Zur Vorgeschichte des 13. August 1961
Die Rolle der Bundeswehr im Kalten Krieg gegen die DDR

von Hans Teller

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Seit Herbst 1958 mehrten sich Kriegsübungen von NATO- und Bundeswehreinheiten, in denen die aggressiven Pläne im Detail durchgespielt wurden. Im Bereich des NATO-Kommandos Ostseezugänge wurden Seekriegsmanöver durchgeführt, in denen die schwimmenden Verbände auf Angriffsoperationen im Küstenvorfeld der DDR vorbereitet wurden. Diese Manöver liefen im Frühjahr 1959 und im Spätherbst des gleiches Jahres unter den Bezeichnungen „Wolf Jaune", bzw. „Tigre Jaune" unter Teilnahme von BRD-Seestreitkräften an. Von 1958 bis zum Sommer 1961 führte die Bundesmarine eine Reihe eigener Seekriegsübungen durch. Es waren das die Übungen „Wallenstein I" bis „Wallenstein IV". Die Übung „Wallenstein III", die vom 30. August bis zum 9. September 1960 durchgespielt wurde, verlief unter den Bedingungen eines angenommenen Kernwaffeneinsatzes in Richtung Seegrenze der DDR in Verbindung mit einer Seelandung und zeigte, da§ den Seestreitkräften der BRD schon damals die Rolle der maritimen Hauptstoßkraft der NATO in der Ostsee zugewiesen worden war. Im September 1960 fand im Raum Schleswig-Holstein und Jütland die große NATO-Truppenübung „Hold Fast" statt, die mit der Seekriegsübung „Bone dry" in der westlichen Ostsee kombiniert war. Die zu erreichenden Manöverziele für die Truppen waren das funktionstüchtige Zusammenwirken von Land-, See- und Luftstreitkräften, die Erprobung von Seelandungen und die Übung amphibischer und anderer Operationen. Die Manöverlage ging davon aus, daß ein Vorstoß über eine angenommene „Demarkationslinie" die Kampfhandlungen eröffnete. Es wurden Brückenköpfe gebildet und kombinierte Luft-See-Landungen mit imitiertem Einsatz atomarer Sprengkörper durchgeführt. Das Übungsgelände ähnelte auffallend der DDR-Küste. 45 000 Soldaten und 12 000 Räder- und Kettenfahrzeuge gelangten zum Einsatz.( S. Brockdorff-Ahlefeldt, Cay Graf von: Das NATO-Manöver „Hold Fast". In: Wehrkunde, München, H. 11, Nov. 1960, S. 575 f.)

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Im Herbst 1959 wurde in der Bundesrepublik die NATO-Stabsübung „Side-Step" durchgespielt, der die Konzeption des „kleinen" oder „begrenzten" Krieges zugrunde lag. Alle Operationen gingen davon aus, einen Blitzkrieg mit möglichem Einsatz von atomaren Waffen zu führen.

Die Lahmlegung von Verwaltungs- und Industriezentren der DDR spielte in der Übung eine besondere Rolle. Gleichzeitig führte die Bundeswehr eigene Übungen an der Grenze zur DDR unter den Bezeichnungen „Ulmer Spatz" und „Panzerzug" durch, in denen der Stoß gegen die südliche Flanke, bzw. das Zentrum der DDR erprobt wurde, und gab für die Vorbereitung auf „Side-Step" eine besondere Direktive heraus. Diese Direktive beschäftigte sich mit den Erfahrungen der faschistischen Wehrmacht bei ihrem Einmarsch in Österreich und in die Tschechoslowakei 1938 und orientierte auf die Ausnutzung des seinerzeit demonstrierten Überraschungsmomentes für die Durchführung des Manövers. 

Eine ähnliche Ausgangssituation lag den großen NATO-Manövern „Winter-Shield I" und „Winter-Shield II" zugrunde, die Anfang 1961 bzw. zu Beginn des Jahres 1961 stattfanden. Auch hier wurde der 'Stoff gegen die DDR — diesmal unter winterlichen Bedingungen -in Richtung auf das Aggressionsziel geprobt. Im Manöver „Winter-Shield II" exerzierten 60 000 Soldaten der NATO mit 15 000 Fahrzeugen zum drittenmal innerhalb Jahresfrist einen großräumigen Überraschungsangriff gen Osten. Dabei ging die Manöverlage davon aus, da§ ein „innerdeutscher Konflikt" die erste Phase eines möglichen Krieges gegen die Staaten des Warschauer Vertrages sein könnte. ( Siehe: Kissel, Hans: Manöver „Winter-Shield II". In: Wehrkunde, H. 3, März 1961, S. 116 f.)

