Berichte aus Frankreich

Frankreichs Rechtsaußen: Le Pen und de Villiers bereiten die kommenden Wahlen vor


Ein Dossier v
on Bernhard Schmid
06/06

trend
onlinezeitung

Teil 3: Bündnisdebatte, Aussichten
Teil 1
Teil 2
Teil 4

Bündnisdiskussion auf der extremen Rechten:
Le Pen, de Villiers und die iranische(n) Atombombe(npläne)

Am 11. April 2006 bot Le Pen erstmals Philippe de Villiers ein offenes Bündnis an. Um den neuen Rivalen im Rechtsaubenspektrum nicht unnötig aufzuwerten, adressierte Le Pen sein «Angebot» zunächst auch noch, pro forma, an andere «kleinere» Präsidentschaftskandidaten auf der politischen Rechten (neben den bürgerlich-konservativen Schwergewichten Dominique de Villepin und Nicolas Sarkozy). So richtete Le Pen es auch an den Christdemokraten François Bayrou, den Chef der konservativ-liberalen UDF. Da konnte freilich inhaltlich überhaupt nichts zusammen passen, denn Bayrou ist ein grober Fan der Integration Frankreichs in die Europäische Union, während sowohl Le Pen als auch de Villiers die supranationale Integration (in ihrer heutigen Form) kritisieren und im Namen der Rettung des Nationalstaats ablehnen. Bayrou reagierte überhaupt nicht auf die «Offerte» Jean-Marie Le Pens, was nicht überraschend war. Und Le Pen erwähnte ihn dann auch nicht weiter. Ab diesem Zeitpunkt waren seine Bündnisangebote dann auch explizit an de Villiers adressiert. 

Konkret beinhaltete der Vorschlag des FN-Chefs eine «Einheitskandidatur der Patrioten» bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im April 2007, und ein Wahlbündnis oder eine Listenverbindung bei den Parlamentswahlen einige Wochen später. Am 11. April sprach sich Le Pen so im Fernsehkanal i-télévision dafür aus, «eine aktive Koalition für die Parlamentswahlen» zu formieren. Ansonsten nebulös bleibend, sprach Le Pen von «konvergierenden Kräften». Dies aber konnte nur bedeuten: Erst unterstützen die Anderen «meine» (Le Pens) Bewerbung zur Präsidentschaftswahl, denn an seiner Absicht zur Kandidatur lieb Le Pen nicht den geringsten Zweifel – und dann lässt sich etwas Gemeinsames für die hinterher stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung auf die Beine stellen. Traditionell interessiert Le Pen sich fast nur für die Präsidentschaftswahl, die er als «Königin aller Schlachten» betrachtet, während ihm die Parlamentswahlen – zu denen er bei den letzten beiden Malen nicht persönlich kandidierte – eher als eine lästige Pflichtübung erscheinen. Als mit Abstand «dienstältester» Präsidentschaftskandidat im Rechtsaubenspektrum (er kandidierte zum ersten Mal 1974...) kann Le Pen auch einen entsprechenden Anspruch untermauern. 

Anlässlich seiner Rede vom 1. Mai, an dem der Front National alljährlich zu Ehren der von ihm wieder ausgegrabenen «Nationalheiligen» Jeanne d’Arc aufmarschiert, erneuerte Le Pen das Angebot. Bei gleichzeitiger scharfer Kritik an de Villiers als «Duplikator», der ihn nur ständig kopiere. Aus diesem Anlass schlug Jean-Marie Le Pen eine «Union patriotique», als pragmatisch ausgelegtes Bündnis mit seinem Rivalen Philippe de Villiers, vor.

