Krisendebatte
Bereit für stürmische Zeiten?
Eine Polemik zur Krise und ein Gruß an die ver.di – Jugend
von Vadim Riga06/09
trend
onlinezeitungVon dem Moment an, als die lebendige Arbeit käuflich wurde, und dadurch in Form von Kapital akkumulieren konnte, wurde die Geschichte neu determiniert. Nicht allein die Notwendigkeit Waren herstellen und verkaufen zu lassen, nicht der damit verbundene Zweck eine Minderheit reich und mächtig zu machen, auch nicht der gigantische Ausbau von Infrastrukturen, sondern vor allem der Zwang soviel Geld als irgend möglich in Kapital zu verwandeln, bestimmt seither den historischen Kurs. „Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!“[1](Marx) Also Anhäufung von zuviel Kapital bezüglich des Gleichgewichtes zwischen den verschiedenen Faktoren der Produktion. Von Beginn an war dabei das Kreditwesen der entscheidende Faktor für die „Risikobereitschaft“ der Bourgeoisie, die genau weiß, dass ohne all dem nichts läuft. Schulden sind Kapital!
Im Oktober letzten Jahres wurde uns - an einem „schwarzen Montag“ - durch die bürgerlichen Medien der Welt der Ausbruch einer Finanzkrise offenbart. Nach wenigen Monaten scheint diese Offenbarung immer mehr zum Offenbarungseid des Kapitals zu werden. Das gesamte aktuelle Weltgeschehen wird zunehmend mit der Krise, die nun endlich Weltwirtschaftskrise genannt werden darf, in Bezug gesetzt. Banken und Versicherungen, ganze Industriezweige und Staatshaushalte sind bereits vom Bankrott betroffen oder stehen kurz davor. Die nationalen und internationalen Rettungsprogramme der Spezialisten der herrschenden Klasse scheinen ins Leere zu laufen, Sie bemühen sich noch um die Sicherung von „Abwrackprämien“ ihrer schrottreifen Produktionsverhältnisse und verharren ansonsten vor der Krise „wie vor dem Topf mit heißer Milch auf der Herdplatte“.[2] Die Ereignisse scheinen die schlimmsten Befürchtungen bürgerlicher Ökonomen zu bestätigen. Etwa so wie es schon vor ein paar Monaten in einem Magazin für junge Führungskräfte, und solche die es gerne wären, auf den Punkt gebracht wurde: „Die konsolidierten Haushaltsschulden äußern sich heute in einer 13-stelligen Zahl, übertreffen schon jetzt Anderthalbtausend-Billionen Euro... zudem wachse dieser Montblanc pro Sekunde [!] um weitere 474 Euro... man wird diesen Tumor im Staatsorganismus durch keinerlei Reformen heilen können. Früher oder später müsse man diese Schulden begleichen.“[3]
Unterdessen nehmen die Abwehrkämpfe der Lohnabhängigen weltweit an Schärfe zu, tragen ihrerseits zur Dynamik der Krise bei und bestätigen durch Slogans unbewusst eine alte Beobachtung von Marx: „...wenn die Demokraten die Regulierung der Staatsschulden verlangen, verlangen die Arbeiter den Staatsbankrott.“[4] Denn nichts anderes meint eine die Parole wie: „wir zahlen nicht für eure Krise“ - wenn sie denn zuende gedacht werden würde.
Die hervorragende Gleichzeitigkeit, mit der die Krise weltweit ihren Lauf nimmt, stellt alle Krisen der letzten acht Jahrzehnte weit in den Schatten. Sie trifft zudem international auf eine junge, desillusionierte Generation von Eigentumslosen, deren Sinn für politische Ideologien der Vergangenheit sich immer mehr aufzulösen scheint. Zugleich sind die Rufe nach einer „anderen Welt“ mittlerweile unüberhörbar geworden – aber auch die Rufe nach einem starken Staat! Das lärmende Schweigen proletarisierten Massen schlägt zunehmend um in soziale Bewegungen (Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Lettland...), in denen sich die gegeneinander kämpfenden Klassen gegenwärtig noch wilde Pfade durch den Urwald des kapitalistischen Produktionsprozesses suchen.
In dieser Situation verschärft, vertieft, und erweitert sich zwangsläufig die Debatte unter den progressiven Kräften der Welt. Für Augenblicke bloß wird dabei sichtbar, wie sich die revolutionäre Theorie der gesellschaftlichen Praxis zuneigt - und umgekehrt. „Hatte Marx doch recht?“ fragt sich so mancher Redakteur in den großen und kleinen Medienzentren der Welt, und der deutsche Buchhandel verkündet einen zunehmenden Absatz der Marx-Engels-Werke. Noch aber belasten die überholten Ideologien der alten Arbeiterbewegung, die kleingeistigen Konkurrenzgebärden ihrer Protagonisten und die langanhaltende Trennung zwischen den revolutionären Minderheiten und der wirklichen Bewegung der lohnabhängigen Klasse die freie Debatte, den notwendigen Optimismus und Enthusiasmus der Bewegung der Aufhebung. Besonders, wie immer, in Deutschland. Und doch verbirgt sich in dieser offensichtlichen und weltweiten Gleichzeitigkeit der Krise auch für die Besitzlosen hierzulande die Möglichkeit, sich in ihren (kommenden) Kämpfen auf die Kämpfe in anderen Teilen der Welt zu beziehen, und sich damit ihr a-nationales Wesen bewusst zu machen. Kein Grund zum lamentieren also, denn an dieser Stelle setzt die Verantwortung der revolutionären Kräfte ein: Kampf den bürgerlichen Ideologien der Trennung und der Konkurrenz - insbesondere dem Nationalismus und dessen barbarische Ausläufer: Rassismus und Antisemitismus.
Nach wie vor wird indes die öffentliche Diskussion um den Sinn und Unsinn kapitalistischer Produktion maßgeblich von „linken“ Experten angeführt. Deren Apparate und deren Kapital versetzen sie in die Lage Kongresse durchzuführen, sich Gehör in den Medien zu verschaffen, die Öffentlichkeit zu beeinflussen, mit immer dem gleichen Ziel: Die Proletarisierten zu entmündigen und unter dem Deckmantel eines „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“ hinter ihre eigenen (nationalistischen) Konzepte zur Rettung des Kapitals zu scharen. Hierzu gehören auch jene Ideologen, die sich unter Emanzipation noch immer nichts anderes vorstellen können als Parteiherrschaft und Verstaatlichung des Kapitals plus Elektrizität: die „offiziellen“ Marxisten.
Dem gegenüber führt, in Deutschland wie überall, eine in Grüppchen und Einzelpersonen zersplitterte revolutionäre Minderheit in den toten Seitenarmen des gesellschaftlichen Flusses ihr politisches Dasein. Zwar gibt es immer wieder, und verstärkt seit 2006 Versuche, diese Kräfte zu Bündeln, was nur durch eine offene Debatte, in der jedes Individuum sich einbringt möglich ist. Aber es bleibt ein schwieriges unterfangen. Allerdings eines, welches in diesem Mikrokosmos der Emanzipation bereits die Schwierigkeiten des Aufbaus einer klassenlosen Gesellschaft skizziert (immerhin). Schon wegen diesem Realitätsabgleich bleiben alle Versuche zur Aufhebung der Trennung nicht vergeblich.
Seit dem offiziellen Ausbruch der Krise des Kapitals sind verschiedene, teils recht fruchtbare Versuche unternommen worden, diese zu fassen und zu erklären. Die bisherigen Reaktionen der Lohnabhängigen auf die Krise standen dabei bisher nur selten im Vordergrund. Dies ist zweifellos Ausdruck einer allgemeinen Schwäche des proletarischen Lagers. Darauf, und auf die Notwendigkeit unseres Zusammenkommens, sowie auf eine kritische Betrachtung unserer bisherigen Versuche in diese Richtung wird noch zurückzukommen sein.
Globalisierung
In den ersten Wochen nach dem „schwarzen Montag“ konnten sich zunächst nur zwei markante Ereignisse in die Hauptnachrichtensendungen vorarbeiten, dort länger verweilen und das Spektakel um die Krise ein wenig überschatten: Zum einen die Anfang Dezember 2008 ausgebrochenen sozialen Kämpfe in Griechenland, die z.t. in Revolten mündeten und von einem Generalstreik begleitet wurden, zum anderen die erneute Eskalation der Gewalt in Israel/Palästina. Auf den ersten Blick, den uns die öffentlichen Medien gewährten, hatten diese Ereignisse nichts miteinander und mit der Krise zu tun. Jedenfalls fällt es den Schönrednern des Kapitals offenbar schwer Zusammenhänge zu erkennen, welche nicht einfach monokausal gegeben sind. Für sie bleibt die Krise eine von uneingeschränkter Gier bestimmter Kapitalisten persönlich verursachte, irrationale Erscheinung eines ansonsten vernünftigen, und vor allem alternativlosen Gesellschaftssystems. Aber: „Die Weltmarktkrisen müssen als die reale Zusammenfassung und gewaltsame Ausgleichung aller Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie gefasst werden (Marx).[5] Der kritische Geist, und sei er auch noch so schwach entwickelt, erahnt folglich, dass in Griechenland und Gaza sich bereits die Krisenlösungsalternativen zu erkennen gaben: Soziale Revolution oder weitere Ausdehnung der Barbarei.
Nun war der Krieg in Gaza sicherlich kein unmittelbarer Reflex auf den Einbruch der Finanzwelt. Auch der tödliche Schuss auf den jungen griechischen Autonomen, welcher der Revolte den Anlass gab, wurde wohl kaum deshalb abgefeuert, weil der Täter aus den Reihen der Polizei über den Verlust seiner Spareinlagen verärgert war. Doch die Akteure der sozialen Bewegung in Griechenland eigneten sich sehr rasch den Zusammenhang an: „mary crisis, and a happy new fear“ war an Wänden besetzter Gewerkschaftshäuser, Schulen und Universitäten kurz vor den Jahresendzeitfeierlichkeiten 2008 zu lesen.
Die Finanzkrise, die nicht weniger als den Ausbruch einer globalen Wirtschaftskrise ungeheuren Ausmaßes markiert, hat seither zur enormen Verschärfung vielerlei regionaler Konflikte beitragen (Pakistan, Thailand...). Umgekehrt wird jeder regionale Konflikt von einigermaßen geostrategischer Bedeutung die Krise weiter anheizen. Und während sich an einem Ort der Welt junge Menschen dem Terror und Krieg, erwachsen aus dem Zwang zur Kapitalvermehrung und der Rivalität ihrer jeweils herrschenden Klassen, vernebelt durch Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus hingaben, forderten an einem anderen Ort der selben Welt junge Menschen internationale Solidarität und die Ausdehnung der Kämpfe gegen die Klassenherrschaft - die Vereinigung der Welt gegen die Welt der Trennung - ein.
Der Siegeszug des Kapitals beginnt (und endet) mit den Folgen einer Illusion, der einst eine bahnbrechende Erkenntnis zugrunde lag: Die Erde ist kein Diskus, sondern ein Globus! Die Epoche der Entdecker und Eroberer war geboren. Die damit aufkeimende Vorstellung von der Unbegrenztheit des Globus für das Kapital zerstreute sich jedoch mit der allmählichen Globalisierung des Kapitals, und verkam zur Zwangsvorstellung. Das Kapital wurde mit der Durchsetzung eines Weltmarktes (im Gefolge der kolonialen Eroberungen) an seine eigene Grenze herangeführt, die, allen Mystifikationen zum Trotz, am Ende ganz banal eine räumliche bleibt. Nachdem nämlich der Globus unter den imperialen Mächten weitgehend aufgeteilt war, und die Epoche der Entdeckungen und Eroberungen allmählich zum Abschluss kam, ging und geht es nun im wesentlichen bloß noch darum, sich die Märkte der Welt (den Weltmarkt) gegenseitig abspenstig zu machen. Und das zu den Bedingungen einer permanenten Überproduktion, also der latenten Übersättigung der Märkte. In dieser Epoche wurden Militaristen zu Propheten (Clausewitz: „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“), denn dieser Kurs musste früher oder später notwendig dahin führen, dass die kapitalistischen Mächte übereinander herfallen. Eine Tendenz, die schließlich in einem generalisierten Krieg (1914-1918) ihre erste Zuspitzung fand.
Die Ansichten der Revolutionäre über die Krisen des Kapitals vertieften, erweiterten und veränderten sich in dieser Zeit erheblich. Dem Begriff „Imperialismus“ kam eine große Bedeutung zu. Man begann von der „Todeskrise des Kapitals“ zu sprechen, vom „letzten Stadium des Kapitalismus“ usw. Die Debatten im revolutionären Lager nahmen auf unterschiedliche, z.t. widersprüchliche Weise Einzug in die revolutionäre Theorie und Praxis.[6] Das, was die revolutionäre Theorie bis heute als Imperialismus bezeichnet drückt aber - so oder so - nichts anderes aus, als den aggressiven und allgemeinen Reflex der Nationalökonomien auf die permanent gewordenen, strukturelle Krise des globalen Kapitals. Diese wiederum ist nur als Wechselverhältnis aller auf den Weltmarkt drängenden Kräfte zu Begreifen. Als totales Ganzes.[7] Jede Labilität in jeder ansonsten noch so lokal oder regional begrenzten Umgebung geht seither ein, und wird bestimmt durch diese allgemeine, unumkehrbare Strukturkrise. Das heißt auch, dass jede Branchenkrise, jede politische Krise, jeder Abwehrkampf (sei es Klassenkampf oder bloß nationalistisches Aufbegehren), jede geostrategische Veränderung, einfach jede konkrete Instabilität integriert und beeinflusst wird durch die allgemeine und latente Instabilität des Kapitals.[8] Das Kapital schlug diesen Kurs wohlgemerkt bereits am Ende des 19. Jh. ein – und nicht erst seit „Attac“ den Begriff „Globalisierung“ für sich entdeckt hat. Ja, bereits 1848 wurde die Tendenz der Ausdehnung der Kapitalherrschaft von den Revolutionären schon klar definiert, als sie schrieben: „Die Bourgeoisie hat durch die Ausbeutung des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder globalisiert. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimazonen zu ihrer Befriedigung benötigen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich ...“ [9] (Letzteres darf angezweifelt werden, betrachtet man die gegenwärtigen geistigen Erzeugnisse der Bourgeoisie und ihrer linken, rechten und sonstigen Parteien zur Erklärung und Bekämpfung der Krise).
