Berichte aus Frankreich

Frankreichs Rechtsaußen: Le Pen und de Villiers bereiten die kommenden Wahlen vor


Ein Dossier v
on Bernhard Schmid
06/06

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Teil 2: Ideologische Debatte: Antisemitismus/Philosemitismus, Islamkontroverse
Teil 1
Teil 3
Teil 4

Antisemitismus oder Philosemitismus? 

Philippe de Villiers’ postkolonialer Rassismus und sein vehementes Auftreten gegen Einwanderung, das er mit Le Pen teilt, können in Teilen der konservativen Rechten durchaus als verschärfendes Korrektiv zur eigenen Politik aufgefasst werden und Anklang finden. Beim offenen Antisemitismus und dem Verdacht von Hitler-Sympathien dagegen scheiden sich schnell die Geister zwischen Konservativ-Liberalen und Rechtsextremen. Doch während Le Pen öfter in solcherlei Geruch kam, enthält sich de Villiers auf diesem Gebiet anrüchiger Äuberungen. Was nicht bedeutet, dass die Anhängerschaft, die er da erwirbt (oder um die er sich bemüht), von solchem Geruch frei sei...! So hatte im Juli 1996 de Villiers’ Parteifreund Pierre Bernard, der damals Bürgermeister der Pariser Trabantenstadt Montfermeil war (er musste von diesem Amt nach einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Rassendiskriminierung im November 2002 zurücktreten), «immerhin» in aller Öffentlichkeit an der Beerdigung von Paul Touvier teilgenommen. Paul Touvier war der Chef der Miliz des französischen Vichy-Regimes, das mit dem nationalsozialistischen Deutschland kollaborierte, gewesen.  

Aber auch innerhalb des FN-Spektrums gibt es seit einem Vierteljahr eine Strategiedebatte über den Stellenwert, den man dem klassischen Rassismus einerseits, dem Antisemitismus andererseits zumessen soll.  

So vertritt die FN-nahe rechtsextreme Wochenzeitung Minute die Position, es sei positiv zu vermerken, «dass die antirassistische Front Risse bekommt». (So lautete der Titel ihrer Ausgabe vom 01. März 2006: ‘Le front antiraciste se fissure’.) Aufgrund der im Februar dieses Jahres, infolge des Mords an Ilan Halimi, vorübergehend gewachsenen Spannungen zwischen französischen Juden und arabischen oder schwarzen Einwanderergruppen, könne es gelingen – so ‘Minute’ -, diese Bevölkerungsgruppen dauerhaft gegeneinander aufzubringen. Die in Frankreich lebenden Juden müssten in ein Bündnis gegen arabischstämmige Einwanderer und zur Verteidigung des Westens, des Abendlands integriert werden. Originalton ‘Minute’: «Der Lepenist Jean-Richard Sulzer (Anm. d. Verf. : Regionalparlamentarierer der extremen Rechten im Pariser Regionalparlament und selbst jüdischer Konfession; er zählt zum wirtschaftsliberalen Flügel des FN und nahm, diskret, an der Demonstration nach dem Tod von Ilan Halimi teil) (...) weib, er spürt, dass heute eine historische Gelegenheit besteht, die so genannte antirassistische Front zu zerbrechen, deren unterschiedliche Bestandteile nicht mehr viel miteinander gemeinsam haben, auber der Verteidigung ihrer Eigeninteressen. (...) Die Achse, die sich abzeichnet, ist gleicher Natur wie jene, die in Belgien die flämische nationalistische Partei Vlaams Belang – die Nachfolgepartei des aufgelösten Vlaams Blok – dazu bringt, sich an die jüdische Gemeinschaft in Antwerpen anzunähern, um gemeinsam einen Block gegen die Moslems zu bilden. Ist dieser Versuch auf Frankreich übertragbar? Die Umgruppierung der französischen politischen Landschaft, die seit Jahrzehnten durch die verbalen Entgleisungen auf der einen Seite und die Befürchtungen auf der anderen Seite verhindert wurde, ist möglich. (...)  Diese Strategie (...) impliziert, mit den pro-arabischen Sympathien (Anm. d. Verf.: eines Teils der extremen Rechten, die in Frankreich ein ziemlich heterogenes ideologisches Konglomerat bildet) zu brechen. Sie impliziert, die Idee zu akzeptieren, dass wir einem ‘Schock der Zivilisationen’, mit religiöser Hauptkomponente, gegenüber stehen (...). Sie impliziert auch, das zu integrieren, was man die europäisch-atlantische Achse nennt.»  

Solche Worte wie «’Schock der Zivilisationen’ mit hauptsächlich religiöser Komponente» hört ein fanatischer Rechtskatholik (und durch die ‘falsche Epoche’ verhinderter Kreuzritter) wie Philippe de Villiers  natürlich gerne. Der Politiker wird denn auch in derselben Ausgabe von Minute (01. März 2006) ausführlich interviewt, auf Seite 5, neben dem oben zitierten Jean-Richard Sulzer auf Seite 4. Aber aus der Sicht von Aufklärung und Rationalität birgt die Perspektive eines solchen, angeblich «konfessionnell dominierten Zivilisationsschocks» natürlich alles andere als positive Aussichten in sich.   

In den auf diese Auslassungen folgenden Monaten, mit der Zunahme der Spannungen zwischen Le Pen und de Villiers, wird Minute sich dann negativ auf den rechtskatholischen Politiker einschieben. Es geht nunmehr darum, zu beweisen, dass Philippe de Villiers unlautere Konkurrenz gegen den FN betreibe und der ‘nationalen Rechten’ schädlich sei. Seit Wochen veröffentlicht Minute nunmehr fast ausschlieblich Stimmen von (und Interviews mit) einzelnen Aktivisten, die in jüngster Zeit von Philippe de Villiers zu Le Pen übergelaufen sind – es gibt solche Fälle, aber in weit gröberer Zahl finden die Übertritte doch in umgekehrter Richtung statt. 

