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Zur geschichtlichen Entwicklung der Menschenrechte

von Reinhard Kühnl
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I

„Frei und gleich an Rechten werden die Menschen geboren und bleiben es". Mit dieser „feierlichen Erklärung" der „natürlichen, unveräußerlichen und geheiligten Menschenrechte" der französischen Nationalversammlung von 1789 war allen Normen der Kampf angesagt, die mehr als ein Jahrtausend lang als selbstverständlich gegolten hatten im christlichen Abendland: daß in dieser Welt, in der die von Gott berufenen Herren – die klerikalen wie die weltlichen – ziemlich weitgehend über ihre Untertanen verfügen konnten, die Ungleichheit der Rechte gottgewollt und unabänderlich, daß die Hierarchie von oben und unten unantastbar sei. Und in der Tat: Noch in der Zeit, in der in der Französischen Revolution um die konkreten Gestalt der Menschenrechte gerungen wurde, brannten nebenan in Spanien die Scheiterhaufen der heiligen Inquisition. Ich will jetzt nicht diskutieren, ob die Idee der allgemeinen Menschenrechte erst jetzt erschaffen worden ist oder ob sie seit der Antike geschlummert hatte und jetzt von den Philosophen wachgeküßt wurde. Für unsere Fragestellung entscheidend ist: Die Erklärung der Menschenrechte durch die Französische Revolution bedeutete eine geistige Umwälzung mit weltweiten Wirkungen bis zum heutigen Tag. Für alle Menschen sollten diese Rechte gelten, universal, also – der inneren Logik nach – unabhängig von sozialer Herkunft, Rasse und Geschlecht.

 II

Damit waren gewaltige Aufgaben formuliert, die eine tiefgreifende Umgestaltung von Staat und Gesellschaft verlangten und ebenso die Beziehungen zwischen den Völkern ganz neu bestimmten. Damit waren aber auch die Gegenkräfte auf den Plan gerufen, die ihre Privilegien bedroht sahen. Die zentralen politischen Konfliktlinien der letzten 200 Jahre waren damit definiert: Die Gleichheit der Rechte – das war und ist die Maxime der großen Emanzipationsbewegungen: der antikolonialen Bewegung, der US-Bürgerechtsbewegung, der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung. Die Gleichheit der Rechte, die Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt – dies kann als die allgemeinste Grundlage aller Bestrebungen angesehen werden, die sich als politisch links verstanden.

Die Gegenkräfte haben dieses Prinzip der Gleichheit der Rechte entschieden zurückgewiesen und bekämpft. Die politische Rechte in ihrer konsequenten Fassung bestand und besteht auf dem Prinzip der Ungleichheit in einem ganz umfassenden Sinn: Ungleichheit zwischen den Menschen, zwischen den sozialen Klassen, zwischen den Völkern, zwischen den Rassen, zwischen den Geschlechtern. Gottgewollt und also unabänderlich sei diese Ungleichheit – so die ältere Variante der Begründung. Naturgewollt sei sie – so die neueren Varianten mit Berufung auf die modernen Wissenschaften, auf Biologie und Medizin, auf Anthropologie und Genetik. Das Ergebnis ist dasselbe: ob gottgewollt oder naturgewollt – die Ungleichheit ist jedenfalls unabänderlich. Und Ungleichheit bedeutet immer auch Ungleichwertigkeit, verlangt also Hierarchisierung in der Beziehung zwischen den sozialen Klassen, Völkern und Geschlechtern.

Der Weg, der mit der Französischen Revolution und der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte eingeschlagen wurde. ist aus dieser Sicht also grundsätzlich falsch. Folgerichtig galt deshalb vom alten Konservatismus bis zum modernen Faschismus als die zentralen Aufgabe: Auslöschung der Französischen Revolution aus der Geschichte, Auslöschung der Ideen der Aufklärung von der Universalität der Menschenrechte.

