zurück

Die permanente Bedrohung

Über das dialektische Verhältnis von Rassismus und Sozialer Frage

Von Rainer Trampert

06/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
kamue@partisan.net
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Am Anfang steht meistens die Mahnung, daß linke Politik sich nicht auf Antirassismus beschränken dürfe. Es gehe um viel größere Dinge, etwa um die soziale Frage. Wenn sie in der Fiktion zur sozialen Revolution reift, erscheint der Kampf gegen Rassismus geradezu blasphemisch. Als schwarze Dealer und Junkies ins Hamburger Schanzenviertel gezogen waren, warnte etwa die Jobber-Initiative ,,Blauer Montag", die Linke dürfe sich nicht auf den Kampf gegen den Rassismus konzentrieren. Eine solche ,,Verkürzung" reproduziere ,,die von Staat und Medien vorgegebene und in vielen Köpfen wirksame Reduzierung des sozialen Konflikts". Aus Sorge darum sollten lieber ,,alle im Stadtteil" für ,,spritzenfreie Abenteuerspielplätze mobilisiert werden.

Wer antirassistische Politik als Verkürzung abtut und im selben Atemzug den sozialen Konflikt aufs gemeinsame Spritzensammeln verkürzt, nähert sich der sozialen Befreiung so an wie eine Kolonne, die mit Besen und Schaufeln Hundescheiße aufliest. Auf diese eigenwillige Verkürzungsdialektik stoßen wir häufig. Der Gruppe geht es gar nicht um den Konflikt. Sie beseitigt ihn umstandslos, nachdem sie ihn vorher rhetorisch benutzt hatte, um den Antirassismus zu beseitigen. Man möchte mit der Masse schwimmen, sonst nichts.

Die soziale Frage verkehrt sich darüber in ihr Gegenteil. Wer ,,alle im Stadtteil" aufruft, den Wohnbezirk zu reinigen, meint Linke, Geschäftsleute, Feministinnen, Sexisten, Rassisten, Säufer, Geldsäcke und Arbeitslose, eben ,,alle". Über den Spielplatz verkommt die soziale Frage zur lokalpatriotischen Einübung jener falschen Gemeinschaft, die den Keim des Nationalismus bildet. Mehr noch: Die Mobilisierung dieses Sammelsuriums zieht eine gemeinsame Grenze zu Schwarzen, die sublim mit Dreck identifiziert werden. Alle Stimmen, die emphatisch die Säuberung verlangten, meinten beide: Spritzen und Schwarze. Auf einer Versammlung schlug eine Frau vor, ,,schwarze Drogenhändler aus dem Helikopter ins Meer zu werfen", ein Mann wollte ihnen nur die ,,Hände abhacken", einer wollte sie ,,in der Sahara aussetzen", eine wünschte: ,,Alle auf eine Galeere und zurückrudern." Wer den sozialen Konflikt reklamiert, aber Masse meint, wird angesichts dieses Bewußtseins nur Hundescheiße sammeln können, während der letzte humanistische Funke baden geht und mit ihm die soziale Frage. Wenden wir uns den theoretischen Souffleuren zu. Wolfgang Fritz Haug wollte im mörderischen Rassenwahn einen ,,entfremdeten sozialen Protest" erkannt haben. Karl Heinz Roth meinte, der ,,dramatische Pauperisierungsprozeß" im Osten der Republik habe dort ,,mehr und mehr zu gewalttätigen Protestformen geführt". Deshalb sei der ,,subproletarische Rassismus sehr ambivalent". Man dürfe nicht auf die strategische Fähigkeit verzichten, ,,sich grundsätzlich auf alle Schichten des neuen Proletariats zu beziehen". In den alten ,,Materialien für einen neuen Antiimperialismus" offenbarte ein ,,Autorlnnenkollektiv": ,,An der Konfrontation links gegen rechts kann uns nicht gelegen sein" und wie die anderen sah man ,,in der Gewalt der Zukurzgekommenen eine Form der proletarischen Selbstfindung unter schlechten Emblemen" aber mit ,,produktiver Bedeutung".