Eine ähnliche Linie verfolgt Philippe de Villiers aber auch weiterhin. Und gerade im Wettstreit mit dem halb offenen Antisemiten Jean-Marie Le Pen verlegt er sich nunmehr weitgehend auf den Philosemitismus. Letzterer, kombiniert mit der Vorstellung eines religiös unterlegten Bündnisses zwischen Christen und Juden gegen die Moslems (als solche und ziemlich generell genommen) als gemeinsamen Feind, dient ihm in jüngster Zeit geradezu als ideologischer Kompass. (ANMERKUNG: FUSSNOTE 1) 

In der bereits seit längerem an französischen Kiosken erhältlichen Juni-Ausgabe des Israel Magazine hat Philippe de Villiers es dann sogar auf die Titelseite geschafft. Es handelt sich um eine französischsprachige Zeitschrift mit Mitarbeiter(inne)n in Frankreich und in Israel (vgl. http://www.israelmagazine.co.il/  ), die aktuell den rechten Likud-Block, Benyamin Netanyahou und die Siedlerbewegung unterstützt. In dem Interview, das auch die aktuelle Titelstory abgibt (Seite 10 bis 14 der Ausgabe, unter dem Titel: «Die Islamisierung Frankreichs – Die Gefahr»), spricht Philippe de Villiers sich gegen die Anwesenheit zu zahlreicher moslemischer Immigranten in Frankreich sowie für einen «totalen Einwanderungsstopp» aus. Auf eine Nachfrage des Interviewers David T. Reinharc, die bereits in diese Richtung abzielt («Werden Sie, einmal an der Macht, die Einwanderungsströme umkehren?») antwortet de Villiers: «Man muss eine Politik der ‘immigration zéro’ verfolgen. Die Studien zeigen (Anm. d. Verf .: de Villiers benennt nicht, welche Studien...), dass Frankreich nicht mehr die Mittel hat, um Einwanderer aufzunehmen. (...) Diese Haltung ist ebenso unverantwortlich wie jene, die ein Familienoberhaupt einnähme, das beschlösse, ein Kind zu adoptieren, während seine eigene Kinder an Hunger sterben.» (Zitatende) Damit rehabiliert Philippe de Villiers die, bei Rechten gängige, Vorstellung von der Gesellschaft bzw. Nation als einer «groben Familie», vulgo «biologisch begründeten Schicksalsgemeinschaft».  

 Dagegen nehmen, anders als Minute, die übrigen rechtsextremen Zeitungen eher offen antisemitische Positionen ein. Insbesondere die altfaschistische, ultraradikale Wochenzeitung Rivarol (die jedoch eine geringe Auflage hat, etwas über 3.000). Und, in geringerem Mabe, die zu 40 Prozent im Eigentum der Partei stehende FN-nahe Wochenzeitung National Hebdo («national wöchentlich»), deren Verbreitung etwas gröber ist. In National Hebdo höhnt beispielsweise die Kommentatorin ‘Topoline’ über die auf den Mord an Ilan Halimi folgende Mobilisierung gegen Antisemitismus. Sie spricht von einer «pseudo-religiösen Bittprozession» und spottet - im Zusammenhang mit dem Hinauswurf Philippe de Villiers’ aus der ersten Reihe der damaligen Demonstration, in der sich einzureihen versucht hatte – über eine (unausgesprochen: jüdische) «Konfessionspolizei». (National Hebdo vom 02. März 2006) 

Es ist klassisch, dass die französische extreme Rechte bemüht ist, (im Ergebnis in oft widersprüchlicher Weise) ihren starken anti-arabischen Rassismus einerseits und den historisch noch älteren Antisemitismus auf der anderen Seite unter einen Hut zu bringen. Manche Strömungen geben dem Rassismus gegenüber (vor allem maghrebinischen) Einwanderern aufgrund seiner realen Massenwirkung den Vorzug. Andere dagegen halten vordringlich am Antisemitismus fest, der ihr (mittels der Weltverschörungstheorien, die vom Antisemitismus befördert werden, und seiner vermeintlich «antikapitalistischen» oder «sozialrevolutionären» Komponente) als Welterklärungsersatz dient. Dies führt der Rechtsextremismusforscher Jean-Yves Camus anderswo am Beispiel einer heute eher randständigen, aber auf vergleichsweise hohem intellektuellem Niveau angesiedelten Unterströmung der extremen Rechten aus. Es handelt sich um die Nouvelle Droite (neuheidnisch beeinflusste und ethnopluralistisch-differenzialistische «Neue Rechte»), die in den späten 70ern und den 80er Jahren zeitweise versuchte, zum intellektuellen Think Tank einer breiteren rechten Öffentlichkeit zu werden, aber damit scheiterte.  

Über sie schreibt Jean-Yves Camus: «Seit dem 11. September 2001 hat die Moslemphobie, die zum theoretischen Zentrum eines bestimmten rechten Denkens geworden ist, die Theorien von Faye (Anm.: Guillaume Faye, Ideologe der Nouvelle Droite und Theoretiker des ‘unausweichlich kommenden Rassenkrieges’) akzeptabel werden lassen. Aber sie platziert die Nouvelle Droite in einer politischen Sackgasse: Auf der einen Seite wird die ‘politische Nische’ der Ausländerfeindlichkeit und der Angst vor dem Islam, im Rechtsaubenbereich, durch den Front National und den MPF besetzt. Auf der anderen Seite kann das relativ freundliche Herangehen, das diese Strömung (Anm.: jene, die in erster Linie auf Konfrontation mit dem Islam setzt) heute gegenüber Israel als Frontstaat gegenüber den moslemischen Ländern und dem Islamismus an den Tag legt, kaum offene Ohren in einer Strömung finden, wo der Antisemitismus noch immer gedeiht (Anm.: gemeint ist die Nouvelle Droite).» (FUSSNOTE 2) 

De Villiers: «Hauptsache, gegen den Islam» – Die Islamkontroverse im Rechtsaubenspektrum 

Philippe de Villiers setzt also, anders als Teile des Front National, den Antisemitismus nicht im politisch-ideologischen Kampf ein. Stattdessen konzentriert sein Rassismus sich hauptsächlich, ja (im öffentlichen Diskurs fast ausschlieblich) auf die moslemischen Einwanderer in Frankreich und Europa.

In seiner Kandidaturerklärung zur kommenden Präsidentschaftswahl (vom April 2007), die er am 11. September 2005 – und wohl nicht zufällig hatte er das Datum auf diesen Tag, also auf einen 11. September gelegt – prangerte Philippe de Villiers scharf die von ihm behauptete «Islamisierung Frankreichs» an. Unter diesen Begriff packt Philippe de Villiers unterschiedslos verschiedene Phänomene, von der bloben Anwesenheit (einer «zu groben Zahl») von Einwanderern aus überwiegend moslemisch geprägten Ländern über die Pläne zu einem Eintritt der Türkei in die EU bis hin zu den Aktivitäten islamistischer und/oder terroristischer Bewegungen. 

