1970: Auf dem Weg zur RAF-Gründung
Als Ulrike und Andreas am 14. Mai 1970 aus dem Fenster sprangen

Bürgerkriegsmanöver in Westberlin und eine Stellungnahme der KPD/AO

05/2020

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red.trend /   Am 4. April 1970 geriet Andreas Baader in Westberlin aufgrund der Hinweise des Polizeispitzels Peter Urbach in eine fingierte Verkehrskontrolle und wurde verhaftet. Im November 1969 war nämlich das Urteil gegen ihn wegen der Kaufhausbrandstiftung in Frankfurt/Main 1968 rechtskräftig geworden und er seitdem untergetaucht.

Am 14.5.1970 wird Andreas Baader mit Waffengewalt befreit.

Dazu hatte der „APO-Anwalt“ Horst Mahler eine Ausführung für Andreas Baader aus der Haftanstalt Moabit erwirkt, damit er im Deutschen Zentralinstitut für Soziale Fragen zusammen mit Ulrike Meinhof angeblich eine Literaturrecherche für ein gemeinsames Buch, das im Wagenbachverlag erscheinen sollte, durchführen konnte. Dort wartete bereits Ulrike Meinhof, als Baader zugeführt von zwei Justizbeamten gegen 11 Uhr erschien.

„Im Raum befanden sich die beiden Justizbeamten, Baader, Meinhof und ein Institutsangestellter. Für etwa 75 Minuten saßen Baader und Meinhof an einem Tisch, tauschten Zeitschriften und machten Notizen.

In dieser Zeit betraten Irene Goergens und Ingrid Schubert das Gebäude. Ihnen wurde die Diele vor dem Lesesaal als Arbeitsraum zugewiesen. Gegen 11 Uhr öffneten sie die Eingangstür des Gebäudes für einen vermummten Mann. Noch in der Diele schoss dieser auf den Institutsangestellten Georg Linke und verletzte ihn lebensgefährlich durch einen Oberarmdurchschuss und Lebersteckschuss.

Goergens, Schubert und der Maskierte stürmten mit dem Ruf „Hände hoch, oder wir schießen“ in den Lesesaal, Schubert mit einer Pistole Reck P 8, Kaliber 6,35 mm und Goergens mit einem Kleinkalibergewehr Landmann-Preetz, Kaliber 22 mit abgesägtem Schaft, das zuvor in ihrer Aktentasche versteckt war. Die beiden Justizbeamten wehrten sich, in dem Handgemenge wurde von einem Justizbeamten und den Befreiern geschossen.

Nach Schüssen aus einer Tränengaspistole der Angreifer, die einen der Justizbeamten verletzten, gelang es allen Tätern, aus einem etwa anderthalb Meter über dem Erdboden liegenden Fenster zu springen und zu entkommen. Draußen liefen sie zu dem vorher abgestellten Alfa Romeo mit Astrid Proll am Steuer. Die Gruppe wechselte noch mehrfach die Fahrzeuge, verließ Berlin jedoch nicht. Die Polizei verlor die Spur der Gruppe.“ (Wikipedia)

Die Untergetauchten veröffentlichten in der Nr. 61 der Agit883 vom 22.5.1970 einen Brief an der Redaktion der Agit883 mit dem Titel „Die Rote Armee aufbauen“, der als Gründungserklärung der Gruppe „Rote Armee Fraktion (RAF)“ gilt. Wir veröffentlichten den Text in der Nr. 5/2000 von TREND, der mit folgenden markigen Sprüchen ausklingt:

„Sitzt nicht auf dem hausdurchsuchten Sofa herum und zählt die Lieben, wie kleinkarierte Krämerseelen. Baut den richtigen Verteilungsapparat auf, laßt die Hosenscheißer liegen, die Rotkohlfresser, die Sozialarbeiter, die sich doch nur anbiedern, dies Lumpenpack. Kriegt raus, wo die Heime sind und die kinderreichen Familien und das Subproletariat und die proletarischen Frauen, die nur drauf warten, den Richtigen in die Fresse zu schlagen. Die werden die Führung übernehmen. Und laßt euch nicht schnappen, und lernt von denen, wie man sich nicht schnappen läßt - die verstehen mehr davon als ihr.“

