Theorien des Staatskapitalismus
Cliff, Mattick sowie maoistische und operaistische Varianten

Eine Übersicht von Marcel van der Linden (Teil 3)

08/2015

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Theorien des Staatskapitalismus (Teil 1)
Mjasnikow, Adler, Wagner,  Worrall, Pollock
Theorien des Staatskapitalismus (Teil 2)
Trotzkistische Dissidenten und Bordiga

Die Strömung um Cliff

Cliffs (Glucksteins) Theorie, die schon in der Periode 1956-1968 wenig weiterentwickelt worden war, blieb im wesentlichen in Wiederholungen stek­ken. Die Diskussion unter Cliffs Anhängern konzentrierte sich auf einen Aspekt: die gesellschaftliche Position des Sowjetarbeiters.

1948 hatte Cliff behauptet, daß sich der Arbeiter in der Sowjetunion von einem Arbeiter unter konkurrenzkapitalistischen Verhältnissen unterscheide, weil sich der erstere im Gegensatz zum zweiten seinen Arbeitgeber nicht aussuchen könne, denn er kenne nur einen Unternehmer, den Staat:

»[...] so ist ein >Wechsel des Lohnherm< unmöglich, und der >periodische Verkauf der Arbeitskraft wird zur bloßen Formalität.«(2)

In den siebziger Jahren revidierten die Cliff-Anhänger Peter Binns und Dun-can Hallas diese Auffassung stillschweigend. Ihrer Meinung nach war der Sowjetarbeiter angesichts der vielen Betriebe, wo er seine Arbeitskraft ver­kaufen kann, sehr wohl ein »gewöhnlicher« Lohnarbeiter. Er befindet sich in derselben Situation wie ein britischer Arbeitnehmer beim National Coal Board oder bei der Eisenbahn:

»Kurzum, die herrschende Produktionsweise schließt als wesentliches Merkmal Lohn­arbeit ein, ein Lohnsystem in der strikten Marxschen Definition dieses Begriffs [...]. Und Lohnarbeit bedeutet Kapital wie Sklaverei Sklavenhaltung bedeutet.«(3)

In einem späteren Beitrag von Peter Binns, jetzt zusammen mit Mike Haynes verfaßt, wurde dieser Gedanke widerrufen. Jetzt lautete die Behauptung über­einstimmend mit Cliff, daß die Arbeitskraft in der UdSSR keine Ware sein könne, da ein echter Arbeitsmarkt fehle und es sich somit auch nicht um »Lohnarbeit in Marx' Verständnis dieses Wortes« handele. Dies sei jedoch kein ernsthaftes theoretisches Problem, da auch andere Arbeitsverhältnisse mit dem Kapitalismus zu vereinbaren seien, wie die frühere Plantagen-Sklaverei im Süden der Vereinigten Staaten.(4)

Diese Auffassung stieß auf kräftigen Widerspruch. Duncan Hallas meinte, daß die ganze Staatskapitalismus-Theorie hierdurch untergraben werde:

»Was hier zur Rede steht, ist nichts weniger als die Frage, ob es in der UdSSR ein Proletariat (im Sinn von Marx) gibt oder nicht. [...] Wenn Arbeit in der UdSSR keine Ware ist, dann gibt es dort kein Proletariat. Mehr noch, wenn Arbeitskraft keine Ware ist, dann kann es dort kein Lohnarbeit-Kapital-Verhältnis geben und deshalb auch kein Kapital. Deshalb kann es dort keinen Kapitalismus, in welcher Gestalt oder Form auch, geben [...]. Kein Tausch, kein Kapital. Tausch erfordert Löhne und deshalb Geld (die verallgemeinerte Ware) und die Produktion von Waren - Güter, die für den Verkauf produziert werden.«(5)

Um die Theorie des Staatskapitalismus anwenden zu können, war es also Hallas zufolge notwendig, die Arbeit in der Sowjetunion als Lohnarbeit zu charakterisieren (ein gutes Beispiel übrigens für eine Beweisführung, bei der das Ergebnis für wichtiger gehalten wird als die Art und Weise, in der es erzielt worden ist).(6) Auch Alex Callinicos kam zu einem ähnlichen Schluß.(7)

Die Erörterung der theoretischen Beziehung zwischen Lohnarbeit und Staatskapitalismus hatte auf jeden Fall deutlich gemacht, daß es sich hier um ein äußerst umstrittenes Problem handelt.

Mattick

Der deutsch-amerikanische Rätekommunist Paul Mattick (1904-1981)(8) erweiterte im Lauf der sechziger Jahre die Theorie in der Tradition von Rühle, Wagner, Huhn u.a. und kam so, jedenfalls soweit es die Beurteilung der Sowjetunion betrifft, der Auffassung von Tony Cliff und dessen Anhängerinnen sehr nahe. In seinem 1969 erschienenen Buch Marx and Keynes - eine erweiterte Fassung des sieben Jahre zuvor publizierten Essays mit demselben Titel(9) - versuchte Mattick eine Analyse des gesamten gegenwärtigen Kapita­lismus in all seinen Erscheinungsformen zu entwickeln. Der Staatskapitalis­mus unterscheide sich zwar grundlegend vom gemischten Kapitalismus, da kein Markt mehr bestehe, doch gleichzeitig gebe es wesentliche Übereinstimmungen:

»Alle staatskapitalistischen Systeme ähneln der kapitalistischen Marktwirtschaft da­durch, daß das Verhältnis von Kapital und Arbeit aufrechterhalten und kapitalistische Geschäftsmethoden angewandt werden. Der Staat, der die Kontrolle über die Produk­tionsmittel hat, setzt einen bestimmten Wert (in Form von Geld) für produktive Ressour­cen ein und erwartet, daß ein größerer Wert (in Form von Geld) aus dem Produktions­prozeß folgt. Der von den Arbeitern geschaffene Mehrwert wird gemäß den Entschei­dungen der Regierung verteilt. Er unterhält die nicht-arbeitende Bevölkerung, sichert die nationale Verteidigung, befriedigt öffentliche Bedürfnisse und wird in zusätzliches Kapital investiert. Alle wirtschaftlichen Transaktionen sind zugleich Tauschvorgänge oder erscheinen als solche. Arbeitskraft wird an das Management eines Unternehmens verkauft, und mit den Löhnen werden Waren vom Management anderer Unternehmen gekauft. Es gibt gleichsam einen >Handel< zwischen dem Management eines Unterneh­mens und dem der anderen - wie der >Handel< zwischen den verschiedenen Betrieben eines Konzerns in allen kapitalistischen Ländern. Dieser Quasi-Handel erreicht seine vollendete Form im vollständig zentralisierten staatskapitalistischen System. Es gibt, formal gesehen, keinen sehr großen Unterschied zwischen Privatwirtschaft und staatlich kontrollierter Wirtschaft, außer daß in letzterer zentrale Instanzen über das Mehrprodukt verfügen.«(11)

Die Verwandtschaft zwischen gemischtem und Staatskapitalismus darf nicht übersehen lassen, daß sie in der Realität durch eine tiefe Kluft getrennt sind: das eine System kann höchstwahrscheinlich nicht friedlich in das andere übergehen.

»Der Kapitalismus verwandelt sich nicht von alleine in den Staatskapitalismus; eine staatskapitalistische Revolution wäre aber genauso schwierig zu machen wie eine sozialistische. Da eine bewußte Organisierung der gesellschaftlichen Produktion die Enteignung des privaten Kapitals voraussetzt, kann die Umwandlung des gemischten Wirtschaftssystems in den Staatskapitalismus nur auf revolutionärem Wege vonstatten gehen.«(12)

Mattick erweitert den Marxismus also um den Gedanken, daß nicht allein beim Übergang von der einen Produktionsweise zur anderen, sondern auch bei einer internen Transformation innerhalb einer Produktionsweise eine tiefgreifende sozialökonomische Revolution erforderlich sein könne.

Mattick betont - anders als Cliff - den Umstand, daß der Staatskapitalismus vor allem in kapitalarmen Ländern, wo die Kapitalbildung Voraussetzung einer Vergesellschaftung von Produktion und Distribution ist, Chancen habe. Das Staatseigentum an den Produktionsmitteln sei die kapitalistische Form der Vergesellschaftung, die der sozialistischen Vergesellschaftung, d.h. dem Arbeitereigentum an den Produktionsmitteln, vorangehe. Für Gesellschaften wie die Sowjetunion gelte, daß Produktionsmittel noch immer Kapital seien, »weil sie vom Staat kontrolliert werden, statt der gesamten Gesellschaft zur Verfügung zu stehen«(13). Die sehr beschränkte Kapitalismusdefinition von Mattick (Lohnarbeit und fehlende Arbeiterselbstbestimmung) kommt hier prägnant zum Ausdruck. Während beispielsweise Cliff noch einsichtig zu machen versucht, daß die UdSSR allen von Marx formulierten Bewegungsge­setzen des Kapitals (tendenzieller Fall der Profitrate, Profitmaximierung usw.) unterworfen sei, hält Mattick dies nicht für nötig. Deshalb auch zögert er nicht zu behaupten, daß das Mehrprodukt in der Sowjetunion nicht als Profit realisiert zu werden brauche.(14)

Maoistische Varianten

Im Oktober 1961 fand in Moskau der XXII. Kongreß der KPdSU statt, bei dem der Konflikt zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China offenbar wurde. Dieser Gegensatz verschärfte sich in den folgenden Jahren und führte dazu, daß die chinesische Führung von 1967 an den Standpunkt vertrat, in der Sowjetunion sei der Kapitalismus wiederhergestellt. Nicht unberechtigt scheint die Annahme, daß diese »Theorie« - die von den chine­sischen Kommunisten nie fundiert wurde - vor allem die Funktion hatte, die geänderte Außenpolitik zu legitimieren.(15)

Bei den Kommunisten im Westen verursachten die Spannungen zwischen Moskau und Beijing einige Verwirrung. Typisch war in dieser Situation wohl das Agieren der Redakteure der berühmten amerikanischen Zeitschrift Month-ly Review. In dem von Leo Huberman und Paul Sweezy verfaßten Leitartikel vom Dezember 1961 hieß es, daß sowohl der chinesische als auch der russische Standpunkt marxistisch begründet sei, die Russen aber doch recht hätten:

»Die chinesische Position erscheint uns als typisches Beispiel einer Art linken Dogma­tismus, der immer wieder in der Geschichte der internationalen sozialistischen Bewe­gung aufgetreten ist. Zwei der charakteristischen Kennzeichen, an denen [dieser Dog­matismus] erkannt werden kann, sind die Unterschätzung des Nationalismus und das Zusammenwerfen aller oppositionellen Strömungen zu einer gleichförmig reaktionären Masse. Er gibt sich immer supermilitant und predigt Kompromißlosigkeit. Soweit dies in Politik umgesetzt wird, sind die Resultate größtenteils das Gegenteil des Beabsich­tigten.«(16)

Anderthalb Jahre später fiel die Beurteilung entschieden anders aus. Der wiederum von Huberman und Sweezy verfaßte Leitartikel vom Mai 1963 enthielt die Mitteilung, daß sich die frühere Positionsbestimmung als unhalt­barerwiesen habe. Jetzt wurde ausgeführt, daß die Chinesen in der Hauptsache Recht hätten. Dennoch wurden die Vorwürfe der Chinesen an die russische Adresse, in der Sowjetunion bestünden Unterdrückung und Ausbeutung, zu­rückgewiesen.(17)

Auch dieser Standpunkt wurde später revidiert. Nach einigen Jahren teilte die Monthly Review große Bereiche der chinesischen Kritik an der UdSSR.(18) Es dauerte jedoch noch recht lange, bis sich die pro-chinesischen Intellektu­ellen die theoretischen Konsequenzen der chinesischen Kritik an der Sowjet­union vergegenwärtigten. AI Szymanski, ein amerikanischer Ex-Maoist, schrieb darüber:

»Obwohl die Chinesen die Sowjetunion seit 1967 kapitalistisch nannten, haben dies nur wenige von uns zu dieser Zeit wörtlich genommen. Wir akzeptierten noch nicht mecha­nisch alles, was die chinesische (oder albanische) Führung sagte, als buchstäbliche Wahrheit. Erst Anfang der Siebziger, 1973 war der Wendepunkt, erörterten die marxi­stisch-leninistischen Reste der Neuen Linken emsthaft die wirkliche chinesische Posi­tion, daß der Kapitalismus in der Sowjetunion buchstäblich wiederhergestellt worden sei.«(19)

Holmberg

In Westeuropa spielte bei den ersten Diskussionen in maoistischen Kreisen das Buch von Nils Holmberg (geb. 1902), Fredlig Kontrarevolution, das 1974/75 erschien und auch ins Deutsche und Niederländische übersetzt wurde, eine große Rolle.(20) In den Vereinigten Staaten erfüllte das Buch des Grund­risse-Übersetzers Martin Nicolaus, Restoration ofCapitalism in the U.S.S.R. (1975), dieselbe Funktion.(21) Holmbergs Beitrag erhellt treffend die maoisti-sche Denkweise. Sein Ausgangspunkt ist, daß die Sowjetunion unter Stalin noch sozialistisch gewesen sei. Aber doch habe sich schon in jener Zeit eine bürokratische Clique in der Partei einnisten können, die immer mächtiger geworden und eigentlich nur noch von Stalin selbst an der Eroberung der Macht gehindert worden sei. Als Stalin 1953 starb, sei auch diese letzte Hürde für die Bürokraten gefallen. Sie hätten den Staatsapparat benutzt, um den Kapitalismus eilends wiederherzustellen. Den Arbeitern sei die Verfügungs­macht über die Produktionsmittel genommen worden. Fortan hätten sie ihre Arbeitskraft dem Staat verkaufen müssen, und die Gewerkschaften seien Instrumente der neuen Kapitalisten geworden. Die Folge sei, daß die Sowjetunion in keinem bedeutenden Aspekt mehr der Gesellschaft unter Stalin gleiche:

»Die Arbeiterklasse wurde von den Produktionsmitteln getrennt, hörte auf, die herr­schende und führende Klasse zu sein und wurde wieder zur bloßen Lohnarbeiterklasse. Die bürokratische Elite riß mit der Staatsmacht das Bestimmungs- und Verfügungsrecht des Eigentümers über die Produktionsmittel und die ganze Wertmenge, die in der Produktion hergestellt wird, an sich. Seitdem hat sie dieses Recht ausgenutzt, um die Arbeiter auszubeuten und sich den Mehrwert, den die Arbeiter schaffen, anzueignen.«(22)

Eine kapitalistische Gesellschaft wird Holmberg zufolge durch zwei Eigen­schaften gekennzeichnet:

1) Die Produktionsmittel werden eingesetzt, um Arbeiter auszubeuten.
2)
Die Arbeiter müssen ihre Arbeitskraft im Tausch für Lohn verkaufen.

Da diese beiden Eigenschaften auf die Sowjetunion zuträfen, spricht Holm­berg von einem restaurierten Kapitalismus.(23) Etwas zugespitzt besagt Holm­bergs Konstruktion, daß Stalin unwissentlich bürgerliche Bürokraten in seiner nächsten Umgebung duldete, die nach seinem Tod die Macht ergriffen, um den Kapitalismus wiederherzustellen. Dieser »Putsch«- Gedanke ist eine recht vulgäre Variante des Maoismus.(24)

Bettelheim und seine Kritiker

Bettelheim

Intelligenter ist die Theorie des französischen Ökonomen Charles Bettelheim (geb. 1913). Die Grundlagen seiner Auffassung sind in der 1969 erschienenen kleinen aber kompakten Studie Calcul iconomique, catigories marchandes, et formes de propriete enthalten.25 Das monumentale mehrbändige und noch unvollendete Werk Luttes de classes en URSS ist eigentlich nur eine Erweite­rung dieser Studie.26 Ebenso wie Holmberg geht Bettelheim von einer fried­lichen Konterrevolution (oder genauer: einem Staatsstreich) aus, aber er versucht, diese Entwicklung in einen größeren Zusammenhang zu stellen, und distanziert sich daher von dem simplen Putsch-Gedanken:

»Die zentrale Frage ist der Gegensatz zwischen einer wissenschaftlichen und einer nichtwissenschaftlichen Vorgehensweise. Die zweite behauptet, eine gesellschaftliche Formation auf der Basis einiger vereinzelter Merkmale erfassen zu können oder einen historischen Prozeß zu >erklären< auf Grund einiger Entscheidungen oder Manipulatio­nen, die an der Spitze des Staatsapparates getroffen werden. Der extreme Fall, der besonders charakteristisch ist, ist die Theorie vom Staatsstreich«: es wird unterstellt, ein Manöver, an der Spitze von einer kleinen Gruppe von Menschen durchgeführt, wäre in der Lage, den Charakter einer gesellschaftlichen Formation total zu verändern. In Wirklichkeit lehrt uns der Marxismus, daß ein Staatsstreich die letzte Phase ist, die sich auf dem Vordergrund der politischen Szene eines Umwälzungsprozesses in den Klas­senverhältnissen abspielt, eines Prozesses, der sich vorher vollzogen hat. Der Staats­streich läßt also nur auf dem Vordergrund der politischen Szene jene Umwälzungen erscheinen, die schon vorher stattgefunden haben. Der Versuch, die sozialen Verände­rungen durch einen Staatsstreich zu >erklären<, entspricht einer idealistischen Sicht der Geschichte und nicht einer materialistischen.«(27)

Es geht Bettelheim also nicht darum, subjektivistisch bösartige bürgerliche Demokraten zu entlarven, sondern er will die objektiven Grundlagen der Restauration der bürgerlichen Macht in der Sowjetunion enthüllen. Hierzu sei es zuallererst erforderlich, den wesentlichen Unterschied zwischen einer sozialistischen und einer kapitalistischen Gesellschaft zu erkennen. Bettel­heim distanziert sich vom »Ökonomismus« (worunter er die einseitige Unter­werfung der Umformung der sozialen Verhältnisse unter die Entwicklung der Produktivkräfte versteht) und benennt - unter dem Eindruck der chinesischen Kulturrevolution - als erste Bedingung für das Entstehen einer sozialistischen Gesellschaft nicht die Erhöhung der Arbeitsproduktivität, sondern den Klas­senkampf unter Führung einer bewußten sozialistischen Vorhut. In Luttes des classes en URSS (Band 1) folgert Bettelheim daraus, daß das wichtigste Kennzeichen des Kapitalismus nicht darin besteht, daß die Produktionsmittel Privateigentum sind, sondern daß die Bourgeoisie als Klasse sowohl das Monopol an den Produktionsmitteln (ungeachtet dessen juristischer Form) wie die politische und ideologische Hegemonie hat. In diesem und nur in diesem Sinne ist der Kapitalismus die Diktatur der Bourgeoisie über die Arbeiterklas­se. Der Sozialismus dagegen ist die Diktatur des Proletariats, die nur dadurch errichtet werden kann, daß die Arbeiterklasse auf revolutionärem Wege die Staatsmacht erobert. Der Sozialismus muß also primär politisch und nicht ökonomisch definiert werden. Wenn die Arbeiterklasse erst einmal die Staats­macht besitzt, kann sie die bürgerliche Kultur und Erziehung untergraben. Wird dieser Kampf nicht zu Ende geführt oder endet er in einer Niederlage, wird eine neue Bourgeoisie entstehen, die die Staatsmacht zurückerobern will.

Teil der neuen Bourgeoisie können sehr wohl auch kommunistische Kader und Funktionäre sein, denn all jene, die im System der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion eine Position einnehmen, die mit einer Position der Bourgeoisie übereinstimmt, bilden ungeachtet des Bestehens der Diktatur des Proletariats eine Bourgeoisie. Wenn zum Beispiel in einem Betrieb, dessen alter kapitalistischer Besitzer gestorben oder emigriert ist, die hierarchische Struktur des Produktionsprozesses erhalten bleibt und die Personen in den höheren Rängen der Hierarchie Anweisungen erteilen können und eine privi­legierte Stellung einnehmen, dann sind die leitenden Personen in diesem Betrieb Teil der bürgerlichen Klasse. Derartige Prozesse führten dazu, daß in der Sowjetunion die Führung der Kommunistischen Partei (ursprünglich das Sprachrohr des Proletariats) immer mehr von einer Gruppe von Funktionären, die der Diktatur des Proletariats grundsätzlich feindlich gesonnen waren, paralysiert wurde. Ermöglicht wurde dies durch den Platz, den diese Funktio­näre im Wirtschaftsleben und an der Spitze der Verwaltungsmaschine einnah­men, sowie durch die bürgerlichen Praktiken und Methoden, die sie propa­gierten.

Die Kommunisten erkannten diese Gefahr nur unzureichend. Sie vermin­derten daher ihr Bemühen, die Massen gegen diese Entwicklung zu mobilisie­ren (wie es die Chinesen später in der Kulturrevolution tun sollten). Allmäh­lich nahm die Macht der neuen Bourgeoisie weiter zu, und mit den Wirtschafts­reformen Ende der fünfziger und Mitte der sechziger Jahre war die kapitali­stische Restauration vollendet.(28) Der Beweis für diese Entwicklung lag letzt­endlich in der systematischen Abweichung der Sowjetführung von der richti­gen leninistischen Linie.

Calcul iconomique, catigories marchandes etformes de propriiti enthält die dieser Darlegung zugrundeliegende ökonomische Argumentation, die an Bordiga erinnert. Sie kann in drei Punkten zusammengefaßt werden:

1) Der Kern der kapitalistischen Produktionsverhältnisse wird Bettelheim zufolge von den Unternehmen gebildet:

»Der kapitalistische Charakter des >Unternehmens< (das, vor allem in der Industrie, die konkrete >Produktionseinheit< ist, an der in den Übergangsgesellschaften das Staatseigentum in der Regel seine Funktion ausübt) besteht darin, daß seine Struktur die Gestalt einer doppelten Trennung annimmt: die Trennung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln (deren Gegenstück der Besitz der Produktionsmittel durch die Unternehmen ist, d.h. faktisch durch ihre Leiter) und die Trennung der einzelnen Unternehmen untereinander. Diese doppelte Trennung macht die zentrale Gestalt der kapitalistischen Produktionsweise aus [...].«(29)

2) Solange diese doppelte Trennung besteht, sind die Betriebe also kapitali­stisch, setzen sie die Marktverhältnisse fort und bilden einen Gegenpol zum Plan. Für Bettelheim ist es klar, daß spätestens mit den Reformen vom September 1965 - als die Sowjetbetriebe größere Selbständigkeit erhielten -der Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus zugunsten des letzte­ren entschieden war. 1965 war der Punkt erreicht, wo die Planorgane den Unternehmen die »Freiheit« gaben (ob formal oder tatsächlich, tut wenig zur Sache), die Schwerpunkte ihrer »Pläne« selbst zu setzen. Über Investi­tionen entschied nicht mehr der Plan, sondern die Direktion der Betriebe. Der Plan ist damit kein wirklicher Plan mehr, sondern »Begleiter« der Marktverhältnisse.

3) Da der Markt und nicht der Plan herrscht, ist das Wertgesetz in Ehren wiederhergestellt und die Macht nicht mehr im Besitz der Arbeiterklasse. Der Plan ist nur noch ein simples Trugbild (simulacre) tatsächlicher Pia nung. Gedeckt von diesem Trugbild besteht eine andere Herrschaft als die der direkten Produzenten. Während in den Betrieben die Funktion des Kapitalisten von Direktoren eingenommen wird, hat sich in den Organen der Planung eine Staatsbourgeoisie etabliert: Der wirkliche Gehalt des Staatseigentums hängt vom Verhältnis zwischen Arbeitermassen und Staatsapparat ab. Sofern der Apparat - anstatt sich über die Arbeiter zu erheben und sie zu beherrschen - wirklich und vollständig von den Arbei­tern beherrscht wird, ist das Staatseigentum die juristische Form des gesell­schaftlichen Eigentums der Arbeiter. Sofern hingegen die Arbeiter den Staatsapparat nicht beherrschen, dieser vielmehr von einer Körperschaft von Funktionären und Verwaltern beherrscht wird und sich der Kontrolle und der Führung durch die arbeitenden Massen entzieht, wird diese Kör­perschaft von Funktionären und Verwaltern faktisch der Besitzer (im Sinne eines Produktionsverhältnisses) der Produktionsmittel. Diese Körperschaft bildet dann eine gesellschaftliche Klasse (eine Staatsbourgeoisie) auf Grund des bestehenden Verhältnisses einerseits zu den Produktionsmitteln und andererseits zu den Arbeitern.(30)

In späteren Publikationen ergänzte Bettelheim, seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre assistiert von Bernard Chavance (geb. 1947), diese Darstellung um weitere Argumente.(31) Der Umstand, daß die Sowjetunion ein »Staatsmo­nopolkapitalismus neuen Typs« geworden sei, könne, bekundeten beide Öko­nomen, aus den folgenden Merkmalen abgelesen werden:

1. Durch die ökonomischen Reformen von 1965 ist der Profit als wichtigstes Kriterium für industrielle Produktivität eingeführt worden.
2. Die wirtschaftlichen Tätigkeiten sind extrem konzentriert und in Staats­hand.
3. Gleichzeitig konkurrieren die Betriebe um Rohstoffe, Arbeitskräfte usw. Es handelt sich also um Konkurrenz.
4. Der Staat, der von der oben genannten Staatsbourgeoisie beherrscht wird, eignet sich den Mehrwert an.
5. Die wirtschaftliche Entwicklung weist zyklische Bewegungen und Akku­mulationskrisen auf.
6. Es bestehen expansionistische Bestrebungen.
7. Die Arbeiterklasse kennt zwar keine Arbeitslosigkeit, ist ansonsten aber mindestens so rechtlos wie im westlichen Kapitalismus.
8. Die herrschende Ideologie ist revisionistisch; sie gebärdet sich marxistisch­leninistisch, ist aber tatsächlich bürgerlich.(32)

Kritik

Das Werk Bettelheims hat viele Reaktionen hervorgerufen. Am bekanntensten sind die Essays von Paul Sweezy geworden, die Teil einer sehr langanhalten­den Debatte zwischen diesem amerikanischen Marxisten und dem französischen Sowjetkritiker waren.(33)

Von mehreren Seiten wurde Bettelheims »Anti-Ökonomismus« angegrif­fen;(34) und zwar nicht, weil die Kritiker sich selbst als Anhänger des Ökono­mismus verstanden, sondern weil Bettelheim den Begriff »soziale Verhältnis se« auf den Überbau und insbesondere die Ideologie verenge(35). Hieran an­schließend wurde konstatiert, daß Bettelheim als letztendliches Kriterium für die Restauration des Kapitalismus die Abweichung von der leninistischen Linie verwende und so den Klassenkampf aus einem Kampf zwischen Ideo­logien herleite:

»[...] Bettelheim bietet kein anderes Kriterium zur Beurteilung dessen, ob das Proletariat an der Macht ist oder nicht, als die von Regierung und Partei verfolgte Politik. Ist es für den Erkläningswert der Theorie nicht wesentlich, daß es eine unabhängige Methode der Feststellung der Identität einer an der Macht befindlichen Klasse geben sollte? Oder [...] was sind die Modalitäten und Stadien beim Wachstum der neuen Staatsbourgeoisie? Vielleicht am wichtigsten von allem: Unter welchen Bedingungen kann man einen Sieg des Proletariats erwarten und unter welchen Bedingungen einen Sieg der neuen Staats­bourgeoisie?«(36)

Bettelheims Herleitung des kapitalistischen Charakters der Sowjetunion aus der Existenz voneinander getrennter Unternehmen, in denen Lohnarbeit verrichtet wird, wurde methodologisch kritisiert. Mit dieser Argumentation würden die Tatsachen auf den Kopf gestellt, meinte der französische Trotzkist Dallemagne: Nur wenn das Kapital dominiert, sind Unternehmen die »Matrix« kapitalistischer Verhältnisse. Unter anderen Umständen seien sie das nicht. Die reine Existenz von Unternehmen sei nicht beweiskräftig.(37)

Zudem wurde die These von der doppelten Trennung (Lohnarbeit von Produktionsmitteln und Unternehmen untereinander) angezweifelt. Erstens, schrieb Ticktin, könne gar keine Rede davon sein, daß die Unternehmen in der UdSSR selbständig sind:

»[...] die Unternehmen [können] Preise, Löhne, ihre Zulieferungen und Abnehmer nicht selbst bestimmen. Aus diesem Grund können sie auch nicht selbständig festlegen, was  zu produzieren ist.«(38)

Und zweitens sei die Arbeitskraft in der Sowjetunion ungeachtet des Beste­hens der Lohnform keine Ware. Dafür gebe es mehrere Gründe: 1. Es gibt keinen echten Arbeitsmarkt; 2. die Löhne stehen nicht im Verhältnis zu den erbrachten Arbeitsleistungen; und 3. ist das mit Arbeit verdiente Geld nur eines der Mittel, um an Konsumgüter zu gelangen.(39)

In der Literatur wurde teils die faktische Richtigkeit, teils die Relevanz der von Bettelheim und Chavance angeführten acht Merkmale des Sowjet-Staats­kapitalismus bestritten. Als faktisch unrichtig zum Beispiel bezeichnete Swee zy, daß es bei der Einführung des Profits auf Betriebsebene nach 1965 um etwas völlig anderes gehe als die Formulierung des wichtigsten objektiven Kriteriums für industrielle Produktivität. Wenn der Profit tatsächlich die wichtigste Variable wäre, dann würden nicht nur die Produktionskosten, sondern auch die Investitionen, die Preise usw. dadurch bestimmt werden. Dies aber sei nicht der Fall:

»[...] unter dem Sowjetsystem [...] werden die Grundsatzentscheidungen oberhalb der Betriebsebene von einem administrativen Planungssystem, in dem Maximierung des Profits höchstens eine sekundäre und geringe Rolle spielt, getroffen.«(40)

Auch über den vermeintlichen Wettbewerb zwischen Betrieben wurde angemerkt, daß dieser sich nicht auf kapitalistische Weise vollziehe, sondern in Form der Konkurrenz um Gebrauchswerte.(41)

Zweitens wurde von bestimmten Merkmalen gesagt, daß sie für die Defi­nition einer Gesellschaft als kapitalistisch irrelevant seien. Das erst noch zu Beweisende werde vorausgesetzt. Die Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten in Staatshänden belege zum Beispiel nicht, daß es sich um Kapi­talismus handelt.(42) Dasselbe gelte für die Konkurrenz zwischen Betrieben oder die Existenz von Expansionismus und zyklischen Krisen.(43)

Sowohl Bettelheims (und Chavances) Methode als auch ihre Kapitalismus-Definition und ihre empirischen Argumente waren der Kritik ausgesetzt.

Die operaistische Variante

Maoistische Einflüsse sind auch in den Arbeiten der operaistischen Strömung zu spüren. Der Operaismus entstand am Ende der fünfziger Jahre in Italien, als Marxistinnen aus sozialistischen und kommunistischen Kreisen strategi­sche Probleme vom »Arbeiterstandpunkt«, d.h. durch eine Betrachtung vom Arbeitsplatz in den Fabriken, klären wollten.(44) Die Operaisten gruppierten sich anfänglich um die Zeitschrift QuaderniRossi, von der nur sechs Ausgaben (1961-1965) erschienen, die aber dennoch in Italien, und später auch in Westdeutschland, Einfluß hatte. Nach der Einstellung von Quaderni Rossi blieb die operaistische Strömung bestehen. Insbesondere die Ökonomin Rita di Leo (geb. 1940) war bestrebt, die operaistische Herangehensweise - den Versuch, die Gesellschaft »von unten her« zu analysieren - auf die Sowjetuni­on anzuwenden. Auch sie kam dabei zu der Folgerung, daß es sich dort um (Staats-(Kapitalismus handle, und zwar weil Arbeiter und Produktionsmittel voneinander getrennt seien (eines der beiden Kriterien, die auch Bettelheim verwendete). In ihrem Buch Operai e sistema Sovietico (1970) äußert Di Leo entsprechend, daß ebenso wie im Westen - wenn auch in anderer Form - in der Sowjetunion Mehrwert erzeugt werde und daß man dort dieselbe Bezie­hung zwischen lebendiger Arbeit, Maschinen und Rohstoffen antreffe.(45)

 

Anmerkungen

2) »[...] a >change of masters< is impossible, and the >periodic sale of himself< becomes a mere formality.« - Tony Cliff, State Capitalism in Russia, London (Pluto) 1974, S. 207.

3) »In short, the dominant mode of production includes, as an essential feature, wage labour; a wages System in the strict marxian definition of that term [...]. But wage labour implies capital just as slavery implies slave holding.« - Peter Binns/Duncan Hallas, »The Soviet Union: State-Capitalist or Socialist?«, International Socialism, Nr. 91 (September 1976), S. 23-24. Dieser Artikel war eine Anwort auf David Purdy, The Soviet Union - State-Capitalist or Socialist. A Marxist Critique ofthe International Socialists, London (Communist Party) 1976, eine apologetische Publikation, die sich gegen Cliffs Analyse richtete und dabei Argumente von Ernest Mandel benutzte. [Über Purdy auch: David Law, »The Soviet Union: State-Capitalist or Socialist?«, Critique, Nr. 7 (Winter 1976-77).]

4) Peter Binns/Mike Haynes, »New Theories of Eastern European Class Societies«, International Socialism, Nr. 7 (Winter 1980).

5) »What is at issue here is nothing less than whether there is a Proletariat (in Marx's sense) in the USSR or whether there is not. [...] If labour is not a commodity in the USSR, then there is no Proletariat. Moreover, if labour power is not a commodity then there can be no wage labour/capital relationship and therefore no capital either. There-fore there can be no capitalism in any shape or form [...]. No exchange, no capital. Exchange requires wages and therefore money (the generalised commodity) and the production of commodities - goods produced for sale.« - Duncan Hallas, »Eastern European Class Societies«, International Socialism, Nr. 9 (Sommer 1980), S. 129. Faktisch widerspricht Hallas hier Cliff, der geschrieben hatte, die internen Verhältnisse in der UdSSR »would be no different [...] if all the labourers received the goods they consumed directly, in kind«. - Cliff, State Capitalism in Russia, S. 209.

6) Hallas, »Eastern European Class Societies«.

7) Alex Callinicos, »Wage Labour and State Capitalism - A reply to Peter Binns and Mike Haynes«. International Socialism, Nr. 12 (Frühjahr 1981).

8) Siehe biographische und bibliographische Angaben: Frank Dingel, »Paul Mattick (1904-1981)«, Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 17 (1981) und Michael Buckmiller, »Bibliographie der Schriften.von Paul Mattick 1924-1981«, ebd.

9) Paul Mattick, »Marx and Keynes«, Emdes de Marxologie, Nr. 5 (1962).

10) Paul Mattick, Marx and Keynes. The Limits ofthe Mixed Economy, Boston (Porter
Sargent Publications) 1969. Zitiert nach der deutschen Übersetzung: Marx und Keynes.
Die »Grenzen« des gemischten Wirtschaftssystems,
Wiener Neustadt (Räteverlag) 1973,
S. 292. (Ziffer
10 fehlt im Text)

11) Ebd.,S. 298-299.

12) Ebd., S. 293.

13) Ebd., S. 299.

14) Ebd., S. 300.

15) In einem späterem Stadium verfeinerte die chinesische Führung die Theorie, indem sie verkündete, daß es sich in den Vereinigten Staaten um einen abgewirtschaf­teten, untergehenden, bei der Sowjetunion aber um einen aufsteigenden, kräftigen Kapitalismus handele. Auf dieser Grundlage wurde einige Jahre später die Zusammen­arbeit mit den Vereinigten Staaten (vgl. Nixons Besuch in der chinesischen Volksrepu­blik 1971) und die Feindschaft gegenüber der Sowjetunion gerechtfertigt. Einen Tief punkt erreichte diese Entwicklung 1974 mit der »Drei-Welten-Theorie«, derzufolge der sowjetische »Hegemonismus« der Hauptfeind der Menschheit ist.

16) »The Chinese position seems to us to be a typical example of a kind of dogmatic leftism that has appeared again and again in the history of the international socialist movement. Two of the distinguishing hallmarks by which it can be recognized are underestimation of nationalism and the lumping together of all Opposition in an undif-ferentiated reactionary mass. It always exudes supermilitancy and preaches no compro-mise. To the extend that it is translated into policy, the results are for the most part the opposite of what is intended.« - [Leo Huberman/Paul Sweezy], »The Sino-Soviet Dispute«, Monthly Review, Jg. 13, Nr. 8 (Dezember 1961), S. 344-345.

17) [Leo Huberman/Paul Sweezy], »The Split in the Socialist World«, Monthly Review, Jg. 15, Nr. 1 (Mai 1963).

18) Clecak spricht bezüglich Sweezys von einer »movement from one paradigm of socialism/communism, largely derived from classical Marxism and Soviet experience, to a second, largely distilled from Maoist and Cuban perspectives. The first paradigm, which he used with considerable confidence until the Hungarian uprising in 1956, feil apart during an interlude of doubt, disillusionment, and revaluation - roughly from 1957 until 1960. After visiting Cuba in the spring of 1960, Sweezy began to develop a second paradigm.« - Peter Clecak, Radical Paradoxes. Dilemmas of the American Left 1945-1970, New York usw. (Harper & Row) 1973, S. 130.

19) »Although the Chinese had been calling the Soviet Union capitalist since 1967, few of us took them literally at that time. We had not yet come mechanically to accept everything the Chinese (or Albanian) leadership said as literal truth. It was not until the early 1970s, 1973 being the pivotal year, that the Marxist-Leninist remnants ofthe New Left seriously confronted the actual Chinese position that capitalism had literally been restored in the Soviet Union.« - Albert Szymanski, Is the Red Flog Flying? The Political Economy ofthe Soviet Union Today, London (Zed Press) 1979, S. 7.

20) Der Schmied Holmberg wurde 1924 Mitglied der schwedischen Kommunisti­schen Partei (SKP). Er war unter anderem Komintern-Abgesandter in Großbritannien und Gründer der SKP-Zeitung Arbetartidningen. Er kündigte 1950 als Freigestellter der Partei und verdiente seinen Lebensunterhalt künftig unter anderem durch das Schreiben von Kinderbüchern. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in der Volksrepublik China um 1960 wurde Holmberg einer der Wegbereiter des schwedischen Maoismus. Er gründete 1967 mit anderen eine China-orientierte Organisation und leitete zusammen mit seiner Frau einige Jahre die maoistische Zeitschrift Gnistan (Der Funke). - »Über den Autor«, in: Nils Holmberg, Friedliche Konterrevolution, Bd. I, Berlin (Oberbaum) 1974, S. 160-161.

21) Martin Nicolaus, Restoration of Capitalism in the U.S.S.R., Chicago (Liberator Press) 1975.

22) Holmberg, Friedliche Konterrevolution, Bd. II, Berlin (Oberbaum) 1976, S. 114. [Ursprünglich: Fredlig kontrarevolution, Uddevalla (Oktoberförlaget) 1974.]

23) Ebd.

24) Siehe auch die Kritik von Pierre Frühling, »Nils Holmberg och sovjetanalysen«, Haften för kritiska studier, 9 (1976), Nr. 4.

25) Charles Bettelheim, Calcul economique, categories marchandes, et formes de propriete, 2 Bände [= Problemes de Planification, Nr. 11 en 12], hektographiert, Paris 1970.

26) Charles Bettelheim, Les Luttes de classes en URSS, Premiere Periode 1917-1923; Deuxieme Periode 1923-1930; Troisieme Periode 1930-1941 (Tome Premier: Les Do­mines; Tome Deuxieme: Les Dominants). Paris (Maspero/Seuil) 1974, 1977, 1982, 1983.

27) »Interview mit Charles Bettelheim«, Berliner Hefte, Nr. 3 (1979), S. 39.

28) Bettelheim, Les Luttes de classes en URSS, Bd. I, S. 7-56.

29) Bettelheim, Calcul (conomique, Bd. 2, S. 8. Hier zitiert nach der deutschen Fassung Ökonomisches Kalkül und Eigentumsformen. Zur Theorie der Übergangsge­sellschaft, Berlin (Wagenbach) 1974, S. 72.

30) Ebd., S. 93 ff.

31) Übrigens wandte Bettelheim sich Ende der siebziger Jahre auch von China ab, da dort nach dem »Staatsstreich« von Hua Guofeng der Sozialismus durch den Kapitalis­mus ersetzt worden sei. Siehe seine »Questions sur la Chine apres la mort de Mao Tse-toung«, Economie et Socialisme, Nr. 35 (1978). 1985 meinte Bettelheim, daß auf der ganzen Welt Kapitalismus bestehe [»The Specificity of Soviet Capitalism«, Monthly Review, Jg. 37, Nr. 4 (September 1985), S. 44]. Für seine Analyse der Sowjetunion änderte dies nichts; höchstens bedeutete es, daß das im Zusammenhang mit diesem Land entwickelte Schema jetzt auch, wenn auch mit Änderungen, in anderen Fällen angewen­det werden könne.

32) Jeweils einen unterschiedlichen Teil dieser Argumentation findet man in: Bernard Chavance, »On the Relations of Production in the USSR«, Monthly Review, Jg. 29, Nr. 1 (Mai 1977); derselbe, Le Systeme Economique Sovittique, Paris (Economica) 1983; Charles Bettelheim, Les Luttes de classes, Bd. 3; derselbe, »The Specificity of Soviet Capitalism«.

33) Die Debatte begann 1968, als Sweezy seinen Aufsatz über »Czechoslovakia, Capitalism, and Socialism« publizierte und Bettelheim darauf antwortete. 1985-86 wurde diese Debatte noch geführt.

34) Einige wesentliche Beiträge sind: Ernest Mandel, »Du >nouveau< sur la question de la nature de l'U.R.S.S.«, Quatrieme Internationale, Nr. 45 (September 1970); Paresh Chattopadhyay, »On the Political Economy of the Transition Period«, Monthly Review, Jg. 24, Nr. 4 (September 1972); Jean-Luc Dallemagne, »Charles Bettelheim ou l'iden-tification des contraires«, Critiques de iiconomie politique, Nr. 7-8 (1972); Ralph Milliband, »Bettelheim and the Soviet Experience«, New Left Review, Nr. 91 (1975); Hillel Ticktin, »The Contradictions of Soviet Society and Professor Bettelheim«, Criti­que, Nr. 6 (1976); S0ren Damkjaer, »Bettelheim og teorien om overgangssamfundet«, Historievidenskab, Nr. 17 (1979).

35) Alex Callinicos, »Maoism, Stalinism and the Soviet Union«, International So­cialism, Nr. 5 (Sommer 1979).

36) »[.,.] Bettelheim offers no criterion for judging whether or not the Proletariat is in power other than the policies pursued by the government and the party. Is it not essential for the theory to have explanatory value that there should be an independent method of establishing the identity of the class in power? Or [...], what are the modalities and stages in the growth of the new State bourgeoisie? Perhaps most important of all, under what conditions can one expect a victory of the Proletariat, and under what conditions a victory of the new State bourgeoisie?« - Paul M. Sweezy, »Reply«, Monthly Review, Jg. 22, Nr. 7 (Dezember 1970). Siehe auch Siep Stuurman, Het reeel bestaande en het noodzakelijke socialisme, Amsterdam (Van Gennep) 1979, S. 80-83.

37) Dallemagne, »Charles Bettelheim«, Abschnitt II-A-2; K. Nair, »Charles Bettel­heim bouleverse la science«, Critiques de Ticonomie politique, Nr. 7-8 (1972).

38) Ticktin, »The Contradictions of Soviet Society«, S. 23. Hier zitiert nach der deutschen Übersetzung: »Zur politischen Ökonomie der UdSSR II: Die Widersprüche der Sowjetgesellschaft und der Professor Bettelheim«, in Ticktin u.a., Planlose Wirt­schaft. Zum Charakter der sowjetischen Gesellschaft, Hamburg (Junius) 1981, S. 153. Siehe auch Mandel, »Du >nouveau< sur la question de la nature de l'U.R.S.S.«.

39) Ticktin, »Zur politischen Ökonomie der UdSSR II«, S. 48-52.

40) »[...] under the Soviet System [...] the basic decisions concerning the variables above the enterprise level are made by an administrative planning System in which maximization of profit plays at most a secondary and minor role.« - »Paul Sweezy replies«, Monthly Review, Jg. 29, Nr. 1 (Mai 1977), S. 11-12.

41) Mandel, »Du >nouveau< sur la question de la nature de l'U.R.S.S.«.

42) Ebd., S. 16.

43) »Rejoinder by Paul Sweezy«, Monthly Review, Jg. 37, Nr. 4 (September 1985).

44) Die Geschichte der operaistischen Bewegung in Italien wird ausgezeichnet beschrieben in der Dissertation von Wolfgang Rieland, Organisation und Autonomie. Die Erneuerung der italienischen Arbeiterbewegung, Frankfurt/M. (Neue Kritik) 1977.

45) Ritadi Leo, Operai e sistema Sovietico, Bari (Laterza) 1970 (Deutsche Fassung: Die Arbeiter und das sowjetische System. Die Entwicklung von Klassenstrukturen und Klassenherrschaft in der UdSSR, München (Trikont) 1973.) Siehe auch ihr // Modello di Stalin. II rapporto tra politica ed economica nel socialismo realizzato, Mailand (Feltrinelli) 1977.

Editorische Hinweise

Marcel van der Linden, Von der Oktoberrevolution zur Perestroika, Ffm 1992, S.148-159