Editorial
Schwache Texte

von Hartmut Hartmann

09/01
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Den Rassismus als nur interpersonales Problem zu behandeln und dabei seine gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit durch Kapitalismus und Imperialismus außer Acht zu lassen, gehört seit Jahren zum Mainstream der bundesdeutschen Frauenbewegung. Damit wird am Ende das Politische auf das Persönliche reduziert. Mit diesem verstellten Blick wird schließlich die Lage der Frauen in den Ländern der sog. Dritten Welt behandelt und die westlich-feministischen Bewertungskriterien werden dabei absolut gesetzt. Rassistische und eurozentristische Argumentationsfiguren und Denkmuster erhalten somit ein Einfallstor.

Dies ist kein neues Phänomen. Bereits auf der Frauenkonferenz der NGO´s 1980 in Kopenhagen wurde dies beklagt und die VertreterInnen der arabischen Frauenbewegung fragten damals polemisch, wie Frauen in Beirut, die täglich Bombardements ausgesetzt sind, sich wohl um ihre Orgasmen kümmern sollen. Ziemlich zeitgleich diskutierte die autonome britische Frauenbewegung die Gefahr der Adaption rassistischer Positionen und Zuweisungen im Kampf gegen Kapital uns Patriarchat. (siehe: Bourne, Jenny, u.a., From Resistance to Rebellion, Berlin 1992)

In der Nr. 7/8-01 veröffentlichten wir den Vortrag, Analyse einer Diskursverschränkung - Ethnisierung von Sexismus im Einwanderungsdiskurs, gehalten von von Margarete Jäger beim Kolloquium „Wissenstransfer zwischen Experten und Laien. Umrisse einer Transferwissenschaft“. Die Redaktion dieser Ausgabe, der ich auch angehörte, versprach sich von diesem Text, dass die häufig zu beobachtende Vermischung aus positiven Ansätzen (antipatriarchalische Kritik) mit reaktionären (rassistische Zuweisungen) unter Zurhilfenahme der Diskurstheorie aufgedröselt wird.

Doch ganz im Gegenteil: Der LeserInnenbrief von Mortran, den wir in dieser Ausgabe abdrucken, macht statt dessen deutlich, dass Jägers Text viel eher zu Mißverständnissen und Irritationen beiträgt. Es ist natürlich nicht so, wie Mortran schlussfolgert, dass die Autorin selber rassistisch argumentiert. Hier versteht er den Text gänzlich miss. Dies ist jedoch nicht ihm, sondern der Autorin geschuldet. Insofern greift Mortrans Kritik, dass es sich bei Jägers Vortrag um eine "mit Fach- und Fremdwörter völlig überladene, Pseudo-Fachsprache " handelt.

Diesen Vorhalt wollen wir aufnehmen und selbstkritisch hinzufügen, dass Jägers Vortrag keineswegs eine Analyse darstellt. Vielmehr werden nicht einmal die banalsten Regeln der empirischen Sozialforschung eingehalten, geschweige denn findet eine Arbeit am Begriff statt. Der Erkenntniswert dieser "Analyse" geht tatsächlich gegen minus Null.

Wenn nun Mortran fragt, ob wir nicht den Jäger´schen Text zurückziehen wollen, so werden wir dies nicht tun. 

Zum einen gab es immer wieder mal "schwache" Texte im trend. Auch Mortrans LeserInnenbrief gehört unseres Erachtens zu den "schwachen". Denn es ist heute einfach mehr als blauäugig, wie Mortran mit dem Begriff Volk argumentiert ("angeborene Volkszugehörigkeit"), ohne zu thematisieren, dass es sich bei Begriffen wie Volk, Nation, Rasse um ideologische Konstruktionen handelt, die ihre materielle Grundlagen in der kapitalistisch-patriarchalen Produktionsweise haben und einer freien Gesellschaft als gedanklicher Sperrriegel mit mörderischen Konsequenzen im Wege stehen.   

Zum andern widerspräche die Rücknahme des Jäger´schen Texts dem Selbstverständnis unseres Internetprojekts "Onlinezeitung für die Alltägliche Wut". Dazu in eigener Sache: 

Die trend onlinezeitung ist seit Januar 1996 ein rein virtuelles Erzeugnis, dessen Konzeption im Laufe der Jahre verändert und - wir denken - verbessert wurde. Markant ist unsere Arbeitsweise: eine virtuelle - ständig fluktuierende - Gruppe von Leuten redigiert die hereinkommenden Texte und/oder spiegelt Texte von anderen Projekten. Dies folgt der Logik, dass eine Information, die ins Cyberspace gelangt ist, in letzter Konsequenz dort nicht mehr unterdrückt werden kann. Das Hauptkriterium für die Textauswahl stellt seine Bedeutung für die Rekonstruktion einer revolutionären Theorie auf der Höhe der Zeit dar. Davon abgeleitet gibt es je nach Zusammensetzung der jeweiligen Monatsredaktion unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, Widersprüche eingeschlossen.

Wollte mensch den trend rein plakativ bewerten, so sollte hier von einer Art "Readers Digest für die Linke" gesprochen werden. Kurzum: Der trend ist eine Veröffentlichungsplattform für alle die Strömungen, die für die Aufhebung der Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen durch Menschen eintreten.