Das, was zunächst noch Finanzkrise hieß und die Finanzierungskrise eines überkommenden Gesellschaftssystems meinte, brachte die internationale Verflechtung des Kapitals und die Unmöglichkeit einer Umkehr abermals auf den Punkt. Deutlich zeigte sich das Wesen dieser kapitalvermehrungshemmenden Bedingungen in einigen Details, die jüngst über das brisante Verhältnis zwischen den USA und China einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. „So war es beispielsweise die staatliche China Investment Corporation, die, als Morgan Stanley... zunehmend unter Druck geriet, 5,5 Milliarden $ in die marode Bank investierte. Vor allem aber spiegelt sich die chinesische Finanzpolitik in dem Verhalten gegenüber den amerikanischen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac wider. Die chinesische Staatsbank pumpte noch im ersten Halbjahr 2008 weit über 100 Milliarden $ in das Pleitegespann, so dass sich am Ende eine gigantische Gesamtkreditsumme von insgesamt 376 Milliarden $, immerhin ein Fünftel der Devisenreserven, aufgetürmt hatte... (Seitdem)... aber hat die Führung in Peking umgelenkt. Am 29. August 2008 verkündete die Bank of China in ihrem Quartalsbericht, sie habe ihr finanzielles Engagement bei den beiden maroden Hypothekenbanken um 25 Prozent verringert. Dies gab Fannie und Freddie endgültig den Rest. Die Kursverluste am nächsten Tag waren die höchsten in ihrer Geschichte und zwangen die US-Regierung zum Handeln. Dass sich die chinesischen Banken dem allgemeinen Trend der Kreditverweigerung anschlossen, verschärfte die Situation noch zusätzlich... Dies hat die finanzielle Abhängigkeit der USA weiter erhöht.“ (Berger).[10] Und dementsprechend liest man anderer Stelle: : „Diese symbiotische Beziehung... (zwischen den USA und China) ...bestand und besteht darin, dass der eine Partner spart und hart arbeitet, während der andere die ihm übereigneten Produkte und Revenuen mit beiden Händen ausgibt. ... Im Prozess der nachholenden kapitalistischen Entwicklung kettete der chinesische Staatsdespotismus die ihm unterworfenen... [Arbeiter] an die verlängerte Werkbank der Welt, exportierte ihre Produkte zu Dumpingpreisen in die entwickelten Zentren... und ließ sie sich überwiegend mit Zahlungsversprechen – Staatsanleihen – begleichen, was es den USA wiederum ermöglichte, die aus der eigenen Niedriglohnstrategie resultierende Pauperisierungsprozesse durch eine – ihrerseits wieder in die Welt umgeleitete – Kreditexpansion zu kaschieren. Die verlängerte Werkbank avancierte auf diese Weise zusätzlich zur Hausbank der USA und ist auf Gedeih und Verderb an sie gekettet, weil ein markanter Sturz des Dollar beide Partner gleichzeitig ruinieren würde. Denn die chinesische Zentralbank hält seit längerem den größten Teil ihrer Devisenreserven in US-$ (2 Billionen) und hat US-Schatzanleihen in Höhe von fast 1 Billion $ aufgenommen: Ein unkontrollierter Kursverfall des US-Dollar würde also ihre Gläubigerposition dramatisch entwerten, während er die USA aufgrund der dann einsetzenden internationalen Kapitalflucht umgekehrt in den Staatsbankrott treiben würde.“ (Roth)[11]
So wie sich in der Verstrickung dieser beiden Staaten das ganze Dilemma der Weltbourgeoisie spiegelt, so spiegelt sich das Dilemma der proletarisierten in einem anderen Detail: Täglich befinden sich Millionen proletarisierter Individuen auf der Flucht vor den Auswirkungen und Zumutungen des Kapitalverhältnisses, ohne jemals diesem Verhältnis entfliehen zu können: Die Bewegung der Migranten - die umfangreichste und größte Völkerwanderung in der Geschichte der Menschheit. Der lebendige Ausdruck der globalisierten Akkumulation des Elends und zugleich lebender Beweis für die Existenz eines Weltproletariats an sich. Die Bewegung der Migranten, die eine Klassenbewegung bleibt, auch wenn sie geradezu exemplarisch darum bemüht ist dem Klassenkampf zu entkommen, wird sich mit der Ausdehnung und Vertiefung der Krise selbst unaufhaltsam weiter ausdehnen, und zu immer neuen Qualitäten erheben. Der Crash an den Finanzmärkten traf seinerzeit bereits zusammen mit einer Reihe zyklischer Krisen in verschiedenen Weltregionen, einer weltweiten Explosion der Lebensmittelpreise, die schon kurz vor dem „schwarzen Montag“ zu zahlreichen Hungerrevolten in den armen Ländern geführt hat, sowie einigen damit im (beinahe ursächlichem) Zusammenhang stehenden, starken ökonomischen Turbulenzen im Energiesektor, die ihrerseits den Niedergang derjenigen Industriezweige weltweit begleiten und beschleunigen, die durch die enormen Entwicklungen der Produktivkräfte der letzten 20 Jahre[12] überrumpelt wurden.
Die mit diesen Entwicklungen einhergehende Pauperisierungsprozesse, welche die wesentlichen Gründe für die Massenflucht darstellen, gleichen sich in ihrem Wesen weltweit immer mehr an. Augenscheinlich werden diese Prozesse obendrein im stetig anwachsenden Clanwesen, in denen sich antik anmutende, patriarchalische Strukturen immer mehr durchsetzen können, um die Führung der Geschäfte durch Paten oder Warlords in denjenigen Regionen zu übernehmen, in denen die offiziellen Regierungen die Kontrolle bereits weitgehend aufgegeben haben, und in denen die Polizei oder das Militär lediglich noch darum bemüht sind, durch gelegentliche massive Gewalt, die betroffenen Territorien an deren Ausdehnung zu hindern. Von den Slumgürteln in Brasilien, über die Randbezirke von Los Angeles oder Moskau, die Mülldeponien von Neapel und Mexikostadt, bis in den Urwald Kolumbiens, die Küsten Ostafrikas und die Bergwelt Afghanistans. Dieser Reflex auf die unmöglich gewordene Bedürfnisbefriedigung eines ständig wachsenden Anteils der Weltbevölkerung durch das kapitalistische System, bedeutet nichts anderes als die Rekonstruktion altertümlich-barbarischer Lebensverhältnisse. Angereichert durch modernste Waffensysteme und Satellitenfernsehen. Ihre Waren: Drogen und Sexsklaven, Waffen, Flüchtlinge, Immobilien, Sondermüll und neuerdings gekaperte Schiffe. Gruselig ist dabei die Tatsache, dass diese Branchen sich bereits zu den umsatzstärksten und verlässlichsten der Weltwirtschaft emporgearbeitet haben. Grenzenlose Akkumulation als Schattenseite der Akkumulationskrise. Geld verdunstet nicht!
Im 21 Jh. werden die Zentren der kapitalistischen Imperien zunehmend von Außen bedrängt durch die Völkerwanderung der Verdammten dieser Erde, und zusätzlich von innen her zersetzt durch patriarchalische Clans in Gestallt von Kriegerstämmen, Mafiafamilien und bewaffneten Straßengangs. Wer unter diesen Vorzeichen die Dekadenz des Kapitalismus, den offensichtlichen Rückfall in die Barbarei nicht wahrnehmen will, dem ist nicht mehr zu helfen.
Indes breitet sich die Krise in einem geopolitischen Umfeld von äußerster Brisanz aus. Man denke bloß an die mögliche Katastrophe einer vollzogenen Pleite von Pakistan - am Rande des Bürgerkriegs und der Unregierbarkeit - ausgestattet mit Nuklearwaffen. Momentan befinden sich mehr als 300 Nationen in zunehmend unkalkulierbare bewaffnete Konflikte.[13] Und während die Vereinten Nationen in diesem Kontext immer mehr an Bedeutung verlieren, ähnlich wie seinerzeit der Völkerbund, macht sich ihr Sicherheitsdienst (ab 1989 allein die NATO) spätestens seit den Überfällen auf Rest-Jugoslawien und den Irak, Völkerecht hin oder her, zunehmend selbständig. Der seit 1989, und verstärkt seit 9/11 laufende Umgruppierungsprozess im militärischen Komplex hinterlässt Brüche und weckt zugleich Ängste und Begierden. Insbesondere in den Nationen, die sich nicht, oder nicht ausreichend durch diese internationale Inkasso-Organisation beschützt fühlen. Und das sind nicht gerade wenige. Innerhalb des NATO-Bündnisses selbst gab es bei den letzten Einsätzen bereits massive interne Widersprüche, die sich einerseits aus den Aufbegehren der EU in Richtung Weltmacht, und andererseits aus banalen Rivalitäten der einzelnen NATO-Nationen untereinander ergaben. Die Einsätze im Irak und in Afghanistan sind für die dort engagierten Nationen mittlerweile zur kaum entrinnbaren Fallen mutiert. Sie beeinträchtigten ihre militärische Stoßkraft zunehmend durch Kräftebindung und Verschleiß. Die mangelhafte Flexibilität, die sich daraus ergibt, und ohne die, angesichts der sich täglich verändernden Weltlage, in naher Zukunft nichts auszurichten sein wird, führt notwendig zum Stillstand dieser Maschinerie. Es wird also nichts anderes übrigbleiben, als mehr Menschen an die Fronten zu holen, also mehr Nationen in die Pflicht zu nehmen (so wie einige nationale Regierungen es z.B. nachdrücklich von Deutschland erwarten). Die Option auf einen neuen generalisierten Krieg als Krisenlösungsmethode ist angesichts solcher Verhältnisse nicht ein für alle mal vom Tisch! „Hinter der Gefährdung des politischen Status quo verbirgt sich die Gefahr des Zusammenbrechens der ganzen bürgerlichen Gesellschaft. Die einzig mögliche Lösung im Sinne der Bourgeoisie ist die Aufschiebung der Lösung.“(Marx)[14] Doch mit jeder weiteren Aufschiebung einer Krisenlösung wird auch der zerstörerische Charakter des Kapitals sich weiter entfalten können.
Die Globalisierung offenbart sich stets an den in jeder Beziehung grenzenlosen Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Nicht zuletzt in der ökologischen Zerstörung, welche durch den gnadenlosen Zwang zur Kapitalvermehrung täglich weiter vorangetrieben wird. Das Kapital hinterlässt uns jetzt schon eine vergiftete Erde. Und die gegenwärtige Wirtschaftskrise wird selbstverständlich zur Begründung herangezogen werden, um die verschiedenen, ohnehin ungenügenden Maßnahmen zur Eindämmung der Umweltzerstörung wieder zurück zu fahren.
Wer sich angesichts dessen was Globalisierung heute wirklich bedeutet noch am Kampf um Reformen, Arbeiterbewegungstraditionen, Heuschreckenjagd, Standortsicherung, Fair-Trade, Tier-, und Menschenrechte, oder anderer Details festbeißt, ist entweder nur naiv, oder zugleich auch Zynisch. Doch „...da die Welt sich... am Rande der Zerstörung empfindet, können wir uns es weder erlauben, auf Mitläufer zu warten, noch uns mit ihnen streiten.“ (Trocchi)[15] Wir müssen diese Mitläufer und Trittbrettfahrer der Geschichte hinter uns lassen. Unser Kampf ist in jeder Hinsicht grenzenlos, oder er ist gar nicht!
1929
Die gegenwärtige Krise wird mittlerweile von allen politischen Strömungen der Zeit verglichen mit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Tatsächlich gibt es bedeutende Überschneidungen im Verlauf dieser Krise mit dem was uns heute vorgeführt wird: Enorme Staatsverschuldung und Verfall des Wertes der Arbeitskraft. Verfall der Kaufkraft und auseinanderbrechen des Mittelstandes. Verfall des Kreditwesens und Aufblähung des fiktiven Kapitals. D.h. Ausdehnung der Verschuldung auf alle gesellschaftlichen Bereiche. Schließlich das Platzen der Blase, und das Ende der Illusionen (der „goldenen 20er Jahre“), obwohl doch die Profite noch kurz zuvor Weltweit ungeahnte Höhen erzielen konnten. (So wie erst neulich wieder unter dem Banner des Neoliberalismus).
Wie Heute, und während jeder größeren Krise, ging der Krise von 1929 eine Umwälzung der Arbeitswelt voraus, welche unter dem Oberbegriff „Fordismus“ Einzug ins historische Gedächtnis fand, und den Widerspruch zwischen Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnisse weltweit beschleunigte und vertiefte. Die neuen Qualitäten massenhafter Warenproduktion - die damit verbundene, vorübergehende Prosperität, die dadurch vorübergehend möglich gewordenen, relativen Zugeständnisse bezüglich der sozialen Ansprüche der Lohnabhängigen in einigen Regionen der Welt - all das verleitete offenbar dazu, dem Kapitalismus unbegrenzte Entwicklungs-, und Selbstheilungskräfte zuzutrauen. Diese trügerische Hoffnung, die das kurz zuvor in der Revolution niedergeschlagene Proletariat z.T. genauso erfasste wie die, durch eben diese Revolte geschundene, Bourgeoisie, (für die Proletarisierten wurde es zur verzweifelten Hoffnung – für die Bourgeoisie zur blinden Euphorie) führte dazu, dass als die Blase platzte, die Gesellschaften, klassenübergreifend, ungläubig und naiv wie das Kaninchen vor der Schlange hockten. Im mystischen Glauben an den Markt befangen, unfähig zu reagieren. Nach monatelanger Tatenlosigkeit gaben sich die einzelnen Staaten schließlich dem völlig hin, was sie am besten kannten – der Konkurrenz – und gingen zu einem unheilvollen Protektionismus über, welcher den Kapitalstrom nur noch zusätzlich blockierte. Die ungeheuren Auswüchse, die folgten als die ungeheure Akkumulationstätigkeit völlig unerwartet an ihre Grenzen stieß, erforderten nun ungeheure Maßnahmen der Regierungen. Die Strategie für das Kapital seinerzeit: Vernichtung von Produktionsstätten als Antwort auf die Überproduktion. Schließlich die Vernichtung der Produzenten im Vernichtungskrieg von 1939 – 1945. Also die Vernichtung von Menschen und ihrer Überlebenswerkzeuge. Und dies in einem weit höherem Masse, als es im ersten weltumfassenden Massaker (1914 – 1918) der Fall war. Zusätzlich wurde dieses Drama verschärft durch den Zerfall der Grundwerte jeder Zivilisation, welcher sich am widerlichsten im Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden zeigte.
