zurück

Theodor W. Adorno über Marx
Was bedeutet Kritik der politischen Ökonomie?

Aus einer Seminarmitschrift im Sommersemester 1962.    

Von Hans-Georg Backhaus

06/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Was bedeutet Kritik der politischen Oekonomie bei Marx? 1. Kritik der klassischen Theorie des Liberalismus, 2. Kritik der Wirtschaft selbst. Also sowohl Kritik des Selbstverstaendnisses des Liberalismus (besonders im 4. Band, den "Theorien ueber den Mehrwert") als auch des Liberalismus selbst. Es geht ihm um eine immanente Kritik des Liberalismus. Im Osten dient Marx den Herrschaftsverhaeltnissen, dieser Marx gehoert in den Bereich der Schundliteratur. Im Westen wird Marx unterstellt, dass seine Theorie vom subjektiv proletarischen Klassenbewusstsein ausgehe. Das ist gerade nicht gemeint. Die liberale Theorie wird mit ihrem eigenen Anspruch konfrontiert, bezogen auf den Tauschakt. "Ihr sagt, es werden Aequivalente getauscht, es findet ein freier und gerechter Tausch statt, ich nehme Euch beim Wort, jetzt wollen wir sehen, wie es damit aussieht."

Das ist immanente Kritik. Dass der Mensch zur Ware wird, das haben auch schon andere gesehen. Marx: "Den versteinerten Verhaeltnissen ihre eigene Melodie vorspielen und sie so zum Tanzen bringen." (1/381) Der kapitalistischen Gesellschaft nicht etwa eine andersgeartete entgegenhalten, sondern fragen, ob die Gesellschaft ihren eigenen Spielregeln entspricht, ob sie nach den Gesetzen verlaeuft, die sie als ihre eigenen behauptet. Nun sagt Marx nicht einfach: Nein, das stimmt nicht, sondern er nimmt die Dialektik ernst und kokettiert nicht einfach bloss mit ihrer Terminologie. Beim Tausch ist etwas gleich und zugleich nicht gleich, es geht mit rechten Dingen zu und zugleich auch nicht. Die Theorie des Liberalismus entspricht ihrem eigenen Begriff, und indem sie ihm entspricht, widerspricht sie ihrem eigenen Begriff. Das Tauschverhaeltnis ist in Wirklichkeit praeformiert durch die Klassenverhaeltnisse: dass eine ungleiche Verfuegung ueber die Produktionsmittel stattfindet, das ist der Kern der Theorie. Diese Fragestellung kommt in der heutigen Marx- Diskussion fast nicht zum Tragen. Kritik prueft Behauptungen in der Weise, dass sie diese mit der Sache konfrontiert und aus diesem Widerspruch die Entwicklungstendenzen entwickelt. Der spaete Marx wuerde dazu sagen, diese Methode sei noch zu abstrakt.

Die Stadien der Entwicklung werden als qualitativ voneinander verschieden entwickelt. Das ist wie bei Hegel. Knotenpunkte der Entwicklung. Rostow dagegen erkennt keine qualitativ verschiedenen Grundstrukturen an. Zwei verschiedene Phasen sind bei ihm nur ein Mehr oder Weniger, es gibt keine qualitativen Differenzen. Marx ist nicht einfach Wirtschaftshistoriker, sondern bei ihm ist das historische und das systematische Moment vermittelt, der historische Prozess selbst wird als der logische, notwendige Uebergang von einer Struktur zur anderen begriffen. Marx grenzt sich ab gegenueber statischen Lehren wie auch gegenueber dem blossen Historiker, der nur verschiedene Stadien beschreibt. Der Begriff wird voellig historisiert. Der Prozess ist der Form nach idealistisch, er ist die Selbstentfaltung des Begriffs, bei Marx der Produktionsformen. Doppelte Frontstellung: gegenueber invariantem Idealismus und deskriptivem Positivismus.