Die NATO-Manöver sowie die selbständigen Bundeswehr-Übungen ließen 1960/61 Schlußfolgerungen auf den Inhalt und die Art und Weise des geplanten militärischen Vorgehens zu. Mit blitzschnellen militärischen Vorstößen aus den erwähnten Angriffsschwerpunkten sollten die DDR überrannt und ihre Verteidigungskräfte paralysiert werden. Der militärische Einfall in die DDR sollte als „innere Angelegenheit der Deutschen" hingestellt und als „Polizeiaktion" aufgemacht werden. Dem NATO-Dokument „Deco II" lag die Zielstellung „Befreiung der SBZ und Wiedervereinigung Deutschlands durch militärische Besetzung des mitteldeutschen Raumes bis zur Oder-Neiße-Linie" zugrunde. Dieses Papier präzisierte die Angriffspläne, legte die militärischen Operationen im einzelnen fest und regelte die Absicherung der Aktion durch die NATO. Während Verbände der Bundeswehr in schnellem Stoß tief in die DDR vordringen, die Oder-Neiße-Grenze erreichen und solcherart vollendete Tatsachen schaffen sollten, war vorgesehen, daß die Westmächte Garantieerklärungen an die UdSSR, die VR Polen und die CSR abgeben würden, daß sich die Intervention nicht gegen diese Staaten richte und Leben und Eigentum sowjetischer Staatsbürger in der DDR nicht angetastet würden. (Deutsche Kriegsbrandstifter wieder am Werk. Berlin 1959, Bd. I, S. 168 f.)

Das Stör- und Provokationszentrum Westberlin sollte bei der Aktion eine besondere Rolle spielen. Von dort aus sollten bewaffnete Banden und Kommandotrupps in die DDR und ihre Hauptstadt vordringen und sich mit im Umkreis abgesetzten Luftlandetruppen vereinigen. Die Vorstellungen vom „verdeckten Krieg" beherrschten die gesamte Planung der militärischsubversiv angelegten Aktionen. (Hoffmann, Heinz: Sozialistische Landesverteidigung. Aus Reden und Aufsätzen 1963 bis Februar 1970. Teil I, Berlin 1971, S. 242 f.) Für diese Art der Kriegführung wurden in der Bundeswehr besondere Einheiten ausgebildet.(1) War der spekulative und irreale Charakter dieser Pläne auch nicht übersehbar, so bestand andererseits die reale Gefahr, durch ihre Inangriffnahme Truppen der NATO und des Warschauer Vertrages in einen militärischen Konflikt mit unabsehbaren Folgen zu verwickeln.

Die Bundesregierung bemühte sich verstärkt um die Realisierung einer Notstandsgesetzgebung und suchte Teile dieses Gesetzeswerkes, die vom Bundestag der BRD bereits verabschiedet waren, 1961 beschleunigt in die Praxis umzusetzen. In verdächtiger Eile wurde am 29. Juni 1961 das „Leistungsgesetz", das den Zwangsdienst der Bevölkerung der Bundesrepublik im Kriegsfall regelte, so modifiziert, daß es noch vor dem sogenannten Verteidigungsfall in Kraft gesetzt werden konnte. In Bonn bemühte man sich also offensichtlich auch um die innenpolitische Absicherung der vorgesehenen Aktionen.

Am 21. Juni 1961 verkündete US-General Norstad, der oberste NATO-Befehlshaber in Europa, die Einsatzbereitschaft der „NATO-Feuerwehr", einer atomar ausgerüsteten Sonderformation. Bundeswehrgeneral Heusinger erklärte am 28. Juni nach einer Truppeninspektion der Bundeswehreinheiten an der Staatsgrenze zur DDR die Kampfbereitschaft dieser Einheiten. (Vgl.: Bundeswehr - Armee für den Krieg. S. 304.) 

Am 1. August erging an alle Angehörigen der NATO-Verbände in Europa der Befehl zur Alarmbereitschaft. Der Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Europa-Mitte, Bundeswehrgeneral Speidel, inspizierte am 10. August die NATO-Verbände entlang der DDR-Staatsgrenze und erklärte ihre volle Einsatzbereitschaft. Der Imperialismus der BRD hatte mit Unterstützung einflußreicher Kreise der NATO den kalten Krieg gegen die Deutsche Demokratische Republik in dieser Zeit bis zur unmittelbaren Vorbereitung eines militärischen Überfalls vorangetrieben. In Mitteleuropa war eine höchst gefährliche Situation entstanden, die das Risiko militärischer Zusammenstöße in sich barg. Die Maßnahmen der sozialistischen Staaten vom 13. August kamen in dieser Situation rechtzeitig und richtig. Sie entschärften wirksam die außerordentlich zugespitzten Spannungen, indem sie den aggressionsbereiten Kreisen die Grenzen ihrer Macht und die Risiken eines militärischen Vorgehens demonstrierten, und retteten damit den Frieden in Europa. Sie unterstrichen zugleich die Aussichtslosigkeit der militärischen Variante der „Politik der Stärke".

1) Zum Inhalt des „verdeckten" Krieges hieß es in der „Wehrkunde": „Zerstören von technischen Fernmeldeanlagen des zivilen und militärischen Bereiches sowie Unterbrechen des Rundfunk- und Fernsehbetriebes; - Zerstören wichtiger Verkehrsverbindungen und zwar im besonderen solcher von militärischer Bedeutung; - Zerstören von militärischen Anlagen und Nachschubeinrichtungen sowie von kriegswichtigen Werken und Betrieben; - Stören des öffentlichen Lebens, vor allem durch Beschädigen der Anlagen für die Versorgung mit Wasser, Gas und Strom sowie durch Unterbrechen der Kanalisation; - Terrormaßnahmen gegen die loyale Bevölkerung wie Geiselmaßnahmen und Ausschaltung von Führungskräften." (Golz, Herbert: Kleinkrieg und Heimatverteidigung. In: Wehrkunde, H. 11, Nov. 1961, S. 580.)


Quelle: Teller, Hans, Der kalte Krieg gegen die DDR, Berlin 1979, S. 206ff, OCR-Scan by Red. trend.