Wer in der Ermordung von Menschen, die nicht ausreichend deutsch aussehen, in dem Abbrennen von Häusern, in denen türkische Familien wohnen, oder in der Verwahrlosung jüdischer Gräber eine proletarische Selbstfindung oder eine produktive Bedeutung entdecken will, sucht das Gute im Pogrom. In rassistischen Überfällen schlummert nicht der Hauch eines sozialen Protests. Sie sind im Gegenteil Manifestationen eines höchst autoritären, unterwürfigen Charakters. Die Täter schreiten zur Tat, weil sie auf das Schulterklopfen der Eltern, der Dorfbewohner, der Stammtische, der Polizei, der Naziführer und schließlich des Staates, der ihnen seit zwei Jahrzehnten erzählt, eine unerträgliche Ausländerschwemme sei über sie gekommen hoffen. Sie wähnen sich in der Rolle des konsequenten Erfüllungsgehilfen eines allgemeinen Willens. Krasser als durch die Verfolgung jener, die der Staat zur Verfolgung freigegeben hat, kann der Gegensatz zum sozialen Protest kaum ausgedrückt werden. Außerdem ist die Vorstellung furchterregend: Wenn der Apothekersohn zur faschistischen Tat schreitet, darf ich ihn auch als Schweinehund begreifen; wenn aber ein Proletarier eine türkische Familie verbrennt, dann ist er wegen seiner Klassenzugehörigkeit bei der ambivalenten Selbstfindung oder gar beim protestieren.

Der falsche Wunsch, mit den Massen zu schwimmen, verbindet sich mit der falschen Sympathie für Zukurzgekommene. Das hat eine lange Tradition. Schon 1923 erklärte die KPD: ,,Wir sind überzeugt, daß in den nationalistischen Volksmassen die große Mehrheit aus ehrlich fühlenden und überzeugten Menschen besteht, die irregeführt sind." Wer aus nationalistischer Überzeugung für ,,Kaiser, Volk und Vaterland" in den Krieg zieht und später Hitler zujubelt, mag irregeführt und von seinem Irrsinn überzeugt sein. Wenn er dabei ehrlich fühlt, wird die Sache nur noch schlimmer. Die sozial-ökonomische Bestimmung des revolutionären Subjekts muß spätestens mit dem ,,Hurra" und dem ,,Heil Hitler" der Massen kritisch reflektiert werden. Zwar werden die Hauptprofiteure nicht die Verhältnisse beseitigen wollen, durch die sie reich werden. Der proletarische Faschist, der den Bluthund spielt, wird jedoch durch die verschiedene Klassenlage nicht weniger gefährlich. Das Böse in Menschen ist ein zentrales Argument gegen die Verhältnisse, durch die sie so geworden sind; das macht aber Kampfhunde nicht bündnisfähig.

Im Unterschied zu den bisherigen Linken muß die PDS nicht mit der Tragik leben, daß alle Avancen an die Massen ihr trotzdem keine bringen. Sie hat welche an der Hand, mit denen sie entweder eins ist oder die sie zu pflegen hat. ihre Ost-Bürger sind daher immer und ausschließlich soziale Opfer. Da mag eine ganze Dorfgemeinschaft, vom Bürgermeister über den Bauunternehmer bis zum Arbeitslosen, sich gegen Juden in der Nachbarschaft zur Wehr setzen, da mögen Ostdeutsche, ob Bankangestellte oder bepisste Hosen, trunken vor Freude einem Pogrom beiwohnen, dem PDS-Politiker scheinen solche Phänomene nur Ausdruck einer zu geringen Investitionsneigung westdeutscher Unternehmer zu sein. "Wem das Wasser bis zum Hals steht, der greift zum Baseballschläger", variierte ein PDS-Abgeordneter im Schweriner Landtag das Thema "sozialer Protest". Mal fehlt der Ausbildungsplatz, mal das Jugendzentrum. Die platte Anwendung der Formel, das Sein (kein Arbeitsplatz) schaffe das Bewußtsein (andere totschlagen), gerät zum Schutzparagraphen für deutsche Täter und zur Verachtung der Opfer. Sie begründet die Barbarei als zeitgemäße Epoche. Wie will man noch erklären, warum Leute mit einem geregelten Einkommen ebenso vom rassistischen Wahn befallen sind, oder warum nicht alle Arbeitslosen aus ihrer Lebenssituation den Schluß ziehen, anderen die Köpfe einzuschlagen? Rassismus hat nichts mit schlechter sozialer Stellung zu tun; er ist ein Projektionsgefäß für alle und negiert daher die soziale Frage.