Die Determinanten der Krise von 1929 bestätigen sich ihrem Wesen nach in dem was wir heute beobachten können. Es gibt jedoch keinen Determinismus, keinen Wiederholungszwang, denn die Subjekte der Gesellschaft, welche zugleich die Lebensenergie des Kapitals darstellen, befinden sich in einer anderen historischen Umgebung. Die Bourgeoisie ist scheinbar klüger geworden. Die einzelnen nationalen Fraktionen der wichtigsten Staaten der Welt ordnen ihre Konkurrenz momentan erstaunlich schnell und flexibel den Erfordernissen der Situation unter. Wir werden sehen wie lange das gut geht. Vorerst bemüht man sich noch emsig um Einigkeit. Ihre Konzepte kommen allerdings genauso mystisch daher, wie ihnen das Kapital selbst mystisch erscheint - und sie sprechen dies offen aus, indem sie den Zweck ihrer Maßnahmen als „vertrauensbildend“ psychologisieren. Das Vertrauen soll wieder hergestellt werden... in das Kapital! Angesichts der Tatsache, dass der Weltmarkt ungleich mehr übersättigt ist als dies in den 20er Jahren des letzten Jh. der Fall war, bleibt ihnen wahrhaftig nicht mehr als die Hoffnung, die Krise vor dem überkochen bewaren zu können. Das heißt auch, sie können sich kaum einer Ablenkung hingeben. Dies wird sich noch als eine erhebliche Schwäche der Herrschenden erweisen.
Auf der anderen Seite die Ausgebeuteten. 1929 hatte sich die Klasse bereits Weltweit zurückgezogen. Ihre wichtigste Errungenschaft, die Räte, waren, überall wo sie entstehen konnten, zurückgedrängt, bzw. zerschlagen worden. Der Antikommunismus fand seine Rechtfertigung im Stalinismus und umgekehrt. Diese Tatsache trug hervorragend dazu bei das Selbstbewusstsein der internationalen Klasse zu zersetzen. Eine Euphorie bezüglich des vorübergehenden Wirtschaftswachstums mochte nicht mehr recht aufkommen, nachdem die Klasse spätestens ab Mitte der 20er Jahre nichts mehr davon zu spüren bekam. Die Ausgebeuteten nahmen in ihrem alltäglichen Verhalten die folgende, allgemeine Depression schon vorweg. Nachdem sie 1917/18 durch ihre internationalen Erhebungen den Krieg beendeten, hinderten sie das Kapital zwar daran, seine Lösung für die Krise zum Abschluss zu bringen. Aber sie selbst zeigten sich ebenfalls nicht in der Lage ihre Lösung, die soziale Revolution, zum Abschluss zu bringen. Der Börsenkrach von 1929 traf die alte, organisierte Arbeiterbewegung weltweit gespalten, bürokratisiert und desorientiert - und die wirkliche Bewegung der Proletarisierten international auf dem Rückzug. Die proletarisierten Individuen fanden sich folglich demoralisiert und atomisiert, in den Schlangen vor den Stempelstellen und Lebensmittelgeschäften vereinigt, aber zugleich durch eben diesen Kampf ums tägliche überleben, getrennt voneinander wieder. So traf diejenigen, welche nun nicht mehr in der Lage waren sich als Klasse zu formieren, die erneute Zuspitzung der Krise besonders tief, und lieferte sie der Konterrevolution völlig aus.[16] Dies machte den Weg frei für den zweiten Weltkrieg.
Der Zustand der proletarisierten Massen heute ist mit Sicherheit ein anderer. Seit ihrer großen Niederlage nach dem Kampfzyklus zwischen 1917 und 1923 sind mehrere neue Generationen herangewachsen. Es konnten seither neue Kampferfahrungen und Erkenntnisse gesammelt-, verallgemeinert-, und der revolutionären Theorie hinzugefügt werden. Insbesondere während des internationalen Kampfzyklus von 1967 bis 1973. Hier liegt wertvolles Material für den Prozess der Aufhebung begraben, welches sich die neue Generation der proletarisierten Massen aneignen könnte. Zudem ist der Prozess der Proletarisierung der Welt in einem schwindelerregenden Ausmaß voran geschritten.[17] Allerdings ist die derzeitige Generation als (internationale) Klasse für sich bislang nicht in Erscheinung getreten. Von einem neuen Kampfzyklus kann also (noch) nicht die Rede sein. Die Internationale der Ausgebeuteten konnte bisher nicht geschlagen werden, weil sie quasi noch gar nicht gekämpft hat. Dies könnte sich möglicherweise noch als eine Stärke erweisen.
Die derzeitige Krise stellt zweifellos die Herausforderung für die aktuelle Generation der Lohnabhängigen dar. So wie sie die Herausforderung für die Revolutionäre der Gegenwart ist. Die Ereignisse drängen früher oder später wieder weltweit zur Entscheidung – möglicherweise innerhalb von einigen Jahren: Soziale Revolution oder Untergang in die Barbarei. Diese Entscheidung stand 1929 nicht (mehr) auf der Tagesordnung, denn der Marschbefehl in die Barbarei war bereits vorbereitet, und wurde, als er 10 Jahre später ausgesprochen wurde, wie schon 1914, klassenübergreifend befolgt.[18]
Alle Räder stehen still
Der Durchbruch der Finanzkrise in der Produktion zeigte sich dort als erstes, wo sie einst ihren Ausgangspunkt genommen hatte: in der Automobilindustrie. In der gesamten Branche wird seither die Produktion gedrosselt und/oder Eingefroren. In den USA, Asien und Europa; überall kommt es zu Produktionsstillständen durch mittlerweile regelmäßigen und vollständigen Maschinenstopp, also Entlassungen oder Kurzarbeit. Erste Pleiten kündigen sich an. Weitere Einheiten des industriellen Komplexes folgen ihnen auf dem Fuß. Massenentlassungen sind weltweit die Folge, denn keine Macht der Welt zwingt das Kapital dazu, mehr Arbeitskraft zu kaufen, als es benötigt um die Akkumulation zeitnah aufrecht zu erhalten.
Viele linke Autoren sind sich, bezüglich ihrer Einschätzung der Krise, zumindest in einem Punkt mit dem revolutionären Lager einig: Harry Waibel bringt dies treffend auf den Punkt: „Ausgangspunkt... ist die in den 1970er Jahren begonnene Verwertungskrise, in der die Akkumulation verlangsamt, die Profite schwinden und die Flucht in das fiktive Kapital die Voraussetzung war, für die Ausdehnung der jetzt geplatzten Immobilien- und Finanz-Blase... Im Grunde genommen bedeutet diese Krise, dass der Warenaustausch in eine unkontrollierbare Phase eingetreten ist, über deren konkretes Ende nur in historischen Analogien geantwortet werden kann.[19] In besagten 1970er Jahren wurden, in Detroit, Turin und Mailand, Bochum und Köln.., die Bänder allerdings noch durch die Aktionen der Beschäftigten zum Stillstand gebracht.[20]
Wenn heute über „68“ nachgedacht wird, also gerade auch über den weltweiten Kampfzyklus der Klasse zwischen 1967 und 1974, welcher im sog. Pariser Mai seinen grandiosen Höhepunkt erfuhr, dann sollte mitgedacht werden, dass es sich hierbei u.a. auch um einen Reflex der Klasse auf die allmählich spürbar werdende Krise handelte, welche das Ende des Fordismus einleitete: „...in allen Industrienationen zogen neue Technologien[21] in die Arbeitswelt ein und wirbelten überkommene Strukturen auf. Wichtige Schlüsselindustrien waren von diesen für den Akkumulationsprozess notwendig gewordenen Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen. Die Arbeitswelt veränderte allmählich ihr Gesicht. Der Arbeitstakt erhöhte sich spürbar. Eine Ahnung von der Rückkehr der Arbeitslosigkeit griff um sich. Dies hatte u.a. eine zunehmende Desillusionierung innerhalb der Arbeiterklasse gegenüber den staatlichen Interventionen in die Wirtschaft (Konjunkturpolitik) zur Folge. Eine deutlich wahrnehmbare Ausbreitung des Dienstleistungssektors konnte die allgemeine Krise zunächst noch überdecken. Ebenso die damit zusammenhängende relative Ausweitung des Zugangs für ArbeiterInnen und ihrer Kinder zur (Weiter)Bildung. Solcherlei Entwicklungen und Maßnahmen konnten die Krise jedoch nicht stoppen. Die Illusionen in das Wirtschaftsprogramm des Keynesianismus, hierzulande unter den Begriffen antizyklische Wirtschaftspolitik oder Konjunkturausgleichsrücklage bekannt geworden, platzten, als klar wurde, dass es sich um mehr als eine vorübergehende Konjunkturkrise handelte. Die Krise wurde nun „Strukturkrise“ genannt, und die Maßnahmen zur Neustrukturierung dienten vorgeblich der Anpassung an diese „Dienstleistungsgesellschaft(!)“. (Heute nennt sich dieser Verblendungszusammenhang zur Rechtfertigung von Umstrukturierungsmaßnamen „Informationsgesellschaft“ oder wahlweise „Globalisierung“). Die Botschaft an die Lohnabhängigen bestand (besteht) in der Behauptung, dass deren gesellschaftliche Stellung an Wert und Kraft verloren ging und dass ihre spezifischen Interessen hierdurch obsolet geworden seien. Die Wirkung dieser Botschaft trug seinerzeit stark dazu bei, dass viele junge Lohnabhänge ein Gespür dafür entwickelten, dass sie bald nichts mehr zu verlieren hätten - was in diesen Zeiten eher günstig als bedrohlich für den Emanzipationsprozess war“ schrieb ich 2007. [22]
Was bei dieser Kampfwelle besonders ins Auge fällt, und sie zugleich Unterscheidet von der Kampfwelle 1917-23 ist die relativ weit verbreitete Einsicht ihrer Protagonisten in die Totalität mit der das Kapital in alle Lebensbereiche eingedrungen ist. Die Frage der Entfremdung wurde von den Proletarisierten in ihren Aktionen rund um den Globus ständig thematisiert. Konsum und Produktion im Kapitalismus, in letzter Konsequenz die Lohnarbeit selbst, wurden zum allgegenwärtigen Thema in ihren Auseinandersetzungen. Es wurde über alles gesprochen! Alles wurde in Frage gestellt! Der protestantische Arbeitsethos, welcher in der alten Arbeiterbewegung noch stark verankert war, geriet allmählich völlig aus den Fugen. „Der Kapitalismus wurde im Arbeitsalltag als Zumutung, als vergeblicher und verschwendeter Kraftaufwand empfunden. Als Zeitdiebstahl“ schrieb ich 2007 weiter.[23] Und an anderer Stelle wurde seinerzeit geäußert: „Die weltweite Welle von Streiks und Aufruhr lässt sich nicht verstehen, wenn man ihre zugrundeliegende Dynamik nicht benennt: die massenhafte Entfremdung gegenüber dem Fabrik – und Büroleben. Wer will noch Arbeiten? fragte Newsweek Mitte der 70er Jahre.“[24] (Dauvè) Der Kampf in den Betrieben gegen die Erhöhung des Arbeitstaktes (Akkord) wurde dabei zum allgemeinen Ausgangspunkt umfangreicher gesellschaftlicher Kämpfe: „Tatsächlich waren es die Verhaltensweisen der Arbeiter, die sich gegen den Akkord und damit gegen eine bestimmte Form der Ausbeutung richteten, eine Form der Ausbeutung, die durch die Verfügung über die Arbeitszeit definiert war. Das Kapital versuchte diese Form zu verallgemeinern, und dagegen entwickelten sich Widerstandsformen, die einen Fluchtpunkt fanden. Das war das Ereignis: Die Kämpfe in ihren unterschiedlichen Formen liefen in einem Einzigen Punkt zusammen, und dieser Punkt war die Wiederaneignung der Zeit.“ (Negri)[25]
Doch obwohl die politisierten Individuen sich seinerzeit z.T. bereits in den „Sphären der Totalität“ als „negierendes Subjekt“ vermuteten, blieben sie doch notwendig in den Halbheiten der objektiven Bedingungen gefangen. Dies macht einen weiteren Unterschied zur ersten internationalen Kampfwelle deutlich. Dieser bestand in der Konsequenz, mit der die Bewegung 1917-23 ihre Kämpfe geführt hat, und die „68“ nicht wieder erreicht werden konnte. Während die Klasse nach dem ersten Weltkrieg in wichtigen Regionen des Kapitals vorübergehend die politische Macht erobert hatte, konnten sich die „68er“ lediglich in Revolten Ausdruck verleihen. Die Geschichte des „Pariser Mai“ und seine Folgen belegen eines besonders deutlich: Vor die Entscheidung gestellt zog sich die Klasse zurück, da es ihr offenbar an Vertauen in die eigene Befähigung zur revolutionären Umgestaltung fehlte. Der Sinn von Revolten und Revolutionen lässt sich weder an der Anzahl der Barrikaden, noch an der Anzahl von Martyrern messen. Obwohl es in den Klassenkämpfen der 60er / 70er Jahre enorm viele Aufopferungen zu bewundern, und Opfer zu beklagen gibt, bleibt festzuhalten, dass die Klasse in den entscheidenden Momenten vor den Konsequenzen ihrer eigenen Ziele zurückschreckte. Was zu bewahren bleibt ist diese kollektive Einsicht der Bewegung, dass Kapitalismus (Lebens)Zeitverschwendung ist. Jedes erneute Aufbegehren der Klasse muss sich folglich an dieser Einsicht orientieren, wenn sie nicht hinter ihren Errungenschaften aus dieser Zeit, von denen heute kaum was geblieben ist, zurückfallen will.