III

Diese Konfrontation zwischen Links und Rechts prägte die politischen Konflikte der letzten 200 Jahre in ihrer Grundstruktur. Das gilt auch noch für die modernisierten Formen der Rechten wie die These vom Ethnopluralismus und den Kulturalismus. Ohne Zweifel liegt hier ein großes Problem: Wie kann der Widerspruch zwischen der Vielfalt kultureller Traditionen und ihrem Recht auf Eigentümlichkeit einerseits und dem universellen Anspruch der Menschenrechte gelöst werden? Sicher nicht durch Oktroi, sondern nur durch Lernprozesse. Das Ziel muß freilich klar sein: in allen Kulturen sind alle Menschen – auch die Frauen, auch die Angehörigen unterer Kasten – als Subjekte mit gleichen Rechten anzuerkennen. Dieses Prinzip der Gleichheit der Rechte ist zwar nicht aktuell universal, aber es ist universalisierbar, das Prinzip der Ungleichheit der Rechte ist es nicht.

Im Kulturalismus der Neuen Rechten hingegen wird die harmlos klingende Formel von der „Vielfalt der Kulturen" so verstanden, daß Kulturen nicht als veränderlich, als Resultate von Lernprozessen, sondern als unabänderliche Wesenheiten gedacht werden, die die Menschen in ihrem Denken und Handeln absolut determinieren, gleichsam als Kerker fungieren, in die die einzelnen Menschen eingesperrt sind. Der Begriff der Kultur ist hier also dem früher dominierenden, aber verdächtig gewordenen Begriff der Rasse funktional äquivalent.

In Deutschland, wo alle Revolutionsversuche bis 1918 niedergeschlagen worden waren, konnten solche Denkformen zur herrschenden Ideologie werden und dann in Gestalt des Faschismus die bekannten furchtbaren Exzesse zeigen. Aber Elemente dieser Denkformen wirkten über 1945 hinaus und bestimmten z. B. die Normen in der Frage, wer zu dieser Gemeinschaft gehört und wer ausgegrenzt bleibt. Nation wird hier nicht als Territorialgemeinschaft oder als Willensgemeinschaft definiert wie in der politischen Kultur des Westens, sondern als Abstammungsgemeinschaft, eine Vorstellung, die von der Blutsgemeinschaft nicht sehr weit entfernt ist. Die lateinische Bezeichnung heißt denn ja auch ius sanguinis

 IV

Neben dieser grundsätzlichen Konfrontation von Rechts und Links zeigten sich aber von Anfang an auch Konflikte innerhalb der Kräfte, die die Französische Revolution trugen und der Erklärung der Menschenrechte zugestimmt hatten. Zwar war die Philosophie der Aufklärung weithin getragen von dem Pathos der „Befreiung der Menschheit", doch die nun geschaffene bürgerliche Gesellschaft war ja zerrissen in soziale Klassen, die sehr unterschiedliche Ziele verfolgten. Es war eben eine bürgerliche Revolution, d. h. das Bürgertum war die führende Klasse und trachtete danach, seine – bürgerlichen – Interessen zu realisieren. Diese Widersprüche waren schon in der Deklaration der Menschenrechte selbst angelegt. Was bedeutet „Gleichheit"? Und wie ist deren Beziehung zur „Freiheit" zu bestimmen? Konkret: sollten auch die Besitzlosen das Wahlrecht erhalten oder gar soziale Rechte? Selbstverständlich – sagten die Jakobiner. Keinesfalls – sagten die Girondisten, die das besitzende Bürgertum vertraten. Es fehlt den Besitzlosen an Kompetenz und Verantwortungsgefühl fürs Ganze, und soziale Rechte befördern womöglich die Faulheit. Oder – deutlicher – in den Worten unseres weithin verehrten Historikers Leopold von Ranke angesichts der Revolution von 1848: Es seien „die Begierden der Nichtbesitzenden in den Kampf gerufen", wenn nun sogar „Handwerker und Tagelöhner plötzlich zu einem Anteil an der Staatsgewalt" gelangten, „von der sie keine Ahnung" haben.

Und was ist mit den farbigen Völkern, mit den Sklaven in den Kolonien? Gelten auch für sie die Menschenrechte? Selbstverständlich – sagten die Jakobiner. Kommt nicht in Frage, sagte das besitzende Bürgertum, denn: auch das Recht auf Eigentum gehört zu den heiligen Menschenrechten, und wir haben die Kolonien ordnungsgemäß erworben und die Sklaven auf den Plantagen in der Karibik ordnungsgemäß gekauft. Wir bestehen auf unserer Freiheit, über unser Eigentum zu verfügen.

