KLASSE & PARTEI
Der Beitrag der Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg zur Gründung einer neuen antikapitalistischen Organisation ein Schritt voran?

22. Juni 2011 um 20 Uhr
MedienGalerie
Dudenstraße 10, 10965 Berlin

05/11

trend
onlinezeitung

Nicht nur die klassenkämpferischen Blocks auf den diesjährigen 1. Mai-Demos sondern auch die alltäglichen Betriebs- und Stadtteilkämpfe sind ein Zeichen dafür, dass immer mehr politisch Aktive und von Lohnarbeit Abhängige erkennen, dass die ArbeiterInnenklasse ihre ökonomischen und politischen Interessen selbständig vertreten muss.  Allerdings braucht eine selbständige proletarische Klassenpolitik, die den Kapitalismus aufheben will, sowohl eine zeitgenössische sozialemanzipatorische Programmatik als auch die dafür geeigneten organisatorischen Strukturen. Am 10. Juni eingetroffen:
Der sofortige Aufbau einer revolutionär-proletarischen Partei steht nicht auf der Tagesordnung
Thesen zur Veranstaltung „Klasse & Partei“
 von Karl-Heinz Schubert

Ist der Beitrag der Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg zur Gründung einer neuen antikapitalistischen Organisation ein tragfähiger Vorschlag, einen sozialemanzipatorischen Parteibildungsprozess anzuschieben?   Sind für die Aufhebung des Kapitalismus die traditionellen Organisationsformen der ArbeiterInnenbewegung – Gewerkschaft und Partei, worauf die Schöneberger SozialistInnen focussieren – noch die angemessenen Organisationsformen in den spätkapitalistischen Metropolen? 

Darüber werden Michael Schilwa von der Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg und Karl-Heinz Schubert von der Trend Onlinezeitung – pro und contra - diskutieren. Michael Klockmann von der Berliner Initiative Grundeinkommen wird moderieren.

Weiterführende Texte, Erklärungen und Stellungnahmen siehe unten

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Zu dieser Veranstaltung kommt es, weil wir im Editorial 4/2011 gegen den Beitrag der Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg zur Gründung einer neuen antikapitalistischen Organisation heftig polemisierten. Zunächst erhielten wir folgende Gegenpolemik als Antwort von den VerfasserInnen des "Schöneberger Papiers":

Unter dem Titel „Alter Wein in neuen Schläuchen“ kritisiert in ‚trend-online 4/11’ ein Autor mit dem originellen Pseudonym „Karl Mueller“ den vermeintlichen „Aufruf zur Gründung einer kommunistischen Organisation“ durch „eine handvoll (…) GenossInnen aus dem Berliner Bezirk Schöneberg“ in ‚trend-online 3/11’.
Wirklich nur staunen können wir über Muellers blühende Phantasie. „Unsere Schöneberger“ wollen einfach nicht aus der Geschichte lernen, findet er – denn:
„Sie binden ihre politische Praxis ignorant an den Parlamentarismus, sind nationalborniert und focussieren ihre strategischen und taktischen Überlegungen nur auf deutschstämmige ArbeiterInnen.“
Wie er darauf kommt, bleibt sein Geheimnis – irgendwie belegt wird es jedenfalls nicht. Vielmehr widerspricht sich Mueller selbst, etwa in dem er gleichzeitig unsere „Nationalborniertheit“ und  unseren Bezug auf die französische NPA u.a. kritisiert.
Wir verspüren wenig Lust, uns mit an den Haaren herbeigezogenen bzw. frei erfundenen Anwürfen auseinanderzusetzen.
In den nachprüfbaren Punkten seiner Kritik verfährt Mueller nach altbekanntem Motto: Je größer der herbei geschriebene Pappkamerad, desto lauter das Hallo, mit dem derselbe hernach umgehauen werden kann.
Da wir Mueller weder Faulheit noch Leseschwäche unterstellen, bleibt nichts anderes als seinem flotten Verriss böswilliges (Ver)Fälschen von Zitaten vorzuwerfen. Ein paar Beispiele: 

1.   Laut Mueller planen wir den „Aufbau einer kommunistischen Organisation“ (tatsächlich zitieren wir AVANTI, die von einem „Neuen kommunistischen Projekt“ sprechen) und zwar „durch Sammlung von rund 1000 >Aktivisten<, indem es ihnen gelingt, die SAV und die Gruppe Avanti mit Kräften aus dem Anti-Krisenbündnis 2011/12 zusammenzuschließen“. Da werden SAV und AVANTI aber schwer begeistert sein, dass sie demnächst von einer „handvoll Schöneberger“ „zusammengeschlossen“ werden.
Verlassen wir kurz Muellers Absurdistan und werfen einen Blick in das „Schöneberger“ Papier. Dort argumentieren wir für eine „Benchmark“ von 1000 ernsthaft an einem Diskussionsprozess interessierten GenossInnen und führen zur Verdeutlichung an, dass es auch jetzt schon Organisationen der radikalen Linken in Deutschland gibt (z.B. SAV und AVANTI), die einige Hundert Leute organisieren, weshalb es kein wirklicher Fortschritt sei, einen solchen Prozess z.B. mit 600 Leuten zu beginnen. 

Mueller weiß,
„dass schon seit Jahrzehnten klar ist, eine revolutionäre Organisation kann nur in den Kämpfen der proletarischen Klasse und nicht durch einen sammelwütigen voluntaristischen Akt von selbsternannten Avantgarden entstehen.“

Wir schreiben (auf S. 5):
„Eine revolutionäre Organisation ist kein voluntaristischer Akt, kann nicht einfach proklamiert werden, sondern wird Resultat verallgemeinerter Kämpfe und Mobilisierungen sein – Aber: Auch die größte Reise beginnt mit dem ersten Schritt.“ Noch Fragen ? 

2.   „Sie erklären die Einheitsfront „von oben“ mit Linkspartei und DGB zum programmatischen Grundsatz und werben für Aktionsbündnisse mit SPD, Grünen und >linken< CDU-Mitgliedern.“
Dass unser Versuch, den Unterschied zwischen „Einheitsfront-Methode“ und „Aktionseinheit“ herauszuarbeiten bei gestandenen Ultralinken nicht goutiert wird, ist wenig überraschend. Völlig aus der Luft gegriffen ist aber der Vorwurf, wir würden „werben für Aktionsbündnisse mit SPD, Grünen und >linken< CDU-Mitgliedern.“ Wir werben nicht für strategische Bündnisse mit bürgerlichen, pro-kapitalistischen Parteien, sondern für das Gegenteil (siehe unsere Seite 23 Mitte !). Als Beispiel für „Ein-Punkt-Aktionseinheiten“ führen wir die Proteste gegen „S 21“ an (genauso hätten wir „Dresden“ wählen können).
Solche Proteste sind – was Verfasstheit und Zusammensetzung angeht – nun mal so wie sind, nämlich eher selten revolutionär. Wir würden den Koll. Mueller gerne fragen, was er diesbezüglich für eine angemessene Verfahrensweise hält.
Wie wär’s mit von trend-online-Ordnern vor Demo-Beginn durchgeführten Einlasskontrollen, bei denen Parteizugehörigkeit und politische Präferenzen abgefragt werden ? 

3.   Mueller behauptet gleich zweimal, wir würden uns als „selbsternannte Avantgarde“ aufführen. Tatsächlich schreiben wir (auf S. 30): „Das Gerede von der Avantgarde können wir gleich sein lassen, es führt zu gar nichts.“ 

4.   Laut Mueller ist unser Klassenbegriff „eine rein soziologische Deskription von Klassenstrukturen“. Aha – wohl deshalb wird in unserem Kapitel „Klasse, Prekariat, soziale Bewegung“ die Frage des Klassenbegriffs ausdrücklich und ausführlich auch unter dem Aspekt der „Aktions-, Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit“ erörtert. Aber natürlich weiß Mueller, wie das mit dem Klassenbegriff richtig geht und verweist auf K. H. Schubert und dessen Manuskript „Wo ist das Proletariat bloß abgeblieben !“ (ebenfalls in ‚trend-online 4/11).
Nach Lektüre desselben würden wir Mueller gern fragen, wo er denn die Unterschiede sieht etwa zu den Ansätzen und Untersuchungen Werner Seppmanns, auf die wir uns beziehen. 

5.   Ganz zum Schluss läuft die Mueller’sche „Zitat-Verwurstungs-Maschine“ noch mal zu großer Form auf: Ihr lernresistenter flapsiger Umgang mit der Geschichte wird besonders deutlich an der Stelle, wo sie sich auf die so genannten sozialistischen Staaten beziehen. Ob es sich hier um Staatskapitalismus handele oder um bürokratischen Kollektivismus, halten sie sowieso für „Humbug“, schließlich sei auch der ADAC „bürokratisch“. Andere Einschätzungen kennen unsere Schöneberger „Aktivisten“ offensichtlich nicht.“ Eine Textstelle (unsere Anmerkung 20) dermaßen sinnentstellend zu zerlegen und wieder zusammen zu setzen, das muss mensch erstmal hinkriegen – Respekt !
Als „Humbug“ bezeichnen wir die Theorie von der SU als „Staatskapitalismus“, nicht die Frage, ob es sich um „Staatskapitalismus“ oder um „bürokratischen Kollektivismus“ gehandelt hat. Als „unpräzise“ bezeichnen wir die Rede von der SU als wie auch immer „bürokratisch“, eben weil dieser Terminus z.B. auch auf den ADAC zutrifft. Den entscheidenden Punkt unserer Argumentation verschweigt Mueller seinen Lesern lieber (den findet man im Text, nicht in Anmerkung 20). Der Untertitel der Überschrift unseres Papiers lautet: „Worüber müssen wir uns verständigen und worüber nicht“
Die Frage „Was war die SU (oder die DDR) ?“ gehört nach unserer Auffassung zu den Dingen, über die wir (also alle an einer ernsthaften Diskussion Interessierten) uns nicht unbedingt verständigen müssen. 

Über die von Mueller abschließend beworbenen Thesen von Felix Weil zum Charakter der SU (ebenfalls in ‚trend-online 4/11’) können wir ja ein andermal streiten, seine  „Abzweiggesellschaften ohne Entwicklungstendenzen hin oder weg zum Sozialismus“ halten wir jedenfalls für keinen Erkenntnisfortschritt. 

Fazit: Die grotesken Verrenkungen von Muellers „Kritik“ beleuchten u. E. vor allem eins: Es gibt (leider gar nicht wenig) Leute, die wohl um keinen Preis der Welt bereit sind, die überschaubare Gemütlichkeit ihres linksradikalen Schrebergartens aufzugeben. Allerdings:  Auch mit solchen Reaktionen musste gerechnet werden.

In der Hoffnung auf demnächst produktivere, zielgerichtetere Debatten verbleibt
d
ie „handvoll Schöneberger“ mit kommunistischen Grüssen.

Zu dieser Stellungnahme gab es ein Begleitschreiben, in dem es hieß:

Liebe Redaktion,
Euer Editorial erfordert eine Antwort. Diese findet Ihr im Anhang. Wir würden es begrüßen, wenn diese Fragen öffentlich diskutiert würden.

Bis bald und liebe Grüße
M.P.

Diese Zeilen sprachen für sich und wir nahmen daher Kontakt auf. Mehr dazu siehe das Editorial 5/2011.

Mittlerweile haben wir uns zweimal getroffen und konnten uns über Titel und Ablauf der Veranstaltung verständigen. Dazu gehörte auch die Einrichtung dieser Veranstaltungsseite, auf der noch weitere Stellungnahmen zum "Schöneberger Papier" - aber auch weiterführende Texte - quasi als Vorbereitung veröffentlicht werden. 

Auf einem dritten Treffen - Anfang  Juni - werden wir uns mit Michael Klockmann  über die Moderationslinie abstimmen.

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Weiterführende Texte, Erklärungen und Stellungnahmen
(in der Reihenfolge des Eingangs oder des Erscheinens)

Stand:  25. März 2017 18:21

01) Das AVANTI Grundsatzpapier vom 16.5.2004, worauf sich die "Schöneberger" beziehen.
02)
Selbstverständnispapier der Revolutionären Perspektive Berlin (2008)
03 Aufruf "Schafft die Kommunistische Initiative in Deutschland!" vom Herbst 2008
04) Projekt Revolutionäre Perspektive Hamburg, Selbstverständnispapier - Anfang 2009
05) Gründungserklärung der SoKo vom 13.5.2009: Es ist an der Zeit - Sozialistische Kooperation!
06) Inge Viett zur Gründung einer handlungsfähigen kommunistischen Organisation auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2011
07) Harry Waibels Referat zur Kritik der marxistisch-leninistischen Organisierung  auf dem  Veranstaltungswochenende "Reform und Revolution, 15 Jahre TREND"
08) Grundsatzpapier von Sozialistische Linke Hamburg (April 2011)
09)
Grundsatzpapier der Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten (Frühjahr 2011)
10) Detlef Georgia Schulzes Kritik am Schöneberger Papier, erschienen auf dem Blog: Theorie als Praxis -  Gegen die wechselseitige Bevormundung von Politik und Wissenschaften.

11) Klasse & Politik heute von "Proletarische Plattform" (Mai 2011)
12)
Detlef Georgia Schulze: Noch einmal zum Thema "Neue Antikapitalistische / Revolutionäre Organisation" (Juni 2011)