De Villiers schlug das Angebot jedoch alsbald aus. Am 13. April erklärte er im Fernsehen als Reaktion auf den ersten Vorstob Le Pens: Eine Allianz setze voraus, dass man sich erst einmal «über gemeinsame Ideen» einig werden könne. An diesem Punkt meldete de Villiers jedoch Bedenken an. Aber er machte sie nicht am Rassismus des FN-Chefs fest, sondern daran, dass dieser noch «vor wenigen Tagen für das Recht des Iran auf die Atombombe» eingetreten sei. Tatsächlich hatte Le Pen sich nicht unmittelbar in diesem Sinne geäubert (in seiner Ansprache vom 1. Mai dementierte er eine solche Absicht gar), wohl aber in der Märzausgabe der FN-Mitgliederzeitschrift Français d’abord festgestellt: «Warum wirft man Ahmedinedjad vor, was man Anderen vor ihm nicht vorgeworfen hat? Man hat nicht Krieg gegen Indien, Pakistan oder Israel geführt, als diese Länder militärische Atomtechnologie erworben haben.»

Diese Positionierung ist ganz im Sinne des Nationalneutralismus, den Le Pen seit dem Ausbruch der Golfkrise im August 1990 predigt. Damals vollzog er einen Bruch mit der traditionellen pro-atlantischen, antikommunistisch begründeten Doktrin des FN in Sachen Weltpolitik: Nach dem Ende des Kalten Krieges und der «kommunistischen Bedrohung» gelte es nunmehr, den liberalen Kapitalismus zum neuen Hauptfeind zu erwählen und sich vom US-Imperium abzugrenzen. In jener Zeit, und vor allem in der (1992/93 beginnenden) Clinton-Ära, war es in den westlichen Hauptstädten einige Jahre lang üblich, nicht mehr offen von Kriegen und machtpolitischen Interessen, sondern nur noch von «humanitären Interventionen» zu sprechen: Viele ihrer Kriege in den neunziger Jahren wurden durch die Grobmächte unter Berufung auf «Menschenrechte», «die Herstellung von Demokratie» und humanitäre Interessen begründet. Man denke an die Intervention in Somalia 1992/94, und später jene im ehemaligen Jugoslawien. (Mit dem 11. September 2001 endete diese Ära, und ihr Diskurs wurde durch den «Antiterrorismus» als wichtigste Doktrin abgelöst.) Dagegen wandte sich eine Opposition von Rechts, indem sie die offizielle Begründung für bare Münze nahm und einfach umdrehte, nach dem Motto: «Wir wollen uns lieber um unsere eigene Interessen – zu Hause – kümmern, und nicht unser wertvolles Blut für fremde Interessen und abstrakte, utopische Menschenrechte vergieben lassen.» Jean-Marie Le Pen war ein wichtiger Wortführer einer solchen «Opposition von Rechts» gegen (bestimmte!) Kriege, deren politische Grundlage keineswegs pazifistisch oder antimilitaristisch, sondern nationalistisch ist. Denn gleichzeitig forderte Le Pen immer auch eine Erhöhung der nationalen Rüstungsausgaben. 

Diese Linie hat Le Pen (der kein sich selbst über die Jahre hinweg treu bleibender Theoretiker ist, sondern im Laufe der Zeit gern durch neue und bisweile überraschende Thesen oder Positionen glänzte) nicht immer stringent durchgehalten. Sie prägte aber beispielsweise seine Stellungnahmen zu den beiden Kriegen im Irak, 1991 und 2003, in denen er, sehr zum Missfallen einesTeils seiner Wählerschaft, erstmals für einen arabischen Diktator Partei ergriff. Es trifft ferner auch zu, dass Le Pen in der Vergangenheit gewisse momentane Annäherungen an Vertreter des iranischen Regimes vollzog. So nahm Jean-Marie Le Pen anlässlich der vorletzten Fubball-Weltmeisterschaft, im Juni 1998 in Lyon, am Spiel Iran/USA teil – auf der Ehrentribüne des Iran...