Der Niedergang des Fordismus und das Scheitern des keynesianistischen Modells stand somit am Anfang der sich erneut aufblähenden Krise, die als solche von der Bourgeoisie schon damals erkannt wurde. Eine militärische Lösung bot sich für sie seinerzeit nur vereinzelt, regional begrenzt an. Ein generalisierter Krieg, der damals zurecht häufig befürchtet wurde, konnte aus unterschiedlichen Gründen nicht vollzogen werden. Die wichtigsten Gründe waren zum einen die Blockdisziplin der Nachkriegsordnung mit ihrem gewaltigen Zerstörungspotential im Hintergrund, und das daraus folgende General-Agrement zwischen den Blöcken, zum anderen die mangelnde Bereitschaft der Klasse in den Zentren des Kapitals, sich erneut einem Weltkrieg hinzugeben. So musste die Krise aufgefangen werden durch die o.g. Umstrukturierungsmaßnamen und vor allem durch eine daraus folgende, und bis dato nicht enden wollende, gigantische Verschuldung der Staatshaushalte, deren globale Dynamik bereits Ende der 80er Jahre den Bankrott der COMECON Staaten wesentlich verursachte.
Die Lohnabhängigen waren ihrerseits noch zu sehr gefangen in der Ideologiesymbiose Antikommunismus-Stalinismus um zur Einsicht in die Notwendigkeit der sozialen Revolution gelangen zu können. So entstand eine Pattsituation zwischen den entscheidenden gesellschaftlichen Klassen. Die Revolten brachten den Proletarisierten zwar vorübergehend Zugeständnissee ein, aber sie brachten im Anschluss auch die zügige Restauration. Dies führte auf ökonomischem und sozialem Terrain zu einer Bewegung der Implosion. D. h.: ganz allmähliche Ausdehnung der internationalen Krise des Kapitals, begleitet vom allmählichen sozialem Zerfall der kapitalistischen Gesellschaften.
Die unvollendeten Revolten von „68“ müssen dennoch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass sie das Ende einer sehr langen konterrevolutionären Periode für das internationale Proletariat einleiteten. Allein weil es das erstemal seit den 20er Jahren wieder auf der Weltbühne als kämpfende Klasse in Erscheinung getreten war. Es wurde überall dort zurückgedrängt, wo es sich nicht von selbst zurückgezogen hatte. Aber es wurde nicht der Art besiegt, wie dies nach den revolutionären Erhebungen in den 20er Jahren der Fall war. Es ging schlicht nicht ums Ganze.
So viel Ende war nie[26]
Die weltweite Krise war spätestens ab dem Zeitpunkt außer Kontrolle geraten, als eine tragende Wand des Kapitals – die Berliner Mauer - zum Einsturz gebracht wurde. Das ausgerechnet die Volkswirtschaften des COMECON als erste nicht mehr in der Lage waren ihren Akkumulationsauftrag gegenüber dem Weltmarkt gerecht zu werden, zeigte sich aber schon Anfang der 80er Jahre.
Als schlichter Abwehrkampf um den Erhalt der Reproduktionsbedingungen, als Kampf gegen Preissteigerungen und Mehrarbeit begonnen, entwickelte sich in Polen eine soziale Bewegung, die sich innerhalb kürzester Zeit ausdehnen konnte, in der Lage war wirksame Massenstreiks zu organisieren und bald das ganze post-stalinistische System infrage stellte. Der Niedergang klassischer fordistischer Produktionsmethoden, verursacht durch das stetige Vorwärtsschreiten neuer Technologien, die Überproduktionskrisen, die Verstrickung in lokale, kriegerische Auseinandersetzungen, die ungeheure militärische Aufrüstung, all das ging selbstverständlich nicht am sog. sozialistische Lager vorbei. Im Gegenteil. Dessen mechanische Anwendung des Keynesianismus, seine besonderen Formen des Protektionismus und die konkurrenzhemmenden Subventionen in den Binnenmarkt führten zusätzlich zu Mangelwirtschaft, sowie zu einer enormen Aufblähung der Staatsschulden und der diese verwaltenden Bürokratie, welche sich zudem völlig in der Korruption verlor. (Schließlich musste sich das dem Kapital eigene Konkurrenzverhältnis irgendwo Raum verschaffen). Am Ende stand die politische und ökonomische Handlungsunfähigkeit. Die polnische Bewegung, soviel man von deren Fähigkeit zur Ausdehnung und Vertiefung ihrer Kämpfe auch lernen kann, war jedoch ideologisch vollkommen Verblendet. So wie all die Volksbewegungen in Osteuropa, die ihr folgen sollten, und die schließlich alle zusammen nur einem Regime den politischen Todesstoss versetzten, welches ökonomisch bereits am Boden lag.
Die Bewegungen im Osten brachten dabei die Blockade, die sich der Klasse weltweit zu dieser Zeit in den Weg stellte, am besten auf den Punkt: Das o.g. Wechselverhältnis von Stalinismus und Antikommunismus als verinnerlichte Denkblockade, und das damit eng zusammenhängende Unvermögen die eigenen Interessen bis zur Konsequenz voranzutreiben. Darum „... besiegelten am Ende gerade die polnischen Arbeiter, denen es durch ihren machtvollen Eingriff in die Geschichte immerhin gelungen ist, einen epochalen Wandel in der Weltpolitik einzuleiten, ihre tragische Funktion für den historischen Kurs des Kapitals im Kniefall vor dem Papst.“ schrieb ich 2006 [27]
Der Zusammenbruch des Blocksystems Ende der 80er Jahre gestattete es der Bourgeoisie zunächst noch jede Menge Extraprofite zu machen, und sich als Klasse in Osteuropa neu zusammenzusetzen. Insbesondere die internationale Automobilindustrie, und mit ihr der Energiesektor und der Maschinenbau, sowie allerlei unsinniger Konsumartikel erlebten in dieser Zeit eine vorübergehende, aber bemerkenswerte Prosperität. Gleichzeitig begann sich die sog. IT – Branche immer mehr zu etablieren, und dem Weltmarkt ihren Stempel aufzudrücken – in Form einer neuen industrielle Revolution, wie sich herausstellen sollte. Das führte u.a. dazu, dass die Weltbourgeoisie ermutigt wurde den sog. Neoliberalismus immer mehr zur Geschäftsgrundlage des Weltmarktes zu erheben. Angefangen Anfang der 80er Jahre in Maggi Thatchers Großbritannien endete diese Ära schließlich in Schröders Deutschland. Gerade die Bourgeoisie in Deutschland, die historisch immer ein wenig zurückgeblieben scheint, glaubte an die Verheißung der „blühenden Landschaften“ – möglicher sogar noch mehr, und vor allem selbstverständlicher als die Proletarisierten. Letzteren bescherte die ganze Veranstaltung allerdings zunehmend mehr Elend. Was zu erwarten war. Insbesondere aber wurde die unerträgliche Pattsituation zwischen den Klassen, welche jedes krisenlösende Konzept blockiert, nochmals verlängert. Mehr noch, das Kräfteverhältnis begann sich, während der 90er Jahre, eindeutig zum Vorteil für die Bourgeoisie zu verschieben, während sich auf Seiten der proletarisierten Verzweiflung und Verblödung immer mehr ausbreiten konnte. Dies wurde u.a. im allgemeinen Aufschwung des Sozialneides deutlich, der sich nicht bloß in Schlachtrufe des Konsumismus (Geiz ist Geil) entblößte, oder später im nachplappern primitiver Propaganda (gegen „Heuschrecken“) sondern auch in tätigen Rassismus und Antisemitismus - von Hoyerswerda bis Hebron. Die 90er Jahre wurden die Jahre, in denen sich die Endzeitdramatik des Kapitals bereits weltweit zu offenbaren begann.
Ungeachtet dessen schritt der Kampf um den Weltmarkt weiter voran. Die Karten konnten 1989 neu gemischt und verteilt werden, und die Bourgeoisie quittierte dies zunächst mit euphorisch-hektischer Tätigkeit an den Börsen der Welt. Das der geopolitische Handlungsrahmen sich nebenher völlig ins Off bewegte, die Verschuldungen der Gesellschaften in astrologische Dimensionen abdrifteten, in ganzen Regionen der Schritt in die Barbarei vollzogen wurde, all das wurde und wird billigend in Kauf genommen, bzw. von den meisten Börsianern wahrscheinlich kaum als Wechselverhältnis zu ihrer eigenen Tätigkeit wahrgenommen. Diese bewegen sich ungeachtet all dessen, Lemmingen gleich, eilig vorwärts und treiben die Regierungen vor sich her. Aber, wie bereits mehrfach dargestellt, sind sie nicht die einzige treibende Kraft der Krise.
Krisenstaat und Staatskrise
Mit dem ständigen Anstieg der Produktivität eignete sich das Kapital zugleich eine in der Geschichte einzigartige Formbarkeit seines ökonomischen Systems an, welches zwar in der Regel, und aus gutem Grund die Demokratie als politischen Überbau bevorzugt, sich aber dadurch ausgezeichnet hat, dass es seine Kraft aus der Anpassungsfähigkeit gegenüber quasi allen Arten politischem Überbaus, und den dazu gehörenden Ideologien schöpfen kann, sofern die Regimes Kreditfähig-, bzw. willig sind.
In allen Ausbeutungssystemen zollten die Ausgebeuteten ihren Tribut an die Ausbeuter. In Form von Arbeit, Steuern, naturelle Abgaben u.a.m. Das Leben der Ausgebeuteten verlief jedoch relativ Getrennt von ihren Ausbeutern und von den Gesetzmäßigkeiten der alten Handelsmärkte. Der Akkumulationszwang hingegen beinhaltet auch den Ausgebeuteten alles zum Verkauf anzubieten, was sinniger (und mehr noch) unsinniger Weise (über)produziert wird. Trotz ihrer elenden Kaufkraft waren deshalb schon die Lohnsklaven in den Slums von Brüssel oder London, in der Mitte des 19t. Jh., gefangen in den Zyklen des Finanz-, und Handelskapitals. Der entscheidende Unterschied zu allen vorangegangenen Ausbeutungssystemen besteht darin, dass das Kapital kauft was es ausbeutet. Selbst die Empfänger von Hungerlöhnen und Staatsalmosen finden sich deshalb wieder in der vom Kapitalverhältnis erzwungenen Allianz mit der Bourgeoisie. Ein Zustand, der den Sklaven, Leibeigenen, ständischen Handwerkern, bäuerlichen Pächtern usw. noch weitgehend unbekannt war. Die Quelle des modernen Ausbeutungssystems entspringt dem funktionierenden Zusammenspiel seiner beiden wichtigsten Bestandteile: Den Käufern und den Verkäufern der Arbeitskraft. Kapitalismus beschreibt das soziale Verhältnis zwischen denen zwei Klassen, welche dem Kapital seine Struktur geben. Solange die Klassen ihren Widerspruch zueinander akzeptieren, der zugleich die Grundlage und die treibende Kraft des Systems bleibt, solange kann dieser Widerspruch auch ständig innerhalb des Systems aufgefangen werden. Dies zu Steuern und zu Regeln gehört in den Geschäftsbereich des bürgerlichen Staates.
Die Hauptaufgabe der Bourgeoisie als herrschende Klasse bleibt es in der Tat dafür zu sorgen, dass die Kapitalzirkulation und die Akkumulation stets gewährleistet bleiben. Das Begehren der Bourgeoisie als Individuen hingegen ist schlicht die Aufrechterhaltung und Erweiterung ihres Anteils an Macht über die Gesellschaft. Ein Antrieb aus Erfahrung, der seine Ergänzung in all ihren bunten Ideologien findet, die alle eines gemein haben: sie sollen ihre Überlegenheit beweisen. Doch was man will und was man muss geht auch für die Bourgeoisie nicht immer zusammen. Insbesondere in Krisenzeiten nicht. Schon im bürgerlichen Frankreich des 19. Jh. nicht, als das Wirtschaftswachstum sich bereits zu 1/3 aus Investitionen im Ausland nährte. Das garantierte derzeit nicht nur höhere Profite, sondern bot auch den Vorteil, das selbstredend schon damals latent anfällige Wirtschaftswachstum vor dem Zugriff der Lohnsklaven zu schützen,[28] welche der französischen und internationalen Bourgeoisie durch Revolten 1830, 1848 und besonders 1871 ihre potentielle Macht vor Augen geführt hatten. Solcherlei Ereignisse führten seither stets zur vorübergehenden Reduzierung der politischen Macht der Bourgeoisindividuen in Krisenzeiten[29] und zwang schon damals den bürgerlichen Staat zu massiven Interventionen in die Wirtschaft, und im Gefolge zur Installierung eines repressiven Regimes (Beschneidung des Wahlrechtes und des Presserechtes, Ausbau der Exekutive, Aufstellung einer Bürgerkriegsarmee, usw. usf.). Für einen Teil der Bourgeoisie bedeutet(e) das deren Opferung vor dem Altar des Kapitals (Börsenbankrotte, Pleitewellen in Handwerk und Dienstleistung, Niedergang überholter Produktionszweige usw.), um schließlich die verbleibenden Teile unter ein staatliches Kommando zusammen zu führen.[30] Die geschwächten Bourgeoisie wurde um die von ihr in ihrer Revolution errungenen demokratischen Rechte betrogen, welche sie benötige um hierin ihre Konkurrenz untereinander auf der politischen Bühne austragen zu können. Dies geschah nicht durch die revoltierende Klasse, welcher man den Willen zur Zerschlagung der Demokratie stets unterstellte, sondern durch die Reaktion. Aber nur so konnte der Auftrag des Kapitals – Akkumulation und nochmals Akkumulation – noch sinnvoll umgesetzt werden. Wir finden dieses Phänomen, die (vorübergehende) Einschränkung der politischen Handlungsfreiheit der Bourgeoisie zu Gunsten ihres Klassenauftrages, seither ständig wiederkehrend in der Geschichte der großen politischen und ökonomischen Krisen des Kapitals vor. Dem bourgeoisen Individuum bleibt auch in turbulenten Zeiten stets das Hemd näher als die Hose. Der Staat aber vertritt weiterhin das Klasseninteresse der Bourgeoisie - und in Krisenzeiten quasi mehr als die Bourgeoisie von sich aus dazu in der Lage ist. Zugleich übernimmt die Bourgeoisie als Klasse die Gesamtheit des Staates für sich ein, in dem sie sich durch diesen konsolidieren lässt. Oder anders: Der Staat bleibt weiterhin das Klasseninstrument der Bourgeoisie, aber er nimmt in solchen Zeiten mehr als sonst die Funktion eines "Gesamtkapitalisten" ein. Darin besteht die Dialektik im Verhältnis Staat – Bourgeoisie – Krise. Nicht anders ist auch gegenwärtig der bürgerliche Staat zu beurteilen. Seine vermittelnde Tätigkeit zwischen den Klassen im Sinne der Bourgeoisie verschwindet immer mehr vor dem Hintergrund der Notwendigkeit die Herrschaft des Kapitals über die gesamte Gesellschaft abzusichern. Auch gegen die Interessen bestimmter Fraktionen der Bourgeoisie – vor allem aber immer offener gegen die Interessen aller anderen gesellschaftlichen Schichten, insbesondere der Proletarisierten.