Im April 2006 knüpfte Philippe de Villiers erneut öffentlichkeitswirksam an dieses Thema an, indem er ein Buch im Verlag Albin Michel veröffentlicht, das Ängste wecken und und schüren möchte. Unter dem Titel Les Mosquées de Roissy’(«Die Moscheen von Roissy»; in der Pariser Vorstadt Roissy liegt der Flughafen Charles de Gaulle-Roissy) breitete de Villiers sich auf 250 Seiten darüber aus, welch immensen Gefahrenherd der Pariser Grobflughafen Roissy angeblich berge. Die «Islamisierung» des Personals - Philippe de Villiers spricht in diesem Zusammenhang wörtlich von einer «religiösen und ethnischen Apartheid», die zu Ungunsten der Nichtmuslime praktiziert werde – führe zum schwindel erregenden Anstieg der Terrorismusgefahr. So behauptet de Villiers:  «Ein Mitglied des Personals, das in den Sicherheitszonen arbeitet, kann ohne jegliche Kontrolle ein Gepäckstück mit Sprengstoff in den Gepäckraum eines Flugzeugs legen.» Ferner behauptet Philippe de Villiers, Zugang zu einer geheimen Studie des polizeilichen Nachrichtendiensts RG (Les Renseignements Généraux ), der  ähnliche Aufgaben wahrnimmt wie die Verfassungsschutzämter in Deutschland, gehabt zu haben. Dies wurde durch die RG jedoch alsbald dementiert. Auf die Informationen aus dieser Quelle stütze sich sein Buch. (Siehe das Titelblatt unter: http://www.pourlafrance.fr/images/ouvrage_villiers2.jpg )   

Leider ergaben einige kritische Recherchen jedoch ziemlich schnell, dass die präsentierten Informationen hinten und vorne nicht stimmten. Die moderate Boulevardzeitung Le Parisien etwa zog in ihrer Ausgabe vom 28. April die Herkunft des Dokuments in Zweifel, und das linke Wochenmagazin L’Humanité Hebdo publizierte am 18. Mai 06 eine umfangreiche «Gegenrecherche». Den vorliegenden Ergebnissen zufolge stammt die angebliche Studie, auf die Philippe de Villiers sich berief, nicht von den RG. Es handelt sich vielmehr um ein inoffizielles Dokument, das im Auftrag des Inlandsgeheimdiensts und Spionageabwehrdiensts DST (Direction de surveillance du territoire) erstellt worden war. (Philippe de Villiers hat inzwischen auch öffentlich zugegeben, dass seine Quellenangabe – die die Herkunft seiner «Studie» den RG zuschrieb – falsch sei; und schob nunmehr nach, dass er angeblich durch die DST informiert worden sei.) Und in dem Originaldokument der DST geht es auch überhaupt nicht um Terrorismus. Vielmehr hatte der Nachrichtendienst eine Kanzlei für Wirtschaftsspionage bzw. –aufklärung, C3P, damit beauftragt, über Diebstähle durch das Flughafenpersonal und Vetternwirtschaft bei der Einstellungspraxis zu ermitteln. «Islamistische Propaganda/Missionierung haben wir nicht festgestellt», erklärte C3P-Direktor Patrick Séguy ausdrücklich (vgl. Nouvelobs.com, Homepage des Wochenmagazins, Nachricht vom 28. April 2006). Ganz im Gegensatz zu dem, was Philippe de Villiers später behauptet!

Dass der Inlandsgeheimdienst sich für solche Dinge interessiert, erklärt sich daraus, dass der gesamte Flughafenbereich als «hoch sensible» Zone gilt und deshalb intensiv durch unterschiedliche Nachrichtendienste durchleuchtet wird. Infolge der Studie konnten tatsächlich einige Diebstähle konnten tatsächlich aufgeklärt werden, es kam zunächst zu 30 Verhaftungen, aber sechs der Festgenommenen erwiesen sich später als unschuldig. 4 Personen wurden strafrechtlich verurteilt, gegen die übrigen Betroffenen halten die gerichtlichen Untersuchungen an. Infolge der Ermittlungen für den Nachrichtendienst erhärtete sich ferner der Verdacht, dass es bei bestimmten Firmen, die vom Flughafenbetreiber als Subunternehmen in der Gepäckabfertigung eingesetzt werden, eine Einstellungspraxis aufgrund von «Seilschaften» gegeben hatte. Demnach wurden rund 100 Personen, die alle aus derselben algerischen Kleinstadt (Gazhaouet) stammen, bei derselben Subfirma eingestellt, da Familienmitglieder oder ehemalige Dorfnachbarn sich für die Einstellung dieser Zuwanderer eingesetzt hatten. 

Bei Philippe de Villiers wird daraus jedoch das terroristische «Netzwerk von Gazhaouet», was jedoch völliger Unfug ist. Generell lässt sich feststellen, dass die Methode des Grafen de Villiers als Buchautor darin besteht, Fakten unterschiedlicher (sozialer, ökonomischer) Natur in sein vorgegebenes ideologisches Schema einzupassen und im Sinne einer «moslemischen Verschwörung» zu deuten. Aus der überdurschnittlich häufigen Einstellung maghrebinischer Immigranten bzw. maghrebinischstämmiger Einwandererkinder mit französischem Pass, die sich leicht durch sozio-ökonomische Faktoren erklären lässt (es handelt sich um «undankbare», schlecht bezahlte Jobs unter schlechten Arbeitsbedingungen, die bei «gebürtigen Franzosen» höchst unbeliebt sind) interpretiert er ein angebliches «islamisches Komplott» heraus.  

Im übrigen abstrahiert de Villiers’ Darstellung der Abläufe am Flughafen, wo 80.000 Menschen arbeiten, doch sehr weit von den Realitäten vor Ort. Denn derart «unkontrolliert», wie Philippe de Villiers behauptet, kann dort niemand wirken: Um überhaupt im Sicherheitsbereich tätig sein zu können, benötigt jeder abhängig Beschäftigte eine spezielle maschinenlesbare Karte, die er am Arbeitsanzug befestigen muss. Die Ausgabe wird in enger Absprache mit den am Flughafen tätigen Polizeikräften sowie dem polizeilichen Nachrichtendienst (den RG) vorgenommen, ihr Besitz wird streng kontrolliert. In der sozialen Praxis liegen die Dinge oftmals so, dass die Drohung mit dem Entzug dieser Karte – die der Arbeitgeber einer Subfirma durch einen einfachen Anruf bei der Polizei, die den maschinenlesbaren Arbeitsausweis daraufhin sofort sperrt, auslösen kann – als probates Erpressungsmittel eingesetzt wird. Es erspart den Arbeitgebern nämlich, die Kündigungsschutzregeln einzuhalten: Wer einen unliebsam gewordenen oder (etwa im Zuge eines Streiks) negativ aufgefallenen Beschäftigten los werden möchte, braucht gar nicht erst ein Kündigungsverfahren einzuleiten, sondern sorgt einfach für die Sperrung des Sicherheitsausweises als unabdingbare Zugangsvoraussetzung zur Arbeit. Wer über dieses Zugangsmittel nicht verfügt, erfüllt die Einstellungsvoraussetzung nicht mehr, und eine Kündigung muss nicht näher begründet werden. Der/die Betreffende kann dagegen klagen, aber die Prozesse dauern mehrere Jahre... Vollends wilden Fantasien aufgesessen ist Philippe de Villiers dort, wo er in seinem Buch gar behauptet, es sei «geläufig, dass bärtige (Islamisten) in afghanischer Kluft» auf den Flugzeugpisten arbeiten. Als «afghanische Kluft» bezeichnet man jene besondere Tracht (lange Pluderhosen, wallender Bart...), die erstmals in den frühen neunziger Jahren durch bewaffnete Islamisten in Algerien eingeführt worden ist, nachdem deren Kämpfer vom afghanischen Kriegsschauplatz der 80er Jahre zurückgekehrt waren. Dadurch wurde dieser Aufzug ideologischer Kämpfer auch in Frankreich bekannt, nachdem eine solche Kluft bis dahin auch im Maghreb unbekannt war. Aber sie am Pariser Flughafen zu erblicken, dürfte kaum möglich sein: Alle Mitarbeiter, sei es im Gepäckbereich oder anderen Sicherheitszonen des Flughafens, müssen nämlich spezielle Sicherheitswesen mit Neonfarben tragen, auf denen der Schriftzug ihrer Firma (oder Subfirma) deutlich zu erkennen ist. 