So wogte der Kampf hin und her: In der Verfassung von 1791 wurde das Wahlrecht nach Besitz gestuft, in der Jakobinerverfassung von 1793 wurde das allgemeine gleiche Wahlrecht eingeführt, mitsamt einer Reihe von sozialen Rechten, 1795 nach dem Sturz der Jakobiner wurde das alles wieder abgeschafft. Die Sklaven in der Karibik erhielten von der Jakobinerregierung die Freiheit, die Regierung Napoleons zwang sie wieder in die Sklaverei zurück. Und in den USA stellten die Gerichte noch Mitte des 19. Jahrhunderts klar, daß der Sklavenbesitzer beliebig über seine Sklaven verfügen könne, wie über Tiere. Das war analog zum römischen Recht der Antike, das drei Arten von Werkzeugen unterschieden hatte: tote Werkzeuge, brüllende Werkzeuge und sprechende Werkzeuge – allesamt vom gleichen Rechtsstatus. Die in der Verfassung deklarierten Menschen- und Bürgerrechte waren hier offenbar kein Hindernis.

 V

Systematisiert man die vielfältigen Kämpfe auf dem Feld der Menschenrechte in den letzten 200 Jahren, so tritt klar hervor, daß es in der Tat immer wieder um den Begriff der Gleichheit ging und um dessen Beziehung zum Begriff der Freiheit: Sollte Gleichheit strikt begrenzt bleiben auf die rechtliche Gleichheit, auf die Gleichheit vor dem Gesetz? Dies war die Position des Besitzbürgertums, die sich politisch als Liberalismus darstellte. Das war der großen Mehrheit der Bevölkerung denn doch zu wenig, und sie verlangte die Erweiterung des Gleicheitsbegriffs auf die Sphäre der politischen Partizipation. Das war die Position der bürgerlichen Demokraten und der radikalen Linken. Liberale wie bürgerliche Demokraten aber waren sich darin einig, daß keinesfalls die Grenze zwischen Eigentümern und Eigentumslosen verwischt werden dürfen. Diese Furcht wurde akut, als sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine rasch wachsende sozialistische Bewegung herausbildete. Deren Forderung lautete: das Prinzip der Gleichheit sei auch als soziale Gleichheit aufzufassen – als Recht, teilzuhaben an Bildung und Kultur, Gesundheitsvorsorge und Alterssicherung, und als demokratische Gestaltung der Produktion und Verteilung der Güter. Nur so seien die Menschenrechte für die große Mehrheit der Menschen real zu machen. Bert Brecht zeigt das in seinem Me-ti am Beispiel des einfachen Satzes „Du sollst nicht töten".

„Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, eine durch Arbeit zu Tode schinden, eine zum Selbstmord treiben, einen in den Krieg führen usw.. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten." Um wieviel mehr gelten diese Sätze für die Grundvoraussetzung des Menschenrechtes „Die Würde des Menschen ist unantastbar" (Art. 1 GG).

So waren also Liberale, bürgerliche Demokraten und Sozialisten deutlich voneinander unterschieden in der Frage, welchen Charakter und welche Reichweite die allgemeinen Menschenrechte und das Prinzip der Gleichheit der Rechte haben sollten. Im liberalen Verständnis ging es um die Rechte der Individuen, sich frei von staatlichen Eingriffen zu betätigen. Menschenrechte sind hier Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Ein Gesetz zur Begrenzung der Frauen- und Kinderarbeit z. B. gilt hier als Beschränkung der Freiheit des Unternehmers wie der Arbeitenden. Im demokratischen Verständnis geht es darüber hinaus um politische Partizipationsrechte. Und im sozialistischen Verständnis geht es zusätzlich um soziale Grundrechte, um Ansprüche des Individuums gegenüber dem Staat und der Gesellschaft. Im weitesten Sinne geht es hier um den Anspruch auf Herstellung solcher gesellschaftlicher Verhältnisse, die es allen Menschen ermöglichen, alle ihre Fähigkeiten optimal zu entwickeln und ihre Bedürfnisse – je nach dem Stand von Wissenschaft und Technik – optimal zu befriedigen.