Den barbarischsten Ausdruck dieser Entwicklungsdynamik stellt(e) mit Sicherheit die Nazidiktatur dar.[31] Ein weiteres, eher tragisches Kapitel bleibt in diesem Zusammenhang der Weg der UdSSR, welche (nach der Niederlage der Weltrevolution) die Akkumulation aufrecht erhalten musste, trotzdem, oder gerade weil die Bourgeoisie durch die Revolution fast völlig ausgeschaltet wurde.[32] Andere Varianten des „Staatskapitalismus“ fanden sich bislang im New-Deal oder in diversen „Volksfront“ - Regierungen. Bei allen qualitativen und formellen Unterschieden[33] blieb es doch bislang im Wesen das gleiche Schema, welches allen Lösungsmodellen und staatlichen Interventionen für das Kapital im Ernstfall bisher zugrunde lag: Große Krisen bedeuteten bisher stets die Umgruppierung / Neuzusammensetzung der gesellschaftlichen Klassen – Klassenkämpfe - Zermürbung und Eingliederung der Mittelschichten - Sieg der Reaktion - Restauration und Kommandowirtschaft, und schließlich: Krieg, Wiederaufbau und erneute Krise.
Dem entsprechend verrät jeder staatliche Eingriff in das Kapitalverhältnis zugleich etwas über die Verfasstheit der Bourgeoisie. Die schaut heute mit Argusaugen, angetrieben von ihrer Konkurrenz untereinander, aber gegenwärtig vor allem von der Angst vor dem persönlichen Bankrott, auf ihre nationalen Regierungen, welche jetzt den Job zu erledigen haben, die aufgeschreckte Horde der Ausbeuter zu beruhigen und unter ein gemeinsames (nationales) Kommando zu stellen. Die herrschende Klasse wird Opfer bringen, insofern sie sich einiger ihrer Fraktionen entledigen muss. Durch Verstaatlichung, Insolvenz, Fusionen und jedweder Form der Enteignung, die das Kapital in Krisenzeiten für sie bereit hält.
Als erstes aber brechen die „Zwischenschichten“ weg. Der unternehmerische Mittelstand, die Bauern..., schlicht alle gegenwärtig noch durch staatliche Subventionen, also verdeckten Protektionismus am Leben gehaltenen Schichten. Diese fordern nun ihrerseits den offenen Protektionismus.[34] In Deutschland wird dieser Prozess (wieder mal) durch eine „große Koalition“ begleitet,[35] in der das politische Gewicht dieser Gesellschaftsgruppen vorübergehend aufgehoben wird. Die Privatparteien des deutschen Mittelstandes, die Grünen und die FDP (und bedingt die CSU), äußerten sich dementsprechend zunächst empört darüber, dass sie nicht rechtzeitig durch die Regierung vor der Krise gewarnt worden seien (!) Als würde es sich um eine Verschwörung handeln, oder um etwas „Hausgemachtes“, oder schlimmer noch: von den Amerikanern verschuldet - wie sie es gerne abwechselnd kolportieren. So beklagten sich unmittelbar nach dem „schwarzen Montag“ z. B. Westerwelle und Roth gleichermaßen ernsthaft über Informationsmangel. Diese Vertreter eines Klientel, welches mehr als jedes andere direkt am Tropf des Kreditwesens hängt, bangen jetzt um ihre Existenzberechtigung. Dabei haben sie seit jeher auf den Erhalt von Extrawürsten gesetzt: Steuererleichterungen, Subventionen, Schutz des „geistigen Eigentums“, Schutz vor Kriminalität, staatliche Investitionen in die Bildungselite, oder wahlweise den Umweltschutz plus Absicherung der Menschenrechte innerhalb ihres Handlungsradius. Dahinter steht ihre trügerische Gewissheit, dass der Mittelstand der Kitt der Gesellschaft sei. Damit ist jetzt vorläufig Schluss. Sie werden also sicher baldigst, im Namen der Nation, auf Verzicht getrimmt werden müssen. Das kennen sie schon – das werden sie also nachvollziehen können. Der erbarmungslose Konkurrenzkampf innerhalb besagter Schichten wird sich unterdessen fortsetzen und weitere Existenzen im Eiltempo vernichten. Ihre Parteien werden sich dementsprechend zueinander verhalten und im Laufe der Entwicklung immer mehr Wähler an das Lager der Rechten (und zum geringerem Teil auch an die Linke) verlieren, oder aber selbst Links-, bzw. Rechtruck demonstrieren. Die Polarisierung der Gesellschaft zeigt sich immer zuerst im (Selbst)Zerstörungsdrang der Zwischenschichten. „Der Kleinbürger ist dem Entwicklungsgedanken feind, denn die Entwicklung geht beständig gegen ihn – der Fortschritt brachte ihm nichts als unbezahlbare Schulden.“[36]
Je mehr sich der Staat in der Krise als Gesamtkapitalist gebärdet, die Interessen der Zwischenschichten absorbiert und die überflüssigen Kapitalfraktionen preisgibt, desto mehr verhält er sich gegenüber den proletarisierten Massen repressiv.
Angesichts des sich unter unseren Augen abspielenden Spektakels an den Börsen, in den Regierungen und Medien, kann einem wohl Angst und Bange werden. Aber es weckt auch – eigenartig – Begierden. Überall sieht man in sorgenvolle Gesichter wenn die Protagonisten der verschiedenen Fraktionen des Kapitals öffentlich ihre Stimme erheben. Hinter den beruhigenden Gesten der politischen Kaste tritt die Panik vor diesen Begierden bereits ungeschminkt hervor. Scheinbar nützen die eingeschworenen alles-wird-gut-Rituale und Selbstdarstellungsübungen, welche ihnen ihre Psycho-Gurus eingetrichtert haben, nun nichts mehr. Planlos und hektisch wie das Kapital selbst stellen sie ihre Lösungsvorschläge zur Schau. Konkret wird aber bloß die Polizei.: „Mit mehr Gewalt und noch viel mehr Großdemonstrationen auf der Straße, auch als Folge der Finanzmarktkrise, rechnet der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Die Sicherheitsbehörden könnten wegen Überforderung die Sicherheit nicht mehr ausreichend gewährleisten. Die Finanzmarktkrise würde die bereits vorhandenen gesellschaftlichen Konflikte weiter verschärfen. Die sozialen Verwerfungen, die wir heute schon auf der Straße verstärkt spüren, werden so weiter gefördert. Eine beunruhigende Entwicklung.“[37] wurde uns bereits im Oktober 2008 mitgeteilt. Damit heizte Friedberg seinerzeit die „nebenher“ laufende Parlamentsdebatte in Deutschland für den künftigen Einsatz der Bundeswehr im Innern an, indem er den Sinn der Debatte auf den Punkt brachte. Mittlerweile haben sich bereits einige Politprominente und selbsternannte Arbeiterführer zu drohenden sozialen Unruhen in Deutschland geäußert und ängstliche Gegenreaktionen hervorgerufen. Anlass boten die Ausschweifungen der Proletarisierten in Frankreich, Lettland, England und anderswo. Und mit den Erfahrungen vom 1. Mai 2009 bekam Konrad Freiberg noch einmal bestätigt, dass die Kräfte der Polizei, so wie sie jetzt verfasst sind, nicht ausreichend Sicherheit für das Kapital herstellen können, wenn es dann wirklich so kommt wie in Riga, Paris oder London.[38]
Es liegt in der Dynamik der Ereignisse, dass der Staat seine Untertanen zunehmend als Sicherheitsrisiko betrachten muss, und sich deshalb auf den ängstlich erwarteten Höhepunkt zügig vorbereiten will. Die gleiche Dynamik beinhaltet jedoch auch, dass die Untertanen sich innerlich vorbereiten, indem sie ihrerseits den Staat zunehmend als Sicherheitsrisiko empfinden müssen. Denn je mehr der Staat in das Leben der Individuen eingreift, (und das nimmt seit Jahren beständig zu), desto mehr fühlt sich das Individuum vom Staat im Stich gelassen. Das ist die Logik hinter der Strategie zur Abwälzung der Krise auf die Schultern der Lohnabhängigen. In den Ämtern und Behörden tobt schon jetzt das Leben. Das sich immer mehr ausbreitende, tief sitzende Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein, entwickelt sich zu einem kaum mehr zu überbrückenden Gegensatz zu den immer aufwendiger daherkommenden Veranstaltungen des Staates, seine Untertanen zu „betreuen“ und zu erfassen. Und während der Staat sich schon auf den Aufruhr im Angesicht einer plötzlich ausbrechenden, kollektiven Existenzangst vorbereitet, suchen seine Untertanen noch täglich nach individuellen Überlebensstrategien. Die kollektive Existenzangst ist allerdings längst (unbewusst) da, auch ohne dass die volle Wucht der Krise schon bei den Untertanen angekommen ist. Sie wird es aber! Und sie wird die Proletarisierten (weiterhin) aus ihren Wohnungen und Produktionsstätten auf die Strassen treiben. Die Bewegung der proletarisierten Massen wird sich innerhalb der nächsten Monate und zunehmend ab 2010 weiter ausdehnen und irgendwann unterwegs sicher auch Deutschland erfassen. Welchen Weg sie einschlagen wollen, und in welche Richtung sie getrieben werden, dass ist z. Zt. nicht vorhersehbar. Romantisch wird es jedenfalls nicht. Entweder gelingt es dem Staat, und somit dem Kapital sie für sich einzunehmen, was jedoch nur durch Zugeständnisse die zwangsläufig mit protektionistischen Maßnahmen verbunden sind möglich wird, oder aber die Bewegung meldet sich als Bewegung der Aufhebung zurück auf die Weltbühne. Beides bedeutet in jedem Fall: Warm anziehen! Denn die Staatsgewalt wird so oder so gezwungen sein sich von ihrer Schattenseite zeigen.
Die deutsche Bourgeoisie, darüber sollte keine Illusion aufkommen, verfügt über eine kaum zu überbietende Erfahrung darüber, wie ein Klassenstaat zu führen ist. Momentan drückt sich das u.a. darin aus, dass es ihr teilweise recht gut gelingt, die Auswirkungen der Krise auf die Gesamtheit der Proletarisierten hierzulande zu übertünchen (bis nach den Wahlen im September?), und ihre unterschiedlichen ideologischen und politischen Kräfte in Stellung zu bringen. Die Schwierigkeiten, welche die Herrschenden dabei zu überwinden haben, zeigen sich gegenwärtig in den seit einigen Jahren laufenden Umgruppierungsprozessen der bürgerlichen Parteien, die selbst bloß Ausdruck des gesellschaftlichen Umgruppierungsprozesses sind, welcher sich mit der Zuspitzung der Krise noch drastisch beschleunigen wird. Sie können also auch in dieser Beziehung nicht einfach agieren wie es ihnen beliebt. Dennoch dominieren die mehr oder weniger linken-, und rechten Kräfte in ihrem Zusammenspiel gegenwärtig noch die gesellschaftliche Auseinandersetzung im Sinne des Kapitals.
Während die großen deutschen „Volksparteien“ sichtbar an Ausstrahlungskraft einbüssen mussten, konsolidieren sich deren Satelliten, um die Lücken, welche die Krise im politischen Alltag hinterlässt, auszufüllen. Das wird vorerst gelingen! Ob weiterhin als große Koalition, oder Jamaika-Koalition, oder Ampel-Koalition, oder Rot-Rot-Grün bleibt völlig gleichgültig. Allerdings wird keine dieser möglichen Bündnisse die Zuspitzung der Krise und die Reflexe und Reaktionen der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten darauf verhindern können. Sie werden es noch nicht einmal alleine schaffen diese in ihrem Sinne zu kanalisieren. Aber sie werden ihr bestes geben.
Hierzu brauchen sie u.a. die extreme Rechte, deren Funktion vorläufig noch darauf beschränkt ist durch Provokation und Terror die proletarisierten vom Kampf um ihre eigenen Belange abzuhalten, indem die Ideologiesymbiose Faschismus/Antifaschismus ständig in den Vordergrund gerückt wird. Damit wird zugleich die nationalistische Ideologie allgemein hoffähiger gemacht, damit sie schließlich von den anderen Parteien in mehr oder weniger modifizierten Formen umgesetzt werden kann. Die extreme Rechte ist jedoch nicht als bloße Marionette der herrschenden Kapitalfraktionen zu begreifen. Sie ist vielmehr eine integrierte Kraft im Umgruppierungsprozess der von der Krise erfassten Gesellschaft - und somit zugleich Bestandteil der Eigendynamik des historischen Kurses des Kapitalismus.
Wichtiger für den Kapitalfluss jedoch bleibt in Deutschland (und auch in den meisten anderen Regionen Europas) vorerst die Wiederherstellung der Integrationskraft der politischen Linken des Kapitals. Also der offiziellen Sozialdemokratie und/oder der inoffiziellen, sprich der Partei die sich Die Linke nennt. Das Ringen darum wird uns seit einigen Jahren, spätestens seit dem inneren Zerfall der SPD unter Schröder, vorgeführt. Beide, die SPD und Die Linke, werden nicht Müde Gerechtigkeit und Umverteilung zu fordern – also Sozialneid. Hierin erschöpft sich eigentlich schon ihre Funktion. Erreichen wollen sie ihre hehren Ziele angeblich durch die Subventionierung der Lohnarbeit. Abgesehen davon, dass ihre Forderungen in diese Richtung völlig illusorisch sind, da das internationale Kapital sich nicht erholen kann durch Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Proletarisierten in irgendeiner Region, haben diese Forderungen vor allem einen Sinn: Sie stellen den notwendigen Verblendungszusammenhang für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus her durch Propagierung angeblicher nationaler Krisenlösungsmöglichkeiten.