Die Ware wird durch ihren Tauschwert charakterisiert. Gerade nicht das Beduerfnis konstituiert die Ware. Der Warenwert wird nicht aus dem Beduerfnis abgeleitet, sondern aus den objektiven Bedingungen der Produktion, in die zwar das Beduerfnis eingeht, aber nur an letzter Stelle, naemlich vermittelt durch das Interesse, das Zeug los zu werden. Fuer die objektive Theorie ist charakteristisch, dass nicht von den Beduerfnissen, sondern von den Institutionen ausgegangen wird, von den tatsaechlichen Machtverhaeltnissen, Verfuegungsverhaeltnissen. Ihr redet immer davon, dass man die Wirtschaft aus den Beduerfnissen erklaeren soll, aber das Getriebe dient ja nicht primaer den Beduerfnissen, sondern diese werden nur unter groessten Opfern und fuerchterlichem Geknirsche des Systems befriedigt. Das Beduerfnis wird nur mitgeschleift, und deshalb darf die Wirtschaft nicht von den Beduerfnissen ausgehen, denn die Welt richtet sich ja nicht nach unseren Beduerfnissen. Diese sind nur ein Epiphaenomen.

Das Entscheidende ist die Vormacht des Produktionsapparats gegenueber den Beduerfnissen. Das hat man dem Einwand entgegenzuhalten, die Erscheinungen, die Marx beschreibt, liessen sich auch subjektiv darstellen. Marxens Methode besteht darin, dass die Abstraktionen spaeter durch sehr weitgehende Differenzierungen behoben werden. Ich moechte hier das Problem anmelden, ob das mit der Dialektik vereinbar ist oder ob sich hier Marx nicht gegen die Prinzipien der Dialektik schwer vergangen hat.

Was die Waren tauschbar macht, ist die Einheit der gesellschaftlich notwendigen abstrakten Arbeitszeit. Abstrakte Arbeit, weil durch die Reduktion auf die Einheit abstrahiert wird von den Gebrauchswerten, von den Beduerfnissen. Wenn ein Geschaeftsmann kalkuliert, dann kann er dabei nicht rekurrieren auf die Bedingungen, unter denen die Ware zustande gekommen ist, und auch nicht darauf, wofuer sie gut ist, sondern er stellt ab auf Arbeitszeit, Profit, Material. Daraus setzt sich die Ware zusammen, aber dadurch wird sie zu einer Art Summe von Festem, Dinglichem. Durch die abstrakte Arbeitszeit wird von den lebendigen Kontrahenten abstrahiert. Diese Abstraktion macht das, was getauscht wird, dem Schein nach zu einem Ding an sich. Was gesellschaftliches Verhaeltnis ist, erscheint so, als ob es Summe dinghafter Eigenschaften des Objekts sei. Der Begriff des Warenfetischismus ist nichts anderes als dieser notwendige Abstraktionsvorgang. Indem Abstraktion geleistet wird, erscheint Ware nicht mehr als ein gesellschaftliches Verhaeltnis, sondern es scheint so, als ob der Wert ein Ding an sich waere. Der Tausch ist nach wie vor Schluessel zur Gesellschaft. Fuer die Warenwirtschaft ist charakteristisch, dass das, was den Tausch charakterisiert - dass er ein Verhaeltnis zwischen Menschen ist -, verschwindet und sich so darstellt, als ob es eine Eigenschaft der zu tauschenden Dinge an sich sei. Fetischisiert wird nicht der Tausch, sondern die Ware. Das, was in ihnen ein geronnenes gesellschaftliches Verhaeltnis ist, wird so genommen, als sei es eine Naturqualitaet, ein An-sich-Sein der Dinge. Der Schein ist nicht der Tausch, denn getauscht wird wirklich. Der Schein im Tauschvorgang liegt im Begriff des Mehrwerts.

Nur Schein sind die fetischisierten Vorstellungen auch nicht, denn insofern die Menschen tatsaechlich abhaengig werden von diesen ihnen undurchsichtigen Objektivitaeten, ist die Verdinglichung nicht nur ein falsches Bewusstsein, sondern zugleich auch Realitaet, insofern die Waren dem Menschen wirklich entfremdet sind. Wir haengen wirklich von den Warenwelt ab. Auf der einen Seite ist der Warenfetischismus Schein, auf der anderen Seite - und das zeigt die Uebermacht der verdinglichten Ware ueber den Menschen - ist er aeusserste Realitaet. Dass also die Kategorien des Scheins in Wirklichkeit auch Kategorien der Realitaet sind, das ist Dialektik. Begriffe wie "Fetischcharakter der Waren", lassen sich nur verstehen, wenn man sie nicht bloss in subjektive Kategorien verwandelt. Gemeint ist hier nicht die Wirkung, die von den Waren im Kaufhaus auf den heutigen Menschen ausgeht. Es geht hier nicht um die psychologische Fetischisierung von einzelnen Waren, sondern um die objektive Struktur der Warenwirtschaft. In einer Gesellschaft, in der der Tauschwert das herrschende Prinzip ist, vollzieht sich diese Fetischisierung notwendig. Wesentlich ist, dass die Ware als gesellschaftliches Verhaeltnis verschwindet, alle andern Reaktionen des verdinglichten Bewusstseins sind sekundaere Dinge.