Dem fanatischen Feldzug des Grafen de Villiers gegen Alles, was auch nur entfernt moslemisch wirkt, widersprechen auch Le Pen und Parteifunktionäre des Front National. (ANMERKUNG: FUSSNOTE 3) Ihnen kommt es freilich gerade recht, so über eine argumentative Abgrenzungsmöglichkeit zu den Rechtskatholiken unter Philippe de Villiers zu verfügen. Im politischen Streit mit de Villiers und dem MPF hebt die Le Pen-Partei so darauf ab, das «der Islam doch gar nicht das Problem (sei), sondern die gesamte ungebremste Einwanderung». Am 18. März 2006 rief Le Pen etwa bei einer Debatte mit Sympathisanten in Villepreux (bei Versailles) zu diesem Thema aus: «Man kann die Probleme nicht darauf reduzieren/darin zusammenfassen, dass es um die Islamisierung gehe. Man muss die gesamte Masseneinwanderung aufhalten.» Und in der rechtsextremen Wochenzeitung Minute vom 23. 05. 2006 erklärt der ehemalige MPF-Funktionär Pierre Audier, der frisch zum Front National übergelaufen ist, den ideologischen Unterschied zu seinen ehemamigen Parteifreunden: «Diese ‘Islamisierung Frankreichs’ ist ein falsches Problem, und dieser Diskurs kann sich sogar als gefährlich aufweisen, indem man die Religionen gegeneinander (aufwiegelt). Ich bin römisch-katholisch, und ich mag es nicht, dass man eine Religion stigmatisiert. Falls es eifernde Missionierungsversuche von Moslems in Frankreich gäbe, oder wenn die Franzosen massenhaft konvertieren würde, dann gäbe es ein grobes Problem. Aber das ist nicht der Fall. Aber was stimmt, ist, dass manche Islamisten ihren Lebensstil der französischen Gesellschaft aufzwingen möchten. Aber, wenden wir unsere Gesetze an! Die Polygamie zum Beispiel ist auf dem Papier in Frankreich verboten. (...) Worauf warten wir, dass die Einwanderungsgesetze ebenfalls angewandt werden? Das wahre Problem ist nicht das der Islamisierung, sondern das der Schwäche unserer Regierung.» 

Auf diesem Wege versucht Jean-Marie Le Pen, die Diskussion um das «Islamproblem» von der Ebene der religiösen Konfrontation (auf der Philippe de Villiers sich vorwiegend bewegt) herunter zu holen und den rassistischen Kern des Anti-Einwanderungsprogramms der extremen Rechten klarer hervor zu schälen. Denn im Kern geht es ihr ja tatsächlich nicht so sehr um die Frage der Zugehörigkeit zum Islam, sondern um die Ablehnung von Zuwanderung an und für sich. 

Allerdings hat lange Jahre hindurch, auch und gerade dem Front National, die Symbolik des Islam (und dessen Stigmatisierung) in hohem Mabe zum Zwecke der Etikettierung des «Fremden» gedient. Argumentativ nutzte der FN etwa den Hinweis auf die «kulturelle Nicht-Assimilierbarkeit der Moslems, deren Religion mit unserer Kultur und/oder der Republik definitiv nicht vereinbar ist», um auf eine Antwort auf die Frage zu verfügen: «Warum sollten die Einwanderer von heute nicht im Laufe einer Generation ebenso oder ähnlich ‘integrierbar’ sein, wie die italienischen, spanischen und belgischen Einwanderer von gestern bzw. ihre Nachfahren faktisch assimiliert worden sind?» Im Laufe der 80er Jahre hatte der Front National etwa im Elsass (einer seiner Hochburgen) das berühmte Plakat massenhaft verklebt, auf dem eine Frau in elsässischer Tracht mit einem Gesichtsschleier abgebildet ist. Untertitel: «In zwanzig Jahren wird Frankreich eine islamische Republik sein.» Auch gegen den Bau von Moscheen mobilisierte der FN oftmals sofort nach Bekanntwerden der Baupläne, etwa in Paris 1995. 

Aber es stimmt ebenfalls, dass das Stimulieren negativer Gefühle gegen den Islam nicht zwingend ist, um das zentrale Anliegen der extremen Rechten (die «Reinheit» des Landes durch Abwehr von Zuwanderung zu erreichen, und/oder eine soziale Hierarchie aufgrund von «Rassen»zugehörigkeit durchzusetzen) ideologisch zu begründen. Auf mindestens zwei ideologischen Ebenen kann die extreme Rechte auch «islam-freundliche» Argumente oder Gefühle einsetzen:

1.   Die eine Ebene ist das politisch-kulturelle Erbe des französischen Kolonialismus auf der Rechten: Der einstmalige Kolonialrassismus war kein auf totale Trennung zwischen den «Völkern» bzw. «Kulturen» abzielender - sondern er hatte die Errichtung einer sozialen Hierarchie und die «Unterordnung» der Kolonialsubjekte unter die dominierende «weibe» Bevölkerung zum Gegenstand und zum Ziel. Daher ist er eher ein «paternalistischer» Rassismus, aus dessen Sicht es auch den «guten Moslem» gibt: Nämlich jenen Moslem, der die (koloniale) Vorherrschaft der Europäer bereit willig duldet oder ihr gar positiv zustimmt. Und der entweder die «für ihn bestimmten» niederen Arbeiten verrichtet, oder aber auf Seiten Frankreichs im Kolonialkrieg kämpft wie die ‘Harkis’ im Algerienkrieg 1954/62. (Einige ‘Harkis’ oder ihre Nachfahren sind heute auch beim Front National aktiv, etwa der Kommunalparlamantarierer Sid Ahmed Yahiaoui in Marseille.) Diese koloniale Form von Rassismus hat Jean-Marie Le Pen, der 1957 als Offizier der Fremdenlegion in Algerien tätig war, in einer längeren Epoche seiner Biographie geprägt. 

