Editorial
Bedeutungsverschiebung

von Karl-Heinz Schubert

08/2019

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Als unmittelbar nach den Potsdamer Beschlüssen im August 1945 mit entsprechenden Maßnahmen in der Sowjetischen Besatzungszone Ernst gemacht wurde und durch die Gründung der DDR diese antifaschistische Umwälzung gesichert wurde, schlug in der BRD die Geburtsstunde eines primitiven Antikommunismus, der seinen ersten Höhepunkt im Verbot der KPD 1956 hatte. Die damaligen Parolen lauteten z.B. im Wahlkampf 1953:

        

Nach dem Moskauer Vertrag vom 5.8.1970 traten an deren Stelle geschmeidigere Formulierungen.

Hingegen wurde die in den 1960er Jahren entstandene neue Linke weiter antikommunistisch malträtiert. Berufsverbote und  Rausschmiss aus dem DGB waren beliebte Mittel der Verfolgung von Menschen, die für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus - für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterddrückung - politisch unterwegs waren.

Vor und auch noch nach der Implosion der DDR 1989 diffamierten deren Parteigänger*innen  die massenhafte Erhebung der DDR-Bürger*innen als Konterrevolution. Ein kompletter Unsinn.

Die DDR, die aufgrund innerer und äußerer Bedingungen die angekündigte sozialistische Transformation der antifaschistischen Nachkriegsumwälzungen nicht vollzog, hatte stattdessen 1989 ökonomisch, politisch und ideologisch einen Scherbenhaufen hinterlassen. Was sich tatsächlich sowohl  in der Massenflucht als auch in den  DDR-weiten Demonstrationen ausdrückte, war ein persönliches Lagebewußtsein - von nationalistischem Unrat durchtränkt - auf der Suche nach einer lohnenswerten Alternative, die der DDR-"Sozialismus" nicht (mehr) bieten konnte.

Die Konterrevolution war - wenn überhaupt - in Wandlitz, bei der StaSi und bei den Kombinatsdirektoren zu Hause (siehe dazu z.B. das Protokoll der Dienstbesprechung beim Minister für Staatssicherheit Erich Mielke vom 31.8.1989.

Da es heute - 30 Jahre nach dem Ende der DDR und durch die privatkapitalistischen Transformationen vormals sich sozialistisch dünkender Staaten - keine reale Projektionsfläche mehr für den Antikommunismus gibt, haben sich mittlerweile - notgedrungen - andere Projektionsflächen herausgebildet.

Als eine dieser neuen Projektionsflächen dient der Vorwurf des Antisemitismus. Dieser Vorwurf  wird besonders in Anschlag gebracht, wenn linke oder kommunistische Gruppen den Kämpfen der Palästinenser*innen ihre internationalistische Solidarität entgegenbringen, wenn sie über deren Benachteiligung, Ausgrenzung, Unterdrückung und Verfolgung  durch israelische Polizei und Streitkräfte sowie ihren Widerstand gegen diese Repressionen berichten.

Grundlage ist eine Bedeutungsverschiebung des Begriffs Antisemitismus, wie sie in dem Beschluss des deutschen Bundestages vom Mai 2019 zur BDS-Bewegung zum Ausdruck kommt.  In der letzten Ausgabe veröffentlichten wir dazu einen Aufruf an die Bundesregierung
"Setzen sie BDS nicht mit Antisemitismus gleich" von 240 jüdischen und israelischen Wissenschaftlern. In dieser Ausgabe legen wir eine weitere Stellungnahme zu dieser Problematik vor:
"BDS ist eine gewaltfreie Bewegung, die sich weder gegen das jüdische noch das israelische Volk richtet.". Zur Geschichte der Bedeutungsverschiebung des Antisemitismusbegriff im linken Spektrum empfehlen wir einen Blick in unsere 2003 zusammengestellte Textsammlung "Metamorphosen des Antisemitismus".

Besondere Verdienste bei der Umfunktionierung des Antisemitismusbegriffs zur Diffamierung linker und revolutionärer Gruppen haben sich die sogenannten "Antideutschen" erworben, nachzulesen in dem Debattenbeitrag: "Antideutsche" – links blinken, scharf rechts abbiegen … Sie transportieren mit dem Antisemitismus-Vorwurf, wie unlängst in Kassel wieder geschehen, systematisch den ideologischen Spaltpilz in die antifaschistísche und internationalistische Bewegung und schwächen somit gezielt Aktionseinheiten gegen Rechts. Wir haben dazu den Bericht von Martin Suchanek nachgedruckt, der darin zutreffend feststellt, dass es sich hier um einen Antikommunismus handelt, "der ohne Kommunismus auskommt".

Dieser derzeit gängigen Version des Antikommunismus sollte mit einem breiten linken Bündnis entgegengetreten werden - nicht nur alltagspraktisch, sondern auch auf dem Feld der politisch-ideologischen Orientierung. Dazu gehört als Essential ein Antiimperialismus auf der "Höhe der Zeit", wodurch internationalistische Solidarität erst einen Bezugsrahmen erhält. Diesen werden wir brauchen, wenn die türkische Regierung die Föderation Nord- und Ostsyrien (Rojava) überfällt. Und dieser Überfall von uns die internationalistische Solidarität "Rise up 4 Rojava" verlangt.