Leserbrief zu Pirkers Iran-Artikel "Revolutionäre Krise"

von Gerhard Hanloser

06/09

trend
onlinezeitung

Einige Reaktionen aus der "Linken" zu den Ereignissen im Iran sind unerträglich. Eine der unerträglichen Reaktionen wurde auf trend-online gespiegelt - es ist ein Kommentar von Werner Pirker, Hauptkommentator der stalinistischen und mit allen antiamerikanischen Kräften liebäugelnden Jungen Welt. Der fleißige Kommentator spricht sich nicht offen-dumm-brutal-(schwäbisch) wie Jürgen Elsässer für das Niederschlagen und Niederknüppeln der Leute auf der Straße aus, sondern eher versteckt-larmoyant-(wienerisch). Er sieht in der Mullah-Führung um Achmadinedschad legitime Erben einer sozialen Revolution und Emanzipationsbewegung, die sich 1979 im Iran ereignet habe. Die Bewegung jetzt dahingegen habe sich "die soziale Deemanzipation auf ihre Fahnen geschrieben". Da bleibt einem die Spucke weg. Die Mullah-Diktatur, ein "halbarchaischer Faschismus" (Maxime Rodinson) verkörpert also für diesen antiimperialistischen "Linken" die Emanzipation. Die Begeisterung vieler Linker hierzulande, aber auch anderswo auf der Welt im Jahre 1979 für die neue Art von Revolution im Iran ist auf Täuschung und Projektionen zurückzuführen, wie ich unten darstelle. Wer heutzutage der Entwicklung von 1979 bis zur aktuellen Mullah-Herrschaft etwas Positives abgewinnen will und meint, sich für den Anti-Amerikanismus und die Mullah-Herrschaft, die Herren des antisemitischen Spektakels und die Schlächter der Jugendrevolte 2009 im Iran aussprechen zu müssen, erliegt nicht nur Täuschungen und Projektionen, sondern ist zum üblen Propagandisten der Barbarei verkommen.

Zur Erinnerung ein älterer Junge- Welt(!)-Artikel, der feuilletonistisch - denn diese Seiten waren schon immer der einzige Platz in der Jungen Welt für dissidente und kritische Stimmen - ein Schlaglicht auf das Verhältnis Linke - Iran wirft.

Benjamins Tigersprung: Geschichte des Linksradikalismus – kurzer Lehrgang (19). Die iranische Revolution als großes Missverständnis, in junge Welt vom 19.3.2005

»Sehen Sie, die meisten Perser sind nicht nach Süßigkeiten ausgehungert, sondern nach einem Stück Brot«, schrieb Ulrike Meinhof in ihrem offenen Brief an die Ehefrau des Schah, Farah Diba, die ihr prächtiges, lediglich von Heißhunger auf Schokolade unterbrochenes Leben als Kaiserin in der Neuen Revue den deutschen Leserinnen unterbreitet hatte. Neben Vietnam war es vor allem der Iran, der die Linke der 60er Jahre in ihrem Antiimperialismus und Internationalismus beflügelte. Der in West-Berlin lebende linke Iraner Bahman Nirumand hatte mit seinem Buch »Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der Freien Welt« 1967 das Standardwerk geliefert. Der erste Tote der bundesrepublikanischen Neuen Linken war Benno Ohnesorg, der bei den Anti-Schah-Protesten am 2. Juni 1967 in Berlin erschossen wurde. Der Schah war wohlbegründet die Haßfigur Nummer 1 der 68er-Bewegungen, die etliche Antifolterkomitees gründeten und die blutigen Machenschaften des persischen Geheimdienstes SAVAK ans Licht brachten.

