Editorial
Lob der Dialektik

von
Karl Mueller
09/06

trend
onlinezeitung

„Wenn ich die ökonomische Last abgeschüttelt, werde ich eine Dialektik schreiben. Die rechten Gesetze der Dialektik sind schon im Hegel enthalten; allerdings in mystischer Form. Es gilt diese Form abstreifen. ... "
Marx an Dietzgen 9.5.1868, MEW 32, S. 547

Im letzten Editorial ("Grundwissen") ging es vor allem um die Frage der "Kapital"-Schulung. Dazu gab es Zuschriften, die es wert sind, hier Erwähnung und Antwort zu finden:

Hartmut Folter  teilte uns dazu seine "abweichende Meinung" mit, in der es heißt, dass seine "kommunistische Gruppe" ein "Diskussionsangebot für Leute" bereithält, die "einiges" gegen die hießigen Verhältnisse haben und "dafür Argumente entwickeln und erfahren wollen". Des weiteren könne mensch bei ihnen lernen, "wie man andere von der eigenen Kritik überzeugt". Schließlich solle diese "Kritik als praktisches Verhältnis" begriffen werden, womit die Einsicht gestiftet würde, dass diese Art von Kritik nur in "organisierter Form zur Beseitigung der kritisierten Verhältnisse" ihren Zweck erfülle.

Damit offensichtlich eine Verwechslung mit einer Werbung für eine esoterische Selbsterfahrungsgruppe nicht aufkommt, empfiehlt er zum Weiterlesen einen MG/Gegenstandpunkte-Text, getitelt: "Der Aufbau des Kapital (I)" Darin wird vor allem gegen Schulungskonzepte polemisiert, in denen das Verständnis der Dialektik integraler Bestandteil ist. Schließlich heißt es: "Wenn das Kapital Wissenschaft ist, lassen sich aus ihm auch die Bestimmungen von Wissenschaft erkennen - aber eben aus ihm: nichts ist dagegen unwissenschaftlicher als die Argumentationsschritte im "Kapital" woanders her erklären zu wollen als aus ihm selbst."

Mal beiseite geschoben die Frage, die sich sofort aufdrängt, warum es dann dieses einführenden Textes bedarf, wenn das "Kapital" allein aus sich heraus zu verstehen sei. Vielmehr wäre zu fragen, ob Erkenntnis leitende Schritte, wie etwa das sich Verschaffen eines Überblicks über den zu untersuchenden Gegenstand bzw. das zu studierende Werk oder die Sichtung vorbereitender oder ergänzender Schriften von Marx wie Briefe, nachgereichte Stellungnahmen usw. usf. nicht als notwendige Teile einer gegenstandsnotwendigen Beschäftigung mit dem "Kapital" gelten sollen?

Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Diese in jener Frage enthaltenen Ansprüche an notwendiges (Vor-)Wissen für eine "Kapital"-Schulung richten sich an jene, die diese Schulung anbieten und stellen keine Eingangsvoraussetzung für TeilnehmerInnen dar. Freilich soll nicht verschwiegen werden, dass es bei einer "Kapital"-Schulung  darum gehen sollte, dass die TeilnehmerInnen am Ende in etwa den gleichen Wissenstand wie die Schulungs"leiterInnen" haben. Doch dies sind eher Fragen der Didaktik und brauchen hier nicht weiter thematisiert zu werden.

Wie steht es nun aber um das eigene "Kapital" Verständnis von Folters Gruppe?

Dazu gibt es am Ende des empfohlenen MG/Gegenstandpunkte-Textes einen zarten Hinweis, der sich auf das folgende Marx-Zitat stützt: "Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine "ungeheure Warensammlung", die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware." (MEW 23/49)

Nach ihrem Verständnis werden deshalb im "Kapital" die "verschiedenen Formen des Reichtums  (Waren, Geld, Aktien, Grundstücke), wie Marx sie begriffen hat, dargestellt. Denn - so meinen sie: "Wenn die Ware Elementarform ist, dann muß sich aus ihren Bestimmungen ihr Verhältnis zu den übrigen Formen des Reichtums erschließen lassen."

Nun wird aber im "Kapital" nicht dargestellt, was einer (Marx) subjektiv über Reichtum begriffen hat, sondern Marx stellt das dar, was die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft widersprüchlich und gesetzmäßig, d.h. objektiv,  bewegt.

