Der 1. Mai 1970
in Westberlin

Ein kurzer, historisch notwendiger Rückblick

von Karl-Heinz Schubert

05/2020

trend
onlinezeitung

Die antiautoritäre Jugend- und Studentenbewegung hatte 1968 ihren Höhepunkt im Kampf gegen die "Bonner Notstandsgesetze" und in der antiimperialistische Solidarität mit den Vietcong. Geprägt vom  Narrativ der "Roten Garden" in der chinesischen Kulturrevolution zerbrach die sogenannte 68er Bewegung an ihren inneren  politischen Widersprüchen, als im August 1968 die Truppen der Warschauer Paktstaaten in die CSSR zur Niederschlagung des "Prager Frühlings" einmarschierten und die SED/SEW/DKP diese brutale Verletzung des Völkerrechts als Schutz eines Sozialismus zu rechtfertigen versuchte, der bereits zu einem Staatskapitalismus mutiert war und nun zu seinen sozialistischen Idealen zurückkehren wollte.  Am 1.Mai 1969 war es daher auch politisch nicht mehr möglich, einen gemeinsamen Roten 1.Mai sowie wie im Jahr zuvor durch die Kräfte zu organisieren, die im Sinne des wissenschaftlichen Sozialismus die Arbeiter*innenklasse als das "historische Subjekt" begriffen. In Westberlin gab es 1969 daher im Wedding eine 1. Mai-Demo der Basisgruppen und der Roten Zellen während in Neukölln eine Neuauflage der Maidemo von 1968 - im wesentlichen von der SEW organisiert - durchgeführt wurde.

Mit der Gründung der KPD/ML zur Jahreswende 1968/69 begann in der BRD der nachholende Aufschwung marxistisch-leninistischer Organisation in ihrer maoistischen Lesart. Vor diesem Hintergrund erschien der 1. Mai 1970 für jene Strömungen, die bisher meistens in Hinterzimmern zuhause waren, als ein riesengroßer Schritt nach vorn. Zu ihnen gesellten sich am 1. Mai 1970  noch weitere linksradikale Zirkel mit kommunistischem Anspruch. D.h. der 1. Mai wurde jenseits des SEW/DKP-Blocks zum Spiegel einer Vielfalt von linksradikalen Strömungen, denen es gelungen ist - so bitter es klingen mag - 50 Jahre lang ihr Sektierertum konsequent zu pflegen.

Zwar lässt es sich nicht leugnen, dass es in 1970er und 1980er Jahren Anläufe gab, die Einheit der Klassenlinken herzustellen. Der Versuch in den 2010er Jahren eine "Neue antikapitalistische Organisation" (NAO) zu gründen, scheiterte kläglich, weil ihre Protagonist*innen nicht das Zirkelwesen überwinden, sondern sich darin als führender Zirkel etablieren wollten. Auch dem "Inter-Bündnis" einem internationalistischem Bündnis etlicher fortschrittlicher und revolutionärer Kräfte in Deutschland entlang der MLPD, das im Oktober 2016 gegründet wurde, ist es bisher nicht gelungen, einen nennenswerten Beitrag zur Überwindung des Zirkelwesens in der BRD zu leisten.

Die nachfolgende Materialcollage soll die Aufsplitterung der revolutionären Linken in der BRD am Beispiel des 1.Mai 1970 in Westberlin illustrieren. Sie versteht sich als mahnender Hinweis endlich daran zu gehen, das selbstverschuldete Zirkelwesen mit dem Ziel der Einheit der Klassenlinken zu überwinden.

+++++++++++++++++++++++++++++++++

Der DGB führte am 1. Mai nach langer Pause Demos der Einzelgewerkschaften durch, die mit einer Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg abgeschlossen wurden.  Das Berliner "mao-projekt" berichtet von 6.000 geschätzten Teilnehmer*innen. Darunter die SEW mit 2.000 Mitgliedern und Sympathisanten, sowie der trotzkistische Zirkel "Spartacus", einer Abspaltung der "Falken", die für einen oppositionellen Gewerkschaftjugendblock um 9. Uhr am Nollendorffplatz 1.000 mobilisieren konnte.

Die revolutionären Kräfte versammelten sich zu einer "Kampfdemonstration" in Neukölln.

Laut  "mao-projekt" nahmen an der Großveranstaltung ca. 2000 teil - an der Demo geschätzte 20.000.

Am 6. Mai 1970 berichtete die sozialistische Betriebszelle bei DMW über die Mai-Demo in Neukölln-Kreuzberg

Das Bildmaterial stammt aus dem mao-projekt.