VI

Die Geschichte der Menschenrechte seit der Französischen Revolution ist erfüllt von permanenten Bemühungen um die Absicherung schon errungener Menschenrechte und um die Erweiterung in die Sphäre des Politischen und des Sozialen hinein. Die Verankerung der Menschenrechte als Rechtsnorm war dabei immer nur der erste Schritt. Dann begann das Ringen um die Interpretation der Rechtsnorm und um deren Realisierung. Das Grundgesetz ist dabei ein schönes Beispiel: Die Sozialstaatlichkeit wird hier als unantastbares Prinzip definiert, und im Grundrechtsteil (Art. 14) wird bestimmt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen"; der Art. 15 garantiert, daß „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel ... in Gemeineigentum ... überführt" werden können. Direkt daneben, im Art. 16, war garantiert: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" – ein Grundrecht, das nach dem Willen der Verfassung in seinem Wesensgehalt unantastbar sein sollte. Die Erfahrungen zeigen sehr eindeutig: Die Verankerung von Grundrechten als politische Norm ist bei weitem nicht identisch mit ihrer Realisierung. Sie ist deswegen aber durchaus nicht bedeutungslos, denn sie kann politische Wirkungen entfalten, indem sie bewußt macht, wie es sein könnte, und wie es eigentlich sein sollte.

Ein Durchbruch gelang am Ende des Ersten Weltkriegs, als eine mächtige Antikriegsbewegung sich mit sozialistischen Tendenzen verband und zu einer Welle von Revolutionen führte, die weite Teile Europas erfaßte. Unter dem Druck dieser Volksbewegungen, vorab der russischen Oktoberrevolution, konnten politische Partizipationsrechte wesentlich erweitert werden. Auch die Frauen erhielten nun in den meisten europäischen Ländern da Wahlrecht, und in viele Verfassungen wurden Ansätze von sozialen Grundrechten aufgenommen. Nach der Niederwerfung des Faschismus und angesichts der Erfolge der antikolonialen Bewegungen erhielten soziale Grundrechte auch in den Dokumenten der UNO eine hohen Rang.

Überblickt man die Entwicklung insgesamt, so zeigt sich, daß zwei große Revolutionszyklen der Idee und den Realisierungsansätzen von Menschenrechten ihre Dynamik verliehen: Im Zyklus der bürgerlichen Revolutionen, der mit holländischen und englischen begann, in er französischen ihren Höhepunkt erreichte und mit den Revolutionen in Nord- und Lateinamerika weit über Europa hinausgriff, wurden Menschenrechtssdeklarationen formuliert, liberale Grundrechte in beträchtlichem Maße garantiert und politische Partizipationsrechte in einigen Ansätzen gewährleistet. Mit dem Zyklus sozialistischer Revolutionen, der mit der russischen Oktoberrevolution begann, große Teile Europas ergriff und mit den Revolutionen in China, Vietnam und Kuba weltweite Wirkungen erzielte, wurden politische Partizipationsrechte wesentlich ausgeweitet und soziale Grundrechte verfassungsmäßig verankert und in Ansätzen auch schon realisiert. Interessanterweise geschah dies auch dort, wo die Revolutionsversuche niedergeschlagen worden waren z. B. in der Weimarer Republik. Auch besiegte Revolutionen können Wirkungen haben. Aus dieser Genese heraus ist auch verständlich, daß nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems zwar einerseits die liberalen Grundrechte in den ehemals sozialistischen Ländern stärker verankert worden sind, daß andererseits aber soziale Grundrechte auf breiter Front abgebaut wurden und werden, und zwar sowohl in den ehemals sozialistischen Ländern wie in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern wie auch in den Ländern, die bis zum Beginn der 90er Jahre die Dritte Welt bildeten. Das Kräfteverhältnis hat sich eben tiefgreifend geändert, und zwar weltweit.

In den ehemals sozialistischen Ländern können die Individuen nun zwischen verschiedenen Parteien und Meinungen frei wählen. Andererseits haben sich die sozialen Bedingungen für beträchtliche Teile der Bevölkerung in Bezug auf Arbeitsmöglichkeiten, Wohnverhältnisse, Sicherung bei Krankheit und im Alter deutlich verschlechtert. Dies betrifft, wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) soeben festgestellt hat, auch die Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. (FAZ v. 27.05.1998) Auf dieses Niveau der Menschenrechte soll nun auch Kuba mit aller Gewalt gebracht werden, übrigens unter grober Verletzung des Völkerrechts.

Zu den sozialen Grundrechten gehört nach der Logik der Sache auch das Recht auf eine Umwelt, die geeignet ist, auch längerfristig die Gesundheit der Menschen und die natürlichen Lebensbedingungen zu erhalten. Erste Anfänge konnte hier seit der Umweltkonferenz von Rio 1992 immerhin gemacht werden.