In seinem o.g. Beitrag für die FN-Mitgliederzeitschrift warnt Le Pen davor, die USA wollten die Welt auf einen Krieg gegen den Iran vorbereiten. Philippe de Villiers nutzte diese Positionierung des FN-Chefs als Vorlage, um sich selbst im richtigen Lichte zu positionieren: «Ich, ich möchte die Banlieues entwaffnen, und Le Pen möchte die Bärtigen bewaffnen», stellte er einen ziemlich gewagten Zusammenhang zwischen der französischen Innenpolitik und den internationalen Ereignissen her.

Jean-Marie Le Pen erwiderte darauf in seiner Ansprache vom 1. Mai 2006, Originalton: «Der Graf wiederholt in allen Tonlagen: ‘Ich, ich schaffe Ruhe in den Banlieues, und Le Pen bewaffnet die Bärtigen’. Ich, ich habe die Bärtigen bekämpft, als der Graf sich damit begnügte, Tennisbälle (Anm.: statt Kugeln) um seine Ohren pfeifen zu lassen.» In dieser Passage spielt Le Pen auf seine Vergangenheit als Offizier im französischen Kolonialkrieg in Algerien an. Dort hat er im ersten Halbjahr 1957, wie inzwischen in Frankreich gerichtlich nachgewiesen worden ist, eigenhändig gefoltert. Der Gegner der französischen Kolonialarmee damals waren keine Islamisten, sondern eine linksnationalistische und z.T. marxistisch beeinflusste Befreiungsbewegung, die einem konfessionnel drapierten Apartheidsystem in ‘Französisch-Algerien’ ein Ende bereitete. Le Pen weiter im Originalton: «Er (der Graf) behauptet, ohne die Lächerlichkeit zu fürchten, dass ich dem Iran die Bombe geben möchte. Diese Anklage ist irrsinnig. Ein Krieg mit dem Iran hätte derart tragische Auswirkungen, dass es heute unsinnig ist, die Verantwortungslosen Öl ins Feuer gieben zu lassen.»    

Ein Untoter meldet sich zurück: Bruno Mégret

Ein stärkeres Echo fand Le Pen dagegen bei seinem ehemaligen Chefideologen und späteren «Dissidenten», Bruno Mégret, der sich sofort für ein Bündnis zu interessieren begann. Das ist aber auch kein Wunder: Mégret hat kaum noch Parteigänger mit seinem MNR (Mouvement national républicain, «National-republikanische Bewegung») übrig und verwaltet dafür einen Schuldenberg in Höhe von 4 bis 5 Millionen Euro. Anfang April 2006 wurde zudem noch ein Strafprozess gegen den MNR-Chef Mégret eröffnet wegen Missbrauchs öffentlicher Gelder: Im Jahr 2002, als seine Gattin Catherine Mégret noch Bürgermeisterin im südfranzösischen Vitrolles war (einige Monate später sollte sie abgewählt werden), hatte sie 75.000 Euro aus städtischen Geldern dazu benutzt, um MNR-Propaganda zu verbreiten.     

In der zweiten Aprilwoche erklärte Bruno Mégret großspurig, er nehme das Bändnisangebot Le Pens an. Er denke an eine Koalition aus dem FN, dem MPF, dem «souveränistischen» (EU-skeptischen und nationalistischen) Flügel der konservativen Regierungspartei UMP «und natürlich dem MNR», also seiner eigenen Partei. Daraufhin erntete er zunächst kaum ein Echo. 

Aber am Dienstag, den 23. Mai 2006 berichtet die Tageszeitung Libération über Bündnisgespräche zwischen dem FN und Bruno Mégrets MNR, die anscheinend hinter den Kulissen geführt worden sind. Beide Parteien erkennen dies demnach an. Der Front National will allerdings offiziell nur vom Wirken eines «Unterhändlers» wissen, während seitens des MNR öffentlich behauptet wird, es gäbe «Gespräche auf höchster Ebene». Klar ist, dass der auf einen winzigen Kern zusammengeschrumpfte MNR eher ein Interesse daran hat, die Dinge zu übertreiben (um sich wichtig zu machen oder überhaupt wahrgenommen zu werden), als der FN. Dass es Gespräche auf Spitzenebene geben soll, erscheint jedoch unwahrscheinlich: Ein tiefer Graben aus Hassgefühlen trennt Le Pen und Mégret nach wie vor. Dennoch ist in dem Artikel konkret die Rede von einer Aufteilung der Wahlkreise bei den kommenden Parlamentswahlen, im Juni 2007. An möglichen Absprachen vor den Wahlen könnten beide Seiten ein gewisses Interesse haben: Jean-Marie Le Pen darf nicht riskieren, erneut auf Schwierigkeiten bei der Sammlung der 500 Unterstützungsunterschriften von «Mandatsträgern der Republik» (Bürgermeistern, Regional-, National- und Europaparlamentariern) zu stoben, die eine zwingende rechtliche Voraussetzung für eine Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen sind. Im April 2002 wäre Le Pen beinahe an dieser Hürde gescheitert. Also kann er nicht riskieren, dass der andere rechtsextreme Bewerber Mégret ihm solche Unterschriften (und seien es auch nur ein paar Dutzend!) wegschnappt. Der MNR dagegen könnte es sich - personell und vor allem finanziell ausgeblutet - gar nicht mehr leisten, eine Präsidentschaftskandidatur bis zum Ende «durchzuziehen». 2002 erhielt Bruno Mégret 2,3 Prozent der Stimmen.    

Auch andere Spaltproprodukte des FN melden sich zur Zeit zurück. So Franck Timmermans, der in den frühen 1970er Jahren zu den Gründungsmitgliedern des Front National zählte und später Bruno Mégret zum MNR folgte, bevor er eine eigene Splitterpartei gründete (unter dem Namen: Parti populiste français). Auch er kündigte an, sich der neuerdings durch Le Pen propagierten «Union patriotique» anzuschlieben. In dem von Libération am 23. Mai publizierten Artikel wird auf andere ehemalige FN-Kader verwiesen, die wieder aktiv werden könnten, wie Pierre Vial (Geschichtsprofessor in Lyon und lupenreiner Rassenideologe). Auf diesem Wege könnte der Front National möglicherweise «immerhin» einige seiner versprengten, ehemaligen Kader wieder an sich binden. 

FN und MPF beklagen den «Autoritätsverlust» des Staates 

Zurück zu Le Pen und de Villiers: Beide rechten Politiker und «ihre» Parteien machen sich für einen autoritären Staat, wenngleich in unterschiedlichem Ausmab, stark. Jüngst nahmen etwa (am Samstag, 20. Mai 2006) rund 200 Mitglieder beider Parteien, des FN und des MPF, an einer Kundgebung vor der französischen Nationalversammlung für die Wiedereinführung der Todesstrafe teil. 

Jüngst haben in Frankreich zwei Kindermorde die Emotionen hoch schwappen lassen: Am Wochenende des 6./7. Mai 2006 waren der 4jährige Mathias im ostfranzösischen Département Nièvre (in Burgund) und die 5jährige Madison im Bezirk Bouches-du-Rhône (bei Marseille) ermordet aufgefunden worden. Über die psycho-pathologischen Motive der Täter besteht noch kein genauer Aufschluss. Die Erregung über den Tod der beiden Kinder ist vollkommen legitim, aber sie dient im Moment rechten Demagogen als gefundener Vorwand, um Propaganda für die Todesstrafe und den starken Staat zu treiben. Bemerkenswert ist, dass Mitglieder von FN und MPF anscheinend gemeinsam auftraten (laut Libération vom 22. Mai 2006, die übrigen Medien sprechen von einer FN-Demonstration). Seitdem wird die rechtsextreme Presse im übrigen nicht müde, dieses Progandathema auszuschlachten. Die FN-nahe Wochenzeitung Minute vom 23. Mai zeigt auf ihrer Titelseite eine schimmernde Guillotine und darunter die Überschrift: «Gegen den Anstieg der Gewaltverbrechen: DieWitwe (Anm d. Verf.: Kosenamen für das Fallbeil) darf nicht länger untätig bleiben». Und die andere gröbere rechtsextreme Wochenzeitung, National Hebdo, titelt am 24. Mai 2006 schlicht: «Die Todesstrafe!»  Der MPF unter Philippe de Villiers hat seinerseits eine landesweite Petition für die Wiedereinführung der Todesstrafe lanciert. 