Das PDS-nahe Neue Deutschland diskutierte kürzlich in zwei Ausgaben die doppelte Staatsangehörigkeit. Die Titel ,,Muß ein Linker für den Doppelpaß sein?" und "Nicht alles als Stammtisch abtun" ließen schon nichts Gutes ahnen. Selbstverständlich muß ein Linker für den Doppelpaß sein und sofern er dagegen ist, sitzt er am Stammtisch richtig. In einem Beitrag wurde dafür plädiert, Deutschland dürfe die schlechten Erfahrungen in Frankreich, in den USA und "in anderen Ländern mit hohem Ausländeranteil" nicht wiederholen. ,,Wir lassen uns leicht dazu verleiten, bewegt durch ein öffentlichkeitswirksames Auftreten einiger weniger farbiger Akademiker, Bankiers oder Generale, anzunehmen, die Integration habe funktioniert. Fakt ist aber: In den Armen-Ghettos gab es und gibt es keine Integration. Vielmehr sei das "Toleranzvermögen einer Bevölkerungsgruppe - der hier beheimateten Mehrheit - absolut überfordert ... mit der Hinnahme bestimmter Verhaltensweisen".

Der Zwang zur Integration wiederholt das nationalistische Glaubensbekenntnis: Man spricht und benimmt sich deutsch in Deutschland. Daß die "Ausländer" in den Armen-Ghettos genauso Franzosen und US-Amerikaner sind wie die ,,beheimatete Mehrheit", wird nicht reflektiert. Fast automatisch bestimmt der rassistische Armutskatalog und nicht die wirkliche Staatsangehörigkeit, wer Inländer oder Ausländer ist, etwa so wie Juden nicht als Deutsche angenommen worden sind, gleichgültig wie lange ihre Familien schon im Lande waren. Schließlich sollen uns einige Farbige, die mit Messer und Gabel essen können, nicht zu der Annahme verleiten, andere Mitglieder ihrer ,,Rasse" oder ,,Ethnie" seien integrierbar. Die Repräsentanten von Intelligenz, Finanztum und Militär wurden mit Bedacht ausgewählt. Sie sind die halben oder ganzen Klassenfeinde aus alter Zeit, die den anrüchigen auswärtigen Kontrast zum keulenschwingenden heimatlichen Bruder bilden. Der Gedanke, daß das Zusammenleben mit dem schwer fallen könnte, wäre aber auch ohne diesen Trick nicht aufgekommen.

In der Zeitschrift Konkret behandelte Wolfgang Pohrt das Verhältnis von Flüchtlingen und Klassengesellschaft, aber anders. Vorbei seien die Zeiten, ,,wo unter politischen Flüchtlingen verfolgte Sozialisten waren". Das ist Pech. Man kann sich eben nicht immer auf das Ausland verlassen. ,,Der politische Flüchtling von heute ist einer, der in seinem Herkunftsland ein Regime errichten möchte, wie es das in seinem Aufnahmeland schon gibt." Indem Pohrt alle Flüchtlinge gleich macht, kann er sie als Gesamtobjekt behandeln. Sie seien allesamt ,,Agenten, Kollaborateure, Geschäftspartner, Stoßtrupp, Brückenkopf" der deutschen Wirtschaft und Regierung. Die soziale Frage ist für ihn nun eindeutig beantwortet. Kollaborateure der herrschenden Klasse müssen bekämpft werden. Nach dem Austausch von Täter und Opfer gewährt er uns Einblick in seine Psyche. Sind ,,die allermeisten arme Teufel?", fragt er und antwortet: ,,So empfindet man", aber ,,möglich allerdings, daß unser mitleidiges Herabschauen auf die armen Teufel daher kommt, daß uns vor soviel Einfallsreichtum, Findigkeit, Vitalität und Tatkraft, wie sie zeigen, bange wird, etwa so, wie kleine Kinder große Tiere streicheln, die ihnen nicht ganz geheuer sind."

Seine Omnipotenz-Phantasien haben aus Flüchtlingen nun ganz große, vitale Tiere gemacht, vor denen die Deutschen zu Recht bange sein müßten. Konsequent diffamiert er die Solidarität mit Verfolgten als bloße Furcht vor dem naturgewaltigen Ungeheuer, dessen Zuneigung man sich erkaufen möchte. Der Verdacht ist zu blöde, um perfide zu sein, und der Konkret-Beitrag wäre im Papierkorb verschwunden, wenn er uns nicht die Stichworte für eine der dominanten Wurzeln des Rassismus liefern würde. Pohrts Omnipotenz-Wahn, der mit ,,unserer" Mickrigkeit korreliert, läßt die Dämme brechen. Der Flüchtling habe ,,Strapazen ausgehalten, unter denen wir zusammenbrechen würden, er hat sich durchgeschlagen, wo unsereiner resignieren und kapitulieren würde". Wir sollten endlich begreifen: ,,Es sind die Fittesten, die sich durchgeschlagen haben bis hierher." Ja doch! Und die Potentesten! Und sie vermehren sich wie die Kaninchen! ,,Und sie werden Karriere machen", fürchtet Pohrt. Klar, den BewohnerInnen in den Container-Dörfern der Wälder steht die Welt offen! ,,Um an die Spitze von Daimler-Benz zu kommen", spinnt er weiter, ,,braucht man das Naturell eines Rausschmeißers" und bei den Schießereien auf dem Kiez, zöge ,,das im Entstehen begriffene neue weltweite Herrschaftssystem sich seine Führungskräfte heran. Soll es. Aber warum soll unsereiner diesen Prozeß mit rührseligen Kommentaren begleiten?"

