Neue Gewalt auf Korsika?

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on Bernhard Schmid
 
09/04

  
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"Wir sind nicht Ihre Untergebenen, sondern Ihre Gegner, und wir sind bereit, Ihre Feinde zu werden, wenn Sie uns durch Ihre Verblendung dazu zwingen." Diese an "die Pariser Minister" gerichtete Drohung bildet die meistzitierte Stelle aus der Rede, die Jean-Guy Talamoni am ersten Augustwochenende beim, alljährlich um diese Zeit stattfindenden, korsischen Nationalistentreffen in Corte (Zentralkorsika) hielt. Der smarte Anwalt aus dem nordkorsischen Bastia führt den "legalen Arm" der Nationalisten im Parlament der Inselhauptstadt Ajaccio an.  

Ferner drohte Talamoni, der eigentlich eher als Realpolitiker gilt und ­ als Vorsitzender des Ausschusses für EU-Angelegenheiten im Inselparlament ­ regelmäßig in Brüssel über Regionalsubventionen verhandelt, den derzeitigen Regierenden in Ajaccio. Das sind an erster Stelle Camille de Rocca-Serra und Ange Santini, Mitglieder der französischen Präsidentenpartei UMP. Talamoni sprach von "Kollaborateuren" und von "Harkis" ­ so hießen jene Algerier, die im antikolonialen Befreiungskrieg auf Seiten der französischen Armee kämpften. Er drohte ihnen mit Besetzungen ihrer Büros und dem Blockieren ihrer Verwaltung, mit einem "Misstrauensvotum des korsischen Volkes", das ihnen nicht länger die Ausübung ihrer Funktionen erlaube. Und: "Wir werden von ihnen verlangen, die Unterwerfung unter ausländische Behörden", gemeint sind jene Frankreichs, "zu verweigern oder einfach zurückzutreten."  

Waffenstillstand brüchig?  

Solche Sprüche ist man von Jean-Guy Talamoni, der seit 1999 zum wichtigen Ansprechpartner mehrerer französischer Innenminister geworden war, aus jüngerer Zeit nicht gewohnt. Politische Beobachter schließen auch ein Wiederaufflammen der Gewalt auf der Mittelmeerinsel nicht mehr aus. Die größte Untergrundorganisation Korsikas, der FLNC-Union des combattants (Nationale Befreiungsfront Korsikas ­ Bund der Kämpfer), hält zwar seit dem 14. November 2003 eine Waffenruhe ein, die er im Mai dieses Jahres bestätigt hat. Doch am 5. Juli hatte dieselbe Organisation sich auch zu einem wenige Tage zuvor von zwei Motorradfahrern am hellichten Tag begangenen Attentat auf eine Gendarmiewache in Pietrosella bekannt. In seiner Rede beließ Talamoni es bei der allgemeinen Aussage: "Man soll nicht von uns erwarten, dass wir patriotische Aktionen verurteilen."  

In den letzten Monaten sind neben dem FLNC-UC einige konkurrierende Untergrundgrüppchen entstanden, wie der "FLNC der Dissidenten" oder die Ende Juli aufgetauchte "Armee des korsischen Volkes APC, die alle Staatsbediensteten auffordert, sich schleunigst von der Insel auf das französische Festland versetzen zu lassen. Deswegen steht auch der "militärische Flügel" der offiziellen Nationalisten unter Druck; es droht eine Zersplitterung und unkontrollierte Radikalisierung kleiner Gruppen.  

Der Waffenstillstand war die Folge einer Vereinbarung zwischen den Nationalisten, die theoretisch für die Unabhängigkeit kämpfen, und den Autonomisten, die es bei Sonderregelungen im französischen Staatsverband belassen mögen und den Untergrundkampf im Prinzip ablehnen. Beide zusammen traten, unter dem Etikett der Union naziunale, zu den Regionalparlamentswahlen im März an. Doch verlor das Bündnis mit 17,3 Prozent über sechs Prozent gegenüber der letzten Wahl des korsischen Inselparlaments, 1999, und fiel vom zweiten auf den dritten Platz der korsischen Parteienlandschaft zurück.  

Perspektivische Sackgasse des korsischen Nationalismus  

Bereits vor diesem, von den Nationalisten unerwarteten, Rückschlag befand diese Strömung sich in einer perspektivischen Sackgasse ­ was sich auch darin zeigt, dass in diesem Jahr knapp 500 Personen an dem Traditionstreffen in Corte teilnehmen, gegenüber weit über 1000 in jüngerer Vergangenheit. In den letzten fünf Jahren war der legale Arm der Nationalisten in einen Verhandlungsprozess mit dem französischen Zentralstaat eingetreten, der zu Anfang des Jahrzehnts zur Perspektive eines Autonomiestatuts für Korsika führte. Dafür konnten sich in Paris plötzlich auch Konservativ-Liberale begeistern, die darin einen modellhaftes "Labor" für die von ihnen geplante neoliberale Dezentralisierung erblickten. Doch ein Plan für eine damit zusammenhängende Verwaltungsreform, den der damalige französische Innenminister Nicolas Sarkozy vorgelegt und den die Nationalisten unterstützt hatten, wurde bei einem Referendum am 6. Juli vorigen Jahres von 51 Prozent der Abstimmenden abgelehnt. (Vgl. dazu: http://www.trend.infopartisan.net/trd7803/t247803.html)  