Als im Iran 1978/79 die Massendemonstrationen, die Streiks und die Unruhen zunahmen, waren viele Neue Linke über das Ende der Pax Americana im Iran begeistert. Doch welche Art von Revolution ereignete sich dort? Die radikale Linke wollte es oftmals gar nicht genau wissen und erging sich in allerhand Projektionen. Die autonome Sponti-Zeitschrift Autonomie, die der »Fabrikgesellschaft« zu Leibe rücken wollte, erkannte einen »Massenaufstand gegen den positivistisch-neokolonialistischen Fortschrittsmythos des Westens« und liebäugelte mit dem bäuerlichen »Schiiten-Sozialismus« der Khomeinisten. Der Mythos Khomeini wurde weniger materialistisch untersucht, denn als notwendiger revolutionärer Mythos gefeiert und mit Thomas Müntzer verglichen. Übersehen wurde dabei einiges: Khomeini hat den Schah nie für die kapitalistische Modernisierungspolitik kritisiert, dafür das weitverbreitete anti-westliche Ressentiment bedient und das Privateigentum als gottgegeben erklärt. Er selbst kam aus dem Großgrundbesitzer-Milieu, hatte allerdings keine westliche Bildung genossen und verkörperte den schiitischen Kult in Reinform.  

Die späten Siebziger waren die Zeit des Anti-Marxismus. Nicht nur in Deutschland wollten sich etliche Spontis vom Marxismus lösen, auch in Frankreich verkündete der linksradikale Nietzscheaner Michel Foucault eine generelle Kritik der Moderne, in der beispielsweise archaische Strafmethoden von modernem Strafvollzug nicht mehr wirklich zu unterscheiden sein sollten. Foucault ging im September 1978 das erste Mal in den Iran und berichtete von dort für die italienische Tageszeitung Corriere de la sera. Eine Klassenanalyse der Anti-Schah-Bewegung findet sich in keinem seiner Artikel, statt dessen eine Menge antimoderner Reflexe, Irrationalismus und die Begeisterung für die religiöse Seite des Aufstands. Dagegen muß man einigen orthodoxen ML-Gruppen zugute halten, daß ihr Marxismus und ihr meist hölzerner Versuch, in Klassenkategorien zu denken, ausreichte, die Khomeini-Mullahs als kleinbürgerlich-terroristisch abzulehnen.

Der genauer argumentierende Marxist und Islam-Experte Maxime Rodinson legte sich in der Le Monde mit Foucault an. Was dem Iran blühe, sei keine Emanzipation, schrieb er, sondern ein »halbarchaischer Faschismus«. Auch der Rätekommunist Serge Bricianer kam zu dem Ergebnis, daß sich im Iran eine reaktionäre Massenbewegung um eine charismatische Führerfigur gruppiert habe. Seine Klassenanalyse der Bewegung stellte die besondere Rolle der Lumpenproletarier und des religiösen Händler-Milieus unter den Protestierenden heraus. Sein Augenmerk und seine Sympathie galt dagegen einer durch und durch weltlichen Bewegung: den Klassenkämpfen und neuen Organisationsformen der Arbeiter, vor allem der Ölarbeiter, ohne die der Schah niemals hätte gestürzt werden können.  

Im Gegensatz zu den von Mullah-Agitatoren angeführten Straßendemonstrationen der Marginalisierten aus den Vorstädten konnten die Arbeiter mit den Mullahs herzlich wenig anfangen. Ihnen war es aber zu verdanken, daß in einem der längsten Generalstreiks der neueren Geschichte die alte Herrschaft abdanken mußte. Sie bildeten Räte heraus, die sich bis 1981 halten konnten. Moderner Humanismus war so auch beim alten Existentialisten Sartre (der zur finanziellen Unterstützung des Aufbaus gewerkschaftlicher Organisationen aufrief) besser aufgehoben als bei den Volkskrieg verkündenden Irrationalisten. In einigen linksradikalen Zeitschriften wollte man sich lieber an Interview-Partnern berauschen, die folgendes verkündeten: »Ich halte nichts vom Kommunismus und Maoismus, denn es sind revolutionäre Bewegungen, die damit enden, daß die Massen in materieller Hinsicht besser leben. Aber diese Ideologie besitzt nur scheinbar eine spirituelle, geistige Seite.«  

Die religiöse Mullah-Herrschaft, die sich auch auf die analphabetischen Bauern stützte, erstickte die säkularen sozialrevolutionären Bestrebungen ebenso wie die ultralinke Opposition der Mudschaheddin und Fedayin, die schon seit Anfang der 70er Jahre den bewaffneten Kampf gegen den Schah führten. Sie ersetzten die Räte, in denen viele laizistische Linke aktiv waren, durch islamische Räte. Eines ihrer herausragenden Terrorinstrumente waren die Stadtteilkomitees, die von vornherein islamistisch dominiert waren und über ihre Wohngebiete ein Netzwerk von Terror und Bespitzelung verhängten. Sie rekrutierten sich aus städtischen Unterschichten, die sich auf Ehre und Jenseitigkeit verpflichtet hatten. In einem in Teheran verteilten Flugblatt gaben sie bekannt: »Die Hisbollahi sind einfach und ehrlich, sie besitzen nichts außer einem tausendjährigen Schmerz; deshalb sind sie voller Wut und wie einreißender Strom. Hütet euch vor dieser Wut, denn Hezbollah wird alles zerstören, was sich in den Weg ihres Führers stellt. Hisbollahi benutzen kein Kölnisch Wasser, tragen keine Krawatte und rauchen keine amerikanischen Zigaretten. Sie kennen nicht die Bedeutung von Proletariat und Bourgeoisie. Sie kennen eure angemalten Frauen sehr genau.«  

Und genau gegen die Frauen – ob „angemalt“ oder nicht – kanalisierte sich auch diese Bewegung der religiös Fanatisierten. Viele Frauen standen in den ersten Reihen im Kampf gegen den Schah. Im Sinne von Frantz Fanon benutzten sie den Schleier zuweilen als subversive Geste und Machtdemonstration gegen die verwestlichte Kompradorenschicht des alten Persien. Mit der staatlichen Durchsetzung des Schleierzwangs sollte der islamische Thermidor beginnen. Noch am 8. März 1979 demonstrierten Zehntausende Frauen, teils verschleiert, größtenteils jedoch ohne Schador unter der Parole »Wir haben wie die Männer gekämpft und wollen nicht hundert Jahre zurückfallen«. »Kopftuch oder Schläge« wurde ihnen von islamistischen Jungmännerbanden entgegengehalten. Die Demonstrationen der Frauen mußten von bewaffneten Männern aus den Reihen der Volksmudschaheddin und Fedajin geschützt werden.

In der westlichen linken Frauenbewegung entbrannte über das Verhältnis von schiitischer Revolution und allgemeiner Emanzipation ein heftiger Streit, der oftmals im beliebten metropolitanen Kulturrelativismus mündete. Universalismus war Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre mega-out. Foucault ruderte zurück, nachdem er die Schreckensnachrichten aus dem Iran hörte. Er orakelte dunkel: »Meine theoretische Moral ist antistrategisch. Sie respektiert das Besondere, das die Erhebung darstellt, und bleibt unnachgiebig, wenn die Macht das Universelle behindert.« Klare Worte über seine Täuschung wollte er nicht verlieren, seine ganze Theorie hätte gewankt.

Für den Postmarxisten Alain Badiou geht emanzipatorische Politik immer einher mit einem »Spung ins Unberechenbare«, der aber auch mit der Möglichkeit des Scheiterns verbunden ist. Aufgrund der Unabgeschlossenheit revolutionärer Ereignisse können sie von restaurativen Kräften aufgegriffen werden, um eine weit repressivere neue Ordnung zu errichten. Dem kann man nicht prinzipiell vorbeugen, aber man sollte es erkennen können. Im Iran 1979 gab es nicht den einen Volkswiderstand – die Blindheit und Ungenauigkeit, die Projektionen und der oft mehr kulturkonservativ als sozial ausgerichtete Antiimperialismus hat die metropolitane Linke eine blutige Konterrevolution mit der revolutionären Bewegung verwechseln lassen.