FN und MPF gleichermaben betrachten sich selbst als gestärkt, seitdem die bürgerlich-konservative Regierung am 10. April 2006 einen Rückzieher im sozialen Konflikt um den «Ersteinstellungsvertrag» CPE machen musste. Beide denunzierten in heftigen Worten die Schwäche des Staates, der unbedingt auf seinem Autoritätsanspruch hätte beharren müssen und nicht hätte nachgeben dürfen. De Villiers sprach zudem vom «Kapitulantentum» von Innenminister Nicolas Sarkozy, «der Frankreich im Fernsehstudio reformiert, aber kneift, sobald ihm der erste Pflasterstein um die Ohren pfeift». Le Pen mokierte sich in seiner 1. Mai-Ansprache seinerseits darüber, dass «Schulkinder die Regierung zum Nachgeben zwingen», wobei er die Studierenden meinte. Erstmals seit Ausbruch des Konflikts um den CPE kritisierte er am 1. Mai 2006 allerdings auch die Deregulierung im Arbeitsrecht, die im Interesse «multinationaler Konzerne» betrieben werde - während er zugleich das Leistungsprinzip an und für sich sowie die Wertarbeit französischer Unternehmer und Mittelständler verteidigte. An gleicher Stelle forderte Le Pen freilich auch seinerseits eine Deregulierung der Ökonomie (das Sozialsystem sei unbezahlbar geworden, wegen der «groben Zahl der Einwanderer», und: «Man muss die Ökonomie befreien. Es kommt ein Moment, wo die Reglementierungen zu Ketten der Knechtschaft werden»). Aber eben nicht im Sinne der multinationalen Unternehmen, sondern des «guten» nationalen Kapitals... Die hohe Arbeitslosigkeit, so Le Pen, sei «die Frucht der weltweiten Konkurrenz ohne nationalen Schutz». Nationale Ausbeutung – möglichst ohne «Fesseln und Begrenzungen» - ist also gut, aber Ausbeutung unter internationalen Vorzeichen von Übel.  

Wahrscheinlich dürften die beiden Rechtsauben sich durch ihre Position im CPE-Konflikt einige Sympathien bei der Jugend verscherzt haben. Der FN etwa sank im März in der Altersgruppe der 18- bis 24jährigen von 10 auf 7 Prozent an Sympathiewerten. Aber bei denen, die das Geschehen weitab von ihrem Fernseher aus verfolgten und dort vor allem «Gewalt» und Ausschreitungen serviert bekamen, dürften sie im Nachhinein dagegen tatsächlich punkten.

Konservativer Innenminister übernimmt manche Parolen von de Villiers/Le Pen

Der konservative Innenminister Nicolas Sarkozy seinerseits,  der Wirtschaftsliberalismus mit autoritärem Populismus verknüpft, zeigt sich erneut explizit und öffentlich darum bemüht, rechtsextreme Wähler einzubinden und für die Konservativen zurück zu gewinnen. Am 22. April 2006 machte er öffentlich Furore, indem er vor neu beigetreten Mitgliedern der konservativen Regierungspartei UMP (deren Vorsitz er inne hat) in Paris ausrief: «Wenn bestimmte Leute Frankreich nicht lieben, dann sollen sie sich nicht davon abhalten lassen, es zu verlassen.» Ein Slogan, den sowohl Le Pen als auch de Villiers in ähnlicher Weise, aber griffiger formuliert, benutzt hatten.  

