Kommentare zum Zeitgeschehen

Eine zwiespältige Angelegenheit
Kurzkommentar zum Beitrag von Hans-Joachim Gruda

von Karl-Heinz Schubert

06/2020

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Die Samen, die in Nordskandinavien ein Ureinwohnervolk sind, haben, seitdem es die dortigen Nationalstaaten gibt (Norwegen, Schweden, Finnland, Russland), auch deren Staatsbürgerschaft. Um ihre gemeinsamen indigenen Interessen, die eben nicht an den Staatsgrenzen halt machen, zur Geltung zu bringen, formierten sie sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert politisch als Sápmi mit einem länderübergreifenden Parlament als gemeinsamer "Zentrale" und einem politischen Programm, mit dem sie zum Ausdruck bringen, dass sie ihre Territorien, Naturreichtümer und ihr nationales Erbe für kommende Generationen bewahren wollen.

Hans-Joachim Gruda spricht in seinem informativen Beitrag zur aktuellen Lage in Sápmi von einer Machtverschiebung zugunsten der Samen durch das Urteil des höchsten schwedischen Gerichts vom Januar 2020. Er erwartet in Zukunft durch dieses Grundsatzurteil, das allerdings unmittelbar nur für "Ren züchtende Samen des Girjas Sameby" gilt, weitere Rechtsverschiebungen zugunsten der Samen beim Bergbau, bei Wasser- und Windkraft oder bei der Forstwirtschaft in ihrer Region.

Wenn ich das Urteil richtig verstanden habe, legt es fest, dass der Eigentümer des von Samen genutzten Landes - die schwedische Krone - die alleinigen Fischerei- und Jagdrechte den dort lebenden Samen aus gewohnheitsrechtlichen Gründen zu übertragen hat, was entsprechende neue Rechtsakte zur Folge haben wird.

Eine solche Rechtskonstruktion ist nicht nur mit den kapitalistischen Verwertungsbedingungen an sich kompatibel, wie wir es vom Erbbaurecht her in unseren Breitengraden kennen, sondern es hat aus der Sicht des schwedischen Staates als "ideeller Gesamtkapitalist" mehrere Vorteile. Zunächst einmal nährt es ganz allgemein den Glauben, dass "es doch eine Gerechtigkeit gibt". Desweiteren reguliert es die äußeren Wirtschaftbeziehungen des Nutzer*innenkollektivs und zwingt damit diese - um den Preis des Funktionierens - ihre inneren Beziehungen neu aufzustellen. Schließlich entstehen in diesem Beziehungsgeflecht Widersprüche für deren Regulierung der Staat als "unparteiische" Instanz wieder "Recht" sprechen wird.

Dieser Transformationsprozess hat in gewisser Weise auch tragische Aspekte. Das  ganzheitliche Gesellschaftsbild der Samen (Mensch und Tier als harmonische Einheit gedacht)  wird durch die neuen Produktionsbedingungen, die eben nicht mehr die aus ihrer Frühgeschichte sind, untergraben, weil die kapitalistische Beregelung der neuen Nutzungsrechte die Samen dazu zwingen wird, die Innenverhältnisse ihres Kollektivs zu kommodifizieren.

Allerdings könnten die Samen die kommenden Bedingungen auch als eine Herausforderung begreifen, darin ihre an sich urkommunistischen sozialen Wurzeln im Sinne einer konkreten Utopie zu verankern. So entstünde dann vielleicht ein gemeinwirtschaftliches Konzept, das in anderen Bereichen der Wirtschaft als Impulsgeber für Reformen mit Kapitalismus transzendierender Stoßrichtung wirken könnte.

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