Volkszählung
Kreative Reaktion

von
Lorenz Schattenhofer

05/11

trend
onlinezeitung

Mit einer kreativen Reaktion antwortete ein gezählter und genervter Bundesbürger auf die laufende Volkszählung. Er schrieb einen offenen Brief an das statistische Bundesamt. In Zeiten, in denen kein organisierter Massenprotest oder gar Widerstand gegen den Zensus existiert, ist auch so etwas erwähnenswert. Und: Der Brief enthält auch noch Informationen und ist schon daher interessant.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

nun gehöre ich also auch zu den Menschen, die Sie direkt volkszählen, d.h. die der Befragung des Mikrozensus unterliegen, immerhin geschätzte 33 % der Bundesbevölkerung. Sie brauchen die Daten - so sagen Sie - für eine gute Zukunftsplanung. Dazu später noch einige Anmerkungen. Nun aber erst mal zu den Fragen selbst.

Sie wollen z.B. wissen, welcher "Religionsgesellschaft" ich angehöre oder ob überhaupt (und das muss ich angeben; nur die Angabe zu "Glaubensrichtung oder Weltanschauung" ist freiwillig). Das geht sie aber eigentlich einen feuchten Kehricht an, das ist Sache der (Un-)Gläubigen selbst und muss, ja darf wegen möglicher Diskriminierung sonst niemand wissen, auch der Volkszähler oder die Damen und Herren in den statistischen Büros nicht. Soweit ich einer christlichen Amtskirche angehöre, muss nur noch die Steuerbehörde das wissen, das reicht wirklich. Nun hätte ich ja falsch antworten und z.B. "griechisch-römisch" als Religion hinschreiben können. Das hätte mir einen ganz christlichen Heidenspaß gemacht! Aber erstens darf ich nichts schreiben, nur ankreuzen; und zweitens kann ich Sie ja gar nicht täuschen. Sie nehmen sich das Recht heraus, alle meine verfügbaren Daten aus den unterschiedlichsten Ämtern und Institutionen anzuhäufen, zu vergleichen, eine unverschämte Datensammlung über mich anzulegen. Die Stasi wäre vor Neid erblasst. Und der Adolf erst! Seine ganzen Blockwarte haben nicht so viele Informationen sammeln können wie Sie das jetzt tun.

In einem zweiten Bogen wollen Sie auch noch wissen, ob ich eine Wohnung vermietet habe. Das kann ich leider nicht beantworten. Zwar wohnen bei mir auch Menschen, die nicht zu meiner direkten Familie gehören. Aber von denen verlange ich keine Miete, die wohnen ja schon immer da. Das aber - dass Menschen mietfrei in einer Wohnung leben, die nicht deren Eigentum ist - kommt bei Ihnen nicht vor, das übersteigt offenbar ihren Horizont.

Sie wollen von mir zudem wissen, ob wir eine Dusche oder Badewanne haben. Nun, das ist schlecht zu beantworten. Denn unsere Badewanne kann kaum noch als solche angesehen werden, wir haben aber kein Geld für die Erneuerung. Ihre ganze schöne Datensammlung wird daran auch nichts ändern.

Was Ihnen die Frage nach dem möglichen Zuzug der Mutter aus einem anderen Land oder die Badewanne im Haus an Planungssicherheit - so Ihr Argument - geben soll, was auch die anderen Fragen überhaupt mit Planung zu tun haben könnten, das erschließt sich überhaupt nicht. Übrigens: Eine Volkszählung ist das halt auch nicht. Denn da hätte es gereicht, die Anzahl der Personen festzustellen, also zu zählen. Das ist eine flächendeckende Erfassung der Wohnbevölkerung nach verschiedenen Kriterien, andere würden sagen: eine Aushorchung!

Falls Sie aber wissen wollen, was eben dieser Bevölkerung fehlt (außer unserer Badewannenerneuerung), was also geplant werden müsste (zur Erinnerung: das war die Begründung für die Volkszählung), so werde ich Ihnen das Wesentliche nun völlig kostenfrei und ohne sündhaft teuren Zählaufwand mitteilen:

Erstens brauchen wir bezahlbare Wohnungen für Familien (Stichwort: sozialer Wohnungsbau).
Zweitens benötigen wir alternative Energien statt stinkender und strahlender Kohle- und Atommeiler.
Drittens müssen Studiengebühren weg und Studienplätze her (und zwar nicht die Billigversion Bachelor), dazu kleinere Klassen für alle Schülerinnen und Schüler.

Viertens ist der Hatz-IV-Satz zu niedrig und die Arbeitszeiten bei denen, die den gesellschaftlichen Reichtum in einem nie dagewesenen Ausmaß erarbeiten, sind zu lang; der Stress in den immer weiter "verdichteten" Arbeitsverhältnissen ist unaushaltbar (also wäre eine neue Sozial- und Arbeitsgesetzgebung nötig).

Fünftens muss der private Individualverkehr zurückgedrängt und der öffentliche Personennahverkehr enorm ausgebaut werden.

Sechstens ... ach, ich bin sicher, Ihnen fällt auch noch etwas ein. Und das alles, ohne die tendenziell immer geringer werdenden Steuermittel zu verschwenden. Ach ja: Siebtens müssen selbstverständlich die Viel- und Zuvielverdiener weit höher zur Kasse gebeten werden (also eine radikal erneuerte Steuergesetzgebung).

Und das sind nur die völlig realpolitischen Forderungen, da ist nichts von Utopie dabei, das könnten Sie alles umgehend machen. Ich erlaube Ihnen sogar, meine Vorschläge sofort umzusetzen - ohne dass Sie Tantiemen an mich abführen müssten, ich bin ja nicht die GEMA (da würde mir auch noch etwas einfallen - aber lassen wir das).

Aber vielleicht haben Ihre Zählanstrengungen ja auch ganz andere Gründe ...

Nachdenklich

Martin de Mapec
(Name aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken selbstverständlich geändert)


PS: Ihre Antwort auf diesen offenen Brief - die ich allerdings nicht wirklich erwarte - werde ich gerne ebenfalls öffentlich verwenden.

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Artikel bei Indymedia, wo er am 19.5.2011 erschien.