In den 80er Jahren hatte zunächst Le Pen, während der Reagan-Ära, den - ursprünglich seit dem Vietnamkrieg durch die US-amerikanische konservative Rechte benutzten - Slogan (America, love it oder leave it!) übernommen und auf französische Verhältnisse adaptiert. Das Ergebnis der «Übersetzung» lautete dann: Le France, aime-la ou quitte-la!  Aber während der US-amerikanische Slogan weniger der Propagierung des Rassismus als vielmehr der Einschüchterung der innenpolitischen Opposition während des Vietnamkriegs diente (nach dem Motto: «Geh’ doch rüber»), hatte die vom FN übernommene Parole von Anfang an eine klar rassistische Komponente. Sie sollte die Einwanderer und ihre Nachfahren darauf hinweisen, dass sie nicht ihren Platz in Frankreich hätten, falls sie dort nicht mit ihrem Platz am unteren Rand der sozialen Hierarchie zufrieden seien. (ANMERKUNG: FUSSNOTE 1) Die Jugendorganisation FNJ, Front national de la jeunesse, machte aus dem Slogan zeitweise sogar ihr Hauptmotto. Später dann, 2000/01, entwarf die Jugendfront eine verbalradikale, schärfere Version dieses Slogans. (ANMERKUNG: FUSSNOTE 2)

Vor nunmehr sechs Monaten war es dann Philippe de Villiers, der die ältere FN-Parole (La France, aime-la ou quitte-la) fast wortidentisch übernahm und plakatieren lieb: La France, tu l’aimes ou te la quittes. Beides bedeutet: Entweder Du liebst Frankreich, oder Du verlässt es. Man könnte von einer Art «affektiver Erpressung» sprechen. Auch an dieser Stelle geht es der (extremen) Rechten darum, die Gesellschaft auf eine Vorstellung von der Nation als fest zusammengeschweibter Schicksals-, wenn nicht Blutsgemeinschaft einzuschwören: Eine Nation ist wie eine Familie, also eine (möglichst biologisch begründete) Affinitätsgemeinschaft, aus der man sich nicht ausklinken kann – nicht ohne «Verrat an den Seinen» zu gehen, infolge dessen man sich nicht mehr länger blicken lassen kann. Für die Idee einer rational, und freiwillig begründeten Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, in der es auch (legitime) abweichende Interessen geben kann, bleibt da kein Platz. 

Manche Zeitungen begannen die Begriffsgeschichte zu rekonstruieren, und strichen die «Wanderung» oder «Weiterreichung» des Slogans durch Le Pen über de Villiers an Sarkozy kritisch heraus. (ANMERKUNG : FUSSNOTE 3) 

Doch Le Pen lieb sich nicht die Butter vom Brot nehmen, und seine jugendlichen Anhänger trugen auf der 1. Mai-Demonstration ein Schild mit dem ‘Hexagone’, also dem achteckigen Umriss Frankreichs, und dem altbekannten Spruch vor sich her. (Vgl. dazu neben stehende Fotos.) Aber damit war die Geschichte wiederum nicht zu Ende. Am Sonntag, 21. Mai klagte nunmehr der Rechtskatholik Philippe de Villiers, anlässlich eines Interviews mit dem Sender ‘Radio J’, das politische Urheberrecht für den Slogan ein – indem er Innenminister Nicolas Sarkozy beschuldigte, «ihn zu kopieren», so fasst es die Pariser Abendzeitung Le Monde in ihrer Ausgabe vom 24. Mai zusammen.

FUSSNOTE 1:

Dies in einem Kontext, der seit 1983/84 von einer starken Mobilisierung der Einwandererkinder für gleiche Rechte geprägt war. Man denke vor allem an die ‘Marche pour l’égalité’ (Marsch für die Gleichheit) von Oktober bis Dezember 1983 – so hieb ihr Originaltitel, erst nachträglich machten sozialdemokratisch-kulturalistische Antirassismusfunktionäre daraus die so genannte ‘Marche des beurs’ (Marsch der arabischstämmigen Jugendlichen). Ursprünglich war das Anliegen aber keinesfalls kulturalistisch oder auf Differenz abzielend, sondern im Gegenteil ging es darum, im universalistischen Sinne gleiche Recht für alle einzufordern, unabhängig von ihrer Herkunft. Unterschiedliche Kräfte, von den regierenden Sozialisten bis zu kulturalistischen Antirassisten, trugen dazu bei, dass dieses Anliegen verschüttet wurde.