Zu diskutieren ist, ob nicht auch das Recht auf eine friedliche Entwicklung der Lebensbedingungen zu den sozialen Menschenrechten zu zählen ist, denn das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist hier für eine riesige Zahl von Menschen unmittelbar tangiert. Auch hier brachten die Antikriegs- und Revolutionsbewegungen am Ende des Ersten Weltkrieges einen ersten Durchbruch. Bis dahin hatte das Recht des Staates auf Kriegführung, das ius ad bellum, gegolten, also die beliebige Verfügung über Leben und Tod der großen Bevölkerungsmassen. Nun gelang – beginnend mit dem Völkerbund und dem Kellogg-Pakt (1928) – die Ächtung des Krieges, die mit dem Internationalen Militärtribunal 1945 und den Deklarationen der UNO seit dem Zweiten Weltkrieg wesentlich ausgebaut wurde.

 VII

So lassen sich also wesentliche Fortschritte seit der Französischen Revolution in der Entwicklung der Menschenrechte feststellen. Ebenso real ist freilich von Anfang an die Gegenbewegung – und sie hat seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems ohne Zweifel an Kraft gewonnen. Die Freiheit des Eigentums, die schon zur Zeit der Französischen Revolution Kolonialismus und Sklaverei legitimierte, erlangte in diesem Weltbild den Status des allerobersten Menschenrechts, dem im Konfliktfall alle anderen sich unterzuordnen hatten. Die Freiheit des Eigentums, die Freiheit des Waren- und Kapitalverkehrs legitimierte die Unterwerfung und Ausbeutung der Völker in Afrika, Asien und Lateinamerika bis hin zur Errichtung von Diktaturen in Chile (1973) und rassistischen Regimen wie in Südafrika. Sie legitimierte aber auch die Errichtung faschistischer Regime in entwickelten Ländern wie Italien, Deutschland, Spanien usw., deren soziales Wesen darin bestand, die freie Verfügung der Kapitalbesitzer über ihr Eigentum zu garantieren und alle Schranken dieser Freiheit – Gewerkschaften, Betriebsräte, Sozialgesetze usw. – wegzuräumen.

 VIII

Solche Bestrebungen, das Menschenrecht auf Eigentum absolut zu setzen, resultieren aus dem inneren Bewegungsgesetz der bürgerlichen Gesellschaft: dem Konkurrenzkampf, der die Akteure zur Härte zwingt. Die Logik des Konkurrenzkampfes schafft permanent Ungleichheit, Siegreiche und Verlierer, denn diese Logik lautet nun einmal: Der Stärkere setzt sich durch, und der Schwächere bleibt auf der Strecke – und das ist auch gut so. Die sozialdarwinistische Weltanschauung entspringt sozusagen tagtäglich aus der Erfahrung des Konkurrenzkampfes. Und das Recht auf die „freie Entfaltung der Persönlichkeit" wird hier leicht zum Recht auf rücksichtslose Durchsetzung der eigenen Interessen, im Grenzfall wird es reduziert auf das Recht auf den Colt.

In dieser Welt des Konkurrenzkampfes sind soziale und politische Reche Anderer, auch ökologische Gesetze, in der Tat vielfach Hindernisse für optimale Effektivierung, für Durchsetzungsfähigkeit im Konkurrenzkampf, sind „Standortnachteile", wie man heute zu sagen pflegt. Und in dieser Logik des Konkurrenzkampfes ist auch kein Element eingebaut, das etwa die Wahrung allgemeiner Interessen oder die Sicherung längerfristiger Grundlagen der Gesellschaft gewährleisten würde.

Das verweist uns darauf, daß zwar jeder kleine Schritt wertvoll ist, der liberale, politische und soziale Menschenrechte absichert und vielleicht ein wenig erweitert, daß es aber eigentlich notwendig wäre, in der gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit eine andere Logik zur Geltung zu bringen, die nicht optimalen privaten Gewinn im Konkurrenzkampf zum obersten Maßstab hat, sondern die optimale Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und sozialen und naturalen Frieden. Nötig wäre, die hemmungslose Entfaltung des homo faber zu bremsen durch den homo sapiens. Es könnte sein, daß es sich dabei um „Notwendigkeit" in einem ganz handgreiflichen Sinn handelt: Um die Not zu wenden.

19. November 1998 www.bdwi.org

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