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GELSENKIRCHEN, 24. 04. 1999

Aus einem fernen Land
Mediale Welten auf Abwegen

von DIETMAR KESTEN

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Zu den vielfältigen historischen Zäsuren, die der 2. Imperialistische Krieg hervorbrachte, gehört die endgültige Etablierung der neu aufkommenden Medien Film und Rundfunk. Hatte schon der amerikanische Bürgerkrieg und später in noch viel stärkerem Maße der 1. Imperialistische Krieg der (Massen-) Presse zu bedeutenden Entwicklungsschüben verholfen, so popularisierte der 2. Krieg vor allem das Radio, das eine ganz andere als bisher gewohnt Form der Kriegsberichterstattung brachte: Erstmals gab es "Live-Übertragungen".

Der BBC-Korrespondent CHARLES GARDNER gehörte mit zu den ersten, die 1940 aus der südenglischen Graftschaft Kent über den Luftkrieg gegen Deutschland berichteten. Damit war der Code geknackt: Die militärische Macht war zum Bewußtsein unterwegs.

Das Radio gab zu verstehen, daß Meldungen aus allen Winkeln der Welt nur aus der Perspektive der eigenen, fortwährenden Überarbeitung zu verstehen sind, und wenn sie dann den Zuhörer erreicht hat, sich ihre innere Dramatik, die ihr zugrunde liegt, bereits so grobkörnig verändert hat, daß die Dinglichkeit des eigentlichen Ereignisses nur noch auf Karten und in Statistiken festgehalten werden kann.

Mit den "Totzeiten" der Übertragungen (die Zeit, in der oft minutenlang kein Wort gesprochen, oder Musik gespielt wurde, oftmals Kriegsgeräusche im Hintergrund zu hören waren) bekamen sie die eigentlichen Besonderheit: Die Überlagerung mit anderen Nachrichten und deren Trennung in weniger wichtigere oder herausragende. Bei diesen und weiteren Korrespondentenberichten denen das geschriebene Wort fehlte wirkten die Radioreportagen authentisch; und durch die Unmittelbarkeit gewann der Reporter an Glaubwürdigkeit und damit an Autorität.

Völlig untergegangen war, daß es keinen Fortgang der eigentlichen "Story" gab, daß die Berichte sich weder durch Ordnung, noch durch die einer gewissen Kontrolliertheit kennzeichnen ließen. Weil die Sendezeiten im Krieg immer kostbare Zeiten waren, war der Inhalt auch meist chaotisch, in gewisser Weise sogar "verrückt", wenn man das hier als die Unfähigkeit betrachtet, aus Quellen der Verbindlichkeit zu schöpfen. Es ging auch darum, die Zuhörer bei der Stange zu halten, ohne die Probleme gründlichst zu hinterfragen, zu erläutern und stattgefundene Ereignisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen.Darunter litt die Länge der Beiträge, die selbst dann, wenn sie am Abend vorher geschrieben wurden, unter Prioritäten und Konkurrenz anderer Kontexte litten. Bereits sehr früh kristallisierten sich methodische und formale Fragen im Angebot der Nachrichten heraus, die es fast verunmöglichten, über wichtige Ereignisse angemessen zu berichten. Tendentiell gab es den Trend, sich an deren Oberfläche zu halten, was im übrigen für die Printmedien genauso wie für die heutigen Fernsehnachrichten gilt.

Der Reporter der ersten Kriegsnachrichten war mitten im Geschehen, er war "dabei", suggerierte, daß er wissen müßte, was vor sich geht. Er konnte der Welt erzählen, wie der Gegner seine Gefangenen mit Panzern überrollt, wie es aussah, wenn im "fernen Land" Häuser in Flammen standen, sich dunkele Rauchwolken am Horizont emporhoben.

Objektiv konnten all diese Wiedergaben nicht sein. Es fehlte neben der kritischen Distanz zum Geschehen die Einordnung in das Ganze; immer stand der totale Sieg über den Feind als zwingende Lösung im Mittelpunkt.