FUSSNOTE 2:

2000/01 verklebte der FNJ in gröberer Zahl einen Aufkleber, der Immigrantenjugendliche in aggressiver Pose und im typischen Look von Banlieue- (Trabantenstadt-)Jugendlichen zeigt. Die Aufkleber trugen die Aufschrift: «Tu niques la France? Dégage!» Also sinngemäb: «Du scheibt auf Frankreich? Dann hau’ ab’!»    

FUSSNOTE 3:

Vgl. dazu Libération vom 25. April, die Titelseite der Wochenzeitung Le Canard enchaîné vom 26. April 06 («Sarko et Villiers démarrent à Front la caisse»), Le Monde vom 24. Mai 2006 sowie die Antifa-Zweimonatszeitung Ras le front von Mai/Juni 2006, Seite 6. Letzere druckt auch Original-Aufkleber mit den ‘historischen’ Slogans der US-amerikanischen Rechten und des Front National aus den 80er Jahren nach. Angaben der Zeitschrift zufolge ist der Originalslogan (Love it or leave it) in Frankreich «seit Mitte der 80er benutzt worden (...). Ein FN-Parlamentarier soll ihn von einer Reise aus den USA mit gebracht haben.» Damals, 1986 bis 88, verfügte der FN noch über eine eigene Parlamentsfraktion (denn seinerzeit galt in Frankreich noch das Mehrheitswahlrecht) und hatte intensive Kontakte zum rechten Flügel der US-Republikaner unter Ronald Reagan geknüpft. FN-Funktionäre betrieben damals auch, auf internationaler Ebene, Propaganda für die Wiederwahl Ronald Reagans. Diese Kontakte rissen ab dem Ende des Kalten Krieges von 1989 ab, damals fing der Front National an, von einem pro-atlantischen zu einem teilweise «anti-westlichen» Nationalismus überzugehen.

Dagegen datiert Le Monde vom 24. 05. 2006 die Übernahme des Slogans bereits auf einen etwas früheren Zeitpunkt. Demnach war es Alain Jamet, Bezirkssekretär des Front National im Raum Montpellier, der den Slogan schon 1982 aus den USA übernahm. Damals, so die Pariser Abendzeitung, hatte die US-amerikanische Rechte zu Beginn der Amtszeit von Präsident Ronald Reagan diesen Slogan aus den Jahren des Vietnamkriegs wieder ausgegraben. Alain Jamet (FN) habe ihn dagegen von Anfang an, in seinen Wahlkämpfen, gegen die in Frankreich lebenden Einwanderer gerichtet. Anlässlich der «Kopftuchdebatte» im Laufe der achtziger Jahre habe der Front National dann den Aufkleber mit dem Slogan massenhaft verbreitet - um zu signalisieren, moslemische Immigranten hätten keinen Platz in der französischen Gesellschaft. Le Monde fügt hinzu, dass der Slogan 1991 vorübergehend auch durch eine rechtsbürgerliche Organisation, das ‘Mouvement initiative et liberté’ (MIL), sowie die konservativ-autoritäre Studierendenorganisation UNI benutzt worden sei. Daraufhin habe die FN-Jugendorganisation FNJ wiederum offensiv um das politische Copyright über den Slogan gekämpft, und ihn massiv eingesetzt. (Vgl. Christiane Chombeau: «’La France, aimez-la ou quittez-la’, bataille pour un slogan», in: Le Monde vom 24. 05. 2006, Seite 12.) 

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 28.5.2006 vom Autor.