Zu diesem Zeitpunkt herrschte in Westberlin eine von der Springerpresse und dem Senat aufgeheizte antikommunistische Stimmung, die sich besonders gegen die revolutionär-sozialistischen Strömungen in der Stadt richtete, die trotz aller ideologischen Zerrissenheit (siehe dazu in dieser Ausgabe Der 1. Mai 1970 in Westberlin) gemeinsame Aktivitäten gegen den US-Imperialismus organisierten und dafür brutal verfolgt wurden, wie der nachfolgende Artikel aus der Roten Presse Korrespondenz 66/1970 berichtet.

Bürgerkriegsmanöver der Polizei in Westberlin

Die Tradition der Westberliner Polizei, Demonstrationen mit Riesenaufmärschen in Armeeformation einzukreisen und mit äußerster Brutalität zu zerschlagen, erreichte am letzten Samstag (23.5.70 - red. trend) einen neuen Gipfel. Nach der machtvollen Demonstration der revolutionären Linken am 1.Mai und nach der Massendemonstration gegen die US-Aggression in Kambodscha am 9. Mai, demonstrierte an diesem Samstag die Polizei. Sie demonstrierte die generalstabsmäßige Zerschlagung eines Aufstandes, der nicht stattfand.

Im Einsatz waren 5.000 Polizisten gegen 500 Demonstranten, die in Gruppen am Straßenrand und auf den Dächern der TU standen und mit Fahnen, Bildern und Sprechchören gegen die Provokation protestierten, die die Parade der US-Truppen in Westberlin, besonders nach dem Einfall der US-Imperialisten in Kambodscha darstellt. Daß 5.000 bewaffnete Polizisten einen Zug von amerikanischen Panzern gegen 500 unbewaffnete Demonstranten schützten, beruhte nicht auf Hysterie über angekündigte Störaktionen "anarchistischer Gruppen". Die Polizei handelte nach einem Manöverplan, der die politische Lächerlichkeit in Kauf nahm, um die militärische Macht zu erproben und unter Beweis zu stellen: Für die gesamte Berliner Polizeiarmee bestand die höchste Alarmstufe seit dem 17.Juni 1953; während der Polizeioperationen wurde über Polizeifunk das Eingreifen der Alliierten als nächste Stufe im Eskalationsplan durchgegeben. In der Nacht zuvor hatte die Polizei um das gesamte Gelände der Technischen Universität, der Hochschule für Bildende Künste und der Musikhochschule mannshohen Stacheldraht gelegt, so daß am Morgen Studenten und Personal die Universität nur nach einer Ausweiskontrolle durch eine einzige Lücke im Stacheldrahtverhau betreten konnten. Schon während des Aufmarsches der alliierten Truppen, der vor der TU durch doppelte Stacheldrahtrollen, eine doppelte Polizeikette und Wasserwerfer abgesichert war, versuchte die Polizei, das Rufen von antiimperialistischen und antimilitaristischen Parolen zu verhindern, indem sie Tränengasbomben in die Demonstranten warf. Noch vor Beendigung der Parade trieb sie die Demonstranten mit brutalem Stockeinsatz in die Hardenbergstraße. Der Versuch, die Demonstranten bis zum Amerikahaus in eine Kesselschlacht zu treiben, mißlang, weil die Flüchtenden sich aufs TU-Gelände absetzten und zusammen mit den aus der TU-Mensa Kommenden sich gegen die nachsetzenden Schlägerbataillone durch Steinwürfe er­folgreich zur Wehr setzten. Als auch die Erwiderung der Steinwürfe durch die Polizei nicht die erhoffte Wirkung hatte, stürmte diese im dritten Anlauf mit Tränengas (nach dem Verschießen von 600 Tränengasbomben ging der Polizei der Vorrat aus), mit Brechstangen und gezogenen Pistolen die Mensa, ein Studentenwohnheim und Ateliers der Hochschule für Bildende Künste. Hierbei wurde wahllos zusammengeschlagen, was der Meute in den Weg kam. Die Zimmer und Ateliers wurden verwüstet, mit gezogenen Pistolen wurde jeder, der angetroffen wurde, an die Wand gestellt, durchsucht und verhaftet. Ein Bewohner des Studentenheims berichtet: "Als die Polizisten ohne anzuklopfen die Tür aufrissen, forderte ich einen Hausdurchsuchungsbefehl. Daraufhin stießen mich vier Polizisten zur Seite, drängten meine Freundin in eine Ecke und prügelten uns hinaus. Ich sah, wie auf zwei am Boden liegende eingeschlagen wurde. Mehr konnte ich nicht sehen, weil ich mit dem Gesicht zur Wand die Hände über dem Kopf verschränken mußte. An den Wänden meines Zimmers kann man 13 Striemen von Schlagstöcken erkennen...." Auch außerhalb des TU-Geländes wurden unter dem Vorwand, Flüchtende zu verfolgen, umliegende Häuser und Wohnungen durchsucht und verwüstet.