Die Ware ist zwar die Urform der Ideologie, aber sie selbst ist nicht einfach falsches Bewusstsein, sondern folgt aus der Struktur der politischen Oekonomie. Das ist der eigentliche Grund, warum das Bewusstsein vom Sein bestimmt ist. Entscheidend ist, dass die objektive Struktur der Wirtschaftsform selbst aus sich heraus die Fetischisierung vollbringt. Das ist der objektive Prozess der Ideologie - unabhaengig vom Bewusstsein der einzelnen und ihrem Willen. Die Ideologienlehre hat ihren Ernst nur darin, dass das falsche Bewusstsein selbst als eine notwendige Gestalt des objektiven Prozesses erscheint, der die Gesellschaft zusammenhaelt. Die Vergesellschaftung selbst geschieht durch diese Ideologie. Hier wird die Sache mit dem Ideologieproblem ganz ernst. Auch wenn wir den Schein durchschauen, so aendert das nichts am Fetischcharakter der Ware: Jeder Geschaeftsmann, der kalkuliert, muss sich im Sinne dieses Fetischs verhalten. Wenn er nicht so kalkuliert, macht er pleite.

Geld ist auch nur Symbol fuer geronnene Arbeit und kein Ding an sich, so dass die Vorgaenge im finanziellen Bereich nicht primaer sind; vielmehr muessen die Geldverhaeltnisse aus der politischen Oekonomie abgeleitet werden.

Wenn der Tauschwert verselbstaendigt ist, dann kann ich nach ihm als Ding an sich streben, und diese Vergegenstaendlichung des Tauschwerts ist in der Formel G - W - G' gemeint. Kernfrage: Wo kommt der Mehrwert her? Die Zirkulationssphaere ist sekundaer, in ihr steckt der Mehrwert schon drin, in ihr raufen die Unternehmer untereinander um den Mehrwert, der aber schon produziert ist.

Die Arbeitskraft ist die Quelle des Mehrwerts, weil sie gleichzeitig Gebrauchs- und Tauschwert ist. Das ist der springende Punkt. Der Arbeiter ist insofern frei, als er von einer Branche in die andere ueberwechseln kann.