Manipulationen und Lügedas war die amtliche, militärische, radiohafteund journalistische Darstellung der Frontereignisse, die reale Geschehnisse irgendwie verzerren mußten, wenn sie ins fetischistische Bewußtsein der Massen vordrangen. Erst die Zeitung, dann das Radio, der Film, später das Fernsehen und die Kommunikationstechnologien wurden nach und nach zu den wichtigsten Medien einer großen, gigantischen Irreführung denen auch alle dafür notwendigen Machtmittel zur Verfügung standen. Die nachhaltigen Glaubwürdigkeitsverluste, unter denen sie litten, sind Hinweise auf die machtpolitischen todgefährlichen Gedankengänge, die sich in der nationalenund internationalen Medienpolitik widerspiegelt. All diese Umstände begrenzten den angemessenen Gesichtskreis der Berichterstattung; die angediente staatliche Strategie bekam die dementsprechende Unterstützung von der Propaganda, die die öffentliche Meinung "aufpolierte". Die Informationen, die über den Äther Verbreitung fanden, waren nicht nur inhatlich reduziert, im Prinzip auch parteiisch. Das galt nicht nur für die Propaganda des Hitlerfaschismus, sondern ebenso für die Länder, mit denen sich Deutschland im Krieg befand. Praktisch fand sich das alles in den Berichten über den Frontund Zustandsbericht wieder; euphorische und fiktive Heldengeschichten, Dämonisierungen des Gegners, die an der Realität vorbeireportiert wurden. Nicht selten kam es vor, daß die Nachrichtensprecher erfundene Geschichten die von Fakten unbelastet waren weitertrugen, und das rief einen falschen Eindruck hervor, eine Widersprüchlichkeit, die den Anspruch der Öffentlichkeit auf freie Information zunichte machte.

Daß die jeweilige Gegenseite bei der Wiedergabe von Ereignissen ebenso selektiv vorging, konnte aus der Sammlung von Gerüchten "erhört" werden, den nicht zu überprüfenden Augenzeugenberichten, der Verzerrungen, Verklärungen und Mystifizierungen. Niemand konnte sich gründlich über das Medium Radio informieren; selbst der Filmzuschauer, der das lebende Bildnis der wohldosierten Akokalypse über sich ergehen lassen mußte, hatte keine Möglichkeit, die Abfolge von Ereignissen nachzuzeichnen, die zu den Schlagzeilen der heutigen Tage führen.

Rundfunk und Film, waren jene Medien, die über die Massen "nachgedacht" haben, bevor sie sich an sie wandten. Politisch und militärisch haben sie lebendige Bilder in Szene gesetzt, denen es nie an Wirkung mangelte, wenn es galt, sie effektvoll als Quelle von Information und Gegeninformation zu benutzen. Das Radio fungierte zusätzlich als Zustimmungsritual. Reportagen wurden sorgfältig orchestrisiert, um peinliche Überraschungen auszuschließen. Die willkürliche Aneinanderreihung von Statements (im Film der Impressionen) zerschnitt die Urteilsfähigkeit, die meistens ohne jede Beziehung zueinander standen, schon gar nicht zu irgendeiner Vorstellung von historischer Entwicklung. In diesem geschlossenen System herrschte die akustische Rechtfertigung, die pausenlose Indoktrination der offiziellen Lehrmeinung .

Der deutschen Generalstabschef ERICH LUDENDORFF hatte im Juli 1917 den Film als "überragende Macht des Bildes" charakterisiert, der "eine gewaltige Bedeutung als politisches und militärisches Beeinflussungsmittel" habe, in der Geschehnisse nicht aus historischen Voraussetzungen erwachsen, sondern aus heiterem Himmel über die Menschen hereinbrechen; der Hörfunk ging den zweiten Schritt: Die Vermengung mit einer Kette von Katastrophen "hörbar" gemacht, erweckte den Eindruck, daß überall permanenter Kriegsund Krisenzustand herrscht, obwohl es auch im Krieg "Friedenszeiten" gab. Für beide Medien war die Krise des Kapitalismus undurchschaubar, ahistorisch und unlösbar; es ging nur um den pragmatischen Versuch, mit der sich anbahnenden Entwicklung fertig zu werden. Gaukelte das eine die heile Welt, den Euphemismus, die Verschleierung der Wirklichkeit, die nicht in das Wesen der Dinge eindringt, war die Wortmagie des anderen die zentrale Strategie. Sie setzte auf eine Bevölkerung, die an die magische Kraft der Wörter glaubt. Das war die "Stimme des Apparates", mal höflich klingend, gedämpft, sogar freundlich, unterwürfig, erhebend, pathetisch und fordernd. Von der kühlen, gesetzten, zynischen Sprache, den Schleier der Melancholie verlassend, fühlten sich Bürger und Institutionen gleichermaßen überwältigt, so daß sie alle von Bürokraten erlassenen Regelungen und Vorschriften ohne großen Widerstand als unveränderlich akzeptierten. Die Wiederholung der Bilder, eine bloße Metapher für organisierte Macht; das Radiohafte ein Stereotyp, Routine, Desinformation eine der größten Leistungen des Medienwaldes: Die Sprache des Kommentators und der Zuhörer/Zuseher sind am Ende identisch. Selbst wenn sie nach Erläuterung verlangt, ist das meiste davon Unwissenheit, die unter dem Deckmantel der Autorität daherkommt. Eine der abergläubigsten Vorstellungen, die sich bis heute gehalten haben: In den meisten, in sehr bestimmten Begriffen ausgedrückten Anschauungen, für die es keine faktische Grundlage gibt, kristallisiert sich die Vorstellung, das Wissen über irgendeinen Gegenstand heraus, das man nicht besitzt, und was sich objektiv messsen ließe. Krieg beginnt mitten im Frieden; kriegerische Konflikte erwachsen aus bestehenden Konflikten, die mit hoher Gewaltintensität ausgestattet sind.