Deshalb heißt es auch im Vorwort zur ersten Auflage des "Kapitals": "Für die bürgerliche Gesellschaft ist aber die Warenform des Arbeitsprodukts oder die Wertform der Ware die ökonomische Zellenform....Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse... An und für sich handelt es sich nicht um den höheren oder niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Notwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen."

Die Ware ist eben nicht die Form des Reichtums, sondern die Form des Arbeitsprodukts oder die Form, in der der Wert erscheint. Sie ist Form von beidem und beide sind einander entgegengesetzt. Damit diese Gegensätze überhaupt eine Einheit bilden können, bedarf es einer bestimmten Form: Der Ware. Wie diese Gegensätze aufeinander wirken, wie sich aus ihren widerspruchsgeprägten Wirkungsformen das Geld ableitet, dass alles hätte sich - folgt man Folters Leseempfehlung - Marx eigentlich sparen können und seinen ersten Band mit dem 2. Abschnitt "Die Verwandlung von Geld in Kapital" beginnen lassen können. Dann hätte Marx sich auch folgende Hinweise an den "Leser" sparen können: "Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verständnis des ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Ware enthält, wird daher die meiste Schwierigkeit machen....Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen." (ebd.)

So sehen wir, dass diese Leseempfehlung - geprägt vom Widerwillen gegen die Beschäftigung mit der Dialektik - zu gewichtigen Fehlinterpretationen des Marxschen "Kapitals" führt, die dazu verleiten, die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als  eine Art Volks- und Betriebswirtschaftlehre aufzufassen, mit der die eigenen Interessen elegant agitatorisch befördern werden können. Mit Grausen sei abschließend daran erinnert, wie die MG in ihren Anfängen vor Münchner Fabriktoren mit Flugblättern agitierte, in denen nichts weiter stand als Zitate aus dem Kapital.

Wal Buchenberg nahm das Editorial zum Anlass um erneut  für seine Kapitalschulung zu werben, deren Hörbuch im Internet herunter geladen werden kann. Er schrieb an mich: "In deinem Editorial ... forderst du eine "philosophische Propädeutik" als Einleitung oder Hinführung zum Marxschen "Kapital". Ich meine, viele Wege führen nach Rom und viele Gründe motivieren zum Studium des Marxschen Kapitals. Kein Hinweg und keine Propädeutik ersparen uns aber, die Marxsche Kapitalismuskritik in ihrem Gesamtumfang zu studieren. Ich hatte dir/euch schon einmal angeboten, einen einwöchentlichen Lektürekurs mit meiner Kapitalkurzfassung aller drei Bände des Kapital unter eurer Leitung durchzuführen. Ich wiederhole hiermit mein Angebot. Ich hätte kein Problem damit, wenn ihr vor oder zu Beginn eines solchen Kurses philosophische Texte zur Dialektik lesen/studieren wollt."

Meine Haltung zu Wal Buchenberg habe ich damals, als sein Vorschlag kam, im Editorial 10-05 so umrissen: "Aus zwei wesentlichen Gründen heraus können wir dieses Angebot nicht empfehlen: zum einen aus lerntheoretischen Überlegungen, so hat die weiland vom KBW vermasste Schulungsmethode des Vorlesens als Kernstück der Schulung sich nicht bewährt (Stichwort Nürnberger Trichter), zum andern mangelt es dem Buchenbergschen Schulungskonzept (auch wegen dieser Methode, sie klebt am Text) daran, dass der dialektische Materialismus als Theorie und Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ausgeblendet bleibt."

Wenn jetzt Wal Buchenberg im Hinblick auf die Dialektik erklärt, dass sie jenseits des Kapitals studiert werden könne, dann unterstreicht dies erneut die Berechtigung meiner damaligen Kritik. Die materialistische Dialektik ist die Methode der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie. Sie gehört nicht abgetrennt in eine Propädeutik  und kann schon gar nicht aus Gründen einer so genannten Lernökonomie ausgeblendet werden. Für das hier Gesagte dürfte also der Hinweis auf das berühmte Marxsche Nachwort zur zweiten Auflage des "Kapital" reichen, wo es gleichsam direkt an Buchenberg gerichtet heißt: "In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie  dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist." Kurzum im Hinblick auf die Dialektik nimmt Buchenberg  die gleiche Haltung wie der MG/Gegenstandpunkt ein.