Der Wert selbst ist definiert als gesellschaftliche Arbeit, deshalb koennen die Maschinen nicht ihrerseits Wert produzieren. Was diese tun, weist auf Arbeit zurueck, weil sie selbst von Menschen produziert werden. Die Unternehmer streben nach absolutem Mehrwert, aber nicht etwa, weil sie boese Menschen sind. Marx ist die Psychologie genauso fremd wie Hegel. In Marxens Theorie der "Charaktermaske" ist der Rollenbegriff enthalten. Nur wird er hier aus objektiven Bedingungen abgeleitet, die Rolle ist dem Subjekt durch die Struktur vorgeschrieben. Heute - so bei Parsons - wird der Rollenbegriff selbst nicht wieder reflektiert, er wird verabsolutiert. Der eigentliche Grund, warum ich dem Rollenbegriff skeptisch gegenueber stehe, ist der, dass man ihn nicht als notwendiges Moment in einem Prozess versteht, sondern isoliert herausgreift. Kern der Dialektik: Die Kapitalisten sind gezwungen, zu versuchen, den Mehrwert zu akkumulieren. Zu diesem Zweck sind sie getrieben, Maschinen zu entwickeln, um lebendige durch tote Arbeit zu ersetzen. Wenn nicht, dann unterliegen sie im Konkurrenzkampf. Hier wirkt ein Moment der Zirkulationssphaere auf die Produktionssphaere zurueck. Aber dadurch, dass die Kapitalisten gezwungen sind, dadurch schaffen sie die Bedingungen von Produktivkraeften, die der Fesseln der kapitalistischen Wirtschaft nicht beduerfen. Zweitens schaffen sie dadurch eine Dynamik, die sich gegen sie selbst kehrt, immer mehr Arbeit wird freigesetzt und dadurch bilden sich die Bedingungen der Krisen und die kontinuierlich ansteigende Gefaehrdung des Systems selbst. Das System muss, um sich erhalten zu koennen, genau solche Momente ausbilden, durch die es seine eigene Moeglichkeit zunehmend untergraebt. Der Sinn der Spontaneitaet besteht darin, diesen blinden dialektischen Prozess, der auf die Zerstoerung des Ganzen hinauslaeuft, so in den Griff zu bekommen, um das Ganze in eine hoehere Form der Produktion aufheben zu koennen. Wobei die Dialektik an sich, soweit sie eine blinde ist, auch die Bedingungen fuer das Andere schafft. Wenn das Moment der Freiheit nicht hinzukommt, also das Ganze sich selbst ueberlassen bleibt, dann geht es zugrunde. Die ewige Unsicherheit ist einer der Gruende fuer die nach rueckwaerts gestaute Sehnsucht nach agrarischen und handwerklichen Verhaeltnissen. Das ist das wahrhafte Moment daran. Das andere, die Verklaerung, ist falsch: diese Verhaeltnisse sind nicht wiederherstellbar. Um den Begriff des Mehrwerts zu verstehen, sind zwei Zeiten miteinander zu vergleichen: die Zeit, die zur Produktion der Arbeitskraft erforderlich ist, und die Zeit, die der Arbeiter in der Arbeit hergibt. Man darf nicht ausgehen von der Ware, die der Arbeiter produziert, sondern es handelt sich um einen Tauschvorgang: er verkauft seine Arbeitszeit und dafuer bekommt er sein Aequivalent. Aber die Zeit, die er hergibt, und die Zeit, die er zur Reproduktion seiner Arbeitskraft erforderlich ist, sind verschieden. Einerseits wird nach Aequivalenten getauscht: der Arbeiter gibt seine Arbeitszeit und erhaelt dafuer das, was zur Reproduktion seiner Arbeitskraft erforderlich ist. An dieser Stelle liegt die Quelle des Mehrwerts, ohne dass man die hergestellte Ware zu beruecksichtigen braucht. Es wird Gleiches und Gleiches und zugleich Gleiches und Nicht-Gleiches getauscht. Dahinter steckt das ganze Klassenverhaeltnis. Nur weil der Arbeiter nichts anderes hat als seine Arbeitskraft, nur deshalb kommt er dazu, diese Bedingungen anzunehmen. Hinter diesem sonderbaren Tausch steht die Frage des Klassenverhaeltnisses. Es waere wahrscheinlich fehlerhaft zu sagen, dass die subjektive Theorie nicht imstande waere, den ganzen Mechanismus der Wirtschaft von den Beduerfnissen her zu erklaeren. Man kann es sicher auch mit den subjektiven Kategorien tun, wenn man sich damit begnuegt, ein formalistisches Schema fuer die oekonomischen Vorgaenge zu entwerfen. Aber dabei wird abstrahiert von dem Moment der gesellschaftlichen Macht und der Ohnmacht. Es ist nicht so, als ob erst heute der Konsum kontrolliert wird, das ist heute nur eine neue Qualitaet, die in der Konsumsteuerung sich durchgesetzt hat. Aber in dieser Gesellschaft ist der Konsum der Subjekte nicht der Schluessel fuer die Oekonomie, weil deren eigene Konsummoeglichkeiten abhaengig sind 1. von dem oekonomischen Gesamtsystem insgesamt; man kann soviel konsumieren, wie der soziale Status erlaubt; 2. haengt der Konsum ab von der jeweiligen oekonomischen Gesamtsituation.

Die eigentliche Kontroverse ist nicht die, in welcher der beiden Richtungen sich glatter der oekonomische Ablauf darstellen laesst, sondern welche Theorie die Realitaet, in der sich die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen abspielen, adaequater ausdrueckt. Ein Ansatz, in dem die Abhaengigkeit des Konsumenten vom Gesamtsystem nicht dargestellt wird, ist der Realitaet inadaequat. Man kann nachweisen, dass die Veraenderung in den Konsumsitten nicht auf das Subjekt zurueckfuehrbar sind, sondern dass es sich um objektive Prozesse handelt, die in der Struktur der Gesellschaft wurzeln. Deshalb geht Marx nicht vom Konsum, sondern von der Produktion aus, wobei Produktion bedeutet: Vorherrschaft der Verfuegenden. Diese Richtung ist die realitaetsgerechtere.

Die Wahl des Koordinatensystems ist nicht neutral gegen die Sache. Das System ist das bessere, in dem von den realen Verhaeltnissen mehr erscheint. Wenn die Verhaeltnisse antagonistischer Art sind (Klassensystem), dann muessen die Antagonismen auch in der Theorie ausgedrueckt werden. Die subjektive Oekonomie ist eigentlich eine Analyse von Marktvorgaengen, in denen schon die etablierten Marktverhaeltnisse vorausgesetzt werden. Engels beruft sich zu Recht auf das Erbe der deutschen Philosophie: die Fragestellung war die nach den konstitutiven Momenten, wodurch der Mehrwert zustande kommt, nach den immanenten Bedingungen, durch die das System zustande kommt, waehrend die subjektive Lehre versucht, die bereits etablierten Vorgaenge auf elegante Formeln zu bringen.

Im Unterschied dazu geht es Marx nicht um die Deskription der Marktgesellschaft, sondern es wird nach den Konstituentien der Erfahrung gefragt und eine Kritik dieser Kategorien des Wirtschaftens gegeben. Dieser Ansatz ist der tiefere; der Ansatz, der es ermoeglicht, dass von der Realitaet mehr zum Ausdruck kommt, geht vom Konstitutionsproblem aus. Es geht darum, ob die Konstituentien der Totalitaet ergriffen werden koennen. In dem scheinbaren Belieben, welchen Abstraktionsschnitt durch die Realitaet man zieht, liegt die Konstitutionsfrage bereits drin. Die subjektive Lehre ist wesentlich Apologie. Die Analyse der Preisfrage ist gegenueber den Konstitutionsfragen ein Epiphaenomen. Zur Kritik: Man kann bei Entfremdungsphaenomenen nicht stehen bleiben, an sich ist die Entfremdung eine idealistische Kategorie. Sie geht aber aus dem Warencharakter der Oekonomie hervor. Auch von der Machtfrage kann man nicht in Abstraktionen sprechen, sondern sie setzt sich durch vermoege der Reproduktion des materiellen Lebens der Menschen. Bliebe es bei den Entfremdungs- und Machtfragen, haette Marx uns weiter nichts mehr zu sagen, dann wuerde von Marx nur ein Linkshegelianismus uebrigbleiben. Aber Marx wollte kritisieren, wie es mit Macht und Entfremdung in der konkreten Gesellschaft aussieht. Der Begriff der relativen Verelendung ist ein urkomischer. Wenn kein Arbeiter mehr weiss, dass er es ist - wie Schelsky behauptet -, wo bleibt dann die Moeglichkeit, an den Klassenbegriff anzuknuepfen?

Der Begriff der Technik bei Marx ist nicht klar. Dieser Begriff ist von Saint-Simon uebernommen, ohne dass dieser seine Stellung zu den Produktionsverhaeltnissen durchdacht haette. Diese sind einerseits das Fesselnde, andererseits wandeln sie sich staendig, und sie werden auch Produktivkraefte. Das ist die Problematik dieses Begriffs.

Wir sehen, systemimmanent treten die allergroessten Schwierigkeiten auf. Marx ist mit einem Rattenschwanz an Fragen belastet. Die Trostlosigkeit unserer Situation besteht darin, dass an diesen Stellen nicht weiter gearbeitet, sondern von aussen kritisiert wird, ohne die Theorie mit ihren immanenten Schwierigkeiten zu konfrontieren. Einerseits wird sie diffamiert - im Westen -, andererseits fetischisiert - im Osten. Im Osten ist sie tabubesetzt, im Westen glaubt man, eine Todsuende zu begehen, sich mit ihr zu befassen. Die Zukunft des Denkens ueber die Gesellschaft haengt davon ab, ob wir diese Probleme loesen. Die Genialitaet von Marx bestand gerade darin, dass er, von Ekel erfasst, genau das angepackt hat, wovor er sich geekelt, die Oekonomie.

Dem Einwand, Sozialismus fuehrt zur Vermassung, ist zu entgegnen, dass erst dann, wenn die Individuen nicht mehr von Tauschverhaeltnissen bestimmt sind, diese verschwinden wird.  

  • Der Text von Hans-Georg Backhausen wurde erstmals veroeffentlicht in seinem gerade erschienenen Buch "Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur marxschen Oekonomiekritik". Im Vorwort zu diesem Sammelband schreibt Backhausen, die Mitschrift duerfte einen Einblick in die geistige und politische Atmosphaere vermitteln, die Anfang und Mitte der sechziger Jahre den Anstoss zu einer neuen Marx-Lektuere gab und die auch den geistigen Hintergrund der Protestbewegung mitgeformt hat.
nach oben