Krisenkommunikation wird in diesem Zusammenhang vom Radio/ Film der ersten Stunde von der Interessenlage der Militärs bestimmt. Es ist die fehlgeleitete Kommunikation von Anfang an, die die psychologischen und politischen Prozesse in Gang setzt. Manipulation der Massen nahm die Dimension eines Kreuzzuges an, wider das Böse den Gegner zu schlagen hehre Prinzipien wie Moralität und Gerechtigkeit waren die treibenden Kräfte. Den Mechanismus der Propaganda im Radio setzte der "Volksaufklärer" und Propagandist des Hitlerregimes, JOSEPH GOEBBELS, bestens in Szene: Nach HITLERs-Machtergreifung am 30. Januar 1933 begann er damit, seinen Propagandaapparat auszubauen und auf Touren zu bringen. Seit Mitte März gingen die Presse, Film und Rundfunk auf das GOEBBELS-Ministerium über und einige Zeit später wurde der erste nationalsozialistische, vom Propagandaministerium vorbereitete Wochenschaubeitrag gedreht. Der "Geist des nationalen Erwachens" begann sich dort mit erstaunlicher Geschwindigkeit auszubreiten. Medienwelten und Kommunikationstechnologien nahmen hier ihren eigentlichen Anfang. Ritualisierende Verlautbarungen schalteten den gesellschaftlichen Organismus gleich. Die innere Haltung des Menschen sollte "beeindruckend und beeinflussend" wirken (so GOEBBELS). Die müheloses Verbindung, die das Parolendreschen mit vielen politischen, kulturellen und intellektuellen Ideen herstellen konnte, war schon sehr beachtlich. Vermutlich deshalb, weil es eine zentrale Koordinierung -und eine Zusammenführung der Vielfalt von Stereotypen zu einem Monosystem gab, das alle Elemente einer kultisch-mystischen Heilsreligion aufwies.

Das allerdings war von vitaler Bedeutung. Medial betrachtet trug die propagandistische Lenkung des Volkes, mit "einer Stimme", mit der "Stimme des Führers zu sprechen", dem bereits im Untergrund schlummernden Kriegszustand Rechnung, schürte unablässig Haß, als auch Angstgefühlebeides elementare Vorbedingungen für Gewalt und Gewaltbereitschaft. In dieser perfekt durchorganisierten Informationsmaschinerie kam dem Film im Sinne LUDENDORFFs eine wichtige Bedeutung zu: Er zeigte wie der Rundfunkdie enorme totale Einbindung und Unterwerfung des einzelnen unter das System bis hin zum Detail. Zwischen 5 und 10 Millionen Meter Film sollen zwischen 1939 und 1945 an den Fronten für Kriegswochenschauen," Die Deutsche Wochenschau" und die "UFA-Auslands-Tonwochenschau" abgedreht worden sein. Das Material wurde selektiert und erst nach gründlichster "Bearbeitung" vom Oberkommando der Wehrmacht und dem Propagandaministerium freigegeben. Auf diese Weise konnte die Weltöffentlichkeit von den wirklichen Situationen an der Front auch wenig erfahren. Der Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 1. September 1939 führte beispielsweise in den USA dazu, daß dieser Überfall ausschließlich aus deutscher Perspektive geschildert wurde; ähnliches spielte sich bei der Besetzung Norwegen im Frühjahr 1940 ab. Es war allemal wichtig, den Feind zu entmenschlichen, als über die Unmenschlichkeit der eigenen nationalen Kriegsführung in Wort und Bild auch nur ein Wort zu verlieren. Kriegsberichterstatter, Redakteure, Verleger, Filmemacher wurden darauf eingeschossen, die verlängerten Arme von Politik und Militär zu seinund alle glaubten, für eine "gerechte Sache" Lügen zu dürfen; totaler Ausverkauf der Ideen in einem totalitären Krieg; die Medien im Würgegriff der Macht, die historischen Einschnitte ersten Ranges.