Nicht doch, nur keine Rührseligkeit. Die effektivsten Trainingsmethoden zur Aufzucht der neuen Weltführung hast du noch übersehen. Schon beim Verlassen eines Container-Lagers setzt das Überlebenstraining ein. Die Sprünge aus den Fenstern der Abschiebeknäste machen topfit. Das Spießrutenlaufen mit Schmuggelware stählt genauso wie die Ausbeutung in illegalen Putzkolonnen. Scheinhinrichtungen und das gespielte Vergasen in Polizeiknästen vitalisieren mindestens so wie die Treibjagd, die deutsche Nazis und Bauarbeiter veranstalten, und selbstverständlich rekrutiert Daimler seine Führungskräfte aus der Albaner-Mafla, die dir in die Glieder gefahren ist. Pohrts Denken erschöpft sich im darwinistischen Weltbild. Die Gesunden und Starken kommen durch. Die phantasierte Omnipotenz der fremden Natur verbindet sich mit dem deutschen Opferwahn. Omnipotente Bedrohung! Ende des Mitleids! Ende der Toleranz! Das hätte Konkret doch mit Otto Schily einfacher haben können.

Mußte man mit Pohrt gleich eine neue Verschwörung kolportieren, die dabei sei, über die darwinistisch-schaurige Selektion Weltherrschaft zu erringen? Warum verwandelt sich die Mitleidsgeste mit einem in Afrika hungernden Kind in blanken Haß, wenn es überlebt und als erwachsener Mensch vor Wolfgang Pohrt steht? Liegt seine ,,Schuld" im Überleben? Zumindest verschafft ihm sein Tod eine mildere Betrachtung. Was hat es auf sich mit der Angst der Zivilisierten vor der Naturkraft?

Das Phänomen begegnet uns überall und in allen möglichen Facetten. Eine Journalistin und ein Journalist vom Hamburger Abendblatt waren aufgebrochen, um eine Reportage zu schreiben über die Belastung des Hamburger Schanzen-Viertels durch schwarze Dealer. Sie schildern uns, wie sie am S-Bahnhof stehen und einen Schwarzen beobachten, der auf dem Weg zum Kiosk ,,eine Schachtel Marlboro Light aus der Tasche" holt und ,,das Aluminium-Blatt achtlos auf den Asphalt" wirft. Sie bedrängen zwei Polizisten. ,,Haben Sie das gesehen? Warum unternehmen Sie nichts?" Die beiden Uniformierten murmeln, sie hätten dann vieles zu tun. Der (damalige) Hamburger Polizeipräsident, mit dem die beiden verabredet sind, kommt vorbei. Sie zeigen auf das Papier und insistieren: ,,Warum tun Sie nichts, Herr Uhrlau?" Als sie nach dem Rundgang durchs Viertel wieder am Bahnhof angelangt sind, machen sie die entsetzliche Entdeckung: ,,Das Aluminium-Papier aus der Zigaretten-Schachtel liegt immer noch auf der Straße." Am Ende ihrer Reportage offenbarten die beiden sich: ,,Manch einer ertappt sich mit Grauen bei der Abneigung, die ihn beim Anblick eines Schwarzafrikaners überfällt."

Das ist es. Es ging nicht um das Papier (was für sich genommen schon reichlich neurotisch wäre). Der Anblick des Schwarzen hatte die Schleuse der Zivilisationsneurose derart weit geöffnet, daß die beiden immerfort nach Polizei rufen mußten. Ähnlich hart geht der Projektionswahn mit Kurden ins Gericht. Die waren aufgebracht, hatten Leidenschaft gezeigt, hatten demonstriert. In derselben Woche, in der die US-Justiz zwei Mörder deutscher Abstammung hinrichtete und Die Zeit ernsthaft die Frage aufwarf, ob die USA in dem gemeinsamen Wertesystem noch etwas zu suchen hätten, wurden die Deutschen in einer repräsentativen Erhebung gefragt: ,,Sollten straffällige Kurden in die Türkei abgeschoben werden, auch wenn dort Folter und Todesstrafe drohen?" 49% der Befragten antwortete mit Ja" und 13% hatte sich noch nicht endgültig entschieden. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen will die Kurden also schon für Ladendiebstahl gefoltert oder ermordet sehen.