Schließlich gilt, ohne die Behandlung der Methode der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie am Gegenstand selber, was wiederum philosophische Grundkenntnisse voraussetzt, verkommt die Marxsche revolutionäre Theorie zu einer "evolutionistisch-technologischen Theorie der menschlichen Geschichte" (Luporini C.: Karl Marx - Kommunismus und Dialektik, S.119).

Lob der Dialektik
von Bert Brecht

Das Unrecht geht heute einher mit sicherem Schritt.
Die Unterdrücker richten sich ein auf zehntausend Jahre.
Die Gewalt versichert: So, wie es ist, bleibt es.
Keine Stimme ertönt außer der Stimme der Herrschenden.
Und auf den Märkten sagt die Ausbeutung laut:
 

Jetzt beginne ich erst. 

Aber von den Unterdrückten sagen viele jetzt:

Was wir wollen, geht niemals.

Wer noch lebt, sage nicht: niemals!
Das Sichere ist nicht sicher.
So, wie es ist, bleibt es nicht.
Wenn die Herrschenden gesprochen haben,
Werden die Beherrschten sprechen.
Wer wagt zu sagen: niemals?
An wem liegt es, wenn die Unterdrückung bleibt? An uns.
An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird?
Ebenfalls an uns.
Wer verloren ist, kämpfe!
Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?
Denn die Besiegten von heute sind die Sieger von morgen,
Und aus Niemals wird: Heute noch!

Bei all der hier geäußerten Kritik sollte nicht vergessen werden, vor der eigenen Tür zu kehren. Tatsächlich gibt es in TREND auf dem Feld des wissenschaftlichen Sozialismus im Verhältnis zu ökonomischen und historischen Texten viel zu wenig philosophische und erkenntnistheoretische Texte. Das werden wir versuchen zu ändern.

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Die Sommerpause konnten wir nutzen, um ein wenig unsere Textbestände zu ordnen und als zentrale Literaturlisten zugänglich zu machen.

Wir empfehlen auf dem Gebiet der Kritik der politischen Ökonomie (ständig) zu benutzen:

Ebenfalls neu ab dieser Ausgabe ist die Rubrik "Das Politische Buch". Schließlich wollen wir noch erwähnen, dass wir aus aktuellen Anlass ein TREND SPEZIAL aufgelegt haben "Die Berliner Wahlen & die WASG".

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Ja - und dann ist es uns noch gelungen, Ilse Schwipper und Johann von Rauch für eine Veranstaltung im Rahmen der NACHTGESPRÄCHE zu gewinnen, die am 22. September 2006, 20.00 Uhr in Berlin Kreuzberg stattfinden wird. Hierzu wird es demnächst ein Programmheft zum Herunterladen geben. Darin werden ergänzende Lesehinweise zum "Bombenbuchthema" zusammengestellt sein.

Zu diesem Thema erhielten wir zwischenzeitlich von dem leitenden Kripo-Beamten Kotsch i.R., der 1969 mit der Aufklärung des Anschlags auf das Jüdische Gemeindehaus beauftragt war, einen Leserbrief.

Er schreibt darin u.a (Unterstreichung und Fettdruck von uns):

Nach dem Kurz-Studium Ihrer Ausführungen im Internet (10/05 trend onlinezeitung) komme ich – bei einigen Passagen, die meine Person betreffen - zu dem Schluss, dass Sie zwar eine blühende Phantasie aber kein Gefühl für historische Wahrheiten besitzen. ...

...Warum haben Sie sich nicht mal an mich gewandt, um auch die andere Seite zu hören, wenn Sie mich schon ständig erwähnen? Das ist das Einmaleins des Historikers und des Kritikers! Auch Krausshaar hat mich nie kontaktiert und ich kannte ihn so wenig wie Sie.

Übrigens: Ich war nie beim Verfassungsschutz. Das ist eine Erfindung des „IM Günter", ....

Mit - trotzdem - freundlichen Grüßen und Wünschen für die Zukunft

W. Kotsch

„High sein, frei sein, aber die Wahrheit muss dabei sein!!!

Schön - sozusagen by the way - zu erfahren, wie redlich der Wissenschaftler Kraushaar seinem Beruf nachgeht.

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Zweimal Glück hatten wir mit den Bahamas-Re(d)aktionären:

Zum einen ernannten sie TREND ("ein linkes Zentralorgan des antizionistischen Alltagsverstandes") zum Zentralorgan, zum andern beförderten sie uns nur zu Antizionisten, nicht zu Antisemiten, was für sie zwar kein Unterschied, aber sehr wohl für uns einer ist.