Im ausgehenden 20. Jahrhundert hat sich das Denken der Medien den Verzückungen und Verheißungen enormer kolossaler Gefühlsregungen angepaßt.

Die moderne, mediale Technik hat die Jetztkultur vergewaltigt und verführt; sie hat sie unter ihre Kontrolle gebracht, und besteht darauf, daß sie sich dem Willen der Politik und der Idee der Besessenheit anpaßt, sich ihnen unterordnet. Sie ist dabei, ein gewaltiges Gesellschaftsexperiment durchzuführen, das es neben den tiefen ökologischen Krisen je in der Moderne gegeben hat: Das globale Informationsnetzwerk, das einst mit Film/Hörfunk begann, nimmt die Katastrophen dieser Welt mit ungläubiger Gelassenheit und Gefaßtheit auf: Analogien aus der deutschen Vergangenheit, wenn an die Berichterstattung aus dem Kosovo gedacht wird: Routine, Kriegsmüdigkeit, Stereotype, Untergrabung des Schreckens, der Gewalt, der Katastrophen, lässiges Auftreten von SCHARPING bei den täglichen Berichterstattungen über den Krieg.

Das flößt Angst ein, weil die Darstellung von unübersichtlichen Verhältnissen in eine bekannte, vertraute Anordnung mündet: Zuhörer/Zuschauer zu indoktrinieren, sie in den staatlich kontrollierten Kanälen zu vereinnahmen. Im Wettbewerb mit anderen Programmen werden alle politischen Sendungen persönlichkeitsorientiert betont und hinterlassen beim Publikum den Eindruck, daß ihnen die Bomben bildlich gesprochen auf den Kopf fallen. Die mediale Täuschungsindustrie findet an diesem Spiel gefallen. Sie orientiert sich an Bildern, die Schlagzeilen bringen. Doch wo die Bilder fehlen, verringert sich die Aufmerksamkeit, wenn es nur Meldungen gibt (wie im Hörfunk), gibt es keine Bilder -höchstwahrscheinlich der beginnende Verfall für analytischen und kritische Fähigkeiten. Sie bedient sich keiner differenzierten Sprache mehr, ist dem Ergebnis nach standardisiert, was sich im Kosovo-Konflikt tragisch auswirkt: Die Verringerung des Interesses an der "Geschichte". Die Auswirkungen auf das politische Leben können nur als verheerend bezeichnet werden: Probleme, Inhalte, die Verbreitung von Basiswissen über das Krisengebiet ist wie im Bosnien-Krieg den Augenblicksschwankungen unterlegen. Medien und Krieg wirken wechselseitig aufeinander, sind voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Die gesteuerte Information ist wesentlicher Bestandteil der (jeder) Berichterstattung, da Krieg ein Ereignis ist, das sich besser als der Friede verkaufen läßt, politisch wie ökonomisch die Medienstrukturen weiterentwickelt.

Man kann die Säulen der KrisenKriegsberichterstattung wiefolgt eingrenzen: A. Sie unterliegt den machtpolitischen Interesssen von Politik und Militär. B. Sie unterliegt den ökonomischen Interessen des multimedialen Informationsnetzwerkes und der Medienzaren. C. Sie ist vom Partizipationsinteresse der öffentlichen Meinung abhängig. Logischerweise haben all diese Säulen etwas Gemeinsames mit der Kosovo-Berichterstattung: Sie unterlegt mit Kampfeinsätzen und politisch militärischen Kampagnen für die NATO die "spannende Nachricht", die als "anregend" empfunden werden kann, wie in einer Unterhaltungssendung, oder noch besser der Werbung. Die Grenze zwischen dem Alltagsbewußtsein und dem Krieg wird in dieser "Unterhaltung" permanent unscharf gehalten. Hat sich die Bevölkerung erst einmal daran gewöhnt, wird jede Grenze zwischen der realenund der symbolischen Welt ausgelöscht. Was vermittelt wird, tritt in den Werbespots der "Vorkriegsund Nachkriegssendungen" auf: Die unmittelbare Wunscherfüllung, jetzt etwas "anderes" zu sehen, nicht nur immer Krieg! Werbespots handeln von Wertvorstellungen, von Mythen und Phantasien; sie bilden geradezu einen Korpus für das psychotische Bewußtsein, das als Montage einer gewaltigen Menge von visualisierten kryptischen Texten, die Bilder und Geschichten, Worte und Töne liefert, an denen die Menschen ihr Leben orientieren sollen, auftritt.

Das Projektionsbild der Sehnsüchte giert nahezu nach Scheinheiligkeit und Unwissenheit. Der dramatische Augenblick der dem Fernsehpublikum vorgespielt wird ist mit Vorund Abspann, mit den Hinweisen auf das Stück von morgen, oder der nächsten Woche, in seiner Bedeutungstiefe zerplatzt. Es gibt im Kulturbetrieb der Moderne keine Eindringlichkeit mehr, die warnend und stark verdichtet hervortreten könnte, um die eigentlichen Handlungsfäden einer Berichterstattung ausführlichst zu entfalten. Es bleibt gerade Zeit genug, knappe Geschichten mitzuteilen. Und analog zum Hörfunk der "ersten Stunde", gibt es auch hier nur Nebenhandlungen und Nebenschauplätze. Folglich wird es verunmöglicht, in Krisenmomenten mit Kriegsreportagen umzugehen. Übrig bleibt die Fisternis der Verflechtung, das Konglomerat aus Steuerung, Instinkt, Seelenqualen und last but not least, der "moderne Mensch" irrationaler Wahn mit dem Tanz auf dem Vulkan. Ein beginnendes Gefecht, sicher nicht das letzte, saugt die Kommententatorenschar der Medien auf pathologische Reaktionen sind die Folge: Das Geschehen, fast schon der Gig, wird mit erstaunlicher Gelassenheit und Gefaßtheit aufgenommen; bedrohliche Ereignisse, die sich die Hand geben, machen der deutschen Schizophrenie offensichtlich nichts mehr aus. Das kann in der modernen Warenproduktion kein Ausdruck von Reife sein, eher ist es eine Art Entwurzelung menschlicher Ethik überhaupt. Ethnischen Säuberungen an den Kosovo-Albanern rufen zwar ein mulmiges Gefühl hervor, doch die Ruhe, die sich durch die Fernsehberichte über das Drama zu legen scheint, gehört mit zu den größten menschlichen Fehlleistungen dieses Jahrzehnts. Medien sind Zeit-Binder geworden. Das Fernsehen hat es geschickt verstanden, sich von Ort zu Ort zu bewegen und die materielle Umwelt bestens zu beherrschen. Mit dem Fernsehen werden Menschen gemacht, die ihr Erleben durch die Zeit transportieren. Als Zeit-Binder kann es auch Wissen aus der Vergangenheit ansammeln, an die Gegenwart weitergeben. Irgendwann werden dann die Gewaltaktionen, die es so vortrefflich und präzis schildern kann, als Folge dieser abstrahierten Wirklichkeit auf uns niederkommen, auf uns einschlagen; wir werden sie am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die Fähigkeit der Medien im Kosovo-Krieg besteht rundweg darin, den Luftschlägen der NATO eine Stabilität zu verleihen, die Angriffe so zu strukturierenobschon es immer andere sind -, daß zwei Ereignisse immer vollständig gleich die Erinnerung durchfluten: Der startende Jet, der präzise Einschlag der "chirurgischen Bomben", die mit einer Kamera versehen, den eigentlichen Zusammenhang, die Ebene der Betrachtung, verblenden. Der Verblendungszusammenhang ist der Weg des Zusammenspiels aller medialen Stoffe der Moderne: Wenn NATO Militärmaschinen bomben, tritt das globale Kriegsgeschehen auf den Plan, die modernisierte Fassung der Politik ("es war schlechtes Wetter", "alle Maschinen kehrten sicher zu ihren Stützpunkten zurück"): Freedom from fear and want: Die verallgemeinerte Zusammenfassung des Krieges, die Verkörperung aller Abgründe von Hilflosigkeit und Verlogenheit, eben eine Abstraktion, oder um es einfacher zu sagen: Das Multimediale ist der Energiestrom des Krieges, ein zu verallgemeinerndes Bild des stetig tobenden audiovisuellen Basars, der PR oder Marketing, und keinen anderen Sinn hat, als den Umsatz, die Stoffe und Energieströme zu verdichten die selbstmörderische Unlogik eines ganzen Bereiches. Die Kriegshandlungen hinterlassen eine sprachliche Karte, eine symbolische Landkarte, um sie der Welt anzugleichen das ist ORWELLsche Desinformation, keine Logik, doch Theater, keine menschenfreundliche Politik, aber der Gemeinplatz schlechthin. Der moderne Kulturbetrieb hat längst seine Unschuld verloren. Er insistiert nach Bequemlichkeit, nach den guten Manieren, dem bloßen Getue und lästig obendrein ist es, wenn der Osterurlaub durch den Krieg vermiest wird; Geschichte ist, was gestern in der Zeitung stand, im Radio zu hören war, im Fernsehen zu sehen, und im Film zu bestaunen ist. So ist in der Tat der Medienwald mitverantwortlich für die Degenerationen des Geistes, da er selbst wie in diesem Falle die NATO zu einem Dienstleistungsbetrieb verpflichtet, der die Kundenwünsche mit Bildern, Bändern, Filmen und Fotos befriedigt. All dies ist recht unerfreulich, weil in Perrnanenz eine ganz andere bisher nicht gekannte Form des Krieges vermittelt wird: Es wird gebombt, auch gestorben, was möglichst nicht gesehen werden darf; ein medialer Krieg mit dem Hang, das Material dieses fetischisierenden Systems zu verwenden, um auf dieser Grundlage einen neuen "Kriegsmenschen" zu entwerfen, den KRIEGS-ERWACHSENEN. Die Achtlosigkeit gegenüber den Folgen menschlichen Tuns, ist eine ebenso ziellose wie wahllose Vertiefung und Verstrickung in die medialen Konsumwelten: Kriegerische Energie, in der es um eine bestimmte Seifenmarke geht: Wir sehen einen deutschen Tornado und einen amerikanischen Tarnkappenbomberund sollen raten, wer der deutsche Jet und wer der amerikanischer Bomber ist.

Wie immer man die Verwandlung, die sich vollzieht, beschreiben will, es ist jedenfalls offenkundig, daß sich die Illusion hält, daß das grausige Treiben "dort" zu lokalisieren ist, aus einer "fernen Welt" mit der wir nichts zu tun haben zu uns herüberhallt. Die Kommunikationstechnologien pfeifen auf humanistische Ideale; Realität des Krieges ist die offene Proklamation der alten heidnischen Barbarei, der Aufzug der mittelalterlichen Kreuzzugritter, die mit der massenhaften Verbreitung des Gewaltpotentials für die Forterhaltung des Gezeugten sorgen, und sei es nur durch die zig ActionFilme, die allabendlich durch die "guten" Fernsehstuben geistern; Vernunft wird in ihnen durch Unwissen, Aberglauben, Brutalität, Unachtsamkeit besiegt. Schmutz und Tod, Tränen und Trauer das Zerbrechen der menschlichen Vernunft ist eingeläutet, mit einem Bann belegt. Menschen werden zu Tyrannen erzogen, in Unruhe versetzt werden sie vielleicht nur durch den Gedanken, daß die Flüchtlingsströme Deutschland erreichen könnten und unsere Sozialkasse zusätzlich belasten, in Aufruhr gebracht. Im Niedergang des warenproduzierenden Systems sind die Bahnen des Stumpfsinns, die wir selbst erzüchtet haben, die der Selbstzufriedenheit, der Wiederherstellung der Schreckensmächtenur durch eine Kunstwelt zusammengehalten; der Scheiterhaufen der bruchstückhaften Bilder: Krieg ist in ihm Unterhaltung und Entertainment, Zirkus und Variete, Separee und abgedunkelte Zimmer. Wenn sich die technologisierte Medienwelt in Trivialitäten zerstreut, das politische und gesellschaftliche Leben sich in ihnen in eine permanente Unterhaltungssendung verwandelt, dann hat das auch Absterben der Warenkultur einen tatsächlich fiktiven Endpunkt erreicht. Berichte über den Krieg sind dann nur noch Showeinlagen. Die neuen Herrschaftstechniken lassen die alte und neue Titanic in voller Fahrt vor die Eiswand fahren.

"In diesem Universum liefert die Technologie
auch die große Rationalisierung der Unfreiheit des Menschen."

(HERBERT MARCUSE)

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