2.   Die andere Ebene ist der «ethnopluralistisch»-differenzialistische Rassismus, den die intellektuelle Neue Rechte (Nouvelle Droite) in den 80er Jahren in das politische Spektrum der Rechten neu eingebracht hat. In einem Teilbereich der extremen Rechten hat sie dadurch erheblich zur ideologischen Modernisierung beigetragen. Denn der differenzialistische Rassismus versucht nicht, Hassgefühle auf Menschen zu schüren, die «anders» sind – wie bei primitiven Ausdrucksformen von «spontanem» Rassismus – oder den «falschen Glauben» haben, sondern er erklärt dieses «Anderssein» sogar zum positiven Wert. Alle menschlichen «Kulturen» (die freilich als solche als homogene und unveränderbare Gesamtheiten betrachtet werden, so dass die Zugehörigkeit zu ihnen dem freien Willen der Menschen entzogen ist) hätten Anspruch auf Respekt. Damit aber eine jede dieser «Kulturen» ihre Besonderheiten auch bewahren könne und respektiert sehe, müssten sie sich eben am besten getrennt entwickeln. Dabei legen die Intellektuellen der Nouvelle Droite selbst Wert darauf, dass es sich um gar keinen Rassismus handele (ja sogar um eine antirassistische Ideologie, da sie ja allen «Kulturen» vollen Respekt entgegen bringe, im Gegensatz zu den universalistischen Ideologien, die «Gleichmacherei» betriebe und denen es daher an solchem Respekt gerade mangele). In Wirklichkeit dient diese Ideologie im politischen Bereich aber nur dazu, mit schöneren Worten und angenehmerem Auftreten der Forderung nach «Rückführung der Immigranten in ihre Herkunftsländer» zu begründen - da selbige dort wieder an ihre «kulturellen Wurzeln» anknüpfen könnten.

Beide Ideologien und ihre jeweiligen Argumentationsstränge koexistierten lange Jahre hindurch innerhalb des Front National der ja eher ein Konglomerat unterschiedlicher rechtsextremer Ideologien denn eine Organisation mit  einheitlichem Ideengebäude darstellt. Neben ihnen fanden und finden sich auch noch katholisch-nationalistische Elemente wieder, für die der Islam eher den «Glaubensfeind» darstellt. Unter dem Einfluss des modernisierten, differenzialistischen (pardon :) Rassismus der Neuen Rechten begrübte jedoch ein Teil der französischen extremen Rechten in den neunziger Jahren das Aufkommen von Bewegungen des politischen Islam, wie etwa in Algerien: Der Aufstieg dieser Bewegungen beweise doch, dass «in allen Ländern und Völkern das Streben nach der Wiederentdeckung der eigenen, unverwechselbaren kulturellen Identität vorhanden ist». Jean-Marie Le Pen, der selbst in seiner Biographie eher von einem traditionellen paternalistischen Kolonialrassismus geprägt worden war, hat dieser ideologischen Tendenz zeitweise wichtige Zugeständnisse erbracht. Beispielsweise traf er im August 1997 in Istanbul den damaligen Chef der türkischen Islamistenpartei Refah Partisi, Necmettin Erbakan (dessen Partei später, unter dem Druck der Militärs, verboten und durch die erheblich moderater auftretende Regierungspartei AKP abgelöst worden ist). Auch mit dem iranischen Regime gab es zeitweilige Kontakte, so nahm Le Pen an einem Empfang der iranischen Botschaft in Paris im Januar 1998 und – auf der iranischen Ehrentribüne – am Fubball-WM-Spiel Iran/USA in Lyon im Juni 1998 teil.  

Seit der Parteispaltung des FN zwischen Le Pen- und Mégret-Anhängern, zum Jahreswechsel 1998/99, wurde jedoch die intellektuelle «Neue Rechte» in den Reihen des Front National erheblich geschwächt. Ihre Vertreter sowie jene jüngeren Kader, die ihren ideologischen Produktionen gegenüber aufgeschlossen waren, schlossen sich nämlich in ihrer überwiegenden Mehrheit dem «Dissidenten» Bruno Mégret an. Beim «historischen» Front National, also der Rumpfpartei (die im Zuge jener Spaltung über die Hälfte ihrer Funktionäre und Mandatsträger auf einen Schlag verlor), überwogen nunmehr eher die traditionellen Katholiken und Alt-Kolonialrassisten. Auch seine Kontaktaufnahmen zu Vertretern des politischen Islam (unterschiedlicher Couleur, von Erbakan bis Teheran) hat Jean-Marie Le Pen seitdem nicht erneuert. Und in seiner 1. Mai-Ansprache von 2006 schlug der alternde Chef des FN wiederum andere Töne an, die eher autoritär-republikanisch und assimilationistisch klingen.

So führte Jean-Marie Le Pen beim diesjährigen 1. Mai-Aufmarsch vor der Pariser Oper aus: «So wie die ungezügelte Immigration muss der Kommunitarisumus, dessen (Träger) eine Konkurrenz der Opfer betreiben, deren Wehklagen die gebürtigen Franzosen zu Reparationsleistungen bringen soll (...) aufhören. Es ist höchste Zeit, all diese Kommunitaristen an die Prinzipien der Einen und unteilbaren Republik zu erinnern, die in der öffentlichen Sphäre weder Moslems noch Juden noch Schwule noch Lobbygruppen anerkennt, sondern nur französische Staatsbürger und das Intérêt général. Wobei dem Individuum seine volle Freiheit überlassen bleibt, seinem religiösen Kult, seinen Hobbys oder sogar seinem Spleen in der Privatsphäre nachzugehen – ohne leugnen zu können, dass Frankreich eine Nation christlicher und humanistischer Kultur ist.» (Zitatende) In ihrer Essenz beinhaltet diese Rede eher eine autoritäre Umdeutung der bürgerlichen Staatsideologie in Frankreich, also des universalistischen Anspruchs der Republik. Wobei letzterer freilich in Le Pens Umdeutung in einen Vorwurf an die Adresse der gesellschaftlichen Minderheiten gekehrt wird - während der ursprüngliche bürgerlich-revolutionäre Universalismus ja einstmals gerade dazu dienen sollte, auch den Minderheiten gleiche Rechte (durch den gleichen Zugang zur öffentlichen Sphäre) zu gewährleisten.           

Bilanz, Schlussfolgerung:

Die Ideologie des Jean-Marie Le Pen ist im Laufe der Jahre durchaus wandelbar, bzw. unterschiedlichen Einflüssen aus divergierenden Quellen innerhalb der (je nach Strömung: national-autoritären, religiösen und nicht religiösen, postkolonial-paternalistischen, völkischen, rassistisch-biologistischen usw.) Rechten ausgesetzt. Aufgrund der neu erwachenden Konkurrenz durch Philippe de Villiers sieht Jean-Marie Le Pen sich derzeit unter Druck gesetzt. Aus diesem taktischen Moment heraus nimmt der Chef des FN zur Zeit den islamfeindlichen Diskurs sehr stark zurück, was ihm dadurch umso leichter fällt, dass er über alternative ideologische Argumentations- und Deutungsmuster innerhalb der (heterogenen) rechtsextremen Denktradition verfügt. Dabei kann er auch auf bestimmte Phasen seiner eigenen Argumentation in der jüngeren Vergangenheit zurückgreifen. 

Dennoch wäre es falsch, anzunehmen, dass Le Pen dadurch plötzlich zum «Freund der Moslems» geworden sei. Eine solche Annahme wäre absolut falsch, und betreffend seine Parteigänger wäre sie es eher recht. So erfreut sich anlässlich der 1. Mai-Kundgebung des FN in diesem Jahr ein Stand besonderen Zulaufs, an dem sich die FN-Satellitenorganisation SDF anpries. SDF ist normalerweise die französische Abkürzung für Obdachlose (sans domicile fixe), steht aber in diesem Fall für «Solidarité des français» (Solidarität unter Franzosen). Es handelt sich um eine kleine rechtsextreme Pseudo-Wohltätigkeitsorganisation, die ab und zu an bestimmten Orten in Paris eine Art von Volksküchen veranstaltet – einen Suppenausschank für Obdachlose und andere Arme, die dadurch für rechtsextreme Propaganda gewonnen werden sollen. Diese «wohltätige Speisung» wird aber von der Bedingung abhängig gemacht, dass die Betreffenden Schweinefleisch akzeptieren, denn auf dem Menü stehen ausschlieblich Speck und Suppe mit Schweinefleischeinlage. Im Mittelpunkt steht dabei selbstverständlich die Absicht, sowohl jüdische als auch moslemische Menschen (sofern sie den Vorschriften ihres jeweiligen Glaubens folgen) fern zu halten. Am Stand dieser kleinen Organisation am 1. Mai wurde auf Handzetteln für eine Feier am Ende des Monats Mai geworben, die passenderweise auf den Namen La fête du cochon (Das Fest des Schweins) getauft worden ist. Für solche Dinge begeistern sich die Anhänger, das «Fubvolk» Le Pens. Und Le Pen provozierte während seiner Ansprache – erwünschte – Buhrufe, als er in einer Redepassage über den historischen Werdegang seiner «Nationalheiligen» Jeanne d’Arc ausführte, welche geschichtlichen Ereignisse gleichzeitig zum Auszug dieser «Jungfrau von Orléans» in den 100jährigen Krieg gegen die Engländer stattgefunden haben. Die Passage «Die Türken erobern Konstantinopel und besiegeln die Islamisierung des gesamten Mittleren Osten» quittierte seine Anhängerschaft mit Buhrufen. 

Am 11. Mai 2006 wurde Jean-Marie Le Pen ferner in dritter und letzter Instanz wegen «Aufstachelung zum Rassenhass» gerichtlich verurteilt, weil er im April 2003 in einem Interview das Bild eines zukünftigen Frankreichs ausmalte, in dem «25 Millionen Moslems» leben. Und in dem, laut Le Pen, «die gebürtigen Franzosen sich der Wand entlang drücken und mit gesenktem Blick vom Trottoir herunter steigen», sobald ihnen ein Moslem entgegen kommt. Gut, es stimmt: Das Interview wurde gegeben, als Philippe de Villiers noch keinen ernst zu nehmender Konkurrenten für Le Pen darstellte. 

Springer-Presse und deutschsprachige Rechte debattieren über den Streit Le Pen / de Villiers

Auch die deutsche Springerpresse interessierte sich für die Auseinandersetzung zwischen Jean-Marie Le Pen und Philippe de Villiers. Nur leider liegt sie mit ihrer Präsentation der Fakten völlig daneben. Vor dem Hintergrund des tatsächlichen politischen Profils von Jean-Marie Le Pen ist es blühender Unsinn, was die deutsche Springer-Presse zur Deutung des Streits zwischen den französischen Rechtsaubenpolitikern Le Pen und de Villiers zum Besten gibt.

Unter der sensationell wirkenden Überschrift «Le Pen wirbt um Moslems» behauptet der Paris-Korrespondent des Springerblatts Die Welt, Jochen Hehn, in dessen Ausgabe vom 24. März 2006 unter anderem: «Front National-Chef gibt sich nicht mehr fremdenfeindlich» (so der Untertitel des Artikels). Schon dies ist barer Unfug. In den folgenden Absätzen liefert der Journalist des deutschen konservativ-autoritären Blatts eine haarsträubende Interpretation der Ereignisse auf der französischen (extremen) Rechten: «Mit seiner neuen Strategie hat es Le Pen offensichtlich auf das beträchliche Wählerpotential der in Frankreich lebenden moslemischen Gemeinschaft abgesehen, die auf sechs bis acht Millionen Menschen geschätzt wird. (Anm. d. Verf.: Aber nur von durchgeknallten Rassisten, die sich fantastischen Zahlenspielen hingeben  Eine wissenschaftliche Studie der Demographin Elisabeth Tribalat kam in jüngerer Zeit zu dem Ergebnis, es gebe circa 3,7 Millionen Moslems in Frankreich, vgl. L’Express vom 04. Dezember 2003.) Käme zwischen der Nationalen Front und den Moslems tatsächlich eine Art politische Allianz zustande, dann könnte Le Pen im Frühjahr 2007 eine Wiederholung seines Überraschungscoups aus dem Jahre 2002 gelingen (...). In der moslemischen Gemeinschaft könnte die Ouvertüre Le Pens durchaus auf fruchtbaren Boden fallen. Vor allem in den Augen der zweiten Generation der Einwanderer (...) hat Le Pen schon früher den richtigen Ton angeschlagen, wenn er Jassir Arafat oder Saddam Hussein die Unterstützung der Nationalen Front zusicherte und USA und Israel attackierte.» So weit wörtlich. 

Es handelt sich um eine wunderschöne intellektuelle Konstruktion, die nur leider den Nachteil hat, dass sie auf keinerlei empirische Nachweise gestützt ist – und dass die ihr zugrunde gelegte Annahme total falsch ist, so dass sich solche Belege auch nicht erbringen lieben. Dass Jean-Marie Le Pen in der Vergangenheit angeblich Jassir Arafat unterstützt habe, ist im übrigen schlicht gelogen. Richtig ist vielmehr, dass der FN-Politiker im April 2002 in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Haaretz erklärte, er könne die damals aktuelle israelische Kriegführung gut verstehen, da er «aus eigener Erfahrung in Algerien (Anm. d. Verf.: als Offizier im Algerienkrieg) weib, wie man Terrorislmus bekämpfen muss». Hingegen stimmt es, dass der französische rechtsextreme Politiker in der Vergangenheit den irakischen Diktator Saddam Hussein aus geostrategischen Erwägungen (aus Abgrenzung zu den USA, und weil der Irak ein traditioneller Bündnispartner Frankreichs und Grobkunde französischer Rüstungsexporte war) unterstützt hat. Le Pen traf den irakischen Präsidenten zwei mal selbst, im November 1990 und im Mai/Juni 1996, in Bagdad. Die vorübergehenden Sympathien, die Le Pen tatsächlich während der Golfkrise 1990/91 zeitweise bei manchen – von der neuen politischen Konstellation sehr überraschten! – arabischstämmigen Einwanderern deswegen erntete, waren oberflächlich und sehr schnell wieder verflogen. Nicht zuletzt, da Le Pen seinen rassistischen Diskurs über Einwanderer in der französischen Innenpolitik keineswegs abschwächte. 

Es ist nicht schwer zu erraten, welche Motivation eine solche Sichtweise bei der deutschen, konservativen Springerpresse erklärt. Ermöglicht doch die ideologische Abgrenzung von einer solchen (völlig falsch dargestellten und als Popanz dienenden) Interpretation der Ideen Le Pens, sich selbst ins richtige Licht zu setzen. Denn aus Sicht der von Altnazis gegründeten, aber rasch zum pro-US-amerikanischen und pro-israelischen Richtungsorgan gewordenen Springerpresse ist nämlich klar: Anti-Nazi zu sein, beinhaltet nicht notwendig, gegen rassistische Einwandererfeindlichkeit einzutreten. Der Beweis?: Le Pen selbst liebt doch die moslemischen Einwanderer.... Anti-Nazi und moralisch auf dem richtigen Standpunkt dagegen ist, wer aubenpolitisch Pro-Atlantiker ist und die Staatspolitik Israels unterstützt.

Entsprechend schräg interpretiert die Springerzeitung in der Folge dann auch die zunehmende Attraktivität Philippe de Villiers’ für ehemalige oder enttäuschte FN-Parteigänger. Die Ursachen auf den Kopf stellend, behauptet der Welt-Korrespondent nämlich, die ehemaligen Funktionäre des FN liefen deshalb zu Philippe de Villiers über, weil sie eine solche (angebliche) Allianz mit den Moslems nicht mittragen wollten. Anstatt richtig zu erklären, dass der Zulauf zum MPF ein Resultat der inneren Schwäche des Front National bildet (alternder Chef mit selbstherrlicher Führung, Abgang führender Kader und Verlust an organisatorischer Substanz, weitgehende Abwesenheit aus der Referendumskampagne 2005) und dass in der Folge der Aufstieg der rechten Konkurrenz wiederum den FN zur ideologischen Abgrenzung zwingt (Relativierung der durch de Villiers «monopolisierten» Islamfeindschaft), behauptet die Springerzeitung einen anderen Zusammenhang. Und lässt dabei sogar gewisse Sympathien für Philippe de Villiers als die vernünftige Alternative zu Le Pen und seinen verqueren Bündnisvorstellungen durchblicken:

«Die der Nationalen Front verordnete Öffnung gegenüber den Moslems weckt keineswegs allgemeine Zustimmung. Im Gegenteil. Schockiert und empört wenden sich immer mehr FN-Mitglieder von Le Pen ab und der ‘Bewegung für Frankreich’ des rechtsnationalen Adeligen Philippe de Villiers zu. Vor allem die katholischen Integristen, die (...) in der Nationalen Front etwa 50 Prozent der 75 000 Mitglieder (Anm. d. Verf.: die 75.000 sind eine völlig aberwitzige Zahl, die auf weitaus übertriebenen Eigenangaben des FN aus der Zeit vor der Spaltung von 1998/99 beruht)  stellen, sehen sich von Le Pen verraten. Denn in den Moslems und Arabern sehen sie die größte Gefahr für die französische Republik. (...)  Möglicherweise hat Le Pen die Gefahr unterschätzt, daß die Annäherung an die Moslems seine Partei spalten könnte.» Und weiter wird behauptet: « In Philippe de Villiers aber könnte der alternde Le Pen seinen Meister gefunden haben. ( ...) Anders als Le Pen hatte sich de Villiers während der Vorstadtunruhen nicht davor gescheut, den Einsatz der Armee zu fordern, um den ‘ethnischen Bürgerkrieg’ zu stoppen.» 

Da blickt schon echte Sympathie durch, jedenfalls ist die gewählte Begrifflichkeit ausgesprochen positiv. Ob es sich um den «Meister» handelt oder auch dem Ausdruck, dass de Villiers sich «nicht gescheut» habe. In Diskussionsforen im Internet haben jedenfalls deutschsprachige Rechte den Ball dankbar aufgegriffen. So fragt jemand (unter http://www.siteboard.de/cgi-siteboard/archiv.pl?fnr=9206&read=14005) unter Nennung des Welt-Artikels nach: «Weib jemand mehr über Philippe de Villiers? Die folgenden Aussagen klingen jedenfalls durchaus interessant (...)». Es folgen Zitate aus dem Artikel. Und unter http://www.siteboard.de/cgi-siteboard/archiv.pl?fnr=9206&read=14025 schaltet sich ein österreichischer FPÖ-Anhänger in die Debatte ein, der die Gelegenheit nutzt, das Spaltprodukt seiner Partei (nämlich das BZÖ unter Jörg Haider) schlecht zu machen: «Auch Haider umwirbt die Moslems! 2004 überraschte der damalige FPÖ-Politiker Haider mit seinem Eintreten für den Beitritt der Türkei zur EU die Österreicher. Ein wichtiges Argument Haiders waren die Wählerstimmen der eingebürgerten Türken. Viele FPÖ-Mitglieder waren entsetzt. Mutige FPÖler um den Wiener Obmann (Anm. d. Verf.: Landesvorsitzenden) Strache opponierten gegen den damaligen Übervater Haider. (...) (Jörg Haider) gründete mit den Ministern eine neue Partei, das BZÖ. Besonderheit des BZÖ: Diese Partei druckt auch türkischsprachige ( !) Wahlwerbezettel. Ein Jahr nach der Spaltung ist das BZÖ praktisch am Ende. (...) Dagegen wirkt die FPÖ wie neugeboren. Sie besinnt sich auf ihre Ursprungswerte. (...)» 