In rassistischen Gewalttätern bündelt sich der komplette Katalog des Projektionswahns. Rassisten, die sich in Hoyerswerda austobten, wurden nach ihren Motiven gefragt. Die Männer sonderten serienweise Sexphantasien ab: ,,Neger zwingen ihre Frauen zu Sextänzen in Kellerkneipen", sagte einer. Ein anderer schwelgte: ,,Der hat wahrscheinlich im Heim drei Frauen." Ein Dritter lechzte: ,,Zigeunerinnen tragen keine Unterhosen." Die ,,Neger standen nur immer da mit ihrer unverschämten Lässigkeit, selbst nach der Arbeit, wenn sie kaputt waren", sagte ein Arbeiter. Einer Hausfrau war aufgefallen: ,,Die fassen Obst an, ekelhaft." Eine Gruppe, die erregt die Brandschatzung anfeuerte konnte sich kaum darüber beruhigen, daß die ,,Zigeuner" einfach auf dem Rasen gesessen hätten, was doch verboten sei. ,,Es gab", sagte der rhetorisch geschulte SPD-Vorsitzende von Hoyerswerda, ,,jede Nacht in irgendeiner Wohnung eine laute Fete". Da dürfe sich niemand wundern: ,,Vielleicht hätte ich auch nach einem halben schlaflosen Jahr im Geiste den ersten Stein geworfen."

Bei Pohrt waren die Fremden übermächtig vital, hier haben sie mindestens drei Frauen pro Nacht und sie feiern, sind lässig, fassen an, tun Verbotenes. In der Summe erregt sich Haß gegen das, was mit lebendigem Leben identifiziert wird. Ob anderen vorgehalten wird, sie seien lässig oder erlaubten sich eine - in der eigenen Vorstellung zur Sachleistung deformierten - Sexualität; immer schwingt die eigene Verkümmerung mit, in der sich das System spiegelt. Die Täter spüren, daß in ihnen Sinnlichkeit, Lebensfreude, Erotik, Lust erstickt sind, und sie ahnen, daß ihre dürftigen Reste einer Sehnsucht in diesen Verhältnissen keine Erfüllung finden; andere Verhältnisse entziehen sich aber ihrer Vorstellungskraft. Umso radikaler hassen sie jene, auf die sie, zu Recht oder fälschlich, die ihnen abhanden gekommenen Möglichkeiten projizieren. Wenn sie das Glück nicht greifen können, soll es mit denen, die an ihm teilzuhaben scheinen, ausradiert werden. Die eigene Verkümmerung wird zur Norm, deren - auch nur scheinbare - Negation nicht ertragen wird. Erst wenn die anderen noch unglücklicher oder tot sind, läßt der eigene Zustand sich wieder einigermaßen ertragen. Adorno erinnerte daran, daß unter der bekannten Geschichte Europas ,,eine unterirdische läuft". Sie bestünde in dem Schicksal der durch die Zivilisation verdrängten und entstellten Leidenschaften. ,,Von der Verstümmelung betroffen ist vor allem der Körper."