Der Planmäßigkeit, mit der diese tollwütige Polizeiaktion inszeniert und durchgeführt wurde, entspricht es, daß der Berliner Senat, ungeachtet der Welle der Empörung und Solidarisierung besonders an der TU und der Hochschule für Bildende Künste, der Aktion einen geradezu programmatischen Charakter zugesprochen hat. In einem Interview mit der BZ gab Innensenator Neubauer seine Verachtung für demokratische Legitimationsformen, sein Mißtrauen gegen das arbeitsteilige Funktionieren der Staatsgewalt ebenso deutlich zu erkennen wie sein Programm für die Eskalation des Polizeiterrors. Seine Unzufriedenheit mit der langwierigen, durch Gesetze gehemmten und mit der Amnestie überhaupt gefährdeten Erledigung von "Straftätern" bekundete er mit den Worten: "Wir haben Schwierigkeiten bei der Beweisführung gegenüber den Gerichten. Und werden sie auch in Zukunft haben. Die Gerichte wollen in der Tat erstens nachgewiesen haben, daß jemand, der einen Stein in der Hand hält, diesen Stein geworfen hat. Und verlangen zweitens, daß wir beweisen müssen, daß er damit auch etwas getroffen hat." Gefragt, welche politische Alternative er zur "Verhinderung künftiger Gewaltakte" aufzeigen könne, antwortet Neubauer eindeutig - keine politische, auch keine juristische,, sondern eine rein militärische Alternative: "Niemand wird von sich sagen können, daß er Gewaltakte von vornherein verhindern kann. Worauf es jetzt ankommt, ist, daß diejenigen, die sie zu begehen gedenken, wissen müssen, daß jetzt jene Mittel eingesetzt werden, die den ihren adäquat sind. Um das ganz deutlich zu sagen: Falls jemand auf die Idee kommt, Schußwaffen für den Gebrauch bei Demonstrationen einzusetzen, ist das adäquate Mittel bei der Polizei das gleiche oder eine Stufe höher." Welche Seite bei den bisherigen Demonstrationen auf "den Gedanken gekommen ist, Schußwaffen einzusetzen", bedarf nach der letzten Kambodscha-Demonstration, auf der ein Zivilbeamter zwei Demonstranten und einen Polizisten anschoß, keines Beweises mehr. Künftig, so lautet Neubauers Auskunft, wird, wenn Polizeibeamte in Zivil oder Provokateure die Waffe ziehen, die uniformierte Polizei die Waffe gebrauchen. Die "Stufe höher" ist, wie man aus Neubauers Waffengesetz ersehen kann, der Einsatz von Granaten und anderen Sprengwaffen, mit denen die Polizei bereits ausgerüstet ist, bevor das Gesetz sie "legalisiert" hat.