Der Staat ist seitdem zu einer harten Haltung zurückgekehrt, um den Umgang mit bewaffneten Nationalisten auf Korsika vorwiegend als Sicherheitsproblem zu begreifen, das mit polizeilichen Mitteln zu behandeln ist. Bereits Sarkozy, den die korsischen Nationalisten zu schätzen gelernt hatten, leitete nach dem Scheitern der Abstimmungsvorlage einen entsprechenden Kurswechsel ein; es kam zu einigen spektakulären Verhaftungen. Sein Amtsnachfolger Dominique de Villepin bekräftigte diesen Kurs, im April 04 wurde sogar Talamoni selbst vorübergehend verhaftet und in Paris einem Richter vorgeführt. Und am 28. Juli 04 ernannte er den Chef des polizeilichen Elitekommandos RAID, eine Entsprechung zur deutschen GSG 9, Christian Lambert, zum neuen Sicherheitsbeauftragten für Korsika. Ein deutliches Symbol für die Nationalisten.  

Letztere beschuldigen die Regierung, nicht mehr zum Dialog bereit zu sein. Zum Problem der Nationalisten gehört allerdings auch, dass ihre Ziele von der überwiegenden Mehrheit der Inselbewohner abgelehnt werden. Das hat sich noch verstärkt, seitdem in den letzten 10 bis 15 Jahren eine zunehmende "Mafiotisierung" der nationalistischen Grüppchen eingesetzt hat. Ursprünglich waren sie angetreten, um die Unterentwicklung der Insel ­ deren Bewohner fast nur vom öffentlichen Dienst oder vom Tourismus leben ­ und ihre Verwaltung durch einige Großfamilien, die "Clans", anzuprangern. Längst sind sie selbst in die mafiöse Funktionsweise der Inselökonomie und der Clans verwickelt.  

Rassistische Tendenzen auf Korsika nehmen zu  

Ferner erweist sich auch die "Utopie" der Nationalisten als immer reaktionärer. Nicht nur die Staatsbediensteten, die, mangels anderer Betätigungsfelder, über ein Drittel der Inselbevölkerung, ausmachen, werden nunmehr von ihnen bedroht. Auch weicht die in den Siebziger Jahren gepflegte Idee von einer korsischen "Schicksalsgemeinschaft", zu der all jene gehören können, die eine Eigenständigkeit der Insel befürworten, in den letzten Jahren mehr und mehr der Idee einer "Blutsgemeinschaft".  

Seit einem Jahr häufen sich die brutalen Gewalttaten gegen Einwanderer auf der Insel: Genau 10 Prozent der 260.000 Einwohner sind Maghrebiner, die durch den Aufschwung der Tourismusindustrie auf Korsika kamen. Menschenrechtsgruppen zählten 56 rassistische Gewalttaten in den letzten zwölf Monaten, gegenüber 21 im Vergleichszeitraum des Vorjahres: Maghrebiner werden mit Schusswaffen verletzt, aus dem dritten Stock geworfen oder unter Todesdrohungen zur Ausreise aufgefordert. Auch finden sich immer mehr rassistische Graffitys in den korsischen Straßen. Maghrebiner werden etwa beschuldigt, für einen Großteil des Drogenhandels verantwortlich zu sein, was nachweislich falsch ist ­ die organisierte Kriminalität bildet immer noch einen Stützpfeiler der Inselökonomie. Mehrere unter den festgenommenen Tatverdächtigen sind nationalistische Aktivisten.  

Sprecher des "politischen Arms" der korsischen Nationalisten wie Jean-Guy Talamoni verurteilen zwar die rassistische Gewalt. Doch zugleich wurde auch in Corte von der Tribüne aus gegen das "Immigrationsproblem" gewettert, etwa durch den Redner Pierrot Pioggoli, der 1989 als Kritiker der "Mafiotisierung" bei den Nationalisten auftrat und am 16. August ein Buch über ihre Geschichte veröffentlichte. Unter heftigem Applaus. Lang ist es her, dass die korsischen Nationalisten manchen Linken in Frankreich als Vertreter eines emanzipatorischen Projekts gelten konnten. Ob es damals eine Illusion war oder nicht, mag dahingestellt bleiben ­ heute hat der Blutsnationalismus sie definitiv eingeholt.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor schickte uns am 28 Aug 2004 seinen Artikel in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.