Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich
Französische Regierung umgebildet
Neuer Innen- und Justizminister Nicolas Sarkozys heftig umstritten

07/2020

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onlinezeitung

Stand: 10. Juli 20

Nicolas Sarkozy ist nicht tot. Auch dürften ihm göttliche Eigenschaften wohl eher fehlen. Und dennoch er ist auferstanden – zumindest politisch. (Nein, kein „Halleluja“.)

Nicht nur, dass zahlreiche Kommentatoren in den vergangenen Tagen daran erinnerten, sowohl der neue Premierminister in der am vorigen Montag, den 06. Juli 20 umgebildeten französischen Regierung – Jean Castex – als auch dessen Innenminister, Gérald Darmanin, stünden dem früheren konservativen Präsidenten nahe. Castex diente unter Sarkozys Präsidentschaft, die von 2007 bis 2012 dauerte, unter anderem im letzten Jahr als stellvertretender Generalsekretär des Elysée-Palasts; eine Funktion, die im deutschen politischen System ungefähr mit der eines Vize-Kanzleramtsministers zu vergleichen wäre. Dem breiten Publikum war Castex dennoch bis vor kurzem weitgehend unbekannt. Zu Prominenz gelangte er erst in diesem Frühjahr 2020, als er unter Emmanuel Macron Ende März d.J. zum Sonderbeauftragten für die angestrebte Lockerung des Lockdowns (Monsieur déconfinement) ernannt worden war.

Hinzu kommt ferner, dass viele der Auftritte des nunmehrigen Innenministers Darmanin frappierend an die Sarkozys in seiner Sturm- und-Drang-Zeit erinnern, also in seinen Jahren als Innenminister – mit Unterbrechungen zwischen 2002 und 2007 -, als er medienwirksam den Hardliner gab und um das Erringen maximaler Aufmerksamkeit bemüht war. Nicolas Sarkozy bereitete damals seine Präsidentschaftskandidatur vor, während er im November 2003 in einer Talkshow erstmals auch explizit Ambitionen auf das höchste Staatsamt geltend machte.

Ähnliches wird nun auch Darmanin zugetraut. Ihn verbindet mit Sarkozy auch, dass er nacheinander sowohl Finanz- als auch Innenminister war, Sarkozy bekleidete den Posten im Finanzministerium in einer Zwischenphase 2014/15. Diese Doppelfunktion qualifiziert angeblich für das höchste Amt im Staate. In der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag (vom 08. zum 09. Juli d.J.) begab sich Darmanin gegen Mitternacht vor surrenden Kameras zu den Polizeikräften im Pariser Stadtteil La Chapelle, den unter anderem südasiatische Einwanderung, aber auch zunehmende Drogenprobleme prägen. (Vgl. bspw.: https://www.bfmtv.com) Man glaubt hier tatsächlich einen Wiedergänger Sarkozys, der im Jahr seiner Ernennung 2002 seinen Urlaub mit Frontbesuchen mit Polizeieinheiten zubrachte, zu erkennen.

Geharnischter feministischer Protest

Doch gibt es da einige Schönheitsfehler im Bild. Einer davon liegt darin, dass Feministinnen und andere mehrere Tage hintereinander empört ging, etwa am heutigen Freitag Abend (10. Juli) zu Tausenden in Paris und anderen Städten, um gegen Darmanins Ernennung zu protestieren. Einer ihrer Slogans dabei lautete: „Ihr wischt Euch mit unseren Strafanzeigen den Hintern ab!“; ein anderer, ironisch: „Vermeiden Sie einen Verwaltigungsprozess, indem Sie oberster Dienstherr der Polizei werden!“ Hintergrund dafür ist, dass zwei Frauen seit mehreren Jahren Vergewaltigungsvorwürfe gegen den erheben. Ein Ermittlungsverfahren dazu (in einem der beiden Fälle) wurde just Ende Juni d.J. erneut aufgenommen, nachdem es zwischenzeitlich eingestellt worden war.

Bei den Vorwürfen geht es um zwei Damen, die sich beide als Bittstellerin an ihn wandten. Im einen Fall im Jahr 2015 in seiner Funktion als Bürgermeister im nordfranzösischen Tourcoing, mit einem Ersuchen um eine Wohnung und eine Beschäftigungsmöglichkeit im kommunalen öffentlichen Dienst. Im anderen Falle wurde der studierte Jurist 2009 als damaliger Mitarbeiter der Rechtsabteilung der seinerzeitigen Regierungspartei UMP – heute in Les Républicains (LR) umbenannt – kontaktiert: Eine Frau wollte eine aus dem Jahr 2004 stammende Verurteilung wegen Gewalttaten und Stalkings gegen ihren Ex aus dem Strafregister tilgen lassen. (Vgl. zu dieser Affäre u.a.: https://www.youtube.com/watch?v=X1q9IBEkqaY ) Darmanin behauptet, es habe einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihm gegeben. Allerdings versandte er Ihr später eine SMS, in welcher er sich dafür beschuldigte, sich (sinngemäß) „wie ein Arschloch benommen“ zu haben; und die Dame selbst äußerte sich gegenüber Dritten in dem Sinne, sie habe „sich opfern//überwinden müssen“ (im Originalwortlaut eher: ,in den Kochtopf wandern‘ bzw. ,durch den Kochtopf durchgehen‘, doch dies hatte oben genannte Sinnbedeutung).

Und selbst wenn es (wie der Minister selbst es darstellt) nicht um eine Vergewaltigung handelte, wie beide Damen behaupteten, sondern um einen von ihnen „hingenommenen“ Geschlechtsverkehr, welcher im Gegenzug gegen eine Vorteilnahme irgendwie akzeptierte wurde – dann handelte Darmanin mindestens machtmissbräuchlich und korrupt. Und dies ist wohl noch die für ihn günstigste Version…

Präsident Macron hatte bis dahin den Eindruck erweckt, unter dem Einfluss der #me-too-Bewegung – in deren Gefolge Ermittlungen wegen Sexualverbrechen unter anderem gegen den islamischen Prediger Tariq Ramadan eingeleitet wurden – genieße die Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt höchste Priorität. Die linke Feministin Caroline de Haas kritisierte zwar, dass dies zwar in Reden gelte, jedoch etwa im laufenden Jahr keinerlei Aufstockung von Mitteln im Justiz- oder im Bildungswesen dafür stattgefunden habe. Nunmehr, infolge der Ernennung Darmanins, wird die Kritik von de Haas und vieler ihrer Mitstreiterinnen jedoch ungleich schärfer. Ihnen zufolge wird jetzt deutlich, dass es überhaupt keinen politischen Willen gebe, ernsthaft bei dem Thema aktiv zu werden. Regierungschef Castex seinerseits beruft sich auf die juristische Unschuldsvermutung gegenüber Darmanin.

Noch ein weiterer Minister steht in der Kritik der Feministinnen: Es handelt sich um den nunmehrigen Justizministerin und früheren medien- und publicityträchtigen „Staranwalt“ Eric Dupont-Moretti. Er wurde nicht allein dadurch bekannt, dass er unter anderem auch als Strafverteidiger von Sexualstraftätern oder Sexualstraftaten Beschuldigter auftrat – für einen Strafrechtsanwalt kann dies zum Job gehören (je nach Berufsverständnis), und jeder Lump hat tatsächlich das Recht auf eine Verteidigung - , sondern dabei mitunter auch ruppig und aggressiv gegen Expertinnen vorging; aber bisweilen auch gegen Nebenklägerinnen oder Zeuginnen, die mutmaßliche Opfer sexueller Gewalt waren. Dies muss man nicht machen, auch wenn man als Strafverteidiger sein Einkommen verdient. Mittlerweile schwört der frischgebackene Justizminister, er habe schon immer feministische Werte vertreten.- Vgl. zur Kritik u.a.: https://www.francetvinfo.f

Ein früheres Karrieresprungbrett am rechten Rand

Gérald Darmanin machte im Übrigen auch dadurch von sich reden, dass er zu Beginn seiner politischen Karriere – der 37jährige war im Alter von 16 der Rechtspartei RPR, Vorläuferin von UMP und LR, beigetreten – auf dem Rechtsaußenflügel aktiv war. Darmanin war zunächst Mitarbeiter des nordfranzösischen Abgeordneten Christian Vanneste. Jener sprach sich etwa 2010 für ein Bündnis von UMP und Front National aus, wurde jedoch 2012 durch die Erstgenannte ausgeschlossen, nachdem er durch wiederholte homophobe Sprüche auffiel. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte eine Aussage, mit welcher er leugnete, dass es im Zweiten Weltkrieg Deportationen von Homosexuellen gegeben hat. Darmanin mag eher aus Karrieredurst denn aus Ideologie gehandelt haben, als er Vanneste zuarbeitete, doch trat auch er selbst noch 2014 mit einer heftigen Ablehnung der unter einer sozialdemokratischen Regierung (per Gesetz vom 17.05.2013) eingeführten „Ehe für Alle“ hervor. //Vgl. https://www.rtl.fr/actu/ oder https://fr.sputniknews //

Auch wenn der frischgebackene zugleich mindestens in einer Senatsdebatte in seiner ersten Amtswoche (06. bis 10. Juli 20) weniger rassistisch auftrat als die konservative Rechtsopposition – er bügelte die platten Aussprüche einer Senatorin der stärksten Rechtspartei Les Républicains (LR) über „den Islam“ tendenziell ab, und verwies dabei sogar, in dem Kontext relativ mutig, indirekt auf seinen zweiten eigenen Vornamen Moussa -, bleibt Darmanin klar rechts verankert. Seine beiden Großväter waren respektive ein algerischer Weltkriegssoldat in der französischen Armee und ein maltesischer Jude. Insofern wird Darmanin wohl nicht in Versuchung kommen, ein rasender völkischer Antisemit zu werden wie etwa der französische Publizist Alain Soral. Aber auch Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, welcher wiederholt in politisch-ideologischen Kampagnen bis weit rechtsaußen ausholen konnte (Stichwort: Schaffung eines Ministeriums „für Einwanderung und nationale Identität“ 2007 und landesweite „Debatte zur nationalen Identität“ als Regierungskampagne von November 2009 bis Februar 2010, vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd1209/t241209.html und http://www.trend.infopartisan.net/trd0310/t390310.html ) - obwohl die weltanschaulich gestählten Rechten merkten, dass es eher um politische Verkaufsstrategie denn tiefe Überzeugung ging – hatte persönlich keine Wurzeln in „Blut & Boden“. Nicolas Sarkozy war/ist ungarischer Herkunft, und seine damalige heißgeliebte Frau – nach Machtantritt allerdings alsbald Ex-Frau - Cécilia Sarkozy (heute Cécilia Attias) unter anderem jüdisch-griechischer Abstammung. Cécilia Sarkozy wagte sogar einmal, von sich selbst zu sagen, sie haben „keinen Tropfen französischen Bluts in den Adern“. (Vgl. https://www.liberation.fr/  Marine Le Pen schlug ihr bzw. ihrem Ehemann das Zitat 2007, rund drei Jahre nach seinem Publikwerden, brutal um die Ohren. (Vgl. https://www.lexpress.fr) Das hinderte politische Figuren wie Nicolas Sarkozy nicht daran, zumindest phasenweise harte rechte Botschaften in die Landschaft zu hämmern, wenn es ihrem Machtkalkül zupass kam; vielleicht, wie erwähnt, nicht aus tiefster Überzeugung (aber welche Rolle spielt tiefe Überzeugung bei solchem Politikpersonal überhaupt?).

Das Gesamtprofil der Regierung unter dem Wirtschaftsliberalen Präsident Macron hat sich dadurch erkennbar nach rechts verschoben, auch wenn mit der notorischen Karrieristin und neuen Umweltministerin Barbara Pompili zugleich eine frühere Grüne mit einem Regierungsamt belohnt wurde. Pompili zählte, zusammen mit dem späteren Parlamentspräsidenten und (ebenfalls) zeitweiligen Umweltminister François de Rugy – eine besonders peinliche Figur – und dem mittlerweile in der Versenkung verschwundenen Vincent Placé, zu jenen Grünenpolitiker/inne/n, die 2014 eine Hysteriekrise bekamen, als die seinerzeitige grüne Parteiführung wegen deren Rechtsentwicklung aus der Regierung unter François Hollande austraten. Daraufhin gingen Pompili, de Rugy und Placé eigene Wege, die später bei Emmanuel Macron landeten.

Soziale Weichenstellungen

Auf sozialem Gebiet versucht Castex vor allem den schwelenden Konflikt mit den Beschäftigten im Gesundheitswesen beizulegen. Zwischenzeitlich war eine allgemeine Lohnerhöhung in diesem schwer krisengeschüttelten Bereich um 300 Euro monatlich diskutiert worden. Am vorigen Donnerstag legte die Regierung nunmehr ihr letztes Angebot vor: neunzig Euro pro Monat mehr ab September 20 und weitere 90 Euro im kommenden Jahr (März 21), respektive mit Inflationsausgleich ab dann insgesamt 183 e mehr. Doch zugleich soll, wie am Freitag, den 10. Juli d.J. bekannt wurde, die geltende Arbeitszeitregelung im Gesundheitswesen ausgehebelt, sollen also längere Wochenarbeitszeiten gesetzlich erleichtert werden.

ZUSATZ NACHTRÄGLICH: Am Nationalfeiertag zum 14. Juli fanden erneut Demonstrationen von Gesundheitsbeschäftigten statt (in Paris mit rund 5.000 Teilnehmenden, mitsamt Scharzmützeln zwischen Vermummten und Polizei an der Spitze des Protestzugs und Tränengaseinsatz). Die CGT ruft ferner zu einem allgemeinen Streik- und Aktionstag am 17. September dieses Jahres auf.

Eiliger hatte es die Regierung, die während der Corona-Krise im Frühjahr 2020 vorübergehend als beerdigt geltende Renten„reform“ doch noch durchzusetzen. Bei Treffen mit den so genannten Sozialpartnern am Donnerstag und Freitag (09. und 10. Juli d.J.) wurde dies Gewerkschaftsdachverbänden und Arbeitgeberverbänden im Ton der Dringlichkeit verkündet. Beide wollen jedoch davon derzeit nichts wissen: Die Gewerkschaften sind inhaltlich wenig angetan. Und die Arbeitgebervereinigungen wollen Maßnahmen zur Rettung von Unternehmen in der einsetzenden Wirtschaftskrise den Vorrang einräumen: Einen Konflikt können man jetzt nicht brauchen. Kurz darauf akzeptierte Castex dann auch formal, die Wiederaufnahme der Rentenreform auf „2021“ zu verschieben.

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