So ernst diese Drohungen taktisch zu nehmen sind, so wichtig ist es für die strategische Einschätzung der Samstagsaktion und der Äußerungen Neubauers, auf die politischen Wahnvorstellungen und Bürgerkriegsphantasien der Faschisten nicht mit eigenen Wahnvorstellungen über den Charakter des gegenwärtigen politischen Kampfes zu antworten. Genau dies ist aber offensichtlich der Fall bei denen, die nicht nur in falscher Einschätzung der Kräfteverhältnisse zu einer militanten Kampfdemonstration bei der Truppenparade aufgerufen haben, sondern auch ständig mit Theorien über die Notwendigkeit, jetzt den bewaffneten Kampf aufzunehmen, herumlaufen und Verwirrung und Unsicherheit in der Diskussion über die von uns anzuwendenden Kampfformen stiften.

Es kann keinen Zweifel an dem Zusammenhang geben, der zwischen den Äußerungen Neubauers, der Polizeiaktion vom Samstag und der systematischen Pressekampagne besteht, die seit dem Fluchtunternehmen Andreas Baader gegen die Linken entfesselt wurde. Aus der Befreiung Baaders wurde jeden Tag neu der Beweis geschmiedet, daß nunmehr die "APO" ihre Verschwörungs- und Umsturzpläne militärisch vorbereite, daß die "APO" als waffenstarrende Armee auf den Plan trete, gegen die man sich mit Waffengewalt zu wehren habe. Wenige Tage vor der Befreiung Baaders waren auf einer Demonstration von einem Zivilbeamten der Polizei Schüsse auf Demonstranten abgefeuert worden. Die Empörung über diesen Vorfall und die Enthüllung seiner Hintergründe hatten kaum begonnen, als die Schüsse des Baaderkommandos nicht nur der Polizei aus ihrer Defensive, in die sie durch die Kambodscha-Demonstration geraten war, heraushalfen, sondern ihr auch ermöglichten, zur Offensive gegen die gesamte Linke vorzugehen.

Die Schützen beim Fluchtunternehmen Andreas Baader leisteten objektiv dem Senat Feuerschutz für seine Eskalation quasi-militärischen Tenors. Die Ideologie dazu lieferte die 883 in einer Hymne, in der sie das Fluchtunternehmen als internationalistische Heldentat feierte und den Aufbau einer Roten Armee propagierte; damit spielte sie der Senatsclique auch noch die schriftliche Legitimation für deren faschistisches Vorgehen in die Hände.

Die Rechtfertigungsideologie, die die Zeitung 883 aus Restbeständen alter Theorien der Studentenbewegung, aus der Theorie des "autoritären Staats", aus der Theorie des "stellvertretenden Kampfes", aus der blinden Gleichsetzung der Kampfbedingungen in Uruguay auf Westberlin etc. zusammengezimmert hat, kann nicht mehr als politische Naivität hingenommen werden, nachdem seit einem halben Jahr die Kritik dieser Theorien allenthalben öffentlich geleistet und zum Teil in der 883 selbst auseinandergesetzt worden ist (Vgl. die Artikel über "Imperialismus und Terror", unter dem Titel "Zur Fortführung des Kampfes gegen den Staatsapparat" auch abgedruckt in der RPK, Nr. 49, die von denselben Genossen geschrieben wurden, denen jetzt unsolidarisches Verhalten, Opportunismus etc. vorgeworfen wird).

Die konsequente Folge jener falschen Theorien, die die wirkliche Bewegung der Klassen außer Acht lassen, besteht in der Verkürzung der Revolutionsstrategie auf eine lineare Steigerung des Maßes an Gewaltanwendung. Schematisch wird die Erscheinungsform der Kämpfe von Al Fatah, Black-Panther und Tupamaros nach West-Berlin übertragen, ohne einen Blick dafür übrig zu haben, daß die Revolutionäre fest in den Massen verankert sind. Die Kritik der marxistisch-leninistischen Organisationen an putschistischen Aktionen wie der Baader-Aktion opportunistisch nennen, sich aber gleichzeitig auf die Black Panther und die Weatherman-Fraktion berufen, ohne die vernichtende Kritik der Black Panther den putschistischen Rote-Armee-Träumen der Weatherman zur Kenntnis zu nehmen, das zeigt die ganze Konfusion, die Position von Leuten, die die Analyse der taktischen und strategischen Bedingungen von Aktionen für Prinzipienreiterei und Akademismus halten.