Der Wahn, andere für das zu hassen, was man ihnen andichtet, kann weder der Arbeitsplatz, noch ein anderes Verhalten der Stigmatisierten beseitigen. Ob einem Juden zugeschrieben wird, er sei ohne Arbeit reich geworden, ob einem Roma der Hauch des Abenteuers, einem Schwarzen allerlei Triebhaftes, oder allen zusammen die Omnipotenz angehängt wird, stets charakterisieren diese Phantasien die Phantasierenden selber und jedes Bemühen um ihre Widerlegung würde dem Irrsinn einen Anschein von Vernunft geben. Die kapitalistischen Verhältnisse betreiben fortlaufend jene Reduktion des Menschen, die sich in wahnhaften Projektionen entlädt. Sie reproduzieren daher Rassismus. Wer die Lässigkeit des Fremden haßt, offenbart seine sinnliche Entbehrung im herrschenden System. Von Anfang an hat sich die funktionsgerechte Dressur mit Rassismus verbunden. Der Aufklärer Kant war davon überzeugt, daß Menschen ,,in den heißen Ländern" nicht ,,die Vollkommenheit der temperierten Zonen" erreichen. ,,Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen", denn ,,der Einwohner des gemäßigten Erdstrichs" sei ,,arbeitsamer, scherzhafter, gemäßigter in seinen Leidenschaften, verständiger als irgend eine andere Gattung in der Welt. Daher haben diese Völker zu allen Zeiten die anderen belehrt und durch Waffen gezwungen" (Physische Geographie). Sehen wir davon ab, daß auch die Scherze im gemäßigten Erdstrich oft recht derbe geraten, wird im übrigen die Diktatur über den sinnlichen Ausdruck - Arbeit, Leidenschaftslosigkeit, Mäßigung - als Tugend und Legitimation für Bevormundung und Unterwerfung definiert. Bei de Lapouge war dann 1899 der "Arier" der einzige verläßliche Arbeiter, weil ihm Müßiggang fremd sei.

Kapitalismus übt nicht nur die Triebunterdrückung für den rationalen ökonomischen Zweck ein. Er schult auch die Jagd der ,,Gemäßigten" auf solche Menschen, die öffentlich durch Schwäche gekennzeichnet sind. Marktwirtschaftliches Denken ist die Übertragung der darwinistischen Auslese in der Natur als Ordnungsvorstellung auf die menschliche Gesellschaft. Im Marktdenken ist Wahrheit gleichgesetzt mit dem legitimen Sieg des Starken und dem genauso legitimen Ruin des Schwachen im dauernden Konkurrenzkampf. Die Ruinierung eines Konkurrenten ist normales Geschäft. Wie in der Natur frißt der Sieger die tauglichen Reste des unterlegenen Kadavers: seine Kunden, Maschinen, sein Fachpersonal. Die Konkurrenz setzt sich unten im Betrieb als Mobbing fort. Die neuerliche Behauptung, die rassistische Gewalt ostdeutscher Jugendlicher käme von der kollektiven Kindeserziehung in der DDR, ist pure Propaganda. Das Losschlagen ist ihnen vom Marktgesetz eingeimpft worden. Mit der Beseitigung der schlechten sozialistischen Staaten wurde synchron die Vision von einer besseren Gesellschaft, die nur solidarisch gedacht werden kann, diskriminiert. So wurde die von der Konkurrenz beseelte Brutalität von einer ihrer Reglementierungen befreit.

Bei der Polizei zeigt sich wie in einem Laborversuch, was die extreme, zivilisatorisch und sozial kaum abgefederte, Gleichzeitigkeit von strangulierten Sinnen und darwinistischer Entfaltungsmöglichkeit anrichten kann. In jedem Jahr wird nur in den alten Bundesländern gegen etwa 9.000 Beamte wegen Mißhandlungen ermittelt, schreibt der Wuppertaler Kriminalsoziologe Manfred Brusten. Die Dunkelziffer liegt viel höher, weil die Opfer davon ausgehen können, daß die Beschwerde ihre Lage in der Regel nur verschlimmert. Polizisten sind abgerichtet zum Hart-Sein, Funktionieren und Hinunterwürgen einer befreienden Renitenz. Gleiche Kaserne, Uniform, Schweißfüße, Haarschnitte, Befehle und Gebrüll als Sprechersatz treiben die Reste von Autonomie aus. Soweit ein Polizist sich erinnern kann, wurden intelligente Gedanken als sinnloses Gequatsche von Weltverbesserern madig gemacht. Irgendwann fühlt das uniforme Wesen sich nur noch unter Gleichen wohl, weil der schmerzhafte Selbstreflex auf die eigene Verkarstung in der Herde schon aus Mangel an Vergleichen kaum noch aufkommen kann.

Die ihrer Individualität beraubte Kreatur fühlt sich schon durch das bloße Anderssein kompromittiert. Das trifft Farbige genauso wie Punks oder Obdachlose, weil sie die uniforme Ordnung konterkarieren. Je totaler die Dressur, desto abgründiger der Exzeß. Aus einem Bericht über eine Düsseldorfer Wache: "Die Opfer wurden blau und blutig geprügelt... in den Magen und die Geschlechtsteile getreten, mit Nadeln in den Hintern gestochen... mit einer Dienstpistole scheinhingerichtet; sie mußten Urin trinken, Blut vom Boden auflecken und stundenlang in strammer Haltung stehen bleiben." Die Polizisten hätten dabei gelacht und sich später erzählt, daß sie selten soviel Spaß gehabt hätten. Die Ahnung, daß sie für jene Kreise, deren Vermögen sie zu schützen haben, nicht mehr sind als Wachhunde, und die relative Konsequenzlosigkeit ihrer Taten verschlimmern das Treiben.

Wenn der Vorurteilsbeladene annehmen darf, daß die Obrigkeit genauso denkt wie er, oder daß alle irgendwie so denken wie er, verdichtet sich sein Vorurteil zur Gewißheit. In diesem Kontext wirken Staat und Gesellschaft als Manipulatoren der Gewaltentladung. Werfen wir einen Blick auf das, was die öffentliche Propaganda angerichtet hat und aktuell anrichtet. 20 Jahre ,,Asylantenschwemme" als Staatsdoktrin haben dazu beigetragen, daß die deutsche oder weiße Schicksalsgemeinschaft sich schmiedet und daß der autoritäre Charakter Erlaubnis zum losschlagen erhält. Der rot-grüne Staat symbolisiert nun den Wechsel von der verschämten Inanspruchnahme der Gnade der späten Geburt zur unverschämten, indem er das, was vorher die Konservativen sagten, unverfrorener bestätigt. Kanzler Schröder spricht vom ,,Selbstbewußtsein einer erwachsenen Nation", die sich ,,niemandem mehr unterlegen fühlen muß", sein Regierungssprecher fügt im Walserschen Duktus hinzu, ,,daß

Deutschland sich nicht mehr mit dem schlechten Gewissen (seiner Geschichte) traktieren läßt". Außenminister Fischer droht den Serben die ,,letzte Chance" an und Otto Schilly verkündet, daß ,,die Grenze der Belastbarkeit durch Zuwanderung überschritten" sei. Wenn ,,die" noch vehementer dasselbe sagen, verliert das Vorurteil den letzten kritischen Reflex.

Der erste deutsche Krieg seit Hitler gibt der nationalen Schicksalsgemeinschaft einen Schub, gleichzeitig bewirkt die Zerlegung beherrschter Teile der Welt in Ethnien eine Freisetzung von rassistisch-völkischen Trennungen in den Köpfen. Dieser Prozeß, der mit der kalkulierten Zersetzung Jugoslawiens erst begann, wird sich dynamisch den Rohstoffbasen nähern. Er folgt dem außenpolitischen Kalkül, das Heinrich Himmler einst so formulierte: ,,Bei der Behandlung der Fremdvölkischen ... müssen wir darauf sehen, soviel wie möglich einzelne Völkerschaften anzuerkennen und zu pflegen ... Ich will damit sagen, daß wir nicht nur das größte Interesse haben, die Bevölkerung des Ostens nicht zu einen, sondern im Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu zergliedern." Als Volker Rühe noch im Amt war, besuchte er vorsorglich Kasachstan und verkündete dort pathetisch, daß dem deutschen Volk die kasachische Ethnie am Herzen läge. Bis dahin wußten zumindest die Westdeutschen nicht, daß Kasachen existieren. Nach einer Expertise der Deutschen Bank über die Nutzbarkeit des Ostens liegen in Kasachstan: Erdöl, Erdgas, Gold, Silber, Nickel, Wolfram und andere strategische Rohstoffe. Möglich, daß die Deutschen sich bald an Greueltaten in Kasachstan gewöhnen müssen oder Anteil nehmen sollen an der ,,naturwidrigen" Besiedelung der mittleren Wolga. Dort leben Russen, Tartaren, Tschuwaschen, Baschkiren, Mordwinier, Udmurten, Mari und Komi noch einträchtig zusammen. Gruppen für mörderische Dynamiken werden sich vor Ort finden lassen.

Mit der ethnologischen Normierung der Fremden wächst blind die deutsche Norm. Die neuen Grenzen pflanzen sich als Grenzen ins Bewußtsein. Ob Menschen sympathisch, anregend, solidarisch oder das Gegenteil von allem sind, zählt immer weniger. Sie werden zugerichtet auf ein für das Vorurteil und für die Manipulation handhabbares Objekt. Sie sind die Summe dieser oder jener Natur, passend für den jeweiligen Gebrauch: als "Asylantenschwemme", als leidende Masse für die Kriegspropaganda, als aggressive Gesamtnatur für den Bombenabwurf. Die Suggestion, daß Menschen nur völkisch getrennt überlebensfähig seien, vernichtet die Vorstellung von einem solidarischen Zusammenleben. Rassismus, der die Wirklichkeit den eigenen Wahnvorstellungen angleichen möchte, und der deshalb Trennung und Vertreibung natürlich findet, bekommt den Geruch des Rationalen.

Beides, die Verdinglichung der Menschen im Kapitalismus, die den Haß auf nicht mehr gelebte Leidenschaften hervorruft, wie auch die von den nationalen Interessen Deutschlands gespeiste Propaganda, werden den Rassismus laufend reproduzieren. Daraus folgt unmittelbar, daß er nur diszipliniert, riskant gemacht, reglementiert oder aber losgelassen werden kann. Wer im rassistischen Wahn lebt, ist zu Mordgedanken aber zu keinem Befreiungsgedanken fähig. Im Sinne der sozialen Befreiung ist Rassismus permanente Konterrevolution und jedes sozialpolitische Verständnis für ihn beschleunigt den Bewußtseinsverfall. Antirassistische Politik zielt insofern auf das Wesen menschlicher Befreiung, als sie Solidarität erhalten, die auf Rassismus und Nationalismus beruhende Gewalt gegen Menschen beenden, die ideologischen Grenzen zwischen den Ausgebeuteten, Verfolgten und Mißbrauchten weltweit einreißen, die Manipulierbarkeit der Menschen eindämmen will, und weil die Akteure in Zeiten der Regression (Reaktivierung älterer Verhaltensweisen bei Abbau oder Verlust des höheren Niveaus) sich selber Freiräume zum Atmen erhalten oder schaffen möchten.

Der Kampf gegen den Rassismus ist sowohl im politischen als auch im existentiellen Sinne des Überlebens ,,soziale Frage". Wer Verfolgten Schutz gewährt oder sich politisch für ihre Rechte, die sie kaum noch haben, stark macht, folgt gleichzeitig seiner berechtigten Ahnung, wie ihm geschieht in einer restlos verrohten Gesellschaft, für die die Ausländerjagd ein untrügliches Indiz ist. In einer solchen Gesellschaft wäre es logisch um die soziale Frage geschehen. Soziale Befreiung und elementare humanistische Freiheiten lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, auch nicht als Haupt- und Nebenwiderspruch. Nationalismus, Ethnozentrismus und Rassismus stehen genauso wie patriarchale Gewalt nicht neben der sozialen Frage. Mit der Ignoranz gegenüber der Unterdrückung von Frauen und der Stigmatisierung von Menschen, die nicht der eigenen Nation zugerechnet werden, könnte schlicht von sozialer Befreiung nicht gesprochen werden. Nationalismus, dem Rassismus immer anhaftet, negiert jeden Gedanken an Befreiung, weil soldatischer und arbeitswütiger Männlichkeitswahn, soziale Unterwerfung unter imaginäre vaterländische Pflichten und die Bevorzugung des eigenen Staatsvolks seine Fundamente sind.

Andererseits könnte wiederum ohne einen umfassenden Begriff von sozialer Befreiung und den Kampf für Autonomie jenes Fundament nicht aufgebrochen werden, das den projektiven Wahn reproduziert, der sich an den Gebrandmarkten oder einfach "Anderen" austobt. Die Lösung vom Rassismus hängt insofern elementarer als in der verkürzten und falschen Behandlung mit der sozialen Frage zusammen. Wer begreift, daß dieses System nicht deshalb Revolution verdient, weil es zu wenig Arbeitsplätze bietet, sondern weil es die vielen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen - ihre Wünsche, ihre Ideen. ihre Lust, ihr Spiel, ihre Kunst, ihre Sensibilität, ihre Musik, ihre Liebe, ihre Sehnsucht nach Freiheit tagtäglich ausmerzt, um an die Stelle aller Möglichkeiten zwei Funktionen zu setzen: arbeiten und kaufen, wird den Projektionswahn kritisch reflektieren und eine bessere Gesellschaft, die sich nicht im Arbeitsplatz erschöpft, anstreben.

BUKO-Arbeitsschwerpunkt Rassismus und Flüchtlingspolitik: Zwischen Flucht und Arbeit. Neue Migration und Legalisierungsdebatte. Hamburg, 1995
Theodore W. Allen Die Erfindung der weißen Rasse, Berlin 1998
Dieser Text wurde für das Buch "kein Mensch ist illegal - Ein Handbuch zur Kampagne" geschrieben. Es ist Ende Juni 1999 im ID-Verlag erschienen.

Dieser Text dient zur Vorbereitung von
Antirassismus Tage an der FU Berlin (OSI)

nach oben