Nicht nur französische, sondern auch manche deutschsprachige Rechte scheinen also in Gestalt von Philippe de Villiers genau das gefunden zu haben, was sie suchten: Endlich gibt es eine rassistische Rechte, die nicht mehr das Schmuddelimage eines vor sich hin alternden Jean-Marie Le Pen mit sich herum trägt. Das kann man schon mal «durchaus interessant» finden.  

 FUSSNOTE 1:

Diese Vorstellung einer Allianz von Christen und Juden gegen die Moslems, als gemeinsamen Feind, kann in Frankreich auf einen kolonialen geschichtlichen Hintergrund zurückblicken. Im französisch beherrschten Algerien (1830 bis 1962), wo der französische Staat ein auberordentlich brutales Apartheidsystem mit konfessionnellen Kategorien aufrecht erhielt, gewährte Frankreich den einheimischen Juden mit dem «Crémieux-Dekret» von September 1870 das Staatsbürgerrecht. Der übergroben Mehrheit der ansässigen Bevölkerung, den Berbern und Arabern (die als ‘les musulmans’ bezeichnet wurden), hingegen wurden weder die Staatsbürgerrschaft noch minimale Bürgerrecht gewährt, abgesehen von einer sehr schmalen Bildungselite.  

Die durch Frankreich solchermaben ungefragt «eingebürgerten» Juden Algeriens sahen sich zunächst mit einer heftigen antisemitischen Bewegung und Hasspropaganda aus der europäischstämmigen Siedlerbevölkerung in Algerien konfrontiert. Der berüchtigte antisemitische Schriftsteller Edouard Drumont etwa vertrat das «französische Algerien» in den 1890er Jahren im Pariser Parlament. Dieser europäische Antisemitismus unter kolonialen Bedingungen hatte einen doppelten Resonanzboden: Einerseits die auch in anderen Varianten des Antisemitismus verbreitete Anklage, die Juden kontrollierten «die Finanz» und das Geld und seien für die Wirtschaftskrisen des modernen Kapitalismus verantwortlich. Andererseits aber sahen die Antisemiten (unter den europäischen Siedlern in der Kolonie) die algerischen Juden als «trojanisches Pferd der Eingeborenengesellschaft»: Sofern man sie in der belagerten Wagenburg der europäischen Siedlergesellschaft dulde, dann würde irgendwann auch die «barbarische» Masse der «Eingeborenenbevölkerung» Einlass begehren. Hinter der Figur des Juden wurde somit «die Denunzierung des ‘Eingeborenen’, den man zur französischen Staatsbürgerschaft empor erhoben hatte», sichtbar. (Zitat nach Benjamin Stora: «L’impossible neutralité des juifs d’Algérie», in Mohammed Harbi/Benjamin Stora: «La guerre d’Algérie», Paris 2004, S. 411 ff. der Taschenbuchausgabe. Hier zitiert: S. 419. Dieser sehr vollständige Buchbeitrag behandelt die Geschichte der algerischen Juden während der gesamten Kolonialära. Der Historiker Benjamin Stora stammt selbst aus einer algerisch-jüdischen Familie.) 

Als  dann die französische Kolonialherrschaft über Algerien durch eine Befreiungsbewegung abgeschüttelt wurde, die sich ab 1954 zum bewaffneten Aufstand gegen die Unterdrückung erhob, versuchte die europäischstämmige Bevölkerung, die algerischen Juden mit zu sich herüber «ins Boot» zu ziehen. Die algerischen Juden blieben jedoch den gröbten Teil des Konflikts über neutral, da sie wussten, dass die im Kolonialkrieg besonders aktiven rechtsextremen Milizen ihre eigenen, alten Feinde waren. Doch lehnten sie auch das Ansinnen der algerischen nationalen Befreiungsbewegung ab, das den Juden vorschlug, sich zukünftig als Bestandteil der «eingeborenen» Gesellschaft zu betrachten, welche sich nach der Befreiung von der französischen Herrschaft selbst regieren werde. Zu tief sab die Angst bei den algerischen Juden, dass ihnen die einmal errungenen Bürgerrechte wieder aberkannt würden und dass sie wieder von ihrem Status hinab gestoben würden - wie das Vichy-Regime es während der Jahre seiner Kontrolle über das ‘französische Algerien’ getan hatte. Daher klammerten sie sich fest an ihren Status als Bürger des ‘französischen Algerien’. (Vgl. Benjamin Stora, a.a.O., S. 424) Als die Stunde der Entscheidung dann nahte und Frankreichs erzwungener Rückzug aus Algerien sich abzeichnete, verlieb die Mehrheit der algerischen Juden das Land zusammen mit den Europäern, zu 90 Prozent in Richtung Frankreich (und ein kleiner Teil ging nach Israel). Auch aufgrund der Furcht, nunmehr nach dem Abgang der Europäer als einzige Minderheit im Land zu verbleiben.

Was Philippe de Villiers anstrebt und zumindest Teile des Front National in ähnlicher Weise versuchen (während andere Teile des FN dafür zu offen antisemitisch geprägt sind), ist die Wiederbelebung dieser «Schicksalsgemeinschaft» von Christen und Juden gegenüber den Moslems. In diesem Falle bilden die Einwanderer in Frankreich, und die arabischen Länder (in Wirklichkeit für de Villiers/Le Pen: die gesamte «Dritte Welt») den gemeinsamen Feind.  

FUSSNOTE 2:

Zitiert aus: Revue La Pensée, Nr. 345, Januar/Februar/März 2006, Dossier «Nouvelle Droite», S. 23 ff. Hier zitiert: S. 28.)

FUSSNOTE 3:

Ideologische Abgrenzungsversuche zwischen FN und MPF hin oder her: Es ist interessant festzustellen, welche Überschneidungen bei der Leserschaft ihrer Bücher es offenkundig zwischen dem MPF-Chef Philippe de Villiers und der Tochter des FN-Gründervaters, Marine Le Pen, gibt. Beim französischen Kulturkaufhaus FNAC etwa kann man das Buch Philippe de Villiers’ über «Die Moscheen von Roissy» on-line bestellen. Versucht man dies, so erhält man als (potenzieller) Käufer die Kundeninformation: «Die Internet-Käufer, die Les Mosquées de Roissy gekauft haben, kauften auch... :» Und es folgt ein Hinweis auf das neue Buch von Marine Le Pen, A contre flots (ungefähr: Gegen den Strom), das im April 2006 ziemlich genau zeitgleich mit dem Opus des Grafen de Villiers erschienen ist. (Vgl. http://www.fnac.com/Shelf/article.asp?PRID=1827067)

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 28.5.2006 vom Autor.