Wir werden nur dann imstande sein, den illegalen Kampf in Zeiten heftiger Klassenauseinandersetzungen richtig zu führen, wenn wir die Phasen relativer Stabilisierung dazu nutzen, uns für die entscheidenden Kämpfe zu wappnen. Behandeln wir die Frage der Gewaltanwendung in der nächsten Etappe leichtfertig, so fördern wir nur die Bemühungen des kapitalistischen Staats­apparats, uns früher oder später zu zerschlagen.

Betonen wir daher nochmals:

Der Kommunismus fordert "... unbedingt ein historisches Herangehen an die Frage der Kampfformen. Diese Frage außerhalb der historisch-konkreten Situation behandeln heißt das ABC des dialektischen Materialismus nicht verstehen. In verschiedenen Augenblicken der ökonomischen Evolution, in Abhängigkeit von den verschiedenen politischen, national-kulturellen Bedingungen, den Lebensverhältnissen usw. treten verschiedne Kampfformen in den Vordergrund, werden zu Hauptformen des Kampfes, und im Zusammenhang hiermit erfahren wiederum amch die zweitrangigen Kampfformen, die Kampfformen von untergeordneter Bedeutung, eine Veränderung. Zu versuchen, die Frage der Anwendbarkeit eines bestimmten Kampfmittels zu bejahen oder zu verneinen, ohne eingehend die konkrete Situation der gegebenen Bewegung auf der gegebenen Stufe ihrer Entwicklung zu untersuchen, heißt den Boden des Marxismus völlig verlassen. "(Lenin, Der Partisanenkrieg)

 

Wie stehen Kommunisten zum Fluchtunternehmen Andreas Baader?

Erklärung der KPD-Aufbauorganisation

Am Donnerstag, dem 14. Mai 1970, wurde aus einem Institut der Freien Universität in Dahlem Andreas Baader von einem bewaffneten Trupp befreit. Andreas Baader hatte zu denjenigen gehört, die 1968 in einer Abteilung eines Frankfurter Kaufhauses für Kriegsspielzeug Feuer gelegt hatten, um gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam zu protestieren.

Genossen, die heute in der Aufbauorganisation arbeiten, haben sich zwar damals mit den Angeklagten gegenüber der geifernden Klassenjustiz und der Springerpresse solidarisiert, diese Aktion aber kritisiert, weil Kaufhausbrandstiftungen gegen die Bedürfnisse der Massen gerichtet sind.

Die Befreiungsaktion vom Donnerstag war die Tat einer Gruppe, die weder am Kampf um die sozialistische Organisation beteiligt ist, noch überhaupt den Anspruch erhebt, als ein Kreis von Sozialisten angesehen zu werden. Deshalb trägt diese Aktion in unseren Augen privaten Charakter. Die näheren Umstände der Befreiung weisen an sich schon darauf hin, daß die Befreier sozialistischen Organisations- und Aktionsformen fremd und ablehnend gegenüberstehen.

Wen überrascht es, daß Senat und Springerpresse behaupten, die revolutionären Sozialisten Westberlins würden nun zum offenen Terror übergehen? Bei der Kambodscha-Demonstration wurden wiederum bewaffnete Greiftrupps in Zivil eingesetzt. Aus dem Gestrüpp der Lügen einzelner Polizeioffiziere und Senatoren wird jetzt sichtbar, daß der Kriminaler Dallwitz keineswegs in Notwehr geschossen hat. Die reaktionären Cliquen in dieser Stadt bemühen sich jetzt, ein Klima zu schaffen, in dem künftig Attentate und Mordtaten der Polizei auf Kommunisten als "Notwehr", als angeblich logische Folge des "linken Terrors" erscheinen. Dies ist der Grund, warum elementare Widerstandsaktionen gegen Polizeiüberfälle in systematischen Terror umgelogen werden, das ist der Grund, warum Senat und Sprin­gerpresse sich wie Aasgeier auf die Vorfälle des Donnerstag stürzen!

Wollen die Gefängnisleitung und der Justizsenator uns im Ernst weismachen, sie hätten seit viezehn Tagen von den Befreiungsplänen gewußt, seien leider einer Namensverwechselung zum Opfer gefallen? Uns ist klar, daß die Senatsclique durch Spitzel unterrichtet war, um anschließend eine Pogromstimmung entfesseln zu können.

Kommunisten lehnen Gewaltanwendung weder grundsätzlich ab, noch stimmen sie ihr grundsätzlich zu. Ihre Kampf- und Aktionsformen stützen sich auf die genaue Beurteilung der Lage der Klassen: der Stärke des Feindes - des Kapitals und seines Staats - sowohl wie der Stärke der eigenen Reihen. Jede Kommunistische Partei als die Vorhutorganisation der Arbeiterklasse und der revolutionären Teile des Volkes hält die notwendig gewaltsame Befreiung von Genossen aus den Klauen von Justiz und Polizei für gerechtfertigt; denn die Inhaftierung von Kommunisten schwächt die Reihen der Partei, die unter Führung der Arbeiterklasse den breiten Volksmassen dient. Um ihre wankende Klassenherrschaft zu sichern, muß die Klasse des Kapitals stets zur gewaltsamen Kriminalisierung und Illegalisierung der Kommunisten und ihrer Partei greifen. Der bulgarische Kommunist Dimitroff wies die Hitler-Justiz im Reichstagsbrandprozeß 1933 auf diese Tradition der Konterrevolution hin:

  • "Ich erinnere an das Eisenbahnattentat hier in Deutschland bei Jüterbog, das von einem Psychopathen, einem Abenteurer, einem Provokateur begangen wurde. Damals wurde nicht nur in Deutschland sondern auch in anderen Ländern Wochen hindurch die Behauptung aufgestellt, das Attentat sei von der KPD begangen worden, sei ein terroristischer Akt von Kommunisten."

  • "Ich erinnere an ein anderes Beispiel - an die Ermordung des französischen Präsidenten durch Gorgulow. Auch damals wurde in allen Ländern Wochen hindurch behauptet, daß hier die kommunistische Hand im Spiele war... Und was ergab sich? Das Attentat war von Weißgardisten organisiert worden und Gorgulow war ein Provokateur, der die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Frankreich zu Bruch bringen sollte."

Der Reichstagsbrand selber bietet ein großartiges Beispiel für die steten Versuche der Reaktion, Vorwände für Anschläge auf die Klassenorganisationen des Proletariats zu schaffen. Erst im vergangenen Jahr boten die von der US-Geheimdienstorganisation CIA und ihren reaktionären Handlangern im italienischen Staatsapparat in Mailand und Rom veranstalteten Bomberattentate den Verfolgungsbehörden Anlaß, die Parteibüros von Kommunisten zu plündern und Hunderte von Kommunisten zu inhaftieren.

Die Anfang der 60er Jahre erfolgte Befreiung des Mitglieds der illegalen KPD Jupp Angenfort aus den Klauen der Münchener Polizei wurde von den Massen gebilligt und unterstützt.

Kommunisten sehen das herrschende Recht als das Recht der herrschenden Klasse an; für sie ist ein "rechtskräftig Verurteilter" nicht, wie für die Arbeiterverräter, Anlaß zum Schweigen. Sie bekämpfen die Justizorgane als Einrichtungen des Klassenfeindes und werden zum Mittel der Gefangenenbefreiung, wie am Beispiel Jupp Angenforts, greifen, wenn die Umstände es erfordern. Kommunisten bekämpfen ihre eigene Illegalisierung durch den kapitalistischen Staatsapparat und sind deswegen nicht so einfältig, sich selber zu illegalisieren. Sie geben sich keinen Augenblick lang, wie die Befreier An­dreas Baaders, der Illusion hin, solche Aktionen seien Beispiele, an deren Vervielfachung sich die Revolution entzünde.

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