Schwarz/Gelb abschalten!
100.000 demonstrieren gegen Regierung und Atomlobby
 

von Martin Suchanek

09/10

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Stundenlang blockierten hunderttausend oder mehr DemonstrantInnen das Berliner Regierungsviertel. Aus ganz Deutschland waren sie mit Sonderzügen und über 200 Bussen angereist, um gegen die dreiste Verlängerung der AKW-Laufzeiten durch die Bundesregierung zu protestierten.

Es war die bislang größte Demonstration gegen die Politik von Schwarz/Gelb - und sie war mehr als berechtigt!

Der „Energiewirtschaftsvertrag“ soll den Atomkonzernen in den nächsten Jahren laut Ökoinstitut satte 120 Milliarden (!) Euro Mehreinnahmen bringen. Dagegen sind die anvisierten zusätzlichen Steuereinnahmen von 16 Milliarden, die Schwarz/Gelb bis 1015 erheben will, Peanuts. Während die Verlängerung der Laufzeiten und damit gigantische Extraprofite durch sind, können wir davon ausgehen, dass es um jeden Steuercent - so gering er im Vergleich zu den Zusatzgewinnen auch sein mag - noch kräftig gefeilschst werden wird.

Und „selbstverständlich“ sollen sämtliche Folgekosten des AKW-Betriebs sowie alle Sicherheitsrisiken nicht von den Monopolen, sondern von der Gesellschaft getragen werden. 

Politische Kräfte und Zusammensetzung der TeilnehmerInnen

Die Mobilisierung gegen die Verlängerung der Laufzeit stand politisch ganz eindeutig im Zeichen der Grünen Partei und von Umweltschutzverbänden, die ihr mehr oder weniger nahe stehen (NABU, BUND, Greenpeace).

Die SPD hatte sich im Vorfeld erstmals seit Jahren bemüht, das „Atomthema“ auch zur Mobilisierung zu nutzen. Auch wenn etliche SPD-, Juso- oder Falken-Fahnen zu sehen waren - gegen die Grünen hatte sie keine Chance. Diese waren eindeutig die stärkste Kraft.

Auch die Linkspartei hatte aufgerufen, war jedoch noch weniger sichtbar als die SPD.

Fast noch schlechter fiel allerdings die Präsenz der Gewerkschaften aus. Etliche - darunter auch ganze Bezirke der IG Metall - hatten zwar zur Beteiligung aufgerufen und durften auch Redner stellen - eine sichtbare Präsenz mit eigenen Blöcken hatten sie jedoch nicht.

Noch bemerkenswerter war allerdings, dass die „radikale“ und anti-kapitalistische Linke  überaus schwach vertreten war. Neben Arbeitermacht und REVOLUTION fielen nur SAV, MLPD, DKP sowie wenige Kleingruppen durch Präsenz auf. Das autonome Spektrum war nicht sichtbar - entweder war es gut „getarnt“ oder, das triff wohl eher zu, zu Hause geblieben. 

Schande der „Linken“ 

Die ist eine Schande für die „radikale“ Linke und ein fataler politische Fehler. Die Protestbewegung gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist Teil eines viel umfassenderen Unmuts gegen die kapitalistische „Umwelt“politik, die vor allem der Sicherung von Monopolprofiten großer Konzerne oder - siehe Stuttgart 21 - dem Börsengang der Bahn und der Grundstücksspekulation dient.

Diese Politik bedroht im wahrsten Sinn des Wortes unser aller Leben und Zukunft. Sie geht mit der zynischen und unverhohlenen Verhöhnung des „Wählerwillens“ einher. Keine noch so starke Ablehnung des Atomwahns oder aberwitziger Verkehrsprojekte wie S 21 durch die Bevölkerung ändert daran etwas. Kein noch so offenkundiger Kniefall einer Regierung von den Lobbyisten des Großkapitals führt zu einem Einlenken der Konzerne.

Hier wird von Merkel, Brüderle und Röttgen gegen die Bevölkerung „durchregiert“ - und so ein Lehrstück in Sachen bürgerlicher Demokratie vorgeführt, deren vom Kapital diktierte Gesetze schließlich auch durch noch mehr Überwachung, Einschränkung bürgerlicher Rechte und Polizeigewalt durchgepeitscht werden. 

Perspektive 

Statt in dieser entstehenden Massenbewegung mit einer anti-kapitalistischen Perspektive einzugreifen, hat es ein Grossteil der deutschen Linken vorgezogen, fern zu bleiben. Einen politisch rationalen Grund dafür gibt es nicht.

Zugeben, die Protestbewegung wird aktuell v.a. von den lohnabhängigen Mittelschichten getragen. Unter den vielen Jugendlichen sind es vor allem GymnasialschülerInnen und Studierende, die auf den Demos zu finden sind.

Dass es v.a. diese Schichten sind, die auf die Straße gehen, spricht nicht gegen die Proteste, sondern gegen eine „radikale“ Linke und eine Arbeiterbewegung, die noch immer allzu gern die „ökologische Frage“ als Nebenfrage begreift, diese also herunterspielt, und/oder oft genug den Antworten von Grünen und SPD argumenativ wenig entgegenzusetzen hat.

Politisch herrschen in der Bewegung der bürgerliche Ökologismus der Grünen und der Öko-Reformismus der SPD vor, die im Grunde von Linkspartei und Gewerkschaften nur nachgeplappert werden. So erklärt sich auch, warum sie nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Inhaltlich vertreten viele DemonstrantInnen - ganz den rot-grünen Rezepten entsprechend - eine reformistische Perspektive oder die einer „grünen Erneuerung“ der Marktwirtschaft, den „Green New Deal“. Anstelle der Atomwirtschaft und ihrer Monopole sollen entweder mehr Kleinanbieter treten oder die bestehenden Konzerne sollen zum ökologischen Umbau durch diverse „marktwirtschaftliche Anreize“ - also garantierte Monopolprofite für andere Produkte - gebracht werden.

Dabei zeigt gerade die Erfahrung mit dem Ausstieg aus dem Atomausstieg, dass selbst das nicht zu haben ist, ohne eine entschlossene Politik gegen die kapitalistischen Monopole, ohne deren entschädigungslose Enteignung.

Doch auch die Verstaatlichung der Großkonzerne stellt die Frage, wer deren Produktion, deren Investitionen, der Geschäftsgebahren kontrollieren und bestimmen soll. Daher treten wir für Arbeiterkontrolle ein - also für die Kontrolle durch die Beschäftigen sowie VertreterInnen der Lohnabhängigen aus anderen Branchen und den KonsumentInnen aus der Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum. Nur so kann anstelle der irrationalen, an den Profiten der einzelnen Kapitale orientierten Energieproduktion im Kapitalismus eine rationale, an den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Umwelt orientierte Energiewirtschaft in Form einer demokratischen Planung umgesetzt werden.

Ohne Zweifel kollidiert das nicht nur mit den Interessen einzelner Konzerne, sondern würde den entschiedenen Widerstand des gesamten Kapitals und seines Staates hervorrufen.

Daher muss der Widerstand auch eine andere Form annehmen, als sich auf Großdemos zu beschränken und - mehr oder weniger offen zugestanden - auf eine „neue“, also rot/rot/grüne Regierung zu hoffen.

Der Kampf um die Enteignung der Energiewirtschaft unter Arbeiterkontrolle muss - wie jeder entschiedene Kampf - mit den Kampfmitteln der Arbeiterklasse geführt werden: mit Streiks und Besetzungen, mit dem Aufbau von Selbstverteidigungsorgane gegen Provokationen oder Räumungsversuche durch die Bullen. Er muss v.a. mit dem Kampf gegen die Auswirkungen der Krise verbunden werden. Denn nur so ist es realistisch, eine gesellschaftliche Bewegung, eine Kraft zu schaffen, die sich auf die Kernschichten der Arbeiterklasse in den Betrieben stützt, die nicht nur dem Spuk der Atomlobby ein Ende bereiten kann, sondern auch der Gesellschaft, die sie hervorbringt.

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 506
18. September 2010


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