Während die Lohnabhängigen weiter getrennt von einander um jeden Produktionsstandort, also um die Aufrechterhaltung ihrer Ausbeutung kämpfen, und damit notwendig weiteren Niederlagen entgegengehen, bleibt es folglich der Job der bürgerlichen Linken, diesen Niederlagen Erfolge anzudichten. Das was die offizielle Sozialdemokratie nicht mehr genügend leisten kann, spätestens seitdem sie als Deutsche Variante des „Neoliberalismus“ kläglich gescheitert ist, wird jetzt von der Linkspartei übernommen. Um so mehr, seitdem immer augenscheinlicher wird, dass alle Maßnahmen im Bereich der sozialen Demontage durch die SPD-Grüne Regierung, die als Maßnahmen zur Eindämmung der Staatsverschuldung und Krisenabsicherung begründet-, und von den Massen mehr oder weniger hingenommen wurden, gänzlich für die Katz waren. Ein unglaublicher Zynismus unterstreicht seither jede Sonntagsrede der Sozialdemokratie. Sie sind sich indes nicht zu schade ausgerechnet in dieser Situation die alte Garde der „Agenda 2010“ zurück ins Boot zu holen. Möglicherweise gibt es schlicht keine Auswahl mehr. Die offiziellen Sozialdemokraten demonstrierten uns bereits ihre Schwäche durch einen ständigen Führungswechsel, einhergehend mit einem ständig schwankenden Verhältnis gegenüber der Linkspartei. Der russische Volksmund würde dieses Dilemma etwa wie folgt kommentieren: Die Linke wedelt mit dem sozialdemokratischen Hund – dessen Schwanz sie ist. Wir kennen das lächerliche Karussell dem Hunde sich hingeben, wenn ihr Schwanz sich ihnen zum Schein selbstständig gemacht hat. Und den noch lächerlicheren Biss in den Schwanz, der natürlich dem Hund als ganzes schmerzt. Vorläufig scheint es jedenfalls so, als hätte der Schwanz die Kontrolle übernommen.[39] Jedenfalls in Bezug auf die kommende Aufgabe des gesamten sozialdemokratischen Milieus: jedes autonome Aufbegehren der Ausgebeuteten zu ersticken. Die deutschen Gewerkschaften werden es schließlich sein, die (den Ausgebeuteten gegenüber) den linken Schwanz der Sozialdemokratie zum Kopf erklären werden.[40]
Hört die Signale
„Über all proletarisierte Individuen, nirgendwo das Proletariat.“ So umschreiben die „FreundInnen“ aus Berlin den Zustand, welchen sie als „klassenlose Klassengesellschaft“ identifiziert haben.[41] Solche Erscheinungsformen an der Oberfläche der heutigen Gesellschaft, in der die Klasse noch nicht wieder zu sich selbst gefunden hat, sind nicht zuletzt Ausdruck von Ermüdung - verursacht durch die Folgen einer langanhaltende, zermürbende Krise, die nicht richtig ausbrechen wollte. Einer gesichtlosen, unerkannten Krise, die jeden und jede ständig auf sich selbst zurückwirft, weil ihre Allgemeingültigkeit hinter den Alltagssorgen der Vereinzelten bisher verborgen blieb. Eine Krise die sich über Jahrzehnte als allgemeines Unbehagen, als latenter Phantomschmerz in die Beziehungen und Verhältnisse der Menschen und ihrer Klassen zueinander eingenistet hat. Wenn die Krise, so wie jetzt, ihr Gesicht zeigt, dann gibt sie notwendig auch den gesellschaftlichen Klassen ihr Gesicht zurück, und zwingt allen auf sich selbst und den eigenen Standpunkt im Spiegel der Krise zu betrachten. Wir werden sehen(d).
Beginnen wir zunächst mit einer kleinen Erfolgsmeldung: Der Verlag der „Blauen Bände“ gab anlässlich der Frankfurter-Buchmesse bekannt, dass der Absatz der Schriften von Marx und Engels derzeit einen ungeahnten Aufschwung verzeichnet. Insbesondere wird „Das Kapital“ (Band 1) nachgefragt. Das muss kein Anlass zur Euphorie werden, denn an dieser Lektüre vergnügen und erhellen sich schon traditionell recht unterschiedliche Milieus. Da sind zum einen die Schöngeister und Marxologen, denen es darum geht ihre Gegenwärtigkeit zu behaupten (Wir wissen bescheid). Zum anderen sind es vor allem diejenigen Linken, denen vorrangig daran gelegen ist ihre eigene Geschichte zu rechtfertigen (Wir wussten es schon immer). Schließlich aber auch diejenigen, die an ihrer Zukunft bauen wollen, indem sie sich die Geschichte aneignen um ihre Gegenwart im rechten Licht betrachten zu können (Wir wissen was wir wollen – Alles!). Die vermehrte Aneignung der revolutionären Theorie wird mit Sicherheit dazu beitragen, dass sich neue Räume für eine breite Debatte öffnen können. Vorläufig müssen wir uns aber wohl damit begnügen, dass sich hierin die ernsthafte, erneute kollektive Suche nach einem Ausweg aus dem Kapitalverhältnis zunächst nur ankündigt.
Aber längst findet eine wirkliche Suchbewegung in der gesellschaftlichen Praxis der ausgebeuteten Klasse statt, die, noch weitgehend national, bzw. regional begrenzt, ihren Kampfeinsatz in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. In den Zentren des Kapitals noch in der Illusion befangen ihren Ausbeutern etwas abtrotzen zu können, in der Peripherie zunehmend desillusioniert, aber gleichsam noch ohne die kollektive Kenntnis über mögliche gesellschaftliche Alternativen. Die Aufgabe der revolutionären Kräfte überall auf der Welt kann in diesem Zusammenhang nur sein diese Suchbewegungen in eine angemessene Theorie (sprich Klassenanalyse oder, wenn man so will Arbeiteruntersuchung)[42] zusammen zu fassen, und die Kämpfe zu begleiten durch unbeirrbare Hervorhebung des allgemeinen, internationalen Interesses des Proletariats. „Globale Krise – globale ArbeiterInnenklasse!“ Schreibt wildcat.[43] Und man kann hinzufügen, das die Klasse nie zuvor in ihrer Geschichte objektiv so miteinander Verflochten-, subjektiv leider jedoch nie so voneinander getrennt war wie heute. Solange die Klassenkämpfe sich noch in einem nationalem Rahmen, ohne bewusstem Bezug zueinander ereignen wird daher jeder noch so kleine „Sieg“ der Klasse in einer Region wie ein Boomrang die gleiche Klasse in einer anderen Region zurückschlagen. Denn das Kapital kauft dort die Arbeitskraft, wo sie am billigsten zu haben ist. Auf diese Art vereinigt die Krise zwar die Klassenkämpfe gegenüber dem Kapital – in der gegenwärtigen Phase aber eben als getrennt voneinander. Vor diesem Hintergrund müssen die sozialen Eruptionen, welche sich seit dem „schwarzen Montag“ im Oktober 2008 überall auf der Welt ereignet haben, mit Vorsicht und ohne jede Euphorie betrachtet werden. Ein kurzer Blick auf einige bemerkenswerte Ereignisse der letzten Monate soll dies Verdeutlichen.
- Island: Hier trat als erstes, beinahe unmittelbar nach Verlautbarung der Finanzkrise eine soziale Bewegung in Erscheinung, die spontan ein für die Geschichte des Landes beispielloses Mobilisierungspotential an den Tag legte. Die Bewegung stürzte schließlich ihre alte Regierung, konnte jedoch kaum eine, die Gesellschaft breit erfassende, radikal politisierende Debatte hervorbringen. Immerhin kam es zu einem enormen Linksruck innerhalb der neuen Regierung – was zwar ein „progressives Nachdenken“ innerhalb der Bevölkerung zum Ausdruck bringt, aber eben auch noch große Illusionen in den bürgerlichen Staat. In Island und den anderen Regionen Skandinaviens ist noch vieles denkbar. Der weitere Verlauf der Krise wird wahrscheinlich noch unvorhersehbares hervorbringen. Möglicherweise z.B. in Dänemark, wo die skandinavischen Lohnabhängigen über einiges an Kampferfahrungen verfügen. Und weiterhin in Island, dann, wenn die Illusionen vor der Realität der Krise langsam zerbrechen, und die Bevölkerung sich auf ihre eigenen Kräfte erneut besinnen kann.
- Baltikum/Ungarn: Ebenfalls in den ersten Monaten nach offiziellen Ausbruch der Krise, und unmittelbar davor, kam es in allen baltischen Republiken zur schweren Unruhen. Den Höhepunkt bildeten tagelange Demonstrationen und Straßenschlachten in Riga, im Dezember 2008, die ebenfalls zum Rücktritt der Regierung führten. Anders als in Estland und Litauen (und Ungarn), konnten in Lettland die Versuche der Regierung und der Rechten Kräfte, die Bewegung zu spalten und rassistisch zu kanalisieren, noch weitgehend zurück gedrängt werden. Insgesamt geht aber von den baltischen Ländern und vor allem von Ungarn derzeit eine massive nationalistische Gefahr aus. Während in Riga die russische Minderheit in die Proteste bislang integriert werden konnte, und somit die Stossrichtung gegen die Regierung vorerst beibehalten bleibt, kam es in Estland, Litauen und Ungarn zu massiver Schuldzuweisung durch die bürgerlichen Medien - hier gegen Russen und Juden, dort gegen Roma und Juden – welche sich z.T. in regelrechte Hetzjachten gegen die Betroffenen in diesen Regionen entluden. Besonders drastisch in Ungarn, wo im April, mit der Hinrichtung von Angehörigen der Roma-Minderheit das Wüten des Mobs seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen konnte. Hier übernahm der kleinbürgerliche Geist bislang zweifellos die Führung der (a)sozialen Bewegungen.[44] Die Verschärfung der Krise in diesen Regionen wird sicher noch für einige Überraschungen sorgen – momentan sieht es jedoch leider danach aus, dass es sich in erster Linie um böse Überraschungen handeln wird.
- Britische Inseln: In Irland und Großbritannien nimmt die soziale Bewegung bisher einen recht ambivalenten Verlauf. Bemerkenswert ist vor allem die bislang schon erreichte Stufe der Mobilisierung. Im Januar kam es zu ersten Massendemonstrationen, sowie zu gewerkschaftlich organisierten und spontanen, sog. wilden Streiks in einigen Regionen Englands, die vor allem den Energiesektor betrafen. Im Februar demonstrierten ca. 150.000 Menschen in Dublin gegen die Auswirkungen der Krise. Einer der größten Demonstrationen in der Geschichte der irischen Republik. Im März demonstrierten an zwei Wochenenden hintereinander Zehntausende in London. Während des G20 – Gipfels kam es bei diesen Protesten zu schweren Ausschreitungen und Zusammenstössen mit der Polizei bei denen ein Demonstrant ums Leben kam. Im April kam es zu Fabrikbesetzungen in England und Nordirland, wobei eine gleichzeitige Besetzung in der Automobilindustrie (Enfield - Ford in London und Visteon - Ford in Belfast) den vorläufigen Höhepunkt bildeten. Die Ambivalenz zeigt sich innerhalb dieser Kämpfe, in denen es sowohl zu nationalistischen Entgleisungen kam, wie auch zu sichtbaren Bemühungen den Nationalismus zu überwinden. So zeigten sich in den Januarkämpfen noch deutlich die Anhänger nationalistischer Lösungen mit Parolen wie „englische Arbeitsplätze für englische Arbeiter“ – die vor allem durch die von der Laborpartie dominierten Gewerkschaften kolportiert wurden. Auf der anderen Seite machten hier bereits Arbeitsemigranten (vor allem italienischer und polnischer Herkunft) mit Solidaritätsaktionen auf sich aufmerksam. Was an den Kollegen nicht achtlos vorüber ging, und die Macht Standortverteidiger vorerst relativieren konnte. Wie bestellt meldete sich Gleichzeitig der Terror irischer Nationalisten zurück. Es stellte sich aber schnell heraus, das diese Patriotenbande ihren Rückhalt innerhalb der Bevölkerung Nordirlands erheblich eingebüsst hat, so dass die „gemäßigten“ Nationalisten (Sinn Fein) sich schnellsten distanzieren mussten. Eine weitere nationalistische Kraft bildeten die sog. Anti-Imperialisten, die ebenfalls in dieser Zeit auf Demonstrationen, zusammen mit islamistischen, also antisemitischen Kräften vom britischen Staat einseitiges vorgehen gegen Israel im Nahostkonflikt forderten, um auf diese Art den internationalen Charakter der Proletarisierten zu verschleiern. Gegen all diese Varianten des Nationalismus werden sich die Proletarisierten dieser Region zur wehr setzen müssen, wenn sie sich selbst zum Subjekt der Geschichte machen, und eine Lösung der Krise in ihrem Sinne anstreben wollen.
- Frankreich: Im Januar kam es hier bereits zu einer ersten großen Streikwelle, welche von Demonstrationen in vielen Metropolen Frankreichs begleitet wurden, und schließlich in einer Massendemonstration in Paris, mit über 2 Millionen Teilnehmern ihren ersten Höhepunkt fanden. Es folgten weitere Streiks und Betriebsbesetzungen, die sich rasch radikalisierten und schließlich zwischen Februar und April eine Reihe von „Geiselnahmen“ von Managern und Betriebseignern durch die Belegschaften hervorriefen. Noch massiver ging es im Februar in einigen kolonialen Außenstellen Frankreichs zu. In Guadeloupe, Martinique und La Rèunion kam es zu Massenstreiks, spontanen Massendemonstrationen, Plünderungen, Bränden und vereinzelt zu Schießerein. Die Kämpfe zogen sich über Wochen hin und brachten den Lohnabhängigen bemerkenswerte Teilerfolge. Auch in Frankreich meldete sich schnell die extreme Rechte mit nationalistischen und rassistischen Parolen auf den Strassen zurück, und übernahm den Part, den sich die gegenwärtige Regierung in Frankreich z.Zt. nicht leisten kann. (Sowie in England, und bei genauer Betrachtung auch in Deutschland die jeweiligen Regierungen sich ebenfalls auffällig harmlos und scheinbar verständnisvoll gegenüber allen aufkeimenden Widerstand der Lohnabhängigen verhalten). Obwohl die französische Rechte gerade von einer tiefen inneren ideologischen Spaltung heimgesucht wird – sie können sich nicht entscheiden wer Schlimmer ist: Die Juden, oder die arabischen Einwanderer – füllen sie ihre Rolle gegenüber der soziale Bewegung voll aus. Zu angemessenen Gegenmobilisierungen ist sie jedoch derzeit kaum in der Lage.
- Griechenland: Vor 6 Monaten kam es zu den bereits o.g. sozialen Unruhen. Massendemonstrationen mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern und Straßenschlachten zehn tage in Folge in mehreren Städten mit einem Epizentrum in Athen, Besetzungen von ca. 400 Universitäten und Schulen Landesweit, einen mehrtägigen Generalstreik, sowie Besetzungen von Rundfunk-, und Fernsehanstalten und der Athener Gewerkschaftszentrale. Der griechische Staat schlug mit voller Härte zurück, und es gelang ihm die Bewegung vorerst in der Frage der Gewalt zu spalten und festzusetzen. So kam es in Folge vorerst immer wieder zu Scharmützeln zwischen der Polizei und vor allem jungen „Autonomen“ – sodass ein Bild an der Oberfläche entstehen konnte, auf dem die ausgebeutete Klasse sich zurückzogen hatte, und die jungen Rebellen sich zunehmend Isolierten. Dies wurde noch bestärkt durch einige militante Anschläge aus den Reihen der „Autonomen“, die sich dadurch wahrscheinlich erhofften die Klasse zurück in die Kampfarena locken zu können. Doch es blieb zunächst still an dieser Front. Bis sich die Klasse im März zurückmeldete und mit einen Generalstreik in mehreren Branchen die griechischen und internationalen Proteste gegen den G20 Gipfel begleitete.
- Seit Februar kam es zu weiteren bemerkenswerten Klassenauseinandersetzungen in verschiedenen Weltregionen. Z.B.: Demonstrationen gegen die Folgen der Krise in ca. 50 Städten in der Russischen Förderation. In einigen Metropolen Sibiriens und in Moskau kam es zu Straßenschlachten. Die Regierung organisierte Gegendemonstrationen von Staatsloyalen Gruppen, und die extreme Rechte mobilisiert ebenfalls. In der Ukraine kam es zu Fabrikbesetzungen in der Maschinenbaubranche (Cherson). China erlebte schwere Arbeiterunruhen in Bejing und Shanghei, die mit Stürmungen von Fabriken durch Wanderarbeiter einher gingen. Thailand befindet sich seit längerem latent am Rande eines Bürgerkrieges. Im Februar vermischt sich diese politische Krise mit einem ökonomischen Schock, und führt bis in den April hinein zu ständigen Aufstandsartigen sozialen Unruhen in Bangkok.... usw. usf.[45]
Bereits seit einigen Jahren ist eine quantitative, und stellenweise auch qualitative Steigerung der Abwehrkämpfe der Lohnabhängigen zu beobachten. Besonders im Jahre 2006, wo es Europaweit zu einer Welle von Streiks und sozialen Protesten kam, die ihre Höhepunkte schon da in Frankreich und Griechenland fanden. Dies löste in einigen Ländern mit Sicherheit eine Politisierungswelle aus, und förderte ein allgemeines Nachdenken innerhalb der progressiven und revolutionären Kräfte Europas, z.B. innerhalb der Gewerkschaften, aber auch in den Schulen und Universitäten. Hier entwickelten sich schon die ersten Kerne des Widerstandes, der jetzt allmählich zum Vorschein kommt.
Auf dem ersten Blick jedoch scheint allen Bewegungen, die sich seit Oktober 2008 formieren konnten, gemeinsam zu sein, dass sie ihre Empörung gegen, und ihre Forderungen an die jeweiligen nationalen Regierungen richten. Und tatsächlich ist wohl davon auszugehen, dass vorerst noch die allgemeine Illusion in eine nationale Überwindung der Krise die Entwicklung dieser Kämpfe blockiert. Allesamt richten sich gegen die Regierung, kein Kampf richtet sich gegen die Nation. (abgesehen von einigen starken Tendenzen in Griechenland). Dies lässt erste Rückschlüsse auf die jeweilige Klassenzusammensetzung der einzelnen, von einander getrennten Bewegungen zu, welche ich oben zu skizzieren versucht habe. Das der Unsicherheit der Bourgeoisie entsprechende hin und her in Sachen weitere Schließung oder Öffnung der Warenflüsse, weitere Schließung oder Öffnung der Grenzen, weitere Schließung oder Öffnung der politischen Systeme, weitere Abgrenzungen, weitere Bündnisse, weitere Kriege.... kommt so auch in den Klassenauseinandersetzungen und sozialen Bewegungen zum tragen, welche seit dem „schwarzen Montag“ die Weltbühne betreten haben. In einem mal schwachen, mal ausgeprägten Nationalismus, der die Verhältnisse verdeckt und die Tendenz des Kapitals zum Protektionismus vorantreibt - und damit den Wagen, der gerade gegen die Wand fährt, weiter am laufen hält.
Uns bleibt es überlassen den Kampf gegen den Nationalismus in all seinen Spielarten zu führen: Indem wir unerlässlich die vollzogenen und versäumten Taten unsere Klasse kritisch Kommentieren, indem wir unsere Strukturen erweitern und nutzen um die Kämpfe der Ausgebeuteten international bekannt zu machen und inhaltlich zusammen zu bringen, in dem wir nicht müde werden das was wir denken zu sagen, und das was wir sagen umzusetzen. Das fällt allerdings niemanden leicht, denn „die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.... Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unseren Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung.“ [46] (Marx)
Oder sie, die theoretischen Sätze, sind nichts!
Hundeherzen
Der kluge russische Autor Bulgakow beschrieb in seiner Erzählung von 1925 – „Hundeherzen“ – auf sehr humorvolle Art das Hundeleben und den dazugehörenden Hundecharakter der Proletarisierten. Einen Charakterzug, welcher aus der Tiefe der kapitalistischen Produktionsweise entsprungen ist und daher uns alle mehr oder weniger erfasst hat. Der Biss gegen den Rivalen und der Biss in den eigen Schwanz ist uns bekannt. Doch zuweilen zeigen die Hunde Courage und attackieren sogar ihre Herren. Dann nämlich, wenn diese Angst zeigen. Unser Hundeleben lässt uns, je nach dem welchen Herrn wir untergeordnet wurden, hier satt und dort hungrig zurück. Mal an langer-, mal an kurzer Leine gehalten. Mal im Zwinger mal streunend. Den Verhältnissen gegenüber den Kopf oft in gesenkter Haltung, den Blick folglich nach oben gerichtet. Gebändigt durch jedwede Art von Zuwendung, welche uns abwechselnd abgerichtet oder niedergeschlagen zurücklässt. Hunde werden ihren Herren erst gefährlich, wenn diese nicht mehr in der Lage sind ihnen die „ausgewogene“ Zuwendung zu geben, die es bedarf um die Hörigkeit aufrecht zu erhalten. Wenn die Beschäftigten einer Fabrik darum Kämpfen, dass ihre Ausbeutung fortgeführt wird, und nichts anderes stellen so ziemlich alle Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte um höhere Löhne, Arbeitsplatzerhalt... letztlich da, dann arrangieren sie sich in gewisser Weise mit ihrem Hundeleben und untermauern dies durch forderndes Kläffen. Aber: wenn wir unsere Herren ankläffen, dann können wir zumindest nicht gleichzeitig Beute für sie schlagen! Und: im Gegensatz zu echten Hunden, die durch bloßes konditionieren und der mechanischen Umsetzung von einmal gemachten Erfahrungen lernen, sind wir nicht die Anhängsel eines „gepeinigt zappelnden pavlowschen Muskels“[47] - sondern denkende und fühlende Individuen. Und weil wir geschichtliche und gesellschaftliche Wesen sind, sind wir auch befähigt zu reflektieren und zu kombinieren. Jeder und jede von uns. Wir sind folglich auch verantwortlich für das was wir tun oder nicht tun!
Eines ist klar: Die Proletarisierten müssen und werden kämpfen, ob ihnen das passt oder nicht! Mit Sicherheit gewaltiger als in den letzten 30 Jahren. Und gewalttätiger, je verzweifelter und bewusstloser solche Abwehrkämpfe geführt werden. Die Zustände in den Europäischen Vorstädten, und die allgemeine Furcht davor in solche Zustände abzugleiten, bzw. darin zu verharren, lässt auch hierzulande nichts gutes Ahnen. Die Angst vor Erwerbslosigkeit, also vor Produktionsverbot, wird sich weiter ausdehnen und vertiefen, in dem Maße wie diese weiter um sich greifen wird. Jetzt empören sich die Beschäftigten in den verschiedenen Produktionsstätten der Welt darüber, wenn sie durch Rationalisierungen von der Ausbeutung ausgeschlossen werden sollen. Sie kämpfen um ihr Leben - denn Ausbeutung ist ihr Leben! Gelegentlich kämpfen sie gegen die sich verschlechternden Reproduktionsbedingungen an, die ihnen die Krise als Lohnempfänger aufbürdet. Besitzstandswahrung nennen das die Ignoranten. Aber das Kapital verweigert sich immer mehr der Ware Arbeitskraft gegenüber Zugeständnisse zu machen – sie zu Subventionieren. Diese längst vorhandene Einsicht trägt jetzt, da die Krise weltweit eine hervorragende globale Gleichzeitigkeit an den Tag legt, die Möglichkeit in sich, dass sie von den Proletarisierten in ihren Erfahrungen und Empfindungen, mit einem Wort: in ihrem Bewusstsein verallgemeinert werden kann; zuerst als das große Misstrauen.
Der Vertrauensverlust, den die Politiker aller Länder schon jetzt ständig beklagen, und dem gerade in den letzten Monaten alle Regierungen der Welt emsig und einig entgegentreten, wird weiter unaufhaltsam um sich greifen. Zunehmend wird dies begleitet werden durch den Verlust der Illusionen in die Ausbeuterklasse, welche nicht mehr in der Lage ist, die Ausbeutung in dem Maße aufrecht zu erhalten, wie es von den Ausgebeuteten noch erwartet wird. Die Grenzen des sog. trade-unionistischen Bewusstseins sind also schon jetzt ausgemacht, weil die Grenzen der Gewerkschaften bereits offen vor uns ausgebreitet sind. Als bloße Agenturen für die Vermarktung der Ware Arbeitskraft zu möglichst günstigen Bedingungen, mit allen nationalistischen Begleiterscheinungen (Standortverteidigung...) haben sie bereits verloren, wenn es ans eingemachte gehen soll – wenn sich die Abwehrkämpfe politisieren. Die Ausbeuter sind dann nicht mehr in der Lage die Ausbeutung angemessen aufrecht zu erhalten, wenn es zum Stillstand des begehrten Wirtschaftswachstums, der Akkumulation kommt.
Dies alles hat nichts mit irgendwelchen Verelendungstheorien gemein. Das Klassenbewusstsein des Proletariats entspring nicht dem Mangel. Daher bleibt jede Kritik des Mangels so mangelhaft, wie die Kritik des Überflusses überflüssig bleibt. Das Selbstbewusstsein des Proletariats ersteht in der Auseinandersetzung - durch Selbsttätigkeit und Selbstrefflektion. Und das ist irgendwie immer möglich. Dies zeigt sich schon in kleinen Aktionen der Proletarisierten, dann wenn sie sich z.B. über Grenzen hinweg vereinen. So wie kürzlich geschehen, als 1500 französische Conti-Arbeiter anreisten, um sich der Demonstration ihrer deutschen Kollegen anzuschließen. Es zeigt sich auch in Stellungnahmen wie den „8 Thesen zur Lage des Systems“ die kürzlich von der ver.di - Jugend herausgegeben wurde,[48] die ich hier im Wortlaut wiedergeben möchte:
1. Die Krise ist eine Systemkrise. Namen hat sie viele: Suprime-Krise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Weltwirtschaftskrise. Und keiner stellt in Frage, dass die Lage ernst ist. Aber niemand präsentiert eine Lösung. Weil sich niemand traut die Krise zuende zu denken, und die Ahnung laut auszusprechen: Dass ein System am Ende ist. Ein System namens Kapitalismus.
2. Jede Gesellschaftsform hat ihre Zeit. Der Kapitalismus war ein großer Historischer Fortschritt. Er hat uns eine neue Zeit gebracht mit der Idee von Freiheit und einem besseren Leben. Doch das ist hundertfünfzig Jahre her. Damals machten der Privatbesitz an den Produktionsmitteln und die Lohnarbeit Sinn: Weil es offenere Konzepte waren als das Prinzip von Grundbesitz und Leibeigenschaft. Weil sie Entwicklungsmöglichkeiten schufen.
3. Der Kapitalismus funktioniert nicht mehr. Ein Wirtschaftssystem muss sich daran messen lassen, wie gut es funktioniert. Wie es gesellschaftliche Ressourcen nu nutzen und die Entfaltung der Menschen zu fördern versteht. Doch was kann der Kapitalismus heute? Es ist eine Schande wie er mit unseren Ressourcen umgeht: Die Natur wird rücksichtslos ausgebeutet. Echte Bildung findet kaum mehr statt. Kreative Arbeitskraft liegt massenhaft brach. Unsere Intelligenz wird nicht genutzt. Gute Ideen verkümmern. Der Markt hat ausverkauft.
4. Er war von Anfang an nicht gut durchdacht. Zu gewaltig ist der innere Widerspruch des Kapitalismus: Zwischen der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit, und der privaten Aneignung ihrer Ergebnisse. Zu flach das streben nach Profit als Triebkraft der menschlichen Entwicklung. Absurd die Konkurrenz zwischen den Mensachen. Zwischen den Klassen. Zwischen den Staaten. Zwischen Nord und Süd. Zwischen Asien, Europa und Amerika. All das wird immer abstruser.
5. Wer Schuldige sucht ist auf dem Holzweg. Schon vor Hundert Jahren kostete der erste Weltkrieg Millionen das Leben und vernichtete immensen gesellschaftlichen Reichtum. Weil „der Franzos’“ schuld war an der miserablen Lage. Dann waren „die Kommunisten“ schuld. Dann mussten „die Juden“ dran glauben. Heute sind „die Ausländer“ schuld. Die „Heuschrecken“... Oder Amerika. Es sind immer die selben einfachen Feindbilder. So geht Volksverdummung. So funktioniert Ablenkung, Propaganda, Ideologie. Und Faschismus. Der Fehler liegt im System.
6. Die Rettungsaktionen der Politik sind hilflose Angstreaktionen. Die Maßnamen der Politik sind hilf-, und hoffnungslos. Dahinter steht keine neue, vorwärtsweisende Idee. Es sind alte Konzepte für ein altes System. Die Milliarden mit denen der Staat und die Politik die Banken stützen, gehören der Bevölkerung. Sie wurde nicht gefragt. Man hätte das Geld in Bildung und Ausbildung stecken können, oder ins Gesundheitssystem z.B. Aber die Politik hat Angst vor dem Neuen.
7. Die junge Generation hat keine Aktien im System. Gerade die junge Generation hat am wenigsten Grund das System zu retten. Denn sie hat schon lange nichts mehr zu verlieren. Die soziale Schere klafft weit auf - vor allem zwischen den Generationen. Die Jungen besitzen fast nichts. Kein Geld, Keine Güter, keine Perspektiven. Praktika, Leiharbeit und unsichere Jobs sind die Regel. Wenn überhaupt. Die Jugend wird im großem Stil um ihre Zukunft betrogen. Ein Symptom des Untergangs.
8. Die Zeit für eine andere Gesellschaft ist reif. Die Geschichte ist nicht Vergangenheit, sondern ein Prozess. Der läuft auch Heute noch weiter – und keine Regierung der Welt kann das auf Dauer verhindern. Nicht mit tausend „Schutzschirmen“, nicht mit Zwang und nicht mit Terror. Das alte geht, das neue kommt: Und die Menschen haben immer wieder aktiv bewiesen, dass auch geschichtliche Epochen und überkommende Ordnungen gehen müssen. Um etwas neuem Platz zu machen. Etwas anderem. Etwas, das besser funktioniert. Die Jugend arbeitet daran. Wir werden uns die nächste Gesellschaft selbst Organisieren. Denn die Zeit ist Reif.
Aus meiner Erfahrung mit der „Lehrlingsbewegung“ der 1970er Jahre - deren Beschreibung meinerseits ich den jungen Verfassern dieser Thesen gerne ans Herz legen möchte[49] - schöpfe ich die Hoffnung, dass so ein Manifest das Ergebnis einer Debatte ist, die den allgemeinen Politisierungsprozess der proletarisierten Jugend einleitet. Auch wenn ich nicht durchweg mit allen Formulierungen einverstanden bin, so weiß ich doch um die Bedeutung dieser Flugschrift innerhalb der Auseinandersetzungen im, und gegen den DGB. In diesem Sinne, jedoch nicht im Sinne der deutschen Gewerkschaften, möchte ich den jungen Rebellen zurufen: Weiter so. Äußert euch. Macht eure Meinung offen und angreifbar. Tauscht euch ständig aus. Bewegt eure Herzen und Hirne. Lernt von den Niederlagen der Alten. Greift die Errungenschaften auf. Lasst die Dogmen hinter euch. Geht voran!
ANMERKUNGEN
[1] MEW, Band 23, "Das Kapital", Bd. I, S. 621
[2] So drückten es die GenossInnen der IKS in einem ihrer Artikel zur Krise treffend aus. Vgl. www.internationalism.org
[3] Siehe: Wolfram Weimer in Cicero: „Die nächste Kreditkrise sind die Staatsschulden“ www.cicero.de
[4] MEW 7, S. 253 „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund der Kommunisten“
[5] MEW 26.2, S. 511 „Theorien über den Mehrwert II“
[6] Siehe dazu die Auseinandersetzungen zwischen Luxemburg, Lenin, Großmann, Pannekoek u.a.
[7] Somit sind die sog. nationalen Befreiungskämpfe genauso in dieses Kapitalverhältnis einzuordnen wie die imperialen Begierden aus den Zentren des Kapitals. Alle versuchen sich gleichermaßen auf dem völlig übersättigten Weltmarkt zu behaupten – allerdings zu völlig ungleichen (historischen) Bedingungen. Die nationalen Befreiungsbewegungen waren und sind bloß (meist untauglich gebliebene) Instrumente zur Durchsetzung von (mehr) Bewegungsfreiheit für das nationale Kapital.
[8] Aus diesem Grunde reicht es heute nicht mehr aus die notwendigen zyklischen Krisen und damit die „Lehre vom tendenziellen Fall der Profitrate“ zur alleinigen Grundlage für die Erlangung eines Krisenverständnisses heranzuziehen.
[9] K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 466.
[10] Axel Berger, „Die Finanzkrise und Chinas Rolle in der Weltwirtschaft“, Jungle World Nr. 42, 16. Oktober 2008
[11] K. H. Roth, „Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven“, Buchfragment, siehe www.wildcat.de
[12] Also die Umwälzungen in der Arbeitswelt durch die Revolutionierung der Kommunikationstechnik, die zugleich, in mehrfacher Hinsicht, die Globalität der Verhältnisse hervorhoben, und ohne die die sog. Globalisierungskritische Bewegung überhaupt nicht hätte entstehen können.
[13] Siehe hiezu: Fischer Weltalmanach 2009
[14] K. Marx, Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 7, 105.
[15] Alexander Trocchi in „Technik des Weltcoups“, Texte der Situationistischen Internationale, Heft 2, S. 47
[16] In den Regionen, in denen sich die Revolution am weitesten vorgewagte, traf sie die Konterrevolution am härtesten. Ungarn (1919) Italien (1922), Russland (1924), China (1927), Deutschland (1933), Spanien (1937). Die jeweiligen Diktaturen, die sich auf den Ruinen der Bewegung der Arbeiter aufrichten konnten, können nicht als die „Mörder“ der Revolution betrachtet werden, sondern nur als ihr Totengräber. Nachdem die Klasse zerstreut und atomisiert war, waren ihre vereinzelten Individuen nur allzu bereit sich den neuen Führern erwartungsvoll unter zu ordnen. Dazu schrieb 1936 die Exilzeitung Räte-Korrespondenz: „Der indirekten Unterordnung der Arbeiter unter die Interessen des Kapitals durch den Reformismus folgte die direkte Unterordnung durch den Faschismus. So kann man... ohne Zweifel sagen, dass die bisherige organisierte Arbeiterbewegung geschichtlich ihr Ende gefunden hat.
[17] Je mehr allerdings die Proletarisierung der Welt voranschreitet, desto besser die Gründe für die Communisierung.
[18] Hierzu schrieb 1935 die Exilzeitung Räte-Korrespondenz: „Der indirekten Unterordnung der Arbeiter unter die Interessen des Kapitals durch den Reformismus folgte die direkte Unterordnung durch den Faschismus. So kann man... ohne Zweifel sagen, dass die bisherige organisierte Arbeiterbewegung geschichtlich ihr Ende gefunden hat.
[20] Bevor sie am Ende doch, auf Anweisung der Kapitaleigner, zwecks Krisenausgleich, demontiert, bzw. zurechtgestutzt wurden.
[21]Insbesondere die allgemeine Einführung der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) und der Aufbau neuer Energieversorgungsstrukturen – die „friedliche“ Anwendung der Atomkraft.
[22] V. Riga: „Ich will nicht werden was mein Alter ist“, über die Lehrlingsbewegung der 60er/70er Jahre. In : „aufheben“ Nr. 2, 2007
[23] ebenda
[24] G. Dauvè / F. Martin „Niedergang und Wiederkehr der kommunistischen Bewegung“, in: Wildcat-Zirkular Nr. 52/53, 1999, S. 7
[25] Vgl.: „We must try“ Interview mit Antoni Negri, in “taz”, 9/10 Mai 2009, Seite 23
[26] Einleitende Worte in: Robert Kurz aufschlussreichen Buch: „Der Kollaps der Modernisierung – Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie“ Frankfurt a. M., 1991
[27] Siehe.: V. Riga, „Die Lebendige Blume brechen“ in: „aufheben“ Nr. 1, 2006
[28] Denn jede Verweigerung der Arbeit ist ein Eingriff in die Grundlage des Wachstums, dessen Grundlage eben diese Arbeit ist.
[29] Sowohl politische, als auch ökonomische Krisen. Besonders wenn beides zusammenfällt.
[30] Siehe hierzu auch „Die Klassenkämpfe in Frankreich“, MEW Band 7, S.9ff., sowie „Der 18te Brumaire des Luois Bonaparte“, MEW Band 8, S. 111ff. „...unter dem zweiten Bonaparte scheint sich der Staat völlig verselbständigt zu haben. Die Staatsmaschine hat sich der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber befestigt“ (MEW 8, 197)... Die Bourgeoisie nutzte in Frankreich die politische Krise 1848ff dazu, den Staat von feudalistischen, kleinbürgerlichen und demokratischen Resten zu reinigen, so dass ein purer Schwindler- und Börsenjobber-Staat übrig blieb. Marx hält diesen Staat für eine gute Voraussetzung für die von ihm in naher Zukunft erwartete, aus einer „Handels- und Industriekrise“ resultierende Revolution. In Frankreich sei ein Prozess „der Verwandlung der gesamten Staatsmaschinerie in ein einziges riesenhaftes Schwindler- und Börsenjobber-Unternehmen“ zu beobachten gewesen (MEW 9, 102).
[31] Siehe auch Trotzki „Portrait des Nationalsozialismus“ , »Die neue Weltbühne«, II.28 (1933), S. 856ff. Hier wird die Umgruppierung der Klassen und das erstarken des Staates als Folge der Krise 1929 recht anschaulich beschrieben.
[32] Die Bourgeoisie war im Zarenreich ohnehin nicht besonders Stark.
[33] Weitere politisch-ökonomische Konzepte, der sog New-Deal in den USA, oder die der Volksfrontregierungen in Südeuropa... teilen ebenfalls die o.g. wesentlichen Merkmale der Krisenbewältigungsstrategie.
[34] Siehe z. B. die laufenden Proteste der Landwirte und die Forderungen mittelständischer Unternehmen in der EU. Oder die nicht enden wollende Debatte um die Frage des geistigen Eigentums in Bezug auf technologische Errungenschaften
[35] Sowie mehrfach ab 1923 bis 1933, wie auch Ende der 1960er Jahre…
[36] Trotzki „Portrait des Nationalsozialismus“
[37] Vgl. „Leipziger Volkszeitung“ vom 13.10.2008
[38] Angesichts der zu erwartenden Mai-Krawalle in Berlin sendete die Hamburger Polizei z.B. 800 Bereitschaftspolizisten zur Unterstützung nach Berlin, um dann in Hamburg selber, angesichts nicht erwarteter massiver Krawalle, vor einem Dilemma zu stehen, welches 2 Tage und 2 Nächte anhielt. Ähnlich in Frankfurt, wo die nach Berlin abgezogenen Kräfte fehlten für den Schutz der Nazidemonstration. Diese wurde dann mit genau dieser Begründung verboten.
[39] Diese Metapher wird in Russland gerne verwendet, wenn man zum Ausdruck bringen will, dass einen die eigenen Kinder auf der Nase rumtanzen. Auf globaler Ebene zeigt sich diese Kreisbewegung übrigens auch im Verhältnis Imperialismus und Terrorismus. Allerdings ist hier bereits jede Art von Humor unangebracht.
[40] „Die Linke“ wird sich vorerst noch weiter ausdehnen können. Und doch wird ihr Einfluss auf viele Suchende in dem Maße begrenzt sein, indem sie sich mit ihren Konzepten regional verankern, und ihr Ansehen bei der Bourgeoisie steigern können. Sie werden sich den Klassenkämpfen als Hemmnis entgegenstellen – aber zugleich werden sie zum Durchlauferhitzer für viele künftige Revolutionäre werden. Das wird ihnen noch so manche turbulente Parteitage und Säuberungen bescheren. Das gilt genauso für die Gewerkschaften. An ihrer politisierten Basis macht sich vielerorts bereits ein „syndikalistischer“ Geist breit. Auch hier wird es zu Trennungen in Form von Brüchen und Säuberungen kommen (müssen), in deren Verlauf sich, zu unser aller Amüsement, noch der ein oder andere Korruptionsskandal zeigen wird.
[41] Vgl. FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft: „28 Thesen…” in: kosmoprolet Nr.1, 2007
[42] Sofern man darunter versteht, dass die Verhältnisse und das Verhalten der Lohnabhängigen zueinander und gegenüber den vorgefundenen Bedingungen untersucht werden. Und, dass diese Untersuchungen den autonomen Interessen der Klasse unterworfen sind.
[43] Siehe das Editorial von wildcat, Nr. 82
[44] Bereits zu den Jahresfeiern des Aufstandes von 1956, im Jahre 2006, zeigte sich, neben einen Aufschwung linker, vor allem syndikalistischer Kräfte in Ungarn die nationalistisch / faschistische Bewegung der „Pfeilkreuzer“ das erste mal massiv auf der Strasse. Diese haben mittlerweile eine gewisse Hoheit über die Strasse gewonnen, und die Linken zurückgedrängt. Durch massiven Terror gegen alle Gegner, bis hin zu Hinrichtungen von angehörigen der Roma – Minderheit halten sie diese Hoheit bis dato aufrecht. Die Massenbasis der Pfeilkreuzer bildet die Landbevölkerung, welche durch den Kriseneinbruch in die Subsästenzwirtschaft zurückgedrängt wurde, und hier die Roma als Konkurrenz wahrnimmt, oder aber in die Städte vertrieben wurde, und sich hier der völligen Perspektivlosigkeit hinzugeben. Ergänzt wird die Bewegung durch pauperisierte Jugendliche und durch kleine Geschäftsleute, welche ohne die verweigerten Kredite nicht mehr in der Lage sind ihre Existenz zu sichern.
[45] Es ist unmöglich alles was seit dem „schwarzen Montag“ an Auseinandersetzungen weiter aufzuzählen.
[46]K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4
[47] Christian Geissler, Dissonanzen der Klärung, Kiel 1990
[48] Zu lesen unter http://www.trend.infopartisan.net/trd0409/t470409.html
Editorische Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor.