Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Libyen: Frankreich prescht vor
Emmanuel Macron auf der Suche nach einer „Lösung“ für das zerrissene nordafrikanische Land
 

8/2017

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onlinezeitung

Stand: 1. August 17

Das Karussell der politischen Protagonisten in Libyen, von denen die Großmächte – oder einige von ihnen – sich offiziell „Aussöhnung“ und „eine neue Einheit des Landes“ versprechen, absolviert in einer neuen Runde beschleunigte Umdrehungen. Am Dienstag voriger Woche empfing Frankreichs Staatspräsident in La Celle-Saint Cloud, in der Nähe von Paris, den offiziell durch die UN als Chef einer „Einheitsregierung“ anerkannten Faiez Sarraj sowie den in der Osthälfte Libyens militärisch aktiven General Khalifa Haftar.

Beide einigten sich formal darauf, eine Zehn-Punkte-Erklärung zu unterstützen, welche sie jedoch nicht unterschrieben. Darin sind zunächst eine Reihe schöne Floskeln enthalten wie das Versprechen einer „politischen Lösung durch einen Prozess der nationalen Einheit, der alle Libyer einbezieht“. Ein Waffenstillstand soll die permanenten Konflikte in dem seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes 2011 zerrissenen, und stellenweise nach wie vor durch örtliche Milizen beherrschten Land in Nordafrika herunterfahren. Die Erklärung verspricht; militärische Gewalt solle „nur noch im strikten Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung“ eingesetzt werden, was aber wiederum einen dehnbaren und deswegen gerne benutzten Begriff darstellt.

Erstmals hat mit Emmanuel Macron ein westlicher Staatschef dabei den General Haftar, der sich in Benghazi mittlerweile als Marschall titulieren lässt, als angeblichen Teil einer politischen Lösung hofiert. Nicht das geringste Paradoxon liegt darin, dass eine solche Konfliktlösung nunmehr durch eine Einigung zwischen Sarraj und Haftar erfolgen soll – nachdem vor gut einem Jahr noch die Einsetzung von Faiez Sarraj selbst als Abschluss eines das Land einigenden Prozesses präsentiert wurde. Die seit 2014 von Tripolis aus über ein westliches Drittel des Landes herrschende islamistische Regierung, die sich – infolge einer gerichtliche Annullierung der Wahlen vom Juni jenes Jahres - mit einer eher bürgerlich-nationalistischen Regierung mit Sitz in Tobruk um die Legitimität stritt, trat deswegen im Frühjahr 2016 ab. Ihr Chef Khaliwa al-Ghwell zog sich aus Tripolis in seine Heimatstadt Misrata zurück. Doch Khalifa Haftar, der bis dahin eine Art militärischen Arm der Regierung in Tobruk bildete, gab seine Macht nicht ab. Vielmehr gewann er, im Namen des Kampfes mal gegen Regionalisten in der ostlibyschen Cyreneika – die zeitweilig die Ölexporte über die Häfen blockierten – und mal gegen djihadistische Milizen, immer mehr an Einfluss. Letzterer war und ist zwar nicht demokratisch legitimiert, kann sich jedoch auf die Gewehrläufe stützen.

Eines der Probleme dabei ist, dass unter dem General Haftar im Osten Libyens durchaus ein veritables Schreckensregime entstanden ist. Aktiv daran beteiligt sind die Salafisten, die mittlerweile viele Schlüsselstellen besetzen – und dies, obwohl Haftar ursprünglich als Gegengewicht zur von 2014 bis 2016 in Westlibyen regierenden, islamistisch dominierten Milizenkoalition seinen Aufstieg nahm. Denn bei diesen Machtkämpfen standen sich zu keinem Zeitpunkt Anhänger der Aufklärung einerseits und Religiöse andererseits gegenüber; es ging nie um einen Ideologiekonflikt im Stile „Humanisten und Demokraten versus pure Finsterling“. Vielmehr bilden sich bei den politischen Ränkespielen wechselnde Allianzen, bei denen es darum geht, letztlich die stärkere Durchsetzungsmacht zu erringen.

Haftar wurde zunächst in den letzten zwei Jahren zunächst vor allem durch Ägyptens Militärregime unter ’Abdelfattah Al-Sissi, die Vereinigten Arabischen Emirate und durch Russland unter Wladimir Putin unterstützt. Letzterer unterstützte von Moskau aus in wachsendem Ausmaß Al-Sissi, jedenfalls solange Barack Obama die US-Administration anführte und die ägyptische Diktatur hin und wieder ermahnte, bei Menschenrechtsverletzungen nicht gar zu weit zu gehen.

Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate wiederum übertreffen sich seit zwei bis drei Jahren in einem repressiven Vorgehen gegen alle, die sie als Anhänger oder Verbündete der internationalen Muslimbrüderschaft – welche im Juli 2013 in Ägypten durch einen Putsch von der Macht entfernt wurde – darstellen. Aber Kairo und Abu Dhabi haben dabei einen reichen und mächtigen Verbündeten, der in der gemeinsamen regionalen Achse den Ton angibt, in Gestalt des Königsreichs Saudi-Arabien. Die wahhabitisch geprägte Monarchie betrachtet die Muslimbrüder als ideologische Rivalen innerhalb des islamistischen Spektrums, und als Gefahr für die Golfstaaten aufgrund ihrer Ablehnung der monarchischen Staatsform. Ferner finanziert sie seit dem Putsch von 2013 das ägyptische Militärregime ständig auf Kredit, in diesem Jahr trat Kairo deswegen trotz innenpolitischer Proteste zwei Inseln im Roten Meer an Saudi-Arabien ab. Das wahhabitische Königreich jedoch kontrolliert die Salafisten, jedenfalls die meisten ihrer Unterströmungen. Deswegen schlugen salafistische Parteien sich auch 2013 in Ägypten, im Machtkampf zwischen Militärs und Muslimbrüdern, auf die Seite der Armee unter Al-Sissi.

In diesem Kontext steigt seit Jahresbeginn der repressive Druck in Ostlibyen, wo im Januar eine LKW-Ladung mit Büchern beschlagnahmt wurden, die auf dem Weg zu einer Buchmesse in Benghazi waren. Werke von Fiodor Dostojewski, Friedrich Nietzsche oder Paolo Coelho wurden mit als Ausdrücke einer „kulturellen Invasion“ konfisziert, ebenso die missliebiger arabischer Autoren. 130 libysche Intellektuelle formulierten später einen gemeinsamen Protestaufruf. Zuletzt legte Human Rights Watch (HRW) am 20. Juli eine Protestnote ein, nachdem ein Ausschuss des ostlibyschen Religionsministeriums die Ibaditen – eine religiöse Minderheit – als Ketzer angeprangert hatte.

Sarraj und Haftar versprachen nun gemeinsam von La Celle-Saint Cloud aus, sich um die Abhaltung von Wahlen im Frühjahr 2018 zu bemühen. Ob diese wirklich stattfinden, und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen, steht bislang allerdings in den Sternen.

Eines der Hauptinteressen der französischen Staatsspitze, und gemeinsam mit ihr der politischen Führung in mehreren anderen Kernländern der EU – wie Italien und Deutschland, die freilich durch Macron bei dem Treffen im Pariser Umland nicht assoziiert wurden – liegt unterdessen daran, Libyen möglichst schnell wieder als Grenzwächter der EU bei der Regulierung von Migrationsbewegungen einsetzen zu können. Dadurch würde das Land erneut die Rolle einnehmen, die ihm durch Italien unter Silvio Berlusconi offiziell und durch viele andere EU-Staaten informell zuerkannt wurde, so lange das Gaddafi-Regime (1969 bis 2011) an der Macht war. Der Staatszerfall in Libyen hatte dies in den folgenden Jahren mehr oder minder verhindert.

Anlässlich eines Besuchs in einer Asylunterkunft in Orléans am vorigen Donnerstag betonte Macron zudem, künftig werde man seitens Frankreichs und der EU-Staaten über Asylanträge bereits in Libyen befinden. Konkret regte er an, dort künftig „hot-spots“ zur Sortierung von Migranten und Geflüchteten einzurichten, ähnlich, wie sie derzeit auf den griechischen Inseln - wie in Moria auf Lesbos - existieren. Auch auf die Nachbarländer wie Tschad und Niger möchte Macron dabei das vorgelagerte Grenzregime ausdehnen.

Emmanuel Macron präsentierte dabei seine Idee von der vermeintlich menschenfreundlichen Seite: Bei der Aufnahme von wirklich politisch Verfolgten werde er „kompromisslos“ ja sagen. Und es gelte, Menschen, die Fluchtgründe anführen könnten, die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer zu ersparen: Diese könnten sie auch gleich südlich des Mittelmeers den EU-Repräsentanten vortragen. Deswegen stellte die rechtsextreme Presse wie die aggressive Webseite Riposte Laïque die Dinge sogleich verzerrt so dar, als wolle Macron „jetzt schon die Migranten in Libyen und in Niger abholen“.

Die Kehrseite der Medaille ist dabei natürlich, dass Macron von vornherein von einer strikten Trennbarkeit zwischen „politischen“ sowie „Wirtschaftsflüchtlingen“ ausgeht. Letztere sollen dabei weiterhin keine Chance haben, etwa politisches Asyl zu bekommen – in Frankreich liegt die Anerkennungsquote global nur bei einem Drittel -, aber künftig gleich auf de Südseite des Mittelmeers festgesetzt werden. Notfalls in der libyschen Wüste. (Anm. vom 08. August 17: Inzwischen hat der französische Innenminister Gérard Collomb inhaltlich nachgebessert und erklärt, sein Chef Emmanuel Macron sei falsch verstanden worden. In Libyen selbst lasse die Sicherheitslage es derzeit nicht zu, Aufnahmelager für Migranten einzurichten; Macron habe lediglich – sic – über die Einrichtung solcher Zentren in „Ländern südlich von Libyen“, also im Tschad und/oder in Niger, laut nachgedacht.)

Ähnlich wie die deutsche Bundesregierung bei einem Besuch Sigmar Gabriels in Tripolis Anfang Juni d.J. ( vgl. in dieser Ausgabe den Artikel Anti-Migrationspolitik im Mittelmeerraum ) macht nun auch Macron sich dafür stark, die Lebensbedingungen in den detention centers für Migranten in Libyen müssten verbessert werden. Dafür müsste jedoch, gelinde ausgedrückt, sehr viel passieren. In einem Rapport, den die Internationale Organisation für Migration (IOM) am 10. April dieses Jahres vorstellte, ist etwa vom Verkauf von Migranten auf veritablen Sklavenmärkten im Süden Libyens, von Folter und Vergewaltigungen die Rede.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Es handelt sich um Eine vom Verfasser erheblich gekürzte Fassung dieses Artikels - erschienen in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World’ vom 03. August 17