher Zukunft eine werden soll – sich nun einen endgültigen Namen geben, und am 1. Juni dieses Jahres in Paris einen Gründungskongress oder „nationalen Konvent“ abhalten. Ihm soll im Dezember 2008 ein erster Parteitag folgen. 

An dem Gründungsversuch nehmen bisher einige prominente rechtsextreme Figuren teil. So stößt man auf Robert Spieler, den bisherigen Chef der 1988 aus einer Abspaltung des FN im Elsass entstandenen rechtsextrem- regionalistischen Bewegung Alsace d’abord (Elsass zuerst). Man trifft auch auf Bruno Mégret, den Vorsitzenden des Mouvement national-républicain (MNR, Nationale und republikanische Bewegung), einer Partei, die 1999 als Abspaltung vom FN entstand und die Hälfte seiner höheren Parteifunktionäre sowie Mandatsträger - oft die qualifizierten - mitnahm, aber heute klinisch tot und hoffnungslos überschuldet ist. Der MNR (bzw. was davon noch übrig ist) dürfte sich deshalb wohl umso widerstandsloser in eine Sammelpartei hinein auflösen. Ferner findet man auch mehrere rechtsextreme Regionalparlamentarier, die bislang dem FN angehörten, wie Jean-François Touzé im Raum Paris, François Dubout in der Region Nord-Pas de Calais sowie François Ferrier und der katholische Fundamentalist Jean-Philippe Wagner in Lothringen/Lorraine. François Dubout ist soeben frisch aus dem FN ausgeschlossen worden, weil er als Spitzenkandidat bei den jüngsten Kommunalwahlen im März 08 in Calais seine Liste (gegen den Willen der Parteiführung) kurz vor der Stichwahl zurückzog und es dadurch der konservativen Regierungspartei UMP erlaubte, das bisher „kommunistisch regierte“ Rathaus von Calais zu „erobern“ ; deswegen feierte o.g. Robert Spieler ihn auch jüngst als „den, der das kommunistische Rathaus von Calais stürzte“. Jean-François Touzé hatte im Vorjahr 2007 zu jenen vier Parteifunktionären gehört, die vorsorglich ihre Kandidatur für die - offiziell noch nicht eröffnete - Nachfolge Jean-Marie Le Pens an der Spitze des FN anmeldeten. 

Schließlich darf auch Robert Hélie bei dem neuen Sammlungsversuch nicht fehlen, der Kopf der Zeitschrift ‚Synthèse nationale’, der den Großteil der Vorgenannten oder jedenfalls der von ihnen repräsentierten politischen Kräfte schon am 27. Oktober 2007 zu einer gemeinsamen Saalveranstaltung im 7. Pariser Bezirk versammeln konnte. (Vgl. dazu ausführlich: http://www.trend.infopartisan.net/trd1107/t231107.html) Insbesondere der FN-Funktionär Jean-François Touzé und der elsässische rechtsextreme Regionalist Robert Spieler hatten damals teilgenommen, und Mégret hatte sich durch den jungen Generalsekretär seines MNR - Nicolas Bay - vertreten lassen. 

Robert Spieler trat, vor dem Hintergrund dieser anlaufenden Umgruppierung im rechtsextremen Lager, am 14. April vom Vorsitz der von ihm gegründeten Bewegung Alsace d’abord zurück. Letztere wird nun am 23. April, aus Anlass eines Kongress zum zwanzigsten Jahrestag ihrer Gründung, eine neue Führung wählen (müssen). (Vgl. http://www.franceinfo.com) Allerdings befindet sich diese Formation de facto ohnehin in einer Krise, da sie durch ihre jüngsten schlechten Wahlergebnisse geschwächt ist. Am 9. März erhielt ihre Liste in Strasbourg, beim ersten Durchgang der Kommunalwahlen, nur noch 2,17 % der Stimmen in der elsässischen Regionalmetropole (zuzüglich 2,84 % für die andere rechtsextreme Liste, jene des „klassischen“ FN). Bei den vorangegangenen             Kommunalwahlen im März 2001 hatte Alsace d’abord in derselben Stadt noch 9,21 % der Stimmen auf sich gezogen, zuzüglich 7,50 % für den FN, der auch damals eine eigene Liste aufgestellt hatte. 

Der Bloc identitaire, die radikalste Organisation der französischen extremen Rechten (Stiefelfaschisten mit Blut-und-Boden-Ideologie, Nachfolgetruppe der im August 2002 verbotenen Sammelplattform Unité Radicale/UR) scheint zwar mit  eigenen Repräsentanten an den ersten Schritten des jüngsten Gründungsversuchs beteiligt gewesen zu sein. Er dementiert jedoch nunmehr seine Teilhabe. Tatsächlich   taucht der Name seiner leitenden Kaderin im Département Nord (um Lille), Isabelle Crépin, auf der Teilnehmerliste des Gründungs-Vorbereitungstreffens vom 29. März d.J. auf. Ihre Organisation gibt jedoch inzwischen an, dass sie nicht an ihm teilgenommen habe. 

Ideologische Unterschiede 

Derzeit ist noch nicht genau absehbar, wie das ideologische Profil der neuen Partei aussehen wird. Diese wird ja doch gewisse Unterschiede überbrücken müssen, etwa zwischen rechtsextremen Regionalisten (wie Robert Spieler) einerseits und Rechten, die aus einer nationalstaatsfixierten Tradition - wie dem Großteil des FN sie vertritt - kommen, auf der anderen Seite. Den gemeinsamen Nenner dürfte aber wohl der Einsatz für ein „weißes“ (bzw. „seiner Identität verbundenes“) und starkes Europa abgeben, wobei in diesem überwiegend rassisch definierten Europa sowohl die Regionen als auch die Nationalstaaten irgendwie ihren Platz finden würden. Diese politische Logik teilen im Übrigen auch beispielsweise die Identitaires, denn deren Selbstdefinition (das Adjektiv in ihrem Namen, das für ihr Selbstbild als „Identitätsverteidiger“ steht) versteht sich bewusst als Steigerungsform des „Nationalen“ im Namen des Front national. Und so verkauft diese Strömung ihre „Identitäts“ideologie als eine Position, die konsequenter sei als der traditionelle Nationalismus etwa des FN: „Wenn eine Familie aus Mali nach Frankreich kommt und sich zur Republik und zu den Menschenrechten bekennt, dann macht das noch lange keine Franzosen aus ihr! Und falls doch, weil (Anm.: auf nationaler Ebene) eine verfehlte Politik dafür sorgt, dass sie die Staatsbürgerschaft erwerben können, dann werden sie dadurch noch lange keine Bretonen, Occitanen oder Auvergnanten. Und auch keine Europäer!“ (Vgl.  http://www.trend.infopartisan.net/trd1107/t231107.html

Dabei zeichnet sich ein Unterschied zur Mehrheitslinie beim Front National ab, die auch weiterhin in der Verteidigung des klassischen Nationalstaats (wie ihn im französischen Falle die Monarchie, Postjakobinismus und Bonapartismus hinterlassen haben) fest verharrt. Beide Seiten müssen dabei zur Kenntnis nehmen, dass die politische Utopie eines absolut souveränen, im Namen seiner „nationalen Gemeinschaft“ mehr oder minder allein über seine Geschicke bestimmenden Nationalstaats sich heutzutage als kaum realisierbar erweist. Nur wird das (real)politische Dilemma dabei in zwei unterschiedliche Richtungen hin aufgelöst. Die Einen, indem sie neben der Verteidigung der engen, kleinen „natürlichen Gemeinschaft“ auch Ambitionen für eine europäische Großmachtpolitik fordern/befürworten - und damit durchaus wieder in die Nähe dessen rücken, was heute als (Real)Politikfähigkeit gilt. Und die Anderen, indem sie ihr eisernes Beharren auf einer Verteidigung des klassischen Nationalstaats mit einer gewissen Erweiterung der Definition der ihm zugrunde liegenden „nationalen Gemeinschaft“ verknüpfen.  

So insistiert das Umfeld Marine Le Pens, und insbesondere Alain Soral, seit circa zwei Jahren auf eine stärkere Einbindung auch der französischen Staatsbürger migrantischer Herkunft in den (modernisierten) Nationalismus. Die Wahlkampfführung für die Präsidentschaftskandidatur Jean-Marie Le Pens in den Jahren 2006/07 war stark davon geprägt. Marine Le Pen, die im März dieses Jahres die Gelegenheit erhielt, ihre Ideen in einem Chat mit den Leser/inne/n der liberalen Pariser Abendzeitung Le Monde darzustellen, führte u.a. dazu aus: „Wir haben im Jahr 2007 die Lehren aus (Anm.: unserer Niederlage in der Stichwahl) 2002 gezogen, nämlich, dass es nicht möglich ist, eine Politik der (nationalen) Sammlung innerhalb von zehn Tagen (Anm.: d.h. zwischen den beiden Wahlgängen der Präsidentschaftswahl, die 14 Tage auseinander liegen) in Gang zu setzen. Folglich müssen eine bestimmte Anzahl von Signalen schon vor dem ersten Wahlgang ausgesendet werden.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr )   Marine Le Pen meint damit Signale im Sinne einer Strategie der „Entdiabolisierung“ und Normalisierung ihrer Partei, des FN. Dazu gehört ihrer Auffassung nach eine gewisse Einbeziehung von Personen, die die französische Staatsbürgerschaft besitzen, aber ausländischer Herkunft sind. 

Und dies wiederum gilt in den Augen der Identitaires, aber auch anderer (Unter)Strömungen der französischen extremen Rechten bereits als Ansatz von Vaterlandsverrat, oder jedenfalls „Verrät an der eigenen Identität“. Darin liegt einer der hauptsächlichen Spaltungslinien, die im Augenblick das rechtsextreme Spektrum durchziehen, begründet.   

Innerhalb des Front National brechen offene Widersprüche auf  

Neben Uraltem gibt es unterdessen auch Neues beim französischen Front National (FN) zu verzeichnen.

Uralt ist, dass Jean-Marie Le Pen - ein weiteres Mal - die Realität des Holocaust in Frage stellte und diese (angeblich offene) Frage als einen „Detailpunkt in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ bezeichnete. In der am 25. April 08 erschienenen Ausgabe des Regionalmagazins ‚Bretons’ erneuerte Jean-Marie Le Pen solcherlei Äußerungen, die er bereits in ähnlicher Form am 13. September 1987 im französischen Fernsehen sowie am 5. Dezember 1997 in München (in Begleitung des früheren Waffen SS-Mannes Franz Schönhuber) tätigte. Dafür ist er auch bereits mehrfach, zu Geldstrafen von insgesamt 183.200 Euro, verurteilt worden. Nunmehr wurde er wiederum rückfällig, zunächst mit den Worten, es sei „derart selbstverständlich“, dass die Frage der Existenz von Gaskammern „ein Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs“ sei. Auf die Gegenäußerung der ihn interviewenden Journalistin, die Frage sei nicht die nach der genauen Zahl der Toten, sondern jene nach dem Grundprinzip („man transportiert Leute in Lager, eigens um sie zu töten) erwidert Le Pen: „Aber das ist, weil sie das glauben! Ich fühle mich nicht verpflichtet, dieser Version zuzustimmen. Ich stelle fest, dass es in Auschwitz eine Fabrik der IG Farben gab, dass 80.000 Arbeiter beschäftigt waren. Meines Wissens sind die jedenfalls nicht vergast worden. Auch nicht verbrannt.“

Nachdem die neuerlichen Auslassungen Le Pens publik wurden und der Skandal ausbrach, berief der Chef des FN sich darauf, er habe das Magazin dazu aufgefordert, das Interview nicht zu veröffentlichen. Dessen Chefredakteur gibt seinerseits an, der nachträgliche Konflikt zwischen dem Interviewten Le Pen und dem Magazin habe lediglich darauf beruht, dass der rechtsextreme Politiker das Gespräch unbedingt auf der Seite Eins angekündigt sehen wollte - es für seine Zeitschrift aber nicht in Frage gekommen sein, ihren Titel damit aufzumachen. Zu keinem Zeitpunkt hat Le Pen seine Äußerungen inhaltlich dementiert oder sich etwa darauf berufen, falsch zitiert worden zu sein. Dabei scheinen seine Auslassungen noch nicht einmal einer bewussten „Strategie der Provokation“ beruht zu haben, wie es in der Vergangenheit bei manchen seiner früheren „Ausfälle“ vermutet wurde, vielmehr scheint der rechtsextreme Parteiführer tatsächlich einfach nur seinem echten „Denken“ freien Lauf gelassen zu haben. Allerdings verdächtigt der französische Zentralrat der Juden (CRIF) Jean-Marie Le Pen, er habe in mageren Zeiten, wo man in den Medien doch recht wenig von ihm höre -- und wenn, um den Verkauf seines Parteisitzes aufgrund Geldmangels oder jetzt, neuerdings, den seiner gepanzerten Limousine auf eBay zu verkünden -- einmal mehr „von sich reden machen“ wollen.

Neu ist hingegen, dass es offen abweichende Äußerungen aus der Partei heraus gegen den erneuten Vorstoß Le Pens zur Relativierung (oder gar Rehabilitierung) des historischen Faschismus und Nazismus gibt. Die jüngeren Kader waren schon des Öfteren der Auffassung, dass es für die Zukunftsstrategie ihrer Partei nichts bringe, in der Vergangenheit herumzustochern (wie der damalige Ideologe des FN, Bruno Mégret, es beim letzten Skandal zum „Detail“ Ende 1997 formuliert hatte). Auch die eigene Tochter des Parteichefs, Marine Le Pen, hat sich ein weiteres Mal abgegrenzt, indem sie relativ nüchtern mitteilte, sie teile „bezüglich der Geschichte des Zweiten Weltkriegs nicht die Auffassungen ihres Vaters“. Ähnliches ließ sie bereits Anfang 2005 verkünden, als ein Interview mit Jean-Marie Le Pen in der altfaschistischen Wochenzeitung ‚Rivarol’ publiziert wurde, worin er die nazideutsche Besatzung in Frankreich als „nicht besonders inhuman“ qualifiziert hatte. Aber dieses Mal gab es, neben dieser „innerfamiliären“ Abgrenzung, erstmals auch offenen Widerspruch seitens führender Parteifunktionäre. So stellte der FN-Generalsekretär Louis Aliot (ein Enddreißiger, der zur „Modernisiererfraktion“ zählt und Marine Le Pen nahe steht) einen Beitrag auf seinen Blog im Internet, worin es heißt: „Wir sind eine ganze Anzahl von Führungsmitgliedern, Kadern, Aktivisten und Mitgliedern, die auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs nicht denselben Blick werfen wie Jean-Marie Le Pen.“ Auf der Homepage der Partei (sic) hatte er gar verkündet, die Äußerungen des Chefs „verpflichteten nicht (politisch) den Front National“ - dies wollte er so verstanden wissen, dass er sich doch Widerspruch erlauben könne, da es bei diesen Auslassungen nicht um eine „politische Linie“ handele, welchselbige festzuklopfen das alleinige Vorrecht Jean-Marie Le Pens bleibt. Letzterer hatte es aber zunächst anders verstanden, nämlich so, dass Louis Aliot ihm dieses (alleinige) Recht abspreche und streitig mache. Es kam deswegen am 30. April zu einer Aussprache zwischen den beiden Männern, in deren Anschluss aber anscheinend die Wogen geglättet wurden; es wird allerdings am 5. oder 6. Mai noch zu einer Aussprache im „Politischen Büro“ geben.

Jean-Marie Le Pen erklärte seinerseits am 30. April im Radiosender France Inter, er sei Opfer einer „Inquisition“, die sich auf „politische oder historische Dogmen“ stütze wie einstmals ihre Vorläuferin auf „religiöse Dogmen“. Und er fügte hinzu: „Ich glaube, dass ich das Vertrauen der übergroßen Mehrheit der Kader besitze, mit Ausnahme vielleicht einer kleinen Anzahl von ängstlichen oder direkt von diesem Problem betroffenen Leuten.“

Dieses relativ offene Flügelschlagen ist neu für eine Partei, in der bislang das ungeschriebene Gesetz galt, dass man ein Wort des Chefs zumindest nicht „vorne herum“ und in der Öffentlichkeit in Frage stellt. Es widerspiegelt aber auch den ausgebrochenen Richtungskampf, oder eher: die strategische Unsicherheit oder Unbestimmtheit bezüglich des einzuschlagenden Kurses, die in der rechtsextremen Partei